Immanuel Kant (und was von ihm übrig bleibt, wenn ich mit ihm fertig bin)

Es gibt Leute, vor allem aus den Naturwissenschaften, die da monieren: Während die Wissenschaften laufend echte Fortschritte machten, mache die Philosophie keine, sondern stecke immer noch in ihrer Unfähigkeit fest, ihre jahrtausendalten Fragen beantworten und Probleme lösen zu können. Dabei stecken die Fragen und Probleme der Philosophie in letzter Konsequenz im menschlichen Geist, welcher naturgemäß sich selbst nicht vollständig durchdringen und „lösen“ kann. Viele einstmals philosophische Probleme wurden im Lauf der Zeit an die Naturwissenschaften abgegeben, da die sie besser oder sogar vollständig bewältigen können: denn die Lösungsmöglichkeit liegt tatsächlich draußen in der Natur, in der Empirie, wie sich herausstellt. Dahin müssen die Naturwissenschaften natürlich erst einmal kommen. Was aber bleibt, das liegt im Geist – und das bleibt dann der Philosophie. Das Gute ist, dass der Geist sich zwar nicht vollständig durchdringen kann, aber doch wohl erforschen und Interessantes zutage fördern kann. Die großen philosophischen Versuche sind große Unternehmungen, große Explorationen, die zwar nicht an den Enden der Welt anlangen und den Kontinent der letzten Dinge tatsächlich einnehmen, aber doch neue Regionen, Inseln oder gar Kontinente entdecken und neue, bessere Kartierungen und Vermessungen ermöglichen. Aber diese Wissenschaft ist Metaphysik, und das ändert die Sache ganz und gar. Das ist ein uferloses Meer, in welchem der Fortschritt keine Spur hinterlässt, und dessen Horizont kein sichtbares Ziel enthält, an dem, wie viel man sich ihm genähert habe, wahrgenommen werden könnte (…) Denn Metaphysik ist ihrem Wesen, und ihrer Endabsicht nach ein vollendetes Ganzes: entweder nichts, oder alles; was zu ihrem Endzweck erforderlich ist, kann also nicht, wie etwa Mathematik oder empirische Naturwissenschaft, die ohne Ende immer fortschreiten, fragmentarisch abgehandelt werden, formuliert es Kant in der Schrift Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolf´s Zeiten in Deutschland gemacht hat? (Werke VI S.589) Sehen wir es etwas weniger pessimistisch als Kant, so erscheinen Philosophien als geistige Gebilde, die Orientierungen im Denken ermöglichen, als Markierungen und Marksteine in der Erforschung des Geistes – die natürlich auch, fragmentarisch, aufeinander aufbauen und sich in eine Kette einer fortschreitenden Bewegung einreihen. Natürlich gibt es in der Philosophie Fortschritte, Ausdifferenzierungen, Paradigmenwechsel oder gar Revolutionen, ähnlich wie in den Naturwissenschaften. Es kann sogar Kopernikanische Wenden in der Philosophie geben. Als „Kopernikanische Wende“ in der Philosophie bezeichnet man die Philosophie Kants.

Immanuel Kant gilt als die zentrale Gestalt der Philosophie der Neuzeit. Dabei ist der Begründer des modernen Philosophierens Descartes. Descartes legte den Ursprung des Philosophierens in das Subjekt. Michel Foucault geht in seinem neu erschienen Nachlasstext (Der Diskurs der Philosophie) sogar so weit zu behaupten, dass Descartes das Subjekt für die Philosophie erfunden hat, oder zumindest als Kategorie eingeführt hat. Das Subjekt ist einerseits kompetent, genau gesagt, in der offensichtlichen Abwesenheit von anderen entsprechenden Instanzen sogar die kompetenteste Sache in der Welt; andererseits bleibt es, genau wegen seiner Subjektivität, zweifelhaft, wie kompetent es das Objektive eigentlich erfassen kann. Deswegen sucht der Zweifler und Skeptiker Descartes sein Heil gleich wieder in Gott und greift gleich wieder auf Gott zurück, als der Instanz, die garantiere, dass das philosophierende Subjekt sich nicht irre und die Außenwelt keine Täuschung sei. Allerdings ist das eine zweifelhafte philosophische Intervention, und es liegt in der Bahn des neuzeitlichen, rationalen, vom Subjekt vollzogenen Philosophierens, dass Instanzen wie Gott zweifelhaft werden. Bei dem radikalen Skeptiker Hume werden sogar grundlegende Fundamente des rationalen Philosophierens – die Annahme von Kausalität und die Gültigkeit von induktiven Schlüssen – zweifelhaft. Die große Innovation von Kant ist bekanntlich, dass er Raum, Zeit, Kausalität und anderes mehr als grundlegende Anschauungsformen fasst, über die das Subjekt die Welt erkennt – und die gleichzeitig die Möglichkeit der Erkenntnis der Welt begrenzen. Das Subjekt wird ermächtigt, die Welt als räumliche, zeitliche und kausal zusammenhängende zu begreifen, zu beherrschen und auf jener Grundlage Wissenschaft zu betreiben; der reale Charakter der Welt und das Ding an sich mag dabei räumlich, zeitlich und kausal zusammenhängend sein, oder aber auch gänzlich anders: der tatsächliche Charakter der Welt ist jenseits unserer Anschauungsformen unerkennbar. Das transzendentale Objekt, welches den äußeren Erscheinungen, imgleichen das, was der inneren Anschauung zum Grunde liegt, ist weder Materie, noch ein denkend Wesen an sich selbst, sondern ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowohl als der zweiten Art an die Hand geben… (Kritik der reinen Vernunft S.934) Das bedeutet auch, dass Gott – nunmehr tatsächlich ein Deus absconditus – u. dergl. nicht mehr Gegenstand des rationalen Philosophierens sein kann. Kant vollendet hier die Denkbewegung der modernen Philosophie, die Gott und alles religiös Jenseitige aus dem Philosophieren verbannt. Es ist vielleicht nicht vollständig zu verstehen, worin das immense Charisma des Profunden bei Kant als zentraler Gestalt der modernen Philosophie besteht (wenngleich es ja Wesen von Charisma ist, dass es über sich selbst hinaus wirkt und gleichzeitig unergründlich erscheint). Aber die profunde Intervention von Kant und seine Kopernikanische Revolution liegt darin, dass er das Subjekt als Ausgangspunkt des Philosophierens endgültig inthronisiert und es in seinen Möglichkeiten und Grenzen eindeutig bestimmt. Kant hat damit eine tiefe Furche durch das Denken gezogen und – in einer radikalen metaphysischen Wende die Subjektivität und das Subjekt zum Superzentrum der Welt gemacht. Er hat das auf einem maximalen Niveau der Durchdachtheit gemacht. Auch in dieser Macht und in dieser Erhabenheit (die er als solche in der Kritik der Urteilskraft analysiert hat), der so einfach nichts entgegengesetzt werden kann, liegt das große Charisma von Kant. Fürchterlich, beinahe schreiend baut sich die Kritik der reinen Vernunft vor einem auf, in einem gewaltig dimensionierten Aufriss, wie eine Festung des Schreckens. Das Abstraktionsniveau und der Erklärungsanspruch sind bei der Kritik der reinen Vernunft so hoch, dass sich beinahe alle andere Philosophie dagegen wie ein Alltagsgeplänkel ausmacht, über Fragestellungen derart ob ein oder zwei Stück Zucker in den Tee besser seien oder die Beigabe von Zucker für jeden wirklichen Teegenießer nicht überhaupt Anathema sein muss. In der Kritik der praktischen Vernunft und in den moralphilosophischen Schriften führt Kant Gott und das Jenseitige, ohne welche wir im Philosophieren und sonstwo kaum auskommen, wieder ein, jedoch als regulative Prinzipien, und er blickt in den metaphysischen Abgrund (der Subjektivität). Er löst darin vor allem, wie Daniel Kehlmann meint, das Problemfeld des Moralischen – so wie er in der Kritik der Urteilskraft dann das Problemfeld der Kunst löst. Insofern er die vernünftige Subjektivität ins Zentrum der Welt stellt, ist Kant dazu angehalten, eine Gesellschaft von vernünftigen Subjekten zu propagieren, damit sich diese Vernunft auch entfalten und wirkungsmächtig werden kann: Und wird so zu einer – im Wesentlichen zu der – intellektuellen Führungsfigur der Aufklärung und zum Vordenker von Demokratie, bürgerlichem Rechtsstaat und einer internationalen Rechtsordnung, die theoretisch den Ewigen Frieden zwischen den Völkern garantiere. Graham Harman sieht Kant als profundesten und universalsten Philosophen nach Aristoteles und Platon. Wobei seine Universalität aber über die Philosophie hinausreichte, denn Kant war auch (und zunächst vor allem auch) Naturforscher. Als solcher lieferte er Erklärungen für die Monsun- und Passatwinde und veröffentlichte eine Theorie der Saturnringe und „Nebelsterne“ (Galaxien). Das verheerende Erdbeben von Lissabon 1755 war eine metaphysische Katastrophe und bot Voltaire den Anlass, über seinen Candide mit der Leibnizschen Vorstellung von der Theodizee und der „besten aller möglichen Welten“ abzurechnen. Kant hingegen machte sich an eine rationale Erklärung für das Erdbeben, die eine Folge von unterirdischen Explosionen hinter dem Unglück vermutet. Ein bedeutender Beitrag Kants zur Wissenschaft galt der Entstehung von Sternen und ging als Kant-Laplacesche Theorie in die Geschichte der Astronomie ein. (Ironischerweise gegenüber dem, was eingangs gesagt wurde, war eben Kants Philosophie das Bleibende, während seine naturwissenschaftlichen Leistungen später überholt wurden.) Kants großes Charisma beruht auch auf der tiefen Ernsthaftigkeit seines Philosophierens, das kaum seinesgleichen hat. Kant gegenüber nimmt sich Hegel, obwohl nur unwesentlich weniger universal aufgestellt, mit seinen Spekulationen über die philosophischen Weltverlauf beinahe wie ein Scharlatan oder ein Cagliostro aus. Auch wenn Hegel die Weltgeschichte des Denkens als eine Folge von Revolutionen begreift, reicht zumindest keine davon so tief und ist so profund wie die Revolution, die man bei Kant hat. Kants reife Philosophie wurde schon zu dessen Lebzeiten als mechanisch und gefühllos kritisiert; der spöttelt in der kurzen Schrift Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie aber nur zurück: Es lebe also die Philosophie aus Gefühlen, die uns gerade zur Sache selbst führt. Weg mit der Vernünftelei aus Begriffen, die es nur durch den Umschweif allgemeiner Merkmale versucht, und die, ehe sie noch einen Stoff hat, den sie unmittelbar ergreifen kann, vorher bestimmte Formen verlangt, denen sie jenen Stoff unterlegen könne. (Werke VI S.384) Trotz aller Entsubjektiviertheit im Stil der späteren Schriften (die man bei seinen früheren Schriften noch nicht hatte), bleibt eines der erhabensten Charakteristika des Subjekts, seine Fähigkeit zur Ironie, erhalten. Erhaben wirkt die Philosophie Kants auch, weil sie vornehm unkommunikativ ist. So gesellig sich (Kant) geben konnte … eine dialogische Natur ist ihm und seiner Philosophie eigentlich fremd. Sie hat eher was Statisches – wie Architektur, heißt es passend in einem editorischen Nachwort zur Kritik der Urteilskraft (S.418). Und so ragt sie dann eben auf, wie ein aufschießender Turm, die Philosophie Kants. Heute würde man eine solche undialogische Art zu philosophieren vielleicht wenig gutheißen. Aber Kants Philosophie war auch keine „zeitgenössische“ Philosophie, sondern Transzendentalphilosophie. Und entweder eine Philosophie ist Transzendentalphilosophie, oder nicht. Wenn man zu etwas schlechthin Unhintergehbaren gelangen will, wird dann dort kein Dialog mehr nötig oder möglich sein. Das Unhintergehbare wird wohl dastehen wie eine Säule. Und der Text, der auf ihr zu lesen steht, wird eindeutig sein … aber, da es doch, objektiv betrachtet, nur Eine menschliche Vernunft geben kann: so kann es auch nicht viel Philosophien geben, d.i. es ist nur Ein wahres System derselben aus Prinzipien möglich, so mannigfaltig und oft widerstreitend man auch über einen und denselben Satz philosophiert haben mag. (Werke VIII S.311) Ein großartiges dialogisches Aushandeln zwischen Philosophien kann daher nicht nötig sein; in seiner kurzen Schrift mit dem ironischen Titel Verkündigung eines nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie geht Kant davon aus, dass es zum Erzielen von Einheit im Philosophieren ausreiche, wenn man als Philosoph aufhöre zu lügen: Das Gebot: du sollst (und wenn es auch in der frömmsten Absicht wäre) nicht lügen, zum Grundsatz in der Philosophie als eine Weisheitslehre innigst aufgenommen, würde allein den ewigen Frieden in ihr nicht nur bewirken, sondern auch in alle Zukunft sichern können. (Werke VI S.416) Aus einem solchen Holz geschnitzt war also Immanuel Kant, ein schmächtiger Mann, der seinen Schatten bis ans Ende der Geschichte wirft. Welche Wahrheiten hat er in die Welt gesetzt, welche Lügen hat er aus der Welt geschafft?

Ich gestehe frei: die Erinnerung an David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine andere Richtung gab, gesteht Kant (Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können S.11). David Hume hatte gezeigt, dass unsere Vorstellung von Kausalität keine sichere Grundlage hat und dass das induktive kein sicheres Schlussverfahren ist. Damit hat er Grundlagen für die Möglichkeit einer rationalistischen Welterschließung untergraben. Dabei war David Hume Vertreter des philosophischen Empirismus. Dem zufolge ist „nichts im Verstand, was nicht durch Sinne oder Erfahrung in ihn hineingelegt wurde“. Der Verstand ist also ursprünglich eine tabula rasa mit keinen ursprünglichen, originären Fähigkeiten; diese werden empirisch erworben. Diese Vorstellung ist nicht unproblematisch, und bereits Platon hat vermutet, dass der Mensch in seinen Erkenntnisfähigkeiten präfiguriert sein müsse, um überhaupt erkennen zu können (daher erschuf Platon auch das immens folgenschwere Postulat der menschlichen Seele, um zu erklären, wie der Mensch z.B. für das Schöne empfänglich sein könne). Kant geht weiter, und ergeht sich in der Kritik der reinen Vernunft in lange Abhandlungen, um zu demonstrieren, dass gewisse Probleme des Denkens (wie die Frage, ob die Welt einen Anfang hat oder nicht, ob Freiheit oder (strikte) Kausalität herrscht, und ob die Dinge ihrem Wesen nach einfach oder zusammengesetzt sind) rein durch das Denken nicht gelöst werden können. Die jeweils gegenteiligen Annahmen lassen sich gleichermaßen logisch beweisen, und die gegenteiligen Begründungen halten in ihrer Plausibilität einander die Waage. Kants Kopernikanische Revolution besteht darin, dass der menschliche Verstand keine tabula rasa sein kann, sondern mit grundlegenden Fähigkeiten und Anschauungsformen ausgestattet sein muss, die eine konsistente Anschauung der Welt überhaupt ermöglichen, diese aber gleichzeitig auf diese Anschauungsmöglichkeiten beschränken. Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegen (Kritik der reinen Vernunft S.902) Diese Anschauungsformen sind: Raum, Zeit, Kausalität, darüber hinaus die „reinen Verstandesbegriffe“ der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit), der Qualität (Realität, Negation, Limitation), der Relation (der Inhärenz und Subsistenz, der Kausalität und Subsistenz, der Gemeinschaft) und der Modalität (Möglichkeit – Unmöglichkeit, Dasein – Nichtsein, Notwendigkeit – Zufälligkeit). Gleichsam ist es bei Kant so, dass wir durch unsere Anschauungsformen die angeschaute Welt quasi erst schaffen; die angeschaute Welt ist derart eine Schöpfung des anschauenden Subjekts: Denn Gesetze existieren eben so wenig in den Erscheinungen, sondern nur relativ auf das Subjekt, dem die Erscheinungen inhärieren, sofern es Verstand hat, als Erscheinungen nicht an sich existieren, sondern nur relativ auf dasselbe Wesen, sofern es Sinne hat … Erscheinungen sind nur Vorstellungen von Dingen, die, nach dem was sie an sich sein mögen, unerkannt da sind. (ebenda S.202) Wie die Dinge an sich, jenseits dieser Anschauungsmöglichkeiten beschaffen sein mögen, entzieht sich für immer unserer Erkenntnis, die ja allein auf den subjektiven Anschauungsformen beruht. Das ist die berühmte Formel vom „Ding an sich“, das unerkennbar bleibt. Denn wir haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun: wie Dinge an sich selbst (ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns affizieren) sein mögen, ist gänzlich außer unserer Erkenntnissphäre. (ebenda S.270) Kant ist also Idealist, aber kein „reiner“ Idealist, der die Existenz der Außenwelt überhaupt negiert oder abstreitet. Gemäß Kant muss eine Außenwelt objektiv vorhanden sein, da wir sonst kein Substrat der Anschauung hätten (z.B. Alle Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraus. Dieses Beharrliche aber kann nicht eine Anschauung in mir sein (sondern muss objektiv in der Außenwelt existieren, Anm.) (ebenda S.304)). Die Anschauungsformen gleichen so Werkzeugen, die allerdings Material benötigen, um tatsächliche Anschauungen konstruieren zu können, und sie sind keine halluzinatorischen Vermögen, die Anschauungen vollständig erschaffen, sondern nur Anschauungen ordnen. Es ist ein Wechselspiel von Anschauung und Außenwelt, die die Anschauung der Außenwelt schafft. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. (ebenda S.120) Bei all dem stellt sich drängend die Frage, wie adäquat denn unsere Anschauung der Welt in Bezug auf ihre „tatsächliche“ Beschaffenheit sein kann. Man ist wohl (gleichsam „hausverstandsmäßig“ – aber auch philosophisch!) geneigt zu glauben, dass wir über unsere Anschauungsformen die Welt annähernd so erkennen könnten, wie sie tatsächlich ist. Und zum Beispiel geht Kant auch davon aus, dass Räumlichkeit in der Welt tatsächlich existiert – wir sie aber nur deswegen wahrnehmen könnten, weil Räumlichkeit eben auch eine unserer Anschauungsformen sei. Auf der anderen Seite scheint Kant beinahe Freude darin zu finden, immer wieder (einmal) zu bekräftigen, dass wir über das Ding an sich absolut nichts wissen könnten und die Außenwelt tatsächlich genauso gut chaotisch sein könnte. Das wird wohl Unbehagen auslösen, da es einem wahrscheinlich nicht ganz einleuchten will, wie das winzige Subjekt eine dermaßen totale Definitionsmacht über die unendliche Außenwelt haben sollte, dass diese geradezu vollständig dahinter verschwinde. Und umgekehrt, dass das Subjekt so sehr in seinen Anschauungsformen gefangen sei, dass es seine Erkenntnis der Außenwelt niemals transzendieren könne. Was überhaupt sollen die Kantschen Anschauungsformen sein und wie werden sie generiert? Sie müssen im Gehirn liegen und also so was wie Sinne oder sonstige Vermögen sein. Sämtliche Sinne oder sonstigen Gehirnfunktionalitäten können aber auch gestört sein und einzelne Menschen blind, taub, sprachunfähig oder bewegungsunfähig machen. Nichts dergleichen nimmt man bei der Raum- oder Zeitwahrnehmung wahr. Gleichzeitig sind Raum- oder Zeitwahrnehmung, Objektkonstanz (die ein Kleinkind zum Beispiel nicht kennt), Vorstellungen von Kausalität oder logische Erkenntnisformen die angeblich a priori sind (wie zum Beispiel, dass nicht zwei sich widersprechende Dinge gleichzeitig sein können) nicht universal im Menschen, sondern altersabhängig und kulturabhängig (mystisches oder animistisches Denken scheint in unserem Sinn nicht logisch oder kausal). Schon in der ansonsten enthusiasmierten ersten substanziellen Rezension der Kritik der reinen Vernunft durch Christian Garve kann dieser nicht umhin sich zu wundern: Aber zuerst scheint der Verfasser nicht bemerkt zu haben, daß diese ganze Theorie blos auf den Sinn des Gesichts kalkuliert ist; und daß Hören, Schmecken und Fühlen, wobey kein Raum, keine Anschauung a priori vorkommt, auf diese Weise an nichts Wirkliches, an kein Objekt sollte denken lassen. Ferner so ähnlich Raum und Zeit einander seyn sollen, und obgleich beyde, wie der Verfasser sagt, a priori angeschaut werden: wie kömmt es, daß das Anschauliche der Zeit und kaum zu einem und dem anderen Satz, das des Raums aber, zu einer ganzen Wissenschaft, der Geometrie, verholfen hat? (in: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können S.243) Kants Philosophie ist eigentümlich körperlos (darin der meisten anderen Philosophie nicht unähnlich). Ist doch der Körper selbst räumlich und zeitlich und fungiert als eine Uhr (indem er regelmäßig atmet, Nahrung und Schlaf braucht, wächst, altert, stirbt). Kant aber dividiert so gesehen auch den eigenen Körper der Außenwelt zu, den wir nur als körperlich und zeitlich wahrzunehmen imstande seien, weil wir über die entsprechenden Anschauungsformen verfügen. Ist die Raumwahrnehmung einer steinzeitlichen Jägerin und Sammlerin gleich der einer heutigen Astronomin, die über die chemische Analyse von Licht aus Galaxien am Rande des Universums deren Entfernung bestimmt, oder der einer Mathematikerin, die in einer komplizierten, für Laiinnen nicht verständlichen Formel eine Metrik festlegt? Wie ist es mit einem zyklischen, mythologischen Zeitsinn und der Zeiterfassung durch eine Atomuhr (inklusive der Bestimmung, wie viel Zeit vergehen wird, bis dass die Atomuhr ganz leicht aus dem Takt geraten werde)? Liegt diesem Zeit- und Raumsinn ein einheitliches Substrat zugrunde (wie es allerdings doch scheint), oder handelt es sich hier eher um etwas wie Wittgensteinsche Familienähnlichkeiten? Klar ist auf jeden Fall, dass durch die Wissenschaften unser Raum- und Zeitsinn enorm erweitert – und auch grundsätzlich transformiert wurde. Und zwar dahingehend, dass sie die Kantsche Vorstellung von Raum und Zeit als Kategorien a priori an und für sich widerlegen. So nimmt die Relativitätstheorie ein einheitliches Raum-Zeit-Kontinuum an und misst die Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen gleich (und stellt damit die Allgemeingültigkeit der Newtonschen Physik infrage, von der Kant ausging). Die Quantenwelt mit ihrem Indeterminismus verläuft zu unseren Alltagsverständnissen geradezu konträr. Dabei handelt es sich freilich um wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese sind als solche revidierbar, bzw. können sich in der Zukunft als falsch oder ungenügend erweisen. Was es also möglich macht, dass zukünftige Wissenschaft die Kantschen Annahmen dann wieder erhärtet. Laut Kant sind sowohl die Naturwissenschaften als auch die Mathematik deswegen a priori möglich, weil sie von den Anschauungsformen ausgehen, die in unserem Verstand liegen. Aber auch die Mathematik scheint mit Kant nicht mehr kongruent zu gehen. Die moderne Mathematik beruht auf der Logik und der Mengenlehre – und die Mengenlehre enthält Antinomien. Freilich lässt sich einwenden, dass sowohl beim Gödelschen Unvollständigkeitssatz als auch bei der Quantenmechanik nicht klar ist, was diese eigentlich bedeuten und was deren tieferer Sinn sei. Beide scheinen nach einem tieferen Verständnis innerhalb ihrer Disziplinen zu verlangen, das einem kolossalen Paradigmenwechsel gleichkommen würde, sollte es denn stattfinden. Einer Kopernikanischen Revolution. Der Neukantianismus teilt dann auch nicht alle Positionen von Kant, verallgemeinert sie aber, indem er davon ausgeht, dass es bestimmte Formen im Verstand gibt, die die Erkenntnis per se formen und ermöglichen. Ernst Cassirer (der den Neukantianismus aber schon fast transzendiert) fasst den Menschen als ein Wesen, das mit Symbolen operiert (also mit Formen, deren Möglichkeit im Verstand liegen). Der linguistic turn in der Philosophie des 20. Jahrhunderts geht davon aus, dass Sprache das grundsätzliche Medium des Menschen ist und ersetzt (seinerseits teilweise mit totalitärer Attitüde) die Erkenntnistheorie durch reine Sprachkritik. Dass Kant das Medium der Sprache vernachlässige, wurde ihm dabei aber schon von Zeitgenossen vorgeworfen, am prominentesten von seinem früheren Schüler und späteren Gegner Herder. Die menschliche Sprache und wie sie entsteht, ist dabei ebenfalls recht mysteriös. Noam Chomsky nimmt in einer „kantianischen“ Weise an, der Mensch verfüge über ein angeborenes Vermögen zur Sprachbildung und zur Grammatik (deren Regeln so kompliziert sind, dass ein rein „empiristisches“ Erlernen auf der Basis eines ursprünglichen reinen tabula rasa-Unvermögens unmöglich erscheint). Er vermutet eine „Universalgrammatik“, die im menschlichen Gehirn angelegt sei. Diese Vermutung ist, wenngleich nicht widerlegt, bislang eher wenig bestätigt. Man muss aber davon ausgehen, dass der Mensch bestimmte Anschauungsformen als Werkzeuge im Gehirn trägt, auf deren Basis sich dann die Sprache zusammensetzt. So kennt der Mensch Begriffe, eine Künstliche Intelligenz hingegen nicht. Deswegen muss eine Künstliche Intelligenz mit Millionen von Katzenbildern gefüttert werden, um zu „verstehen“, was eine Katze ist (auch wenn sie das dann immer noch nicht tut: sie kann eine Katze (auf einem Bild) dann nur mit hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren – wobei haarstäubende Fehler auch dann noch möglich sind). Bei einem Kleinkind reicht in der Regel die Begegnung mit einer Katze aus, damit das Kleinkind (tatsächlich) versteht, was eine Katze ist. Das nicht zuletzt deswegen, weil Menschen in der Lage sind, Begriffe zu bilden, durch die sie Anschauungen schnell generalisieren können. Sie schaffen es sogar, Begriffe zu bilden, ohne dass eine Anschauung zugrunde liegt. Das sind dann abstrakte Begriffe, die auch leicht ins Esoterische abgleiten, und von da ins Mythologische und Religiöse, ebenfalls einzigartige konstruktive Fähigkeiten des Menschen. Wie schon Kant wusste. Damit liegt auch die Fähigkeit zur Metaphysik im Menschen angelegt.

Diese unvermeidlichen Aufgaben der reinen Vernunft selbst, sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Die Wissenschaft aber, deren Endabsicht mit allen ihren Zurüstungen eigentlich nur auf die Auflösung derselben gerichtet ist, heißt Metaphysik. (Kritik der reinen Vernunft S.55) Die Kritik der reinen Vernunft gilt als ein Werk der philosophischen Erkenntnistheorie. Doch eigentlich geht es bei ihr um Metaphysik, genau gesagt, um die Absteckung der Grenzen, innerhalb derer Metaphysik sinnvoll stattfinden kann. Die kürzere, gleichsam popularisierte Fassung der Kritik der reinen Vernunft, die Kant auf den Markt brachte, als jene zunächst auf wenig Echo gestoßen ist und kaum verstanden wurde, trägt auch den Titel: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Zwar war es zu Kants Zeiten nichts Neues mehr, dass sich die Philosophie für die Gegenstände der Metaphysik – wie Gott, Seele, Unsterblichkeit – nicht mehr zuständig gefühlt hat und sie als Gegenstände der Religion identifiziert hat. Was dann aber eben auch zu einer gewissen scheinbaren Schalheit der Philosophie geführt hat. Kant beklagte den „Indifferentismus“, den sein Zeitalter den Fragen der Metaphysik entgegenbrachte. Denn auch wenn auf sie schwerlich sinnvolle rationale Antworten gegeben werden könnten, blieben sie dennoch sinnvolle Fragen; Fragen, die den Menschen grundsätzlich beschäftigen würden. Der Ausgang aller dialektischen Versuche der reinen Vernunft … lehrt uns zugleich dieses Besondere: dass die menschliche Vernunft dabei einen natürlichen Hang habe, diese Grenze (der möglichen Erfahrung, Anm.) zu überschreiten, dass transzendentale Ideen ihr ebenso natürlich seien, als dem Verstande die Kategorien… (ebenda S.673) Oder pointierter: Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft. (ebenda S.864) Man ist vielleicht geneigt, die metaphysischen Fragen eher als Fragen, die sich die menschliche „Seele“ stellt, zu fassen. Kant jedoch fasst sie (in der Kritik der reinen Vernunft) zunächst nur als solche, die sich aus den Möglichkeiten und Grenzen der Vernunft selbst ergeben, und er macht sich daran, diese Möglichkeiten und Grenzen zu bestimmen. Kant zufolge kann nur eine bestimmte Klasse von Sätzen metaphysische Aussagen begründen: die synthetischen Sätze a priori. Kant unterscheidet dabei zwischen analytischen Urteilen und synthetischen Urteilen. Analytisch seien solche, die sich durch eine bloßen Begriffszergliederung bewerkstelligen lassen („Alle Körper sind ausgedehnt“, „Alle Junggesellen sind unverheiratet“). Bei den synthetischen Sätzen hingegen liegt das Prädikat nicht im Subjekt selbst: Sie können daher nur durch Erfahrung generiert werden. Sätze a priori sind intuitiv und ohne Erfahrung möglich, Sätze a posteriori können nur nach einer Erfahrung ausgestellt werden. Synthetische Sätze a priori sind damit nichttriviale, zusammengesetzte Urteile, die etwas Neues sagen, deren Möglichkeit aber gleichzeitig in unserem Verstand allein liegt. Kant zufolge seien die Sätze der Mathematik sowie der Wissenschaften synthetische Sätze a priori, daher müssen es auch die Sätze einer „Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“ sein. Recht viel mehr sagt Kant in der Kritik der reinen Vernunft zur Metaphysik dann gar nicht. In der Kritik der reinen Vernunft wird die Metaphysik rein formal bestimmt, aber kaum inhaltlich. Genau gesagt fällt darin die Metaphysik mit der Befragung ihrer eigenen Möglichkeit zusammen; … die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteil a priori. (ebenda S.232) Dabei haben diese synthetischen Sätze a priori (so wie die Metaphysik) schon irgendwie etwas Mysteriöses. Zumindest ich kann sie zwar formal konstruieren, habe aber immer noch nicht ganz verstanden, was synthetische Sätze a priori eigentlich sein sollen. Dass die Sätze der Mathematik und der Wissenschaften aber, wie Kant meint, synthetische Sätze a priori seien, ist, wie wir gesehen haben, durch die Fortschritte in den Wissenschaften und der Mathematik erschüttert. Trotzdem bleiben sie sinnvolle Sätze. Daher sollte auch eine sinnvolle Metaphysik auf einer breiteren Basis möglich sein. Darüber hinaus lässt sich anmelden, dass Kant zwischen analytischen und synthetischen Sätzen unterscheidet – aber gäbe es nicht noch andere Klassen von Sätzen? Am Folgenschwersten aber demonstrierte im 20. Jahrhundert Willard Van Orman Quine, dass zwischen analytischen und synthetischen Sätzen gar keine scharfe Trennung möglich sei. Auch analytische Urteile beruhten letztendlich auf Erfahrung (Kant-Verteidiger wissen auch dem etwas entgegenzuhalten, und zwar, dass es Kant natürlich bewusst war, dass eine Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen nur durch Erfahrung möglich sei, was aber den Inhalt seines Arguments nicht berühre). Ironischerweise hat es also etwas Mystisches und das Fassungsvermögen Übersteigendes – damit also das Charisma des Metaphysischen – dass Kant die Metaphysik derart bestimmt. Aber sollen wir bei Metaphysik überhaupt, so wie Kant, als etwas ausgehen, dass „als Wissenschaft wird auftreten können“? Ist der Metaphysik nicht eventuell ein Anteil des Unwissenschaftlichen inhärent? Was ist diese „Metaphysik“ überhaupt? „Metaphysik“, so der Titel der folgenschweren Schrift von Aristoteles, basiert ironischerweise auf einem Editionsproblem: Weil die Schüler von Aristoteles nach dessen Tod nicht wussten, wie sie die Schriften, die „nach“ seinen Schriften zur Physik kamen, nennen sollten, nannten sie sie eben „Metaphysik“. „Metaphysik“ und „metaphysisch“ wird über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg mit unterschiedlichen (allerdings doch eben ähnlichen) Konnotationen verwendet. Grundsätzlich versteht man unter metaphysischen Gegenständen solche, die jenseits unserer Erfahrungssphäre (und eventuell Erfahrungsmöglichkeit) liegen, trotzdem aber in diese hineinwirken und sie möglicherweise sogar bestimmen, und die rätselhafte, gleichsam höherdimensionale Zeichen senden, die wir aber nur in primitiven, niedrigdimensionalen Abdrücken erfassen können. Das Metaphysische wirkt wie eine eherne Objektivität – robust, unzerstörbar und ewig – die sich aber an unsere Subjektivität adressiert und auf sie bezogen scheint, so dass dieses Metaphysische eine Oszillation, ein Regelkreis zwischen diesem Objektiven und diesem Subjektiven erscheint, die sich darin teilweise erkennen, teilweise rätselhaft bleiben. „Metaphysisch“ ist gleichsam auch das Erscheinen von verborgenem, tieferen Sinn. Diesbezüglich ist „Kunst die eigentliche metaphysische Tätigkeit“, wie Nietzsche es mit Rekurs auf Schopenhauer meinte. Gute Kunst scheint gleichsam den tieferen Sinn oder das „Wesen“ einer Sache aufzuzeigen. Dies eventuell dadurch, dass sie einen Gegenstand in einem (gegenstands)fremden Sinnfeld auferscheinen lässt, was einen neuen, scheinbar tieferen, scheinbar sogar endgültigen Blickwinkel, gleichsam eine Epiphanie ermöglicht. Beim „Metaphysischen“ ist Sinn einerseits überreichlich vorhanden, andererseits scheint er nicht mehr ganz rational oder erschöpfend bestimmbar. Metaphysische Gegenstände machen uns „ahnen“ und sind vielleicht als Gegenstände des Ahnens bestimmbar. Während sich die Philosophie mit Wissen, Denken, Wollen, Müssen oder Glauben beschäftigt, scheint sie sich nur wenig mit dem Ahnen zu beschäftigen (auch wenn die Philosophie von Heidegger und Heideggers Verständnis von Metaphysik das tut, wenngleich in einer verklausulierten Terminologie, der sie dann scheinbar selbst zum Opfer fällt, und sich ihrem Erfolg immer nur annähert, ohne ihn zu erreichen). Ich sage auf jeden Fall immer: dass Metaphysik eine Sinnbestimmung des Subjekts in einer objektiven Welt sei. Das nicht zuletzt in Bezug auf Objekte, die unbekannt sind, aber spürbar und drängend auf das Subjekt wirken; das Subjekt auch mit der Frage konfrontieren, was es selbst sei, und inwieweit es das Objektive erkennen und seinen eigenen Sinn und seinen Sinn im Objektiven überhaupt bestimmen kann. So gesehen ist Metaphysik nicht (ausschließlich) wissenschaftlich, da sie einer Möbiusschleife zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven gleichkommt. Allerdings einer Art höherdimensionalen Möbiusschleife, entlang derer Fortschritte möglich sind – denn das Verfahren der Metaphysik ist eine rationale (keine phantastische) Ausdeutung des Subjekt-Weltverhältnisses. Gute Metaphysik scheint überhaupt auf einem Level der Meta-Rationalität stattzufinden. Was Meta-Rationalität dabei genau ist und was ihre Kriterien sind, ist aber nicht bestimmbar und sie ist auch nicht vorhersehbar (wahrscheinlich ist das Einnehmen von meta-rationalen Standpunkten die Domäne des Genies. Damit wäre auch Metaphysik die Domäne des Genies. In der Kritik der Urteilskraft lässt sich Kant über das Genie aus, teilt ihm – ein wenig irritierenderweise – aber allein die Domäne der Künste zu. Selber scheint sich Kant also für kein Genie gehalten zu haben. Vielleicht war er ja unzufrieden mit sich, weil er mit seiner kargen Metaphysik unzufrieden war). In der Metaphysik geht es in meiner bescheidenen Ansicht darum, das Subjekt-Weltverhältnis zu bestimmen in Bezug auf Ontologie (was/wie ist das Sein?), Epistemologie (was kann ich über alles Sein, inklusive meinem eigenen wissen?), Deontologie (wie soll ich – oder das Sein insgesamt – sich verhalten, nach welchem Verhalten verlangt das Sein?) und Eschatologie (was ist der Sinn allen Seins, was sind die letzten oder höchsten Qualitäten im Sein, an die wir uns annähern können?). Kant hat dabei auf alle diese Fragen profunde und neuartige Antworten serviert. Seine Ontologie ist die von Erscheinung und Ding an sich, seine Epistemologie die von den Anschauungsformen und den synthetischen Sätzen a priori, mit der Deontologie befassen sich seine Kritik der praktischen Vernunft und seine moralphilosophischen Schriften, die schließlich in die eschatologischen Betrachtungen über die Zweckmäßigkeit der Natur in den letzten Kapiteln der Kritik der Urteilskraft überleiten. Meine eigene Metaphysik ist bekanntlich die vom Chaosmos. In allen Welten, in allen Formen regiert das Prinzip vom Chaosmos, also dem Zusammenspiel von Ordnung und Zufall/Chaos bzw. von Statik und Dynamik. Das ist eine (subjektiv gesetzte) qualitative Bestimmung des letzten Grundes der Welt, und damit eine Metaphysik. Gleichzeitig ist das eine Metaphysik, die gleichzeitig eine „Physik“ ist, und „die als Wissenschaft wird auftreten können“. Vor allen Dingen ist laut der Mathematik jegliches dynamische System (und damit jede mögliche Welt) ein solches Zusammenspiel von Ordnung und Zufall. Damit wäre also meine Metaphysik in einer Reihe mit der Wissenschaft und der Mathematik (die schwerer zu revidieren ist als die Wissenschaft, denn ein mathematischer Beweis ist nicht mehr widerlegbar). Obwohl ich Metaphysik also als etwas mit einem unwissenschaftlichen, subjektivistischen Anteil fasse, ist meine Metaphysik also ironischerweise also eine Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Subjektivistisch ist sie allerdings, indem „Chaosmos“ eine bestimmte qualitative Formulierung ist und keine wissenschaftliche Kategorie (auch kann es sein, dass der Chaosmos nicht das bestimmende Ding der Welt ist, sondern etwas anderes, oder etwas anderes wichtiger ist; aufgrund der Quantenphysik könnte es zudem sein, dass es keinen Zufall in der Welt gibt, sondern das Universum superdeterminiert sei – auch wenn das nicht eben plausibel erscheint, zudem und vor allem aber ein Problem der Physik ist und nicht der Metaphysik). Wie dem aber auch sei. Kant liefert mit der Kritik der reinen Vernunft eine allein formale Bestimmung und Umkreisung der Metaphysik. Trotzdem er aber als „Alleszermalmer“ (des metaphysischen Spekulierens in der Philosophie) gilt, war Kant aber ein durchaus metaphysisch gestimmter Mensch, wahrscheinlich metaphysischer als die meisten Philosophen. Wie er selber meint, kann man die Metaphysik aber nicht so leicht austreiben. Sie kommt an anderen Stellen wieder herein, und vor allem ist das Auftreten der Metaphysik unerwartet. Bei Kant geschieht das in der Kritik der praktischen Vernunft und seinen moralphilosophischen Schriften. Die Vernunft führte uns in ihrem spekulativen Gebrauche durch das Feld der Erfahrungen, und, weil daselbst für sie niemals völlige Befriedigung anzutreffen ist, von da zu den spekulativen Ideen, die uns aber am Ende wiederum auf Erfahrung zurückführeten, und also ihre Absicht auf eine zwar nützliche, aber unserer Erwartung gar nicht gemäße Art erfülleten. Nun bleibt uns noch ein Versuch übrig: ob nämlich auch reine Vernunft im praktischen Gebrauche anzutreffen sei, ob sie in demselben zu Ideen führe, welche die höchsten Zwecke der reinen Vernunft, die wir eben angeführt haben, erreichen, und diese also aus dem Gesichtspunkte ihres praktischen Interesses nicht dasjenige gewähren könne, was sie uns in Ansehung des spekulativen ganz und gar abschlägt. (ebenda S.815)

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. (Werke VII S.300) Indem Kant von einem moralischen Gesetz in mir spricht, bringt er schon wieder etwas profund Neues in die Welt, vollzieht auch darin eine Kopernikanische Wende. Das Sittengesetz wurde zu Kantens Zeiten, und davor (und danach) vorwiegend als Gesetz betrachtet, das vom Himmel kommt, das in der Religion begründet ist. Es ist kein rationales Gesetz, sondern eine offenbarte Wahrheit, und es liegt (ursprünglich) nicht in mir. Beziehungsweise sind Gesetz und Sittlichkeit soziale Konventionen, und motivieren das Individuum über Gefühle der Scham, der Angst (das „Gesicht zu verlieren“ bzw. den sozialen Tod zu sterben) oder der Ehre – also lauter Motiven im Hinblick darauf, was das Individuen für andere ist (bzw. allein gilt), und nicht, was es selber ist (das moralische Gesetz liegt also abermals nicht „in mir“). Sündenbewusstsein hinwiederum referiert auf den moralischen Wert eines Individuums selbst, sündig wird ein Individuum aber eben nicht vor sich selbst, sondern vor einer anderen Instanz, vor Gott. David Hume wiederum sieht den Grund für moralische Einstellungen in den Emotionen (und die Vernunft überhaupt als eine „Slavin der Leidenschaften“) – also nicht in einem Gesetz. Kant transformiert die Moralität nun zu einem „Gesetz in mir“, und zwar zu einem Gesetz, das sich auf reiner Vernunft begründet. Das ist dann der berühmte Kategorische Imperativ, und der ist sehr simpel: Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde, formuliert ihn Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (ebenda S.51). Oder, in seiner allgemein bekannten Fassung in der Kritik der praktischen Vernunft: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. (ebenda S.140) Kant zufolge ist es über die Vernunft einsichtig, was Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte. Damit wird also die Vernunft zur entscheidenden Instanz für die Beurteilung von moralischen Handlungen: nicht mehr seien es Gefühle, Konventionen oder das Streben nach der eigenen Glückseligkeit. Reine Vernunft ist für sich allein praktisch, und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen. (ebenda S.142) Zwar verneint Kant (entgegen der landläufigen Meinung) nicht, dass all das auch auf das Gebiet der Moral und der sittlichen Handlungen gehöre. Nichts davon aber sei allgemein bestimmbar, sondern subjektiv und kulturabhängig, Gegenstand einer Privatmoral aus persönlichen Neigungen u. dergl. Damit könne auch keine allgemeine Moralphilosophie darauf aufgebaut werden: Die Ursache davon ist: dass alle Elemente, die zum Begriff der Glückseligkeit gehören, insgesamt empirisch sind … (ebenda S.47) Kant geht allerdings noch weiter, indem er Gefühle, Konventionen, äußere Gesetze usw. überhaupt degradiert zu etwas gleichsam Kindischen, das in einer erwachsenen Moralauffassung nichts zu suchen hat und nicht mit ihr gemein habe. Der Mensch sei ein moralisches Wesen allein, indem er ein vernunftbegabtes, also mit Einsicht in das moralische Gesetz des Kategorischen Imperativs begabtes Wesen sei, das gleichzeitig frei sei und, qua seiner Vernunft, die Freiheit in sich trage, sich für seine Handlungen zu entscheiden. Aus dieser Freiheit allein (die also auch die Freiheit zum Bösen ist) entsteht also das moralische Gesetz in uns: Wäre aber keine Freiheit, so würde das moralische Gesetz in uns gar nicht anzutreffen sein. (ebenda S.108) Kant nimmt dieses Gesetz, dass sich aus der menschlichen Freiheit ergibt, ebenso ernst und ehern wie Gesetze der Natur: Denn diese Gesetze sind entweder Gesetze der Natur, oder der Freiheit. Die Wissenschaft von der ersten heißt Physik, die der anderen ist Ethik; jene wird auch Naturlehre, diese Sittenlehre genannt. (ebenda S.11) Während sich die Natur aber an ihre Gesetze halten muss, ist der Mensch frei, sich an das moralische Gesetz in ihm nicht zu halten. Also muss es einem Motivator im freien Menschen geben, der ihn dazu anhält, dem moralischen Gesetz in ihm gemäß zu handeln. In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ist das noch (allein) ein guter Wille: Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. (ebenda S.18) Allerdings könnte man einwenden: der Wille ist (oder scheint) ja nicht frei. Über einen guten Willen zu verfügen wäre allein eine Sache des Glücks, so wie über einen schlechten Willen zu verfügen eine Sache des Unglücks wäre. Daher identifiziert Kant später dann in der Pflicht den ausschlaggebenden Motivator zum (eigentlich) moralischen Handeln. Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz. (ebenda S.26) In seiner Freude, den Stein der Weisen gefunden zu haben (oder ein Prinzip zu identifiziert zu haben, dass mit seiner eigenen pflichtbewussten Persönlichkeit kongruent geht), feiert Kant die „Pflicht“ geradezu hymnisch (Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürlich Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung … erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen … usw (ebenda S.209)). Kant identifiziert auch die Schwärmerei als ein Motiv für (äußerlich) moralische Handlungen, degoutiert moralische Schwärmerei aber. Dennoch gerät er einigermaßen ins Schwärmen über seine eigene Moral vom Kategorischen Imperativ als dem „moralischen Gesetz in uns“. Dabei ist es genau genommen nicht das Sittengesetz, sondern das Bewusstsein davon (dass der Mensch in seiner Freiheit und seiner Vernunft das Sittengesetz also zu erkennen und anzuerkennen vermag) das gleichsam „metaphysische“ Faktum. Indem Kant das „moralische Gesetz in mir“ mit dem bestirnten Himmel vergleicht, referiert er gleichsam auf eine eherne Objektivität, die alles Menschlich-Subjektive praktisch unendlich übersteigt, das gleichsam ewig und unveränderlich/unabänderlich ist in Zeit und Raum. So wie der bestirnte Himmel über uns erfülle uns das moralische Gesetz in uns mit einem metaphysischen Schaudern: Denn das moralische Gesetz ist eine eherne Objektivität, die der Mensch erkennt, die aber gleichzeitig einen subjektiv-objektiven Ursprung hat – in der menschlichen Vernunft und Freiheit. Freiheit (als auch Vernunft) verschaffen uns einen Taumel – denn beide sind letztlich unendlich. Es sind so Vermögen im Menschen, mit denen der Mensch gleichzeitig immer über sich hinauswächst, mit denen es in ihm angelegt ist, über seine aktualen Möglichkeiten hinaus zu wachsen (auch wenn es das nicht tut). Das Bewusstsein für das moralische Gesetz wird somit zu einem metaphysischen Bewusstsein bei Kant, das moralische Gesetz in uns zu einer metaphysischen Bestimmung des Menschen. Damit liegt die Begegnung mit der Metaphysik bei Kant also tatsächlich nicht in der reinen Vernunft, sondern in der Moral gewordenen praktischen Vernunft. In seiner Metaphysik der Moral geht Kant aber noch einen großen Schritt weiter (und damit gleichsam auch wieder einen großen Schritt zurück): Indem er Gott, Seele, Unsterblichkeit, Vergeltung für gute und schlechte Taten nach dem Tod durch göttliche Gerechtigkeit wieder einführt. Zwar nicht in der Vorstellung, dass diese religiös-metaphysischen Gegenstände auch tatsächlich vorhanden sein müssten. Sondern als „regulative Idee“, wonach sich der Mensch, um moralisch sein zu können, es sich so vorstellen müsse, annehmen müsse, dass eine solche religiös-metaphysische Ordnung gäbe. Ansonsten sei der Mensch offensichtlich zu schwach, um moralisch sein zu können – das ist eine Vorstellung, auf der Kant immer wieder insistiert. Und das erscheint ein wenig seltsam, denn Kant müsste doch intelligent und visionär genug gewesen sein, um eine atheistische Moralität zu formulieren (was er mit seinem Kategorischen Imperativ ja auch getan hat – um dann wieder eine Art Schritt dahinter zurück zu machen). War der Alleszermalmer in Wahrheit ein religiöser Mensch, oder ein Mensch mit starken religiösen (und metaphysischen) Bedürfnissen (die diversen Biographien geben darüber keine eindeutige Antwort. Einig sind sie sich nur darin, dass Kant das „Pfaffentum“ verachtete und kein Kirchgänger war. Was aber nicht gegen eine tiefer, und verborgen liegende Religiosität sprechen würde)? Wollte Kant den weltlichen und religiösen Autoritäten seiner Zeit, in der Aufklärer gefährlich lebten, weniger Angriffsfläche bieten, indem er die Religion „wieder einführte“ (Kant lebte zumeist in einer liberalen geistigen Atmosphäre, wusste aber, dass das zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit war und Änderungen unterworfen sein konnte)? Auf jeden Fall aber war sich Kant bewusst, dass die „eigentlichen“ Fragen des Lebens weniger in der Kritik der reinen Vernunft und ihrem Programm lag, sondern eben in der Metaphysik und der Religion. Kant hat sich, implizit oder explizit, in allen seinen Kritischen Schriften um eine Verhältnisbestimmung zwischen Philosophie/Vernunft und Religion bemüht, und ihr auch eine eigene Schrift gewidmet (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft). Auch in einer seiner letzten Schriften, Der Streit der Fakultäten, geht es (unter anderem) noch einmal um Grenzziehungen zwischen Philosophie und Theologie. Oder aber vielleicht war Kant, der ja nicht nur Philosoph sondern auch Anthropologe war, sich, anders als andere Aufklärer, dessen besser bewusst, dass auch nach Jahrhunderten der Aufklärung das Akzeptieren der eigenen Endlichkeit und einer „Moral ohne Gott“ wahrscheinlich ein Minderheitenprogramm unter den Menschen bleibt und bleiben wird.  

Kant verlagert die Instanz für die Beurteilung von moralischem Handeln also in die Vernunft. Damit wird das Subjekt zu einem moralisch autonomen Wesen. Das ist eine moralische und intellektuelle Revolution, die unabdingbar ist für die Aufklärung. Natürlich ist sich Kant bewusst, dass eine derartige Bestimmung der menschlichen moralischen Autonomie und dass der Kategorische Imperativ theoretisch sind. Aber auch theoretische Bestimmungen können „richtig“ sein und die Praxis beeinflussen. Sowohl in der „theoretischen“ Hinsicht als auch in ihrer Wirkungsmöglichkeit auf die Praxis ist die Kantsche Innovation Gegenstand diverser kritischer Betrachtung. So lässt sich fragen: Kann denn die Vernunft allein entscheiden, was „Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte“? Denn Antinomien liegen eigentlich in der Vernunft selbst. Was also bedeutet: Sogar die Vernunft selbst kann verschiedene Blickwinkel darauf errichten und Empfehlungen dafür abgeben, was „Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte“, oder welches moralische Handeln einzuschlagen sei. Gar nicht zu reden von den Gefühlen, den Kontexten, den Konventionen, oder dass die Weitsicht hinsichtlich der Folgen unserer Handlungen begrenzt ist. Ethisches Handeln geschieht aus einer Vielzahl von situativen Faktoren heraus, und nicht bloß (wenn überhaupt) aus „Pflicht“. Hegel identifiziert bei Kant das Problem, dass er das moralische Gesetz ausschließlich in einer formalen Bestimmung der Subjektivität sehe, in der sich die umgebende Wirklichkeit und ihre Institutionen gleichsam auflösen. Mit dem Kategorischen Imperativ lässt sich zum Beispiel sowohl für als auch gegen das Privateigentum argumentieren. Ob er also Privateigentum zulässt oder nicht, müsse daher gleichsam eine Vorentscheidung über die Gestaltung der Gesellschaft seien, deren Ausgestaltung sonst nie festlegbar sei (und überhaupt geschieht moralisches Handeln und Beurteilen in keiner voraussetzungslosen Welt, sondern in einer, in der wesentliche Vorentscheidungen schon getroffen wurden und institutionalisiert sind). Mit seiner Pflichtethik wird Kant tatsächlich ein wenig solipsistisch und unheimlich. In seiner kurzen Schrift Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen fasst Kant es auch in den naheliegendsten Umständen als unmoralisch auf, wenn man nicht immer die Wahrheit sage. Überhaupt hat Pflicht, wenn sie denn ins Extrem getrieben, etwas Lebensfeindliches und Lebensabtötendes. Das wird, entgegen mancher Unkenrufe, der alternde Denker zwar nicht, aber er nähert sich solchen Qualitäten an. Der Neukantianer Alois Riehl (1844-1924) kritisiert bei der „transzendentalen Freiheit“ einen Hang zur Metaphysik bei Kant. Riehl erklärt das moralische Bewusstsein mit Rekurs auf das Gattungsbewusstsein. Wie mir scheint, tue ich das auch. Denn auch ich kenne eine tiefe Grundlage für die menschliche Moralität – und die ist DAS GESETZ. DAS GESETZ bedeutet die grundlegende Gesetzmäßigkeit, dass der Mensch Gesetz und Moral machen muss. Das ist sogar gleichsam seine metaphysische Bestimmung. Metaphysik bedeutet, „hinter“ die Dinge blicken zu wollen, oder, zeitgenössisch gesagt, die „Matrix“ sehen zu wollen. Die menschliche Matrix in ihrer Reinform aber ist die: dass der Mensch einerseits ein Individualwesen, andererseits ein Gattungswesen ist (Kant spricht das kontingenterweise auch, wenngleich eher beiläufig aus, wenn er in seiner Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht von der „geselligen Ungeselligkeit“ des Menschen spricht). Als vernunftbegabtes Wesen, das in der Lage ist, seine eigene Lage und seine Umwelt zu manipulieren und auszugestalten, ist der Mensch darauf zurückgeworfen, dahingehend auch sein Verhältnis von Individual- und Kollektivwesen in Einklang zu bringen: und das passiert dann über Moral und die Ethik. Diese Gesetzmäßigkeit zum Gesetz ist dann also DAS GESETZ, als Konstante, der der Mensch unterliegt. Ich muss sagen, dass mich meinerseits DAS GESETZ mit einem metaphysischen Schaudern erfasst. Die Einsicht vom GESETZ ist auch keine triviale Einsicht (auch wenn sie, wie viele metaphysische Einsichten so scheinen mag), sondern Ergebnis einer langen und profunden Introspektion und metaphysischen Versenkung. DAS GESETZ bedeutet, dass der Mensch seine Moral selbst schaffen kann, und das erfüllt mich mit tiefer Ergriffenheit. Freilich ist DAS GESETZ inhaltlich sehr unterbestimmt, noch unterbestimmter und formaler als der Kategorische Imperativ. Es scheint nicht zu beachten, dass der Mensch an sich dauernd Gesetze macht, und das mit Freude und ohne moralische Ergriffenheit. Die „Gesetze“ des Menschen reichen von tiefen moralischen Richtlinien bis zu belanglosen, kultur- und zeitabhängigen Etiketten, auf die er dann trotzdem nicht weniger Wert legen mag. Die Gesetze des Menschen mögen falsch und lebensfeindlich sein und eigene Pfadabhängigkeiten schaffen, gemäß derer Gesetze noch lange in Kraft bleiben, auch wenn sie ihren Grund längst verloren haben und nunmehr hauptsächlich kontraproduktiv sind. Nationale Gesetze veranlassen zu nationalem Stolz auf diese Gesetze, und Moral veranlasst zu moralischem Narzissmus. Der Mensch erschafft Gesetze nicht allein aus moralischer und vernünftiger Erwägung, sondern außerdem aus einem Trieb – einem Spieltrieb gleich – heraus, Rituale, Gesetze und soziale Praktiken festzulegen – deren eigentlicher Sinn oder Implikationen ihm gar nicht klar sein mögen. Genau betrachtet ist die Welt voll mit Moral und kennzeichnet sich mit einem Mangel an Moral und an Moralisieren, sondern im Gegenteil – wie schon Kant bemerkt: Unter allem Räsonieren (in einer Gesellschaft, Anm.) ist aber keines, was mehr den Beitritt der Personen, die sonst bei allem Vernünfteln bald lange Weile haben, erregt, und eine gewisse Lebhaftigkeit in die Gesellschaft bringt, als dass über den sittlichen Wert dieser oder jener Handlung, dadurch der Charakter irgend einer Person ausgemacht werden soll. (Werke VII S.289). Aber genau diese Vollgestopftheit der Welt und der Menschen mit Moral macht mich guten Mutes (in dem Sinn bin ich auch kein strenger Dualist wie Kant, der eine empirische Welt von der noumenalen, idealen Welt der moralischen Ideale unterscheidet: jene wirkt für mich viel zu stark in diese empirische Welt hinein und ist mit ihr urtümlich verwoben als dass sie ein wirkungsloses, abgehobenes Reich allein sei, wie Pessimisten gerne monieren – trotzdem – und das ist das Beste! – sie ihren noumenalen, idealen, ewigen, überzeitlichen – und daher metaphysischen – Charakter behält). Auf jeden Fall erfasst mich DAS GESETZ mit ehrfurchtsvollem Schaudern. Denn DAS GESETZ bedeutet, dass der Mensch, qua seiner Vernunft, in der Lage ist, das Richtige zu tun, und das richtige Gesetz auszuwählen. Und ein angenehmes Erschaudern und eine metaphysische Ergriffenheit vor dieser Möglichkeit ist halt mal für mich ein bestimmendes Lebensgefühl (und nicht nur für mich – sondern für Menschen durchaus allgemein). Deshalb verstehe ich Kant ganz gut, wenn er immer wieder in einen metaphysischen Begeisterungstaumel ob unserer Unterworfenheit unter das großartige moralische Gesetz gerät (Die verschleierte Göttin, vor der wir beiderseits unsere Knie beugen, ist das moralische Gesetz in uns, in seiner unverletzlichen Majestät. (Werke VI S.395) u. dergl. mehr). Kant spricht auch nicht klein von der Moral. Der Durchbruch des Menschen zum Kategorischen Imperativ und zum moralischen Gesetz in ihm gleicht einer Revolution: Dass aber nicht bloß ein gesetzlich, sondern ein moralisch guter (Gott wohlgefälliger) Mensch, d.i. tugendhaft nach dem intelligiblen Charakter (virtus noumenon), werde, welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, keiner anderen Triebfeder weiter bedarf, als dieser Vorstellung der Pflicht selbst: das ist nicht durch allmähliche Reform, so lange die Grundlage der Maximen unlauter bleibt, sondern muss durch eine Revolution in der Gesinnung im Menschen (einen Übergang zur Maxime der Heiligkeit derselben) bewirkt werden; und er kann ein neuer Mensch, nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung (Ev. Joh III, 5 , verglichen mit 1. Mose I, 2), und Änderung des Herzens werden. (Werke VIII S.698) Wie alle Revolutionen fängt sie mit einer Erkenntnis über die objektive Lage an, und ist dann – auf sich allein gestellt – ein schwieriger Prozess, voller Abwege und Schrecken: Die moralische Selbsterkenntnis, die in die schwerer zu ergründenden Tiefen (Abgrund) des Herzens zu dringen verlangt, ist aller menschlichen Weisheit Anfang … (nur die Höllenfahrt des Selbsterkenntnisses bahnt den Weg zur Vergötterung). (ebenda S.576) In der Kritik der praktischen Vernunft ist Kant noch bescheidener, und spricht vom moralischen Prozess als einer Annäherung an ein Ideal (der Heiligkeit), die für den Menschen allein im Unendlichen stattfinden könne: Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetz ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt, in keinem Zeitpunkte seines Daseins, fähig ist. Da sie indessen gleichwohl als praktisch notwendig gefordert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus zu jener völligen Angemessenheit angetroffen werden, und es ist, nach Prinzipien der reinen praktischen Vernunft, notwendig, eine solche praktische Fortschreitung als das reale Objekt unseres Willens anzunehmen. (Werke VII S.252) Diese Vorstellung vom „unendlichen Progressus“ kann kritisiert werden, da darin der strebende Mensch dem Ideal der Heiligkeit strukturell um nichts näher komme, und es vor allem nie erreiche. Allein „reinen Intelligenzen“ sei ein solche Annäherung möglich – die aber brauchen keinen Moralisierungsprozess. Allerdings kann ich hier keinen tatsächlichen Widerspruch ausmachen, da der moralische Progressus einem Imperativ folgt, und, wie alles moralische Streben, im Folgen dieses Imperativs aufgeht. Heiligkeit ist ein Zustand, der (von einigen Menschen, die dazu die Anlagen haben) über Kasteiung, Selbsterkenntnis, Höllenfahrt u. dergl. erreicht werden kann (und dann auch bewahrt werden muss: sind es doch gerade die Heiligen, die sich dauernd Kasteiungen und Selbstprüfungen aussetzen und Versuchungen widerstehen usw.). Das Erreichen dieser Heiligkeit ist dann tatsächlich eine Erschütterung gleich einer Revolution. Aber eine Revolution ist nichts Mystisches, sondern kann beschrieben werden. Man sagt – und kann mit Kant und dem Kategorischen Imperativ sagen –: der gute Mensch ist derjenige, der sich objektivieren kann. Der also in seinen Handlungen und Einschätzungen nicht von seinem reinen Eigeninteresse ausgeht, sondern der naturgemäß grundsätzlich danach fragt, wie eine Handlung und Einschätzung im objektiven Interesse zu bewerten sei. Das ist die moralische Revolution. Revolutionen gestalten grundsätzlich um, und innere Revolutionen gestalten das Innere um. Mittlerweile gerate ich nicht mehr so sehr ins Schwärmen, ob dem GESETZ und der moralischen Revolution, die mit dem GESETZ in Verbindung steht, zu dem DAS GESETZ aufruft. Nicht dass meine Begeisterung dafür abgeflaut ist, aber die moralische Revolution ist mir nichts Neues mehr. Wahrscheinlich fühle ich mich nicht wie die meisten anderen Menschen. Und bekanntlich fühle ich mich kaum als etwas so Zentriertes wie eine „Person“. Ich fühle mich eher wie eine riesige Fabrik, eine riesige industrielle Anlange, die weit in Gebiete reicht, in denen „ich“ und mein Eigeninteresse gar nichts verloren haben. Trotzdem wird auf allen, und für alle, Gebiete produziert und geschaffen. Trotz seiner moralischen Schwärmerei hat man Kant oft vorgeworfen, er sei im Alter, und gerade mit seiner Moralphilosophie vom Kategorischen Imperativ zusehends unpersönlich und gleichsam „mechanisch“ geworden. Aber wahrscheinlich ist das Bild der zu Ende gebrachten moralischen Revolution das einer ruhigen, mechanischen Anlage, die sich zum Horizont hinaus verstrebt.

Verstand und Vernunft sind Vermögen, mittels derer wir Allgemeines erkennen: über den Verstand sind es Begriffe, über die Vernunft sind es Schlussfolgerungen und Ideen. Qua Verstand und Vernunft erkennen wir also ein Allgemeines, unter das wir dann ein Besonderes subsumieren können. Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Besondere nur im Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen… (Kritik der reinen Vernunft S.733) Das Beurteilungsvermögen hingegen hat etwas Besonderes vor sich. Ein Mensch mit einem guten Beurteilungsvermögen ist in der Lage, ein Besonderes richtig unter ein Allgemeines (beziehungsweise anhand eines Allgemeinen) einzuordnen – oder adäquat für sich zu beurteilen, wenn kein Allgemeines und kein Regelfall dafür gefunden werden kann. Im ersten Fall spricht Kant von der bestimmenden Urteilskraft, im zweiten von der reflektierenden Urteilskraft: die also zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine erst zu finden hat. In der Kritik der Urteilskraft befasst sich Kant hauptsächlich mit der reflektierenden Urteilskraft. Die Zweckmäßigkeit wird zum zentralen Begriff, anstelle der Vernünftigkeit: Während etwas Vernünftiges klar und vollständig rational festgestellt und benannt werden kann, bleibt das Zweckmäßige, auch wenn es sich offenbart, letztendlich ein Mysterium für die reine als auch die praktische Vernunft. Die reflektierende Urteilskraft, die ein Besonderes betrachtet, für das kein Allgemeines vorliegt, betrachtet dieses Besondere als Ganzes und für sich, und versucht, seine Zweckmäßigkeit festzustellen. Zweckmäßig kann etwas sein in Bezug auf ein anderes, oder aber auch in Bezug auf sich selbst und in sich selbst. Im ersten Fall ist eine rationale Durchleuchtung der Zweckmäßigkeit leicht, im zweiten Fall scheint sie viel schwieriger, wenn nicht unmöglich. Was ist der Zweck von etwas, das rein zweckmäßig ist in sich selbst – also zum Beispiel etwas Schönes oder ein Kunstwerk – bzw. was für ein Zweck könne daraus abgeleitet werden? Der größere Teil der Kritik der Urteilskraft bezieht sich auf die sinnliche Wahrnehmung, auf die Ästhetik und auf die Kunst. Die Wirkung der Kunst ist rätselhaft und kann weder mit der Vernunft noch mit dem Verstand völlig erfasst werden. Sie bezieht sich auf unsere Einbildungskraft – doch nach welchen Regeln funktioniert die Einbildungskraft? Kann allgemein etwas über sie ausgesagt werden? Gleichzeitig geht ein gutes Kunstwerk offenbar aber auch mit der Vernunft und dem Verstand kongruent, und es verdeutlicht und illustriert Begriffe als auch Ideen. Das Kunstwerk ist ein Besonderes, für das es kein Allgemeines gibt, das aber etwas Allgemeines in sich trägt, oder das ein Allgemeines erst schafft und auf seine Weise etabliert. Kant bemüht sich, die Qualitäten der Urteilskraft, des Kunstwerks und der Kategorien des Ästhetischen genau zu bestimmen. Schließlich liegt Schönheit angeblich im Auge des Betrachters, und es ist ein subjektives Urteil, was man als schön findet und was nicht. Es ist eine Frage des Geschmacks. Allerdings scheint man dann doch wieder unterscheiden zu können zwischen einem guten und einem schlechten Geschmack. Einen so guten Geschmack, dass er einem intuitiv richtigen ästhetischen Beurteilungsvermögen gleichkommt, haben nur wenige Individuen. Allerdings ist man in der Lage, das zu erkennen, und der Geschmack dieser Individuen wird stilbildend und als objektiv gültiges Geschmacksurteil angesehen. Kant geht davon aus, dass in die meisten Geschmäcker subjektive Regungen und Wertungen hineinspielen, oder diesen überhaupt bestimmen – und somit keine reinen Geschmacksurteile bilden könnten: Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar diese zum Maßstabe seines Beifalls macht. (Kritik der Urteilskraft S.82) Wenn aber subjektive Regungen den Geschmack für das Schöne so oft bestimmen, was ist dann reine, das unverfälschte Schöne, das der wahre Geschmack zu erkennen vermag? Kants berühmtes Diktum lautet, dass das Schöne „interesseloses Wohlgefallen“ in uns hervorrufe. Das Schöne hat also eine schlichte, eine reine Wirkung auf mich. In die Wahrnehmung des reinen Schönen spielt kein anderes Motiv hinein (wie das Erotische, das Überraschende, das Ideologische… also lauter Motive, die mit einem subjektiven Interesse einhergehen). Wenn das Wohlgefallen nicht interesselos wäre, hätte es ein praktisches Interesse. Und wenn ein subjektives, praktisches Interesse hineinspiele, sei das Schöne nicht mehr verallgemeinerbar. Interesseloses Wohlgefallen bedeutet vor allem: die freie Übereinstimmung aller Erkenntnisvermögen (Verstand, Vernunft und Urteilskraft), die in diesem harmonischen Zusammenklang nichts aneinander zu beanstanden haben (wie normalerweise sonst immer). Anders als Verstand und Vernunft können Urteilskraft und Einbildungskraft nicht gesetzgebend werden: sie können keine vollständige Klarheit über die Gegenstände ihrer Betrachtung stiften. Aber sie können einen freien, harmonischen Zusammenklang zwischen den Vermögen stiften. Neben dem Schönen widmet sich Kant in der Kritik der Urteilskraft auch dem Erhabenen. Während das Schöne wohlgeformt und spielerisch-harmlos ist, ist das Erhabene ungeformt und wirkt bedrohlich, zumindest aber so, dass wir und zunächst in Anbetracht des Erhabenen verkleinert fühlen. Sogleich aber fühlen wir uns durch das Erhabene aber auch selbst vergrößert und über die Grenzen unserer Subjektivität erhoben: als etwas, das diesem Erhabenen scheinbar gleichkommt – indem wir die Fähigkeit haben, das Erhabene zu erkennen und es dann doch, zumindest teilweise, zu beherrschen. Vor allem fühlen wir uns dem Erhabenen gegenüber erhaben, indem wir uns als moralisch-geistige Wesen wahrnehmen würden, während das Erhabene in der Natur bewusstlos ist. Kant befasst sich in der Kritik der Urteilskraft auch mit dem Genie. Dieses ist gleichsam eine ins Absolute gesteigerte Urteilskraft. Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. (ebenda S.189) Die Kunst hat an und für sich keine Regeln. Das Genie entdeckt oder erfindet sie, aus seiner sicheren Urteilskraft heraus. Damit ist, anders als man es erwarten würde, das Genie primär kein Verstandes- oder Vernunftwesen, sondern gleichsam ein „Naturwesen“ außerhalb der Gesellschaft, das sich über seine Urteilskraft in der Welt orientiere und so schöpferisch sei, das ein Auge für das Besondere habe, und das Besondere in einer derartigen Weise behandle, dass es höchste allgemeine Bedeutsamkeit erlange. Über das Genie habe ich mich selber so oft ausgelassen, dass es mir ein wenig peinlich ist und ich jetzt nichts dazu sagen will. Wie alles andere bestimmt Kant auch das Genie als etwas, was innerhalb seines Systems seinen Platz hat und innerhalb seines Systems folgerichtig ist, das heißt tiefsinnig, originell und präzise, aber vielleicht auch ein wenig reduziert (die hochinteressante Frage bleibt natürlich sowieso: inwieweit ist das System von Kant gleich dem Weltsystem?). Dass das Schöne „interesseloses Wohlgefallen“ in einem auslöse, hat immer wieder einen gewissen Spott über den sowieso als eunuchenhaft verschrienen Kant provoziert. Normalerweise denkt man beim Schönen primär an was anderes, an dem man gemeinhin sehr interessiert ist. Ich selber habe einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik. Allerdings finde ich viele ästhetisch reizende bzw. schöne Sachen – z.B. Schönheit in der Natur, in Gegenständen, in Mode und Kleidung – gar nicht unmittelbar „schön“ (oder belege das vielleicht nicht unmittelbar mit diesem Ausdruck), sondern eher „gut“ oder „ästhetisch“. „Schön“ finde ich unmittelbar aber die weibliche Form. Die weibliche Form ist mir Träger des Schönen. Der Verdacht liegt nahe, dass in diese Bestimmung des Schönen das hineinspielt, wovor Kant gewarnt hat: ein anderes Motiv (in dem Fall die erotische Attraktion). Aber ich weiß es nicht. Vielleicht ist die Verkörperung des Schönen einfach tatsächlich die weibliche Form bzw. das Weibliche. Idealerweise ist das Weibliche das Anmutige, und auch das Anmutige provoziert eigentlich ein interesseloses Wohlgefallen, einen reinen Reiz, der gleichzeitig aktiviert und auch beruhigt. Das Schöne ist vor allem etwas Besonderes, und scheint etwas Subjektives. Das Schöne scheint ein pulsierendes Besonderes, eine pulsierende Subjektivität zu sein. Und ich mag das Subjektive. Klinische, rein objektive Schönheit bei Frauen finde ich nicht übermäßig schön. Subjektive Züge in der Weiblichkeit und Idiosynkrasien hingegen finde ich sehr schön. Am idealtypischsten kommt mir diese Form von Schönheit in den Pin-Ups von Gil Elvgren zum Vorschein. Das sind keine vulgären Pin-Up Gemälde, das Erotische und Anzügliche wird bestenfalls angedeutet darin. Die Pin-Ups von Gil Elvgren sind beinahe übernatürlich lebensecht, seine Frauenbilder haben Persönlichkeit und Schwung. Vor allem bestechen sie durch ihre Freundlichkeit – daher sind sie auch die gute Subjektivität. Während die männliche Subjektivität, auch in ihrer schönsten Erscheinungsform, etwas Vierschrötiges, Plumpes und Brutales hat, etwas, das ständig Raum erobern will und alles umwerfen, ruhen die Frauen von Gil Elvgren in ihrer eigenen Freundlichkeit und scheinen sich selbst genug und völlig harmonisch in sich abgeschlossen. Sie sind offenbar zufrieden mit sich selbst. Feministinnen beschweren sich dauernd über einen „verobjektivierenden maskulinen Blick“, der Frauen auf reine (Sex)Objekte reduziere, und der immer und überall am Werk sei, wo Männer seien. Doch die Frauen von Gil Elvgren verkörpern das genaue Gegenteil dazu: eine völlig befreite und liberalisierte Subjektivität, die von einer etwaigen feindlichen Macht kaum kolonialisiert werden kann, weil sie eine jedwede andere Macht einfach umwirft. Wenn Kant meint: nur ein Genie kann das wahrhaft Schöne ausdrücken, so trifft das in dem Fall sicher zu. Mit seinen Pin-Ups hat Gil Elvgren keine „hohe“ Kunst gemacht. Aber auch in seiner Zunft – der der Illustratoren – gibt es herausragende Genies; wie zum Beispiel Norman Rockwell, oder eben ihn. Elvgren meinte, dass gute Modelle etwas Besonderes seien, und nicht leicht zu finden. Er bevorzugte jüngere Modelle, die am Anfang ihrer Karriere standen, und in denen noch die Spontaneität und Frische zu finden sei, die erfahreneren Modellen meist abgehe. Als wichtigste Qualität eines Modells nannte er ein Gesicht, das in der Lage sei, viele verschiedenen Stimmungen glaubhaft auszudrücken. In der Anatomie der menschlichen Destruktivität definiert Erich Fromm das Biophile und das Nekrophile (ähnlich wie Eros und Thanatos bei Freud). Das Biophile ist dem Leben zugewandt, dem Aufblühenden, sich Entfaltenden (und dem blühend Subjektiven). Das Nekrophile hingegen ist eine neurotische Abwendung vom Biophilen, hin zum Abstrakten, zum Lebensfernen, bis überhaupt hin in die Zerstörung, in den Verfall, in Perversion und Tod. Die meisten Menschen haben dabei biophile und nekrophile Anteile. Nur vereinzelt seien Menschen rein nekrophil (als Beispiel führt Erich Fromm Hitler an). Vereinzelt gebe es aber auch rein biophile Erscheinungen. Die Frauenbilder von Gil Elvgren sind solche rein biophilen Erscheinungen – ja, das ist ganz sicher so. Wir leben im Sein und nicht im Nichtsein, das Sein ist für uns notwendigerweise die höhere (oder naheliegendere) Qualität als das Nichtsein. Damit ist das Biophile – das das Sein bestätigen und vermehren will – auch das höhere, und schönere Prinzip als das Nekrophile, das von Sein abziehen und subtrahieren will. Als Illustration des rein Biophilen geben mir die Frauen von Gil Elvgren – als jeweils besondere, subjektive Erscheinungen – eine allgemeine Vorstellung, wie die Welt idealerweise sein soll; sie sind ein allgemeines Idealbild der Welt. So gesehen hat Gil Elvgren das Problem gelöst, wie man etwas Besonderes mit einem Allgemeinen verknüpfen kann. Und wenn ich es recht introspektiv betrachte und mir versuche zu vergegenwärtigen, was die Gemälde von Gil Elvgren letztendlich in mir auslösen: so ist es tatsächlich ein interesseloses Wohlgefallen, und eine behagliche Übereinstimmung, wo alle Vermögen miteinander im Einklang sind. Die Frauen von Gil Elvgren scheinen ihren Zweck in sich selbst zu haben, so wie die reine Kunst ihren Zweck in sich selbst hat. Was aber ist der Zweck von einem Zweck in sich selbst? Außerdem verweist ja eben das selbstzweckhafte Kunstwerk nicht zuletzt (und vor allem) auf Zwecke, die außerhalb seiner selbst liegen. Der zweite Teil der Kritik der Urteilskraft befasst sich mit der teleologischen Urteilkraft und der Frage nach der Zweckmäßigkeit der Natur. Über einen göttlichen Schöpfer der Natur kann gemäß Kant nichts gesagt werden, ein solcher kann daher auch nicht befragt werden, was der Zweck der Natur bzw. seiner Schöpfung sei. Gleichzeitig weist die Natur und weisen alle Lebewesen eine innere Zweckmäßigkeit auf, die auch äußerlich aufeinander abgestimmt ist. Das provoziert die Frage: was ist der höhere Zweck dieser erstaunlichen Zweckmäßigkeit? Ist diese Zweckmäßigkeit rein in sich selbst und abgesehen davon nihilistisch? Ist der höhere Zweck gesetzt von einem bösen Demiurgen, der gerade so viel Zweck in der Welt zulässt, damit diese nicht zusammenfällt, und sich die Lebewesen fortwährend und unter dem Vorgaukeln falscher Hoffnungen (und in einer illusionshaften Bewunderung der „Zweckmäßigkeit“ in der Schöpfung) letztendlich hauptsächlich quälen? Wenn über einen Ursprung der Zweckmäßigkeit nichts gesagt werden kann, liegt der Zweck dann in der Entfaltung der Zweckmäßigkeit, in der Teleologie? Das muss ebenso unbekannt bleiben, denn ebenso wenig wie Ursprung kennen wir das Ziel der Schöpfung. Wenn es einen äußeren, einen höheren Zweck der Schöpfung gibt, ist dann die innere Zweckmäßigkeit der Wesen nur ein Mittel zu diesem Zweck? Über Mittel und Zweck hat sich Kant schon in der Kritik der praktischen Vernunft ausgelassen, da das Zielbestimmungen moralischen Verhaltens sind. Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muss ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit. (Werke VII S.210) Der Mensch ist einerseits ein reines Naturwesen und ein Element der Natur: aufgrund seiner inneren, organischen Zweckmäßigkeit. Aber der Mensch ist auch ein vernünftiges, geistiges, gemäß seiner praktischen Vernunft ein freies Wesen, das über sich selbst und andere Wesen frei bestimmen kann. Damit reicht der Mensch über die reine Natur hinaus in die noumenale Sphäre und wird ein metaphysisches Wesen. Indem es kein anderes derartiges Wesen und keine andere derartige Erscheinung in der Natur gibt, ist der Mensch also dahingehend mit sich allein – und kann keinen anderen Zweck in der Welt finden als sich selbst, in seiner Vernünftigkeit und seiner Freiheit. Die Kritik der Urteilskraft führt aus: Nun haben wir nur eine einzige Art Wesen in der Welt, deren Kausalität teleologisch ist, d.i. auf Zwecke gerichtet, und doch zugleich so beschaffen ist, dass das Gesetz, nach welchem sich Zwecke zu bestimmen haben, von ihnen selbst als unbedingt und von Naturbedingungen unabhängig, an sich aber als notwendig vorgestellt wird. Das Wesen dieser Art ist der Mensch, aber als Noumenon betrachtet; das einzige Naturwesen, an welchem wir doch ein übersinnliches Vermögen (die Freiheit) und sogar das Gesetz der Kausalität samt dem Objekte derselben, welches es sich als höchsten Zweck vorsetzen kann (das höchste Gut in der Welt), von Seiten seiner eigenen Beschaffenheit erkennen können. Von dem Menschen nun (und so jedem vernünftigen Wesen in der Welt), als einem moralischen Wesen, kann nicht weiter gefragt werden: wozu (quenem in fenem) er existiere. Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich, dem, so viel er vermag, er die ganze Natur unterwerfen kann, wenigstens welchem zuwider er sich keinem Einflusse der Natur unterworfen haben darf. (Kritik der Urteilskraft S.350) Wenn der Mensch qua Vernunft und Freiheit Zweck in sich selbst ist, fällt er mit der (unbekannten) Zweckmäßigkeit der reinen Natur auseinander. Diese Abgelöstheit des Menschen von der reinen Natur kann man eventuell als Verdammnis betrachten. Allerdings auch als eine herausragende Qualität, die sich in einen Wert umsetzt. Wenn das auch vielleicht kein Wert für die Natur ist, ist es ein Wert für den Menschen selbst. Nun ist, wenn man der letzten Ordnung nachgeht, es ein Grundsatz, dem selbst die gemeinste Menschenvernunft Beifall zu geben genötigt ist: dass, wenn überall ein Endzweck, den die Vernunft a priori angeben muss, stattfinden soll, dieser kein anderer als der Mensch (ein jedes vernünftige Weltwesen) unter moralischen Gesetzen sein könne. Denn (so urteilt ein jeder): bestände die Welt aus lauter leblosen … vernunftlosen Wesen, so würde das Dasein einer solchen Welt gar keinen Wert haben, weil in ihr kein Wesen existierte, das von einem Werte den mindesten Begriff hat. (ebenda S.367f.) Was aber ist der Wert, der im moralischen Gesetz liegt, was ist der Zweck des moralischen Gesetzes, wonach man also jederzeit so handle, dass es zugleich Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein kann? Dass also ein Zustand verallgemeinert wird, in dem Wesen nicht unnötig verletzt werden (negativ gefasst) oder in dem Wesen glücklich leben können (positiv gefasst). Der Sinn und Zweck des moralischen Gesetzes und des Menschen als freiem, moralischen Wesen, ist also die Beförderung von Glückseligkeit unter den Menschen. Das ist der erhabene Zweck, den der Mensch gleichsam in sich trägt: als sein Endzweck. Die Idee eines Endzwecks im Gebrauche der Freiheit nach moralischen Gesetzen hat also subjektiv-praktische Realität. Wir sind a priori durch die Vernunft bestimmt, das Weltbeste, welches in der Verbindung des größten Wohls der vernünftigen Weltwesen mit der höchsten Bedingung des Guten an denselben, d.i. der allgemeinen Glückseligkeit mit der gesetzmäßigsten Sittlichkeit, besteht, nach allen Kräften zu befördern. (ebenda S.373)

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. (Werke XI S.53) Die Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? aus dem Jahr 1784umfasst nur einige Seiten und ist eine Marginalie im Oeuvre Kants. Aber sie hebt Kant über den Status eines epochemachenden Genies gleichsam hinaus, macht ihn, ein weiteres Mal, zu einer noch profunderen Gestalt: abermals der einer grundsätzlichen Kopernikanischen Wende. Man könnte sagen, dass Kant mit seiner Programmatik der Aufklärung wohl sogar mehr als ein neues „Achsenzeitalter“ einleitet, sondern etwas, das den Gang der Menschheitsgeschichte wohl bis ans Ende derselben begleiten und bestimmen wird. Das Zeitalter der Vernunft und der Aufklärung: die sich also der Vernunft als dem wichtigsten, primären Mittel der menschlichen Verständigung bedient; in dem die Vernunft der Hegemon ist. Für Kant liegt darin die primäre Möglichkeit des allgemein zufriedenstellenden menschheitsgeschichtlichen Zustandes: Und so ist der Ausschlag einer durch Philosophie versuchten ältesten Menschheitsgeschichte: Zufriedenheit mit der Vorsehung und dem Gange menschlicher Dinge im Ganzen, der nicht vom Guten anhebend zum Bösen fortgeht, sondern sich vom Schlechteren zum Besseren allmählich entwickelt; zu welchen Fortschritte denn ein jeder an seinem Teile, so viel in seinen Kräften steht, beizutragen durch die Natur selbst berufen ist. (ebenda S.102) Und man sieht also: Für Kant ist eine geschichtliche Teleologie, die schließlich zu einem solchen Zustande führe – über Jahrhunderte und Jahrtausende der Irrungen und Wirrungen hinweg – im Menschen (qua seines Vermögens der Vernunft, das progressiv zur Entfaltung komme) selbst angelegt. Heute (wie damals) wird Kant und den Proponenten der Aufklärung gerne Blauäugigkeit vorgeworfen. Aber ein blauäugiger Optimist, der allzu verliebt in sich selbst und in seine philosophischen Hoffnungen gewesen ist, war Kant nicht – vielmehr war er von solchen Dispositionen eigentümlich frei (zumindest in dieser Hinsicht: in anderen, wie in seiner Begeisterung für die Pflichtethik, hinsichtlich der Religion als notwendiger regulativer Idee oder dem Beharren darauf, man könne nur die Erscheinungen erkennen, niemals aber das Ding an sich, schien er über das rational Erwartbare hinauszugehen, bzw. war er leidenschaftlich). In seiner ebenfalls 1784 erschienen und ebenfalls knapp gehaltenen Schrift Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht liefert Kant gleichsam das geschichtsphilosophische Substrat zur Aufklärungsschrift. Darin formuliert Kant eine Geschichtsphilosophie, die progressiv zur Aufklärung führt. Der Text besteht aus 9 „Sätzen“ (bzw. Thesen) und deren Erläuterung; und der Dritte Satz stellt fest: Die Natur hat gewollt: dass der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines tierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe, und keiner anderen Glückseligkeit, oder Vollkommenheit, teilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinkt, durch eigene Vernunft, verschafft hat. (ebenda S.36) Was dann teleologisch in den Zustand einer aufgeklärten, bürgerlichen, auf dem Rechtsgedanken beruhenden Gesellschaft führe, wie im Fünften Satz formuliert: Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft. (ebenda S.39) Schon aber lautet der Sechste Satz: Dieses Problem ist zugleich das schwerste, und das, welches von der Menschengattung am spätesten aufgelöset wird. (ebenda S.40) Ein blauäugiger Optimismus hört sich wohl anders an. Kant war ein vorsichtiger Optimist. Das war zu seiner Zeit auch die eigentlich rationale Position (wieso hätte man zu Kants Zeit auch pessimistisch oder nihilistisch in die Zukunft blicken sollen? Auch der entschlossene Kant-Bewunderer Schopenhauer war nicht unbedingt pessimistisch, was die Aufklärung und die Segnungen des Fortschritts anlangt, er verneinte nur, jene könnten einen Zustand der Glückseligkeit herbeiführen). Seine wenigen Schriften explizit zum Thema Aufklärung und Geschichtsphilosophie blieben knapp und skizzenhaft, er schien es dem geschichtlichen Verlauf selbst zu überlassen, weitere und entscheidende Kapitel ihnen hinzuzufügen (Wir wollen sehen, ob es uns gelingen werde, einen Leitfaden zu einer solchen Geschichte zu finden, und wollen es dann der Natur überlassen, den Mann hervorzubringen, der im Stande ist, sie danach abzufassen, beendet Kant bescheiden seine Einleitung zu seiner Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Nun, dieser Mann war dann wohl offensichtlich Hegel. Auf den dann ein exaltierter, übertriebene Hoffnungen formulierender Aufklärer folgte: Marx). Horkheimer und Adorno schaffen mit ihrer Dialektik der Aufklärung eine sehr melancholische Betrachtung auf die Aufklärung und ihrer zahlreichen uneingelösten Versprechen, mehr noch, der Perversionen, die sie begünstigt – oder die ihr sogar innewohnen (eine ausgeprägte, mehr oder weniger krankhafte Melancholie ist allerdings die Grundhaltung des Horkheimerschen und Adornoschen Philosophierens). Darin wird Aufklärung mit einer Herrschaftstechnologie gleichgesetzt, einer amoralischen Vernunft, die sich die Erde untertan macht und sie „entzaubert“, und sie dadurch (angeblich oder tatsächlich) etlicher ihrer Qualitäten als Lebenswelt beraubt. Über Kant liest man in der Dialektik der Aufklärung aber kaum (die macht vielmehr den mystisch-antiken Odysseus und den Marquis de Sade zu Proponenten der Aufklärung). So als ob sie eine Begegnung mit dem gesunden Kern der Aufklärung aus Gründen einer polemischen Grundintention vermeiden möchte. Insgesamt ist das Horkheimer/Adornosche Philosophieren ein narratives Philosophieren, dem es um die Bestimmung bestimmter Qualitäten geht, und unterscheidet sich von dem analytischen Philosophieren Kants. Kant hat eventuell zu wenig vorhergesehen, dass die Herrschaft der Vernunft Befreiung und auch Unterwerfung mit sich bringen mag, und dass Aufklärung nicht nur eine Ideologie der Befreiung sondern auch der Herrschaft sein könne (umgekehrt sind Horkheimer und Adorno, was die Möglichkeiten von Befreiung anlangt, obwohl diese der zentrale Gegenstand ihres Philosophierens ist, so pessimistisch und verengt, dass ein Mangel an Dialektik eher als ihre Sache erscheint). Der führende Kritische Theoretiker der zweiten Generation, Jürgen Habermas, ist hingegen leidenschaftlicher und optimistischer Aufklärer und Verteidiger der Aufklärung. Er aber glaubt trotzdem, dass Vernunftglaube allein keine moralische Verbindlichkeit schaffen kann: Die Vernunftmoral ist, entgegen Kants eigener Überzeugung, eine zu schmale Basis, um den Orientierungsbedarf eines endlichen Vernunftwesens, das sich kraft des autonomen Gebrauchs seiner Vernunft von Lebensformen selbstverschuldeter Unmündigkeit emanzipieren will, zu befriedigen. (Auch eine Geschichte der Philosophie II S.354) Das haben freilich schon Kants Zeitgenossen (wie Herder oder Hamann) moniert. Und vor allem: Kant ist ja gar nicht so sehr überzeugt, dass die Vernunftmoral allein Basis ihrer selbst sein kann, sondern betont die Wichtigkeit der Religion als „regulativer Idee“ (dabei sieht sich auch Habermas in seinen späteren Jahren damit konfrontiert, dass seine einstige Annahme von der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft offenbar nicht mehr gültig ist, und dass Religion etwas darstelle, was ernst zu nehmen sei. Er scheint sich aber nicht ganz im Klaren darüber, wie). Es liegt in der Denkbahn Kants, dass Vernunft sich selbst als Prinzip setzen will, und sich in lebensweltliche Realität umsetzen will (und muss). Das ist dann eben die Aufklärung. In den Aufklärungsschriften geht er aber stark davon aus, dass Aufklärung und der „Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“, die Einzelleistung eines Individuums sei. Wenn die Vernunft allein aber eine zu schmale Basis sei, um die lebensweltlichen Orientierungsbedürfnisse eines Individuums zu decken, wie soll sie dann erst recht als kohäsive Kraft sozial wirksam und gestaltend sein? Habermas nimmt hingegen an, dass Vernunft an sich sich kommunikativ und über soziale Praktiken vermittle und gestalte. Vernunft ist für Habermas grundsätzlich kommunikative Vernunft. Und kein reines, überzeitliches, transzendentales „Vermögen“ wie bei Kant. Das Gute dabei: Aufgrund der Notwendigkeit ihrer kommunikativen Aushandlung ist auch Aufklärung per se als ein über die Vernunft symbolisch strukturierter Lebenszusammenhang möglich. Außerdem hat auch für Habermas die Vernunft einen eindeutigen, überzeitlichen, die gesamte Menschheit und ihre Geschichte bestimmenden Wert. Deswegen steht Habermas der sogenannten philosophischen Postmoderne ablehnend gegenüber, die eher geneigt ist, das zu verneinen, und die Vernunft eher als historisch kontingente „Diskursform“ oder als „Dispositiv“ fasst. 200 Jahre nach Kants Text, im Jahr 1984, legt auch einer der Proponenten dieser Geisteshaltung, Michel Foucault, einen kurzen Text mit dem Titel Was ist Aufklärung vor (als einen seiner letzten). Für Foucault ist die Aufklärung eine moderne Ordnung der Vernunft, innerhalb derer sich die Subjekte als vernünftige Subjekte produzieren. Gleichzeitig können sie über die Ordnung nicht mehr hinausblicken und sie an sich bewerten, auch wenn sie sie zumindest reinterpretieren und sie an ihre persönlichen Lebensumstände anpassen können. Eine von Foucaults Marotten ist, dass der Diskurs mehr oder weniger vollständig unsere Erkenntnismöglichkeiten determiniere und beschränke, das Subjekt daher nicht aus dem Diskurs ausbrechen könne, darin ähnlich hermetisch wie die Erkenntnistheorie Kants. Im Gegensatz zu Kant geht Foucault dabei aber nicht von überzeitlichen und transzendentalen Strukturen aus, sondern von solchen, die sich, aufgrund von historischen Kontingenzen, ändern können, und dann neue hermetische Strukturen begründen. Was allerdings nicht notwendigerweise einen „Fortschritt“ bedeute oder einen geschichtlichen Verlauf begründe hin auf ein bestimmtes Ziel. Foucault hat eine gleichsam nihilistische Sichtweise auf den historischen Verlauf, den er als eine Abfolge von (zudem zumeist unheilvollen) Kontingenzen begreift. Dem muss man nicht zustimmen, und es wehrt sich einiges in uns, dem zuzustimmen. Bei Foucault gibt es keine Hierarchie von Qualitäten mehr. Er billigt auch der Aufklärung keine superiore Qualität zu. Wofür Foucault aber sensibilisiert, ist dass die Zeiten in der Geschichte einfach zu weit reichen, als dass man so einfach etwas Überzeitliches identifizieren könnte. Und dass die Welt einfach zu viel Raum hat, als dass man ihn „in weltbürgerlicher Absicht“ so leicht total okkupieren könnte. Auch wenn es uns wohl so scheint, dass aufklärerische Vernunft und weltbürgerliche Absicht die großen Integrale und fehlerfreie Ideale sind, wissen wir das nicht tatsächlich, und wir wissen nicht, ob sie auf etwas treffen, als ein Anderes, dass ihnen effektiv Widerstand leistet. In den 2000er Jahren war ich bei einer Veranstaltung, die vom Außenministerium unter der damaligen Ministerin Plassnik veranstaltet wurde. Da ging es darum, wie ein Dialog mit dem Islam und der islamischen Welt möglich sein könne, und sie war hochkarätig besetzt: Auch der damalige afghanische Präsident Hamid Karzai war anwesend und der Regierungschef des „befreiten“ Irak. Dementsprechend präsent war auch die Polizei und das Sicherheitspersonal. Anwesend war außerdem der damalige Präsident der Islamischen Republik Iran, Mohammad Khatami. Der galt als Reformer und als ein Gegengewicht zur sinistren Hohen Geistlichkeit der Mullahs. Khatami hielt einen Vortrag zum Thema, und ich kann mich noch gut erinnern, wie Khatami währenddessen immer wieder einmal mit majestätischer Geste seinen Umhang sich zurechtlegte. Im Vortrag gab es einiges an Namedropping, und es fiel auch der Name Kant. Khatami monierte, dass die europäische Aufklärung in der Tradition von Kant prinzipiell vom Individuum ausgehe, andere Kulturräume, wie eben der muslimische, das Individuum so nicht kennen würden, sondern den Menschen stärker als Mitglied eines Kollektivs wahrnehmen würden. Kant war Kosmopolit, aber das heißt nicht, dass auch die Welt kosmopolitisch ist. Was er aber natürlich auch wusste, oder wofür er zumindest einen Sinn hatte. In einer weiteren Schrift, die einen historischen Einschnitt markiert, Zum ewigen Frieden, versucht Kant ein Regelwerk und Institutionen zu definieren, die den Frieden zwischen den Völkern theoretisch möglich machen – auch wenn es praktisch nicht geschehen müsse. Wie in all seiner reifen Philosophie fährt Kant immer nur ein Minimalprogramm – indem er abstrakte Regeln und Zusammenhänge formuliert, die vom Empirischen möglichst absehen – dafür dem Empirischen, als Regeln und Ideale oder als grundsätzliche Verfassungen, aber Bahnen, in denen es sich bewegen sollte und vielleicht endgültig auch bewegen wird, vorzeichnet. Dementsprechend aufrichtig schließt Zum ewigen Frieden: Wenn es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand eines öffentlichen Rechts, obgleich nur einer ins Unendliche fortschreitenden Annäherung wirklich zu machen, so ist der ewige Friede, der auf die bisher fälsch so genannten Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und nach aufgelöset, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen, hoffentlich immer kürzer werden) beständig näher kommt. (Werke XI S.251) Mit dieser Einschätzung hat Kant ja Recht: für den europäischen Erdteil. Wohingegen in der islamischen Welt gerade jetzt dauernd Krieg, Rivalitäten und Unruhe herrschen. Aber eine Aufklärung hat es dort ja noch nicht eigentlich gegeben.

Es provoziert öfter Unbehagen (oder Spott), dass Kant eine verengte, auf Prinzipien reitende (im Alter geradezu mechanische) Persönlichkeit gewesen zu sein scheint. Das war er, zumindest als er jünger war, aber augenscheinlich nicht. Vielleicht wäre es zu viel, den jüngeren Kant als einen Lebemann zu bezeichnen, aber er ging gerne aus und er spielte gerne Karten und Billard (wobei das allerdings seine einzigen Vergnügungen waren). Er speiste regelmäßig in Gastwirtschaften und genoss es offensichtlich, dort mit Menschen aus allen Schichten des Volkes in Berührung zu kommen (selbst war Kant Sohn eines Handwerkers und kein geburtsmäßiger Patrizier). Er galt als lustiger Geselle und war bei seinen Studenten beliebt. Seine Vorlesungen waren schwungvoll und er erzählte dabei gerne Witze. Im Alter von ungefähr 40 Jahren machte Kant erste Verluste unter seinen Freunden, so starb unter anderem sein Freund Funk. Das gab ihm wohl auch ein dringenderes Gefühl für seine eigene Endlichkeit. Kant war ein schmächtiger Mann, der vor allem an Kurzatmigkeit litt. Im Zusammenhang damit war Kant Hypochonder, ein Zustand, der ihm das Leben schwer machte. Um diese Zeit trat Joseph Green in Kants Leben, der auf lange Jahre Kants bester Freund werden sollte. Green war ein aus England stammender Großhändler mit prononcierten intellektuellen Interessen. Nichtsdestotrotz leitete er auch seine Geschäfte recht erfolgreich und beriet Kant in Geldangelegenheiten. Angeblich ging Kant das Manuskript der Kritik der reinen Vernunft Satz für Satz mit Green durch (die, so gesehen, damit auch ein Werk Greens ist). Green war ein disziplinierter Mann, der auch seinen Alltag nach festen Prinzipien gestaltete. Dass Kant so ähnlich wurde, und sein Beharren darauf, dass wir mit unserem Verhalten individuellen „Maximen“ folgen würden, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, wonach Kant sich an die Lebensweise von Green anpasste. In seinem siebten Lebensjahrzehnt beendete Kant sein etwas unstetes, nomadisches Leben und kaufte sich ein Haus. Dort hielt er regelmäßig ausgedehnte Mittagessen ab, die bis spät in den Nachmittag dauerten, und bei denen die Geselligkeit im Vordergrund stand (und bei denen sich Kant ausbedingte, dass über alles, nur nicht über Philosophie gesprochen werden durfte). Auch der etwas jüngere Green starb lange vor Kants Tod (1786). Vielleicht ist es ja Kants pedantischer Lebensweise und seiner hypochondrischen Sorge um seine Gesundheit zu verdanken, dass Kant im für die damaligen Verhältnisse recht hohen Alter, kurz vor seinem 80. Geburtstag, gestorben ist. Für die Philosophie ein großes Glück, denn viele von Kants Zeitgenossen erreichten ihr sechzigstes Lebensjahr nicht – in dem er erst die Kritik der reinen Vernunft veröffentlichte, und in den darauffolgenden 15 Jahren seine anderen bedeutenden Schriften. Wäre Kant früher gestorben, wäre er als Fußnote oder gar nicht in die Geschichte eingegangen, denn trotz all seiner Brillanz seit seiner Jugend war beim „vorkritischen“ Kant gar nicht klar, was letztendlich aus ihm werden würde. Kant war im fernen Königsberg von vielen eminenten, sogar genialen Personen umgeben, von denen sich aber selbst der bekannteste unter ihnen, Herder, letztendlich nicht ganz selbst verwirklichen konnte. Es ist das Mysterium des Genies – und in dem Fall die Gunst einer möglichen langen Latenzperiode – warum Kant dies gelungen ist, und den anderen nicht. Aber Kants „Pedanterie“, seine Strenge im Denken, sein übertrieben scheinendes Aussortieren und Reinigen Wollen von Begriffen, sein architektonischer Intellekt, sind eben das eigentliche Spezifikum des speziellen Kantschen Genies und seiner Kritischen Philosophie, die eine Kopernikanische Wende bedeutet. Während man sich das Genie gemeinhin als subjektiv ausschweifend und geheimnisvollen Inspirationen folgend vorstellt, war es bei Kant die scheinbare Reinigung des Denkens von all dem, hin zu einer strengen, analytischen Folgerichtigkeit (vielleicht hatte Kant deswegen Schwierigkeiten, sich als Genie zu sehen, das er nur im genialen Künstler erblicken wollte – also einer Art Antidot zu ihm selbst). Die vorkritischen Schriften von Kant sind auch deutlich weniger abstrakt im Stil gehalten und kennen subjektivistische Einlassungen, oder überhaupt auch das Stilmittel der Satire. Dass Kant diesen Stil in seinen späteren Schriften abgelegt hat, scheint ein Hinweis, dass er sich der Monumentalität seiner Aufgabe bewusst war. Trotzdem er eine „weltbürgerliche Gesinnung“ vertrat und sich wissenschaftlich anthropologisch und ethnologisch mit Land und Leuten aus aller Welt beschäftigte, gelangte Kant in seinem ganzen Leben nie aus Königsberg heraus. Königsberg war allerdings weit vom Schuss, und längere Reisen waren zu Kants Zeiten etwas Unbequemes, damit also gerade für den vorsichtigen Kant nichts Einladendes. Und Kant hatte in Königsberg ja alles, was er brauchte. Er hatte Freunde, gute Beziehungen zum Hof und lebte, wie erwähnt, in einer geistig anregenden Umgebung. Das alles ist nicht selbstverständlich, ein einsamer Philosoph war Kant aber nicht. Vor allen Dingen war er als Philosoph von ungeheurer Weite. Man mag über Kants scheinbar eingeschränkte Lebensweise spötteln (so wie Nietzsche oder Heine das taten, denen das allerdings im Blut lag). Aber die wahren Reisen finden, so sagt man, im Kopf statt. Nicht nur seine umfangreiche Metaphysik der Sitten setzt in Erstaunen, wie weitreichend und dennoch präzise Kant über diverseste moralische Fragestellungen in seinem Leben nachgedacht hat. Trotzdem muss ein weiter Verstand aber nicht mit einer weiten Emotionalität einher gehen. Wie Kant allerdings tatsächlich war, darüber liefern die diversen Biographien kein klares Bild. Laut seinem Zeitgenossen Metzger, Professor für Medizin an der Universität Königsberg, war Kant als Person kein großer Mann. Er sei ein Egoist gewesen, der keinen Kontakt zu seinen Geschwistern hatte und der seine Schwester, die ihn am Ende seines Lebens pflegte, nicht am selben Tisch sitzen lies und sich anderen gegenüber für ihre „Unkultiviertheit“ entschuldigte (am Ende seines Lebens war der senile Kant freilich nicht mehr er selbst. Andererseits heißt es, dass gerade dann eben, bzw. mit zunehmendem Alter, der wahre Charakter eines Menschen zum Vorschein komme). Kant sei knausrig gewesen und misogyn, er habe Kritik nicht ertragen und beleidigend werden können, wenn ihm jemand widersprach. Selber habe er sich als Autorität gesehen. Ein solches Verhalten wurde auch von anderen Zeitgenossen übermittelt. Kant und Metzger waren in einigen universitätspolitischen Auseinandersetzungen zwar aneinander geraten, hatten aber allgemein ein gutes Einvernehmen; Kant interessierte sich sehr für Medizin und hatte auch ein großes Wissen darüber, von dem selbst der Experte Metzger profitierte. Wie diese unerfreulichen Charakterisierungen zu bewerten sind, weiß man nicht, da die Biographien nach Kants Tod solche Misstöne ausließen und eher in Richtung Heldenverehrung schwenkten. Wie erwähnt, geben die Biographien keine schlüssige Auskunft, wie religiös Kant gewesen sein könnte. Auch könnte Kant praktisch nicht so sexualfeindlich und jungfräulich gewesen sein, wie allgemein dargestellt – gibt es doch Zeugnisse von Kant, wonach er die sexuellen Freuden gar als die höchsten Freuden im Leben bezeichnete. Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen, schreibt Wittgenstein im Tractatus. Inwieweit war Kant ein glücklicher oder ein unglücklicher Mensch? Auch das weiß man nicht genau (ist bei Philosophen aufgrund ihrer seelischen Komplexität im Allgemeinen aber auch schwer zu sagen). Tatsächlich könnte man meinen, dass die kritische Philosophie Kants und der Stil seiner reifen Schriften in ihrer Pedanterie was Nekrophiles, Lebensabtötendes, Unspontanes haben: also etwas Unglückliches (wie erwähnt hatte der abstrakte Stil des späten Kant aber ja auch, wenn nicht vor allem, seinen guten Grund). Auch wenn er sich damit nicht entlang der Bahn der meisten anderen Kant-Biographen bewegt, vermutet Bel-Ami Scharfstein (The Philosophers: Their Lives and the Nature of Their Thought) in Kant einen profund unglücklichen Menschen. Unglücklich vor allem wegen des frühen Todes seiner geliebten Mutter, seiner wenig freudvollen Jugend und des Todes seines Vaters, als er ein junger Erwachsener war. Vor allem aber auch unglücklich in seiner Hypochondrie, die ihn quälte. Kant habe enge Bindungen an Menschen und auch zu seinen Freunden vermieden, und das dann philosophisch rationalisiert (von wegen, dass Freundschaften Naheverhältnisse und Verpflichtungen bedeuten, die aber dem anonymen ethisch richtigen Verhalten entgegenlaufen). Kants ständiges Insistieren, wonach wir nur Erscheinungen, niemals aber das Ding an sich kennen könnten, deutet Scharfstein als psychologische Abwehrhaltung, mit der Kant das „Ding an sich“ in seiner eigenen Seele – sein unglückliches Bewusstsein – begraben und unzugänglich machen wollte. So gesehen mit Erfolg zumindest, denn ob das „Ding an sich“ in der Seele Kants so gewesen ist oder nicht, lässt sich kaum sagen. Kant soll auch rassistische Ansichten vertreten haben, obwohl er es bei seiner ethnologischen Bildung und in seiner weltbürgerlichen Absicht eigentlich hätte besser wissen müssen. Auf so etwas bin ich nicht gestoßen, auch wenn ich die entsprechenden Schriften nur durchgeblättert habe. Vielleicht hatte ich dabei, ganz dem Geist der aktuellen Zeit entsprechend, unbewusst zu viel Angst, auf den grundsätzlich schrecklichen Rassismus zu stoßen, und erst recht auf das N***** – Wort! Auf das N***** – Wort stoßen zu können, davor hat die heutige Zeit Angst wie der Teufel vor dem Weihwasser, und will das dann am Liebsten ungeschehen machen, auch wenn es Jahrhunderte in der Vergangenheit zurückliegt. Deswegen höre ich auch keine Rapmusik, speziell von Afroamerikanern gemachte. Weil man da ununterbrochen mit dem N***** – Wort konfrontiert wird. Dabei weiß ich nicht, warum das so ist. Wie es scheint, haben die afroamerikanischen Rapper beinahe eine Art Wettbewerb rennen, wer von ihnen in einem Track am öftesten das N***** – Wort unterbringen kann (gefolgt von Bitch, Shit und Suck my dick). Vor allem hat das ja keinen Neuigkeitswert mehr. Als Ice-T vor über 30 Jahren seinem Album Home Invasion die Warning vorangestellt hat, man solle es nicht hören, wenn man sich ob Wörtern wie shit, bitch, fuck, dick, ass … nigger … nigger fuck shit usw. beleidigt fühle (denn davon sei das Album voll davon), habe ich das noch lustig und subversiv gefunden. Wie ich aber feststellen kann, ist der afroamerikanische Hip Hop – der zuweilen von denselben gebildeten, weltoffenen Weißen, die eine wahnsinnige Angst davor haben, auf das N***** – Wort zu treffen, als authentisch und geradezu poetisch betrachtet wird – scheinbar immer noch eine Art Wettbewerb laufen, wer am öftesten das N***** – Wort unterbringen kann. Ich kann mir nicht erklären, warum die afroamerikanischen Rapper das eigentlich tun. Während sich die Türken und die Araber bei uns so freundlich dauernd mit Bruder! anreden, scheinen die afroamerikanischen Rapper eine Art Wettbewerb zu rennen haben, wer von ihnen am öftesten das N***** – Wort unterbringen kann (gefolgt von Bitch, Shit und Suck my dick). Vielleicht ist diese Kultur tatsächlich einfach nicht ganz richtig im Kopf. Auf jeden Fall aber: Während unsere eigene Kultur eine panische Angst hat, auf das N***** – Wort zu stoßen, scheinen die afroamerikanischen Rapper eine Art Wettbewerb laufen zu haben, wer von ihnen in einem Track am öftesten das N***** – Wort unterbringen kann.

Das Werk Immanuel Kants war zunächst Ausgangspunkt für eine seltene Glanzzeit in der Philosophiegeschichte, die Epoche des Deutschen Idealismus, für die Fichte, Schelling und Hegel die bestimmenden Denker waren. Alle drei waren große Philosophen – und dass solche in einer derartigen zeitlichen und räumlichen Konzentration auftreten, ist wahrlich selten – und alle waren recht eigenständige, originäre Denker. Sie waren also keine Kant-Epigonen, sondern errichteten eigenständige philosophische Systeme, deren gemeinsamer Nenner der Idealismus war. Auf den Linkshegelianismus, einer epigonalen Erscheinung zu Hegel, folgte, sich vereinigend mit sozialistischem Gedankengut, das ab der Französischen Revolution in Europa aufgekommen war, die philosophische Revolution durch Marx. Der Marxismus ist dann eine grundsätzlich verschiedene Philosophie auf („dialektisch“-) materialistischer Grundlage, seine Erkenntnistheorie lautet: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Der Mensch ist nicht mehr, wie bei Kant, in das subjektivistische Gefängnis seiner Anschauungsformen eingesperrt, aus dem heraus er allein Erscheinungen erkennen könne, aber nicht das Ding an sich, sondern wird zu einem unumschränkt prometheischen Wesen, das durch die revolutionäre Umgestaltung des Seins schließlich gleichsam bei einem letztgültigen Ding an sich, dem Sozialismus bzw. der kommunistischen Gesellschaftsordnung ankomme. Im späteren 19. Jahrhundert, als der Marxismus allgemeiner intellektuell Fuß fasste, trat in Deutschland auch der Neukantianismus auf den Plan. Ähnlich wie der Marxismus war auch der Neukantianismus aufklärerisch und optimistisch und von Fortschrittsglauben getragen. Allerdings war er liberal und vertraute auf die wissenschaftliche Methode (während die des Marxismus der „wissenschaftliche Sozialismus“ war). Somit war der Neukantianismus eine Version des „bürgerlichen“ Fortschrittsglaubens. Wie Kant geht auch der Neukantianismus davon aus, dass sämtliche Erkenntnis auch erkenntnistheoretisch befragt werden müsse, dass der menschliche Verstand nicht voraussetzungslos sei, sondern Formen in ihm liegen, die die Erkenntnis bestimmen und präformieren würden. Allerdings wurden diese Formen teilweise anders oder viel allgemeiner und flexibler gefasst als bei Kant (Ernst Cassirer, der den Neukantianismus allerdings fast schon wieder hinter sich lässt, fasst den Menschen allgemein als „symbolisches“, also über symbolische Formen erkennendes und seine Welt gestaltendes Tier). Damit wurde der Neukantianismus auch zum philosophischen Substrat des „Revisionisten“ Eduard Bernstein. Ursprünglich revolutionärer Marxist, musste Bernstein im späteren 19. Jahrhundert erkennen, dass sich zentrale Prognosen des Marxismus – allen voran die der fortschreitenden Verelendung der Massen – nicht erfüllten, vielmehr das Gegenteil der Fall war. Mit seinem Utopismus stelle sich der Marxismus auch jenseits dessen, was streng rational vertretbar sein kann bzw. was rational verhandelt werden kann. Deswegen plädierte Bernstein für einen Weg der sozialen Reform, was der Grundgedanke der Sozialdemokratie ist. Unabhängig davon sollte an der Wende zum 20. Jahrhundert eine völlig eminente, aber einsame intellektuelle Erscheinung auftreten, die in ihrer Leidenschaftlichkeit für das „moralische Gesetz in mir“ ebenso genial wie morbid war: Otto Weininger, der aber gleich wieder verschwand (allerdings ein Werk hinterließ, über das es sich viel mehr nachzudenken lohnt). Zeitgleich zum Deutschen Idealismus bereits schlug jedoch auch ein anderer originärer Philosoph seine eigene Bahn als Abzweigung ein, auch wenn er sich – als großer Kant-Bewunderer – als Vollender von Kant sah: Arthur Schopenhauer. Schopenhauer begriff die Welt als Wille und Vorstellung. Das Ding an sich sei ein egoistischer Wille, der sich in allen Formen in der Welt ausdrücke und hinter all diesen Formen stecke. Mithilfe einer in die Erleuchtung gesteigerten Vorstellung sind zumindest einzelne Menschen in der Lage, das zu erkennen, und den Willen, durch eine Ethik des Mitleids, zu überwinden. Schopenhauers Philosophie ist alles anders als „knöchern“ und abstrakt wie die von Kant, vielmehr wird sie für ihre Lebensprallheit und ihre Plastizität bewundert (oder für ihre scheinbare Trivialität verachtet). Der Aufklärung und dem Fortschritt steht die Philosophie Schopenhauers indifferent gegenüber, dem Sozialismus war Schopenhauer feindlich gesonnen (wobei der Grund für diese Ablehnung aber in seiner Person lag und sich nicht notwendigerweise aus seiner Philosophie ergibt). Umgekehrt wird Schopenhauer aus aufklärerischer und sozialistischer Perspektive als „irrational“ verdammt (auch wenn er das genau genommen nicht ist, sondern seine Philosophie sich auf eine a-rationale Grundlage stützt). Schopenhauer illustriert einen Typ von Philosophen, der sich vom Typus des „akademischen“ Philosophen, wie Kant oder Hegel, deutlich unterscheidet, insofern seine Philosophie starke individualistische und subjektive Züge trägt (und sein Stil viel poetischer ist). Nicht von ungefähr ist er wohl auch deswegen lange unbekannt und für die akademische Philosophie indiskutabel geblieben – der Philosoph als radikaler Außenseiter (als er endlich bekannt wurde, wurde er von Kierkegaard als Geistesverwandten geschätzt, wobei der diesen Individualismus noch einmal radikalisierte und in analoger Weise ein „Einzelner“ unter Zeitgenossen blieb). Schopenhauer führt zu Nietzsche, dem wild um sich schlagenden reinen Genie unter den Philosophen schlechthin. Nietzsche markiert die Absage an den Einheits- und Systemgedanken in der Philosophie, und er subvertiert das Subjekt und die Erkenntnis. Gleichzeitig ist Nietzsche, wie Schopenhauer, Metaphysiker; er hat (über den Gedanken von der ewigen Wiederkehr des Gleichen) eine metaphysische Deutung der Welt und er lässt sich sehr beredt über metaphysische Gegenstände aus, über die man laut Kant eigentlich schweigen müsste. (Die Deutschen Idealisten, und erst recht Marx und seine Anhänger sahen sich nicht als Metaphysiker. Allerdings haben ihre Philosophien einen Totalitätsanspruch, der dem der Metaphysik nahe kommt. Mehr noch, tendieren diese Philosophen ihre Lieblingsideen so sehr zu idealisieren und zu substanzialisieren – bei Hegel die von der Logik des weltgeschichtlichen Verlaufs, bei Marx dessen postulierter dialektisch-materialistischer Verlauf hin auf ein utopisches Endziel –, dass diese zumindest etwas der Metaphysik Ähnliches bekommen.) Weil er ein Metaphysiker war, der das „Sein im Ganzen“ zu durchdenken versuchte, wurde Nietzsche im 20. Jahrhundert von Heidegger aufgegriffen. Ironischerweise begriff sich Heidegger jedoch auch zentral von dem – Nietzsche nicht eben ähnlichen – Kant beeinflusst. Heidegger sieht in Kant die Möglichkeit einer Introduktion einer Metaphysik, die vom Menschen ausgeht, der über seinen Erkenntnisapparat zu ergründen versuche, was das Sein bedeute, was ihn wiederum, in der Selbsterkenntnis dieses spezifischen Erkenntnisapparates, selbstreflexiv auf die Frage nach ihm selbst, auf die Frage „Was ist der Mensch?“ zurückwerfe. Heidegger wird dabei ein Missverständnis, wenn nicht eine gewaltsame Aneignung von Kant vorgeworfen, den er versuche, für seine eigenen philosophischen Zwecke zu instrumentalisieren. Allerdings ist das, zumindest wenn man es weiß, nicht verboten. Zwischen dem Metaphysikverständnis von Kant und von Heidegger besteht dann allerdings ein erheblicher Unterschied. Kant ging es um die formale Bestimmung der Metaphysik, Heidegger versuchte sie andauernd inhaltlich zu bestimmen. Kant beschäftigte sich als rationaler Aufklärer mit der Metaphysik, Heidegger war von einem eher emotional bestimmten, irrationalen „Ahnen“ und „Besinnen“ motiviert und wollte zu einem „eigentlichen“ Seinsverständnis (ähnlich zu einem Ding an sich) vordringen (das er dann, zumindest kurzzeitig, als im antiaufklärerischen Nationalsozialismus ausgedrückt glaubte). Heidegger wollte mit seinem (unvollendeten) Sein und Zeit – Projekt auch eine Ontologie formulieren, die ohne das Subjekt auskomme. Es blieb unvollendet, weil er einsah, dass sich nicht der geringste Anhaltspunkt auftue, wie eine solche Ontologie möglich sein könne (bei Kant spielt das Subjekt eben die zentrale Rolle). Nietzsche als auch Heidegger waren dann für die philosophische Postmoderne im späteren 20. Jahrhundert maßgebliche Denker. Die Postmoderne befragt und hinterfragt die Möglichkeit einer Einheit in der Vernunft, im Wissen, in der Erkenntnis, in der Subjektivität oder im geschichtlichen Verlauf recht kritisch, oder versucht all das überhaupt zu „dekonstruieren“. Dabei ist die Postmoderne ein relativ rezentes Phänomen. Je wie man will, kann man sie als (fröhlichen oder gefährlichen) Abgesang auf den Einheitsgedanken in der Vernunft sehen, oder als notwendige kritische Ausdifferenzierung, die Basis für eine neue, vitale Einheitsvorstellung sein könnte. Wie der Name Postmoderne aber schon sagt, scheint sie aber eine Position im Denken zu markieren, die „nach“ dem stattfindet, was, offenbar im Sinn einer höheren, übergeordneten Instanz, vorher da war und in die Welt gebracht wurde. Als „Revolution“, während sie selbst Evolution oder auch nur Epiphänomen bleibt. Und die profunde Revolution, den Kern der modernen Philosophie, markiert dann eben Kant. Die Kopernikanische Revolution in der Philosophie besteht darin, dass sie das Subjekt, den Menschen, in ihr eigenes Zentrum bzw. zu ihrem eigenen Ausgangspunkt macht. Ähnlich dem Wandel von einem geozentrischen Weltbild hin in ein heliozentrisches bedeutet sie als die Ablösung eines vorwissenschaftlichen, mythologischen oder religiösen Weltbildes hin in ein humanistisches und vernunftgeleitetes (und nicht zuletzt eine echte, wissenschaftlich-rationale Erkenntnisleistung, die unumstößlich ist). Das Universum erzittert und das Universum wird ein anderes, wenn eine Kopernikanische Revolution stattfindet. Es ist ein Ereignis, das so wichtig ist und von einer solchen Tragweite, dass wahrscheinlich auch in den Nachrichten von fernen außerirdischen Zivilisationen berichtet wird: Auf der Erde hat eine Kopernikanische Revolution stattgefunden.

Den Titel Immanuel Kant (und was von ihm übrig bleibt, wenn ich mit ihm fertig bin) habe ich gewählt, um große Empörung zu provozieren, auf dass meine Sachen vielleicht endlich einmal gelesen werden (abgesehen vom Schabernack, der im spontanen Einfall für diesen Titel – und in der Ermangelung eines Einfalls für einen anderen Titel – selbst liegt). Mir dämmert, Kant kann ich gar nicht umwerfen, oder verbessern oder überwinden oder verwinden, so wie mir das bei anderen Philosophen durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen scheint. Kant aber kann ich wohl am wenigsten von allen Philosophen umwerfen. Kant wirft vielleicht eher mich um, oder verpasst mir wahrscheinlich ordentliche Breitseiten, wenn es um die analytische Exaktheit der Argumente geht. Aber das tausche ich gerne ein dafür, dass mein synthetisches Denken und Empfinden einfach ausgeprägter sind und ich noch erstaunlichere Integrationsleistungen erbringen kann. Außerdem scheint mir mein Leben interessanter, da ich offenbar über bessere Kontaktmöglichkeiten zum Leben verfüge. Vor allem sehe ich ja keine Notwendigkeit, Kant umzuwerfen, indem ich feststelle, dass ich in allen Bereichen eigentlich kongruent mit ihm gehe. Vielleicht ist unsere Erscheinung verschieden, im Ding an sich sind wir uns allerdings ähnlich oder gleich.

13. August – 31. August 2024

Zitierte Literatur

Immanuel Kant

Kritik der reinen Vernunft, Stuttgart, Reclam 1966

Kritik der Urteilskraft, Köln, Könemann 1995

Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Stuttgart Reclam 1989

Werke VI Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Frankfurt/Main, Suhrkamp 1977

Werke VII (Kritik der praktischen Vernunft / Grundlegung zur Metaphysik der Sitten), Frankfurt/Main, Suhrkamp 1968

Werke VIII (Die Metaphysik der Sitten / Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft), Kant Werkausgabe VIII, Frankfurt/Main, Suhrkamp 1968

Werke XI(Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1), Frankfurt/Main, Suhrkamp 1977

Habermas, Jürgen: Auch eine Geschichte der Philosophie 2, Berlin, Suhrkamp 2022

Skizzierung meiner Philosophie / Sketch About My Philosophy

Grob gesagt, ist meine Philosophie die Philosophie vom „Chaosmos“, also dem Zusammenspiel von Ordnung und Zufall/Chaos, beziehungsweise von Statik und Dynamik. In Philosophien und in den Privatmeinungen der meisten Menschen wird meistens eines dieser Prinzipien überbetont/bewertet zulasten des anderen. Der „Chaosmos“ ist mein metaphysisches Prinzip. Gleichzeitig ist mir das auch Möglichkeit, die Welt „physikalisch“ zu erfassen, da der Kosmos tatsächlich ein „Chaosmos“, also ein Zusammenspiel von Ordnung und Zufall ist (angeblich ist es auch mathematisch begründbar, dass jedes dynamische System – und damit jede „Welt“ – ein Zusammenspiel von Ordnung und Zufall ist). Meine Metaphysik ist also keine, wie man es umgangssprachlich bezeichnen könnte, „esoterische“ Metaphysik, sondern rational fest verankert. Um den Chaosmos zu erfassen, plädiere ich für eine entsprechende Flexibiliät und Fluidität des Geistes und des emotionalen Verstehens. Ständig arbeite ich in dem Sinn an einer Vereinigung des „westlichen“ (wissenschaftlich-analytischen, philosophischen, technologischen etc.) Denkens und des „östlichen“ Denkens (vorwiegend anhand des Zen-Buddhismus und des Taoismus), das scheinbar vor-philosophisch, tatsächlich meta-philosophisch ist, und Erleuchtungszustände kennt, die an und für sich einem Durchbruch zur transzendentalen Subjektivität im westlichen philosophischen Verständnis gleichkommen. Umgekehrt hat auch das „östliche“ Denken seine Schwächen, wie z.B. einen ausgeprägten Phlegmatismus und eine Beharrlichkeit, die aber wiederum durch das „westliche“ Denken balanciert werden können. Anstelle eines rechnenden Denkens, eines besinnlichen Denkens, eines dialektischen Denkens oder eines kritischen oder eines rhizomatischen Denkens formuliere ich als Ziel das totale Denken, das in einem mimetischen Verhältnis zur Gesamtheit der Wirklichkeit liegt. Literaten wie Büchner, Lautréamont und Rimbaud, die in ihrer Literatur gleichsam eine halluzinatorische Totalsicht auf die gesamte Wirklichkeit entwerfen, dienen mir als Vorbilder für das „Einheits-Bewusstsein“, von dem ich hoffe, dass es eine brauchbare Heuristik für das Globalisierungszeitalter oder überhaupt eine kommende planetarische Gesellschaft sein kann. Nietzscheanisch gesprochen wäre das totale Denken das des Übermenschen. Das Einheits-Bewusstsein ist ein demokratisches Bewusstsein, in dem alle seine Inhalte an sich gleichberechtigt nebeneinanderstehen – trotzdem aber eben analytische Unterscheidungen getroffen werden und die Notwendigkeit dieser Unterscheidungen anerkannt wird. Adorno formuliert in der Negativen Dialektik auch die Sehnsucht nach einer Philosophie, „die ans Kleinste heranreicht“ (trotzdem sie, wie bei der Philosophie notwendig, auf einem sehr hohen Niveau der Abstraktion und Verallgemeinerung arbeitet), und wie mir scheint, kann ich die liefern. „Ans Kleinste heran“ reicht man mit mimetischer Individualität und mit Empathie, und das sind zentrale Werte meiner Philosophie. Meine Hoffnung ist, eine Philosophie der Einheitlichkeit zu formulieren, da das meinem Weltempfinden entsprechen würde, vor allem aber doch einem Drang folgt, der in der Vernunft liegt. In dem Sinn ist meine philosophische Stoßrichtung nicht „postmodern“ oder „Differenz“-philosophisch – gleichwohl sie sich der notwendigen Ausdifferenzierungen, die diese philosophischen Stränge vorgenommen haben, bewusst ist und sie auch willkommen heißt: sie allerdings so sehr intellektuell ausdifferenzieren will, dass sie dann auch wieder überwunden werden. Der Impetus meiner Philosophie ist, so universal zu sein wie möglich. Insofern meine Philosophie „westliches“ und „östliches“ Denken zusammendenken will, sollte sie sich auch für das „nördliche“ und „südliche“ Denken interessieren, um tatsächlich „total“ zu sein und eine Mimesis zum „Geviert“ zu sein. Das habe ich bislang noch kaum gemacht und sollte daher auch Gegenstand zukünftiger Beschäftigungen sein (wenngleich das „südamerikanische“, „afrikanische“, „skandinavische“, „russische“ etc. Denken mythologisch zu bleiben scheint und nicht philosophisch übersetzbar – aber dafür vielleicht in irgendwas anderes). In diesem Streben nach Universalität wird versucht, eine möglichst totale geistige Perspektive zu etablieren, die die menschliche Subjektivität und die menschliche Psychologie unter sich lässt. Das ist in der Philosophie natürlich üblich (oder war es früher einmal), ebenso, wie dass solche Versuche letztendlich scheitern. Daher wird bei meinem Philosophieren versucht, die Grenzen der Subjektivität so zu erweitern, dass sie objektiv bedeutsam wird. Außerdem finden in meinen auf Universalität angelegten Betrachtungen immer wieder erhebliche („exzentrische“ und literarische) Einbrüche der Subjektivität statt, die, wie ich festgestellt habe, auf einem solchen Niveau als Korrektiv fungieren müssen. Im Selbstverständnis meiner Arbeiten werden definitive Feststellungen vermieden (da sie in der Philosophie offensichtlich sowieso nicht möglich sind), stattdessen verstehen sie sich als experimentelle Annäherungen an die Wirklichkeit (allerdings als gut begründete Experimente), oder als Plateaus, die einstweilen über den Abgrund des Nichtwissens und Nichtverstehens geschoben werden. Grundsätzlich geht es in meinen philosophischen Bemühungen darum, Freundlichkeit und universellen Kontakt zu ermöglichen. Darin ist sie – was Heidegger wohl gefreut hätte – anti-neurotisch, authentisch und „eigentlich“. Wahrscheinlich ist das auch jener „mystische“ oder metaphysische Kern des Absoluten, über den z.B. der rein rationale Tractatus nicht sprechen kann, sondern schweigen muss. Aber wie mir scheint, ist meine eigene Philosophie da recht beredt darüber (wobei Wittgenstein dieses „Mystische“, das er in seiner Philosophie nicht versprachlichen konnte, durch sein ungewöhnliches und hochmoralisches Leben allerdings gelebt und dementsprechend illustriert hat – gleichsam analog zu seinem eigenen Diktum: Der Sinn lässt sich nicht sagen, er zeigt sich. Solche Lebensmöglichkeiten, also in etwa des Heiligen, interessieren mich ebenfalls). Das Heilige, oder der richtige Lebensvollzug, liegt offenbar, wie es Otto Weininger als Gedanke anstößt, in der gleichzeitigen Verwirklichung von Logik und Ethik. Logik (die allein noch nicht notwendigerweise ethisch ist) und Ethik (die allein noch nicht notwendigerweise logisch ist) sind Kategorien, die weit über das Individuum hinausreichen und es objektivieren und universalisieren, so es sich denn an ihnen orientiert; sind Achsen, die bis an die Grenzen des sichtbaren und bekannten Universums laufen. Indem das Subjekt sich in Logik und Ethik gleichermaßen verankert, verankert es sich, nachdem was uns bekannt ist, absolut im Universum. Offenbar ist das die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.

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Generally speaking, my philosophy is that of “chaosmos”, i.e. the interplay of order and chaos/coincidence, respectively the static and the dynamic. Usually, in philosophical systems, or in the private ideologies of people, one of these principles in favored over the other, leading to a somehow one-dimensional worldview. My aim is to grasp the world in its totality. The chaosmos is my metaphysical principle. At the same time, it is also the possibility for me to grasp the world in purely “physical” terms, as the cosmos actually is a chaosmos, an interplay of order and coincidence (it can be mathematically proven that any dynamic system – i.e. any “world” – relies on an interplay of order and chance). So my metaphysics is not, as one might call it, an „esoteric“ metaphysics, but firmly anchored in rationality. To grasp the chaosmos, I plead for a corresponding flexibility and fluidity of mind and emotional understanding. In this respect, I am constantly working of bringing “western” (scientific-analytical, philosophical, technological, etc.) thinking and “eastern”  thinking (mainly via Zen Buddhism and Taoism), together. “Eastern” thinking is seemingly pre-philosophical, yet in fact meta-philosophical, and knows states of enlightenment which equate to a breakthrough to transcendental subjectivity in western philosophical understanding. Despite that, „Eastern“ thinking also has its weaknesses, such as a distinct phlegmatism and perseverance, which yet can in turn be balanced by „Western“ thinking. Instead of “rechnendem Denken” or “besinnlichem Denken”, dialectical thinking, or critical thinking, or rhizomatic thinking, I aim to formulate total thinking (das totale Denken), which is a mimetic adaption to the totality of reality. Poets such as Büchner, Lautréamont and Rimbaud, who in their literature draw a hallucinatory total view on the whole of reality, serve to me as role models for the „unitary consciousness“, which I hope can be a useful heuristics for the age of globalization, or even a future planetarian society. Speaking in Nietzschean terms, the total thinking would be that of the overman. The unitary consciousness is a democratic consciousness in which all its contents are equal to each other – but still analytical distinctions are made and the necessity of these distinctions is recognized. Adorno also formulates in the Negative Dialektik the longing for a philosophy that „reaches to the tiniest and most individual of things” (yet, as necessary in philosophy, it works at a very high level of abstraction and generalization), and I think I can deliver that. „Reaching to the most individual of things” can be done with mimetic individuality and empathy, and these are central values of my philosophy. My hope is to formulate a philosophy of oneness, as that would correspond to my worldview, but above all, still follows an urge that lies in reason itself – as reason likes to see the world as “one”, and not as hopelessly heterogenous (though I am nevertheless quite aware that it is “hopelessly” heterogenous). In this sense, my philosophical direction is not „postmodern“ or a philosophy of „difference“ – although it is aware of the necessary differentiations that these philosophical strains have made and it also welcomes them: however, in a grand (emotional) gesture, my philosophy longs to embrace the world so thoroughly and completely, that the heterogenous aspects become overpowered. The impetus of my philosophy is to be as universal as possible. As far as my philosophy wants to combine „western“ and „eastern“ thinking, it should also be interested in „northern“ and „southern“ thinking, in order to actually be „total“ and be a mimesis to the Heideggerian Geviert. I have hardly done that so far, therefore it should occupy me in the future (although the „South American“, „African“, „Scandinavian“, „Russian“ etc. thinking seems to remain mythological thinking that cannot be translated into philosophy – but maybe into something else). In this pursuit of universality, it is attempted to establish the most universal and total mental perspective possible, which leaves ordinary human subjectivity and human psychology behind. This is, of course, common in philosophy (or it used to be), just as it is common that such attempts ultimately fail (yet, in an interesting or even “heroic” manner). Therefore, in my philosophy, an attempt is to expand the boundaries of subjectivity in such a way that subjectivity becomes objectively significant. As a countermeasure, in my considerations aiming at universality, significant („eccentric“ and poetic) breaches of subjectivity occur again and again, which, I have found, must act as a corrective at such a level. In the self-understanding of my work, definitive or doctrinarian claims and statements are avoided (as they are obviously not possible in philosophy anyway), but instead they are understood as experimental approaches to reality (but as well-reasoned experiments), or as plateaus that are gradually pushed across the abyss of ignorance and misunderstanding. Fundamentally, my philosophical efforts are to enable kindness and universal contact. In this my philosophy is – which Heidegger would have liked – anti-neurotic, authentic and „eigentlich“. Probably this is also the „mystical“ or metaphysical core of the absolute, about which, for example, a purely rational Tractatus cannot speak, but must remain silent. But it seems to me that my own philosophy is quite vocal about this (whereas Wittgenstein illustrated this “mystic” core of philosophy through his unusual and highly ethical lifestyle – that of not only a philosopher, but of a saint. Such possibilities in life – becoming a saint, or close to that – interest me as well). The meaning of life and the possibility for saintliness I consider formulated by Otto Weininger, when he says that man´s duty is to succumb both to ethics as well as to logics. Logic (which alone is not necessarily ethical yet) and ethics (which alone isn’t necessarily logical yet) are categories that extend far beyond the individual and objectify and universalize the individual, both ethics and logics are axes that run to the outer limits of the visible and known universe. When the subject, when man, is equally anchored in logic and ethics, he is, according to what what we can imagine, anchored absolutely in the universe. Apparently this is the answer to the question about the meaning of life.

Bemerkungen zu Leibniz

Keine andere Philosophie hat die Bejahung der einzigen und selben Welt und eines unendlichen Unterschieds oder einer unendlichen Mannigfaltigkeit in dieser Welt weiter getrieben.

Gilles Deleuze

Leibniz bejaht die Welt und die Mannigfaltigkeit in der Welt, weil die leitende Vorstellung bei ihm die der Harmonie ist. Harmonie bedeutet in der Musik den wohltönenden Zusammenklang von Tönen. Das bedeutet nicht, dass die einzelnen Töne alle schön sind, ihr gleichzeitiges Auftreten im Ganzen ergibt den Einklang, den Zusammenklang. Leibniz soll auch eine eingehende Abhandlung über Musik verfasst haben, die aber verschollen ist. Die Musik des Zeitalters von Leibniz, des Barockzeitalters, wurde von Johann Sebastian Bach vollendet. Die Musik von Bach ist an geistiger Intensität, an geistiger Fähigkeit, Komplexität zu bewältigen, wohl nicht zu überbieten. Trotzdem erhebt die Komplexität ihr Gorgonenhaupt immer wieder und die Aufforderung, Komplexität zu bewältigen stellt sich immer wieder neu. Das Disharmonische wurde schon vor geraumer Zeit in die Musik eingeführt. Trotzdem haben auch disharmonische Kompositionen ein sinnvolles Ganzes zu ergeben, eben eine Komposition zu sein, oder zumindest auf einer (ordnenden) Inspiration zu beruhen. Wie kann man heute Einheit in der Vielheit, wie kann man Harmonie heute denken? Die so genannte Postmoderne gilt als Absage an das Einheitsdenken (das – und das auch nicht zu Unrecht – als vereinnahmend und totalitär zurückgewiesen wird). Allerdings versucht genau der („postmoderne“) Differenzphilosoph Deleuze Harmonie und Einheit in der Vielheit zu denken. Darauf beruht das hohe Charisma seines Denkens und seiner Sprache. Überhaupt ist das postmoderne Denken und seine Sprache von einer hohen ästhetischen Sogkraft, und daher, in seiner Buntheit, auch irgendwie, implizit, harmonisch. Auch wenn das postmoderne Differenzdenken wohl recht hat. Die Differenz – der tatsächlich mangelnde Einklang – zwischen individuellen Einheiten, ist sicherlich was Reales. Zu glauben, zwischen Lebewesen herrsche nur Einklang – oder ein Missklang, der aber ausgeräumt werden könne, wenn er denn herrscht – ist sicherlich zu romantisch. Ich kenne diesen Imperativ zum Denken der Vielheit in Einheit aber auch. Auch ich mag Harmonie und strebe sie an. Auch ich frage mich: wie kann man Vielheit und Einheit zusammendenken? Denn ich empfinde die Welt nicht als zusammenhangslos, sondern als (letztendlich irgendwie) harmonischen Zusammenhang, eventuell sogar Zusammenklang. Das Streben nach Harmonie und auch die Wahrnehmung von Harmonie liegt im eigenen Geist und im eigenen Gefühl. Jemand, der ohne musikalisches Gehör ist, wird die Harmonie als solche nicht wahrnehmen oder sie anders wahrnehmen. Harmonie ist, zu einem gewissen Grad, eine subjektive Halluzination. Das heißt aber nicht, dass ihr nichts Objektives entspricht. So ziehe ich denn einen großen Kreis und sage: Somit markiere ich hier die Arena, es ist die ganze Schöpfung, es ist das Universum; alles was sich darin aufhält, teilt dasselbe Schicksal und im Hinblick darauf ist alles darin einheitlich, auch wenn es in den anderen Aspekten noch so verschieden ist oder einander schädlich ist. Es herrscht ein gerüttelt Maß an – unhintergehbarem – Chaos im Universum. Die Perversion und der Zerfall ist Teil der Schöpfung. Aber es ist eben trotzdem ein Universum. Nach dem, was wir heute zu wissen scheinen, ist es sogar ein höchst erstaunliches Universum. Ein extrem feinabgestimmtes Universum. Würden die Naturkräfte nur ein klein wenig anders aufeinander abgestimmt sein oder wäre die Zahl der Dimensionen eine andere, würde alles im Universum auseinanderfliegen oder kollabieren. Dass unser Universum so ist, wie es ist, gilt als extrem unwahrscheinlich. Doch ist es so. In dem Sinn hat Leibniz Recht, und Gott hat scheinbar eine extrem unwahrscheinliche Wahl getroffen und ein Universum geschaffen das, in Bezug auf uns, harmonisch ist. Das Böse ist etwas, das nicht sein sollte (definiert Heidegger es). Doch dass es sein kann, ist eben der höheren Harmonie zu verdanken. Also sollten wir uns nicht so leichtfertig beschweren. Dass Existenz überhaupt möglich ist, dass Sein ist gegenüber dem Nichts, ist allein schon einmal ein Phänomen von hoher Qualität; dass neben gutem Sein auch schlechtes Sein da ist, hingegen ist von nachgeordneter Bedeutung diesbezüglich, ist ein Derivat. Wir halten fest an der außer Zweifel stehenden Lehre, die Zahl der ewig Verdammten sei unvergleichlich größer als die der Geretteten, und müssen trotzdem sagen, dass das Übel, verglichen mit dem Guten, fast wie ein Nichts erscheint, wenn man auf die wahre Größe des göttlichen Staates achtet. (Theodizee 19) Und: Die Glückseligkeit alles vernunftbegabten Geschöpfe ist eines der Ziele, nach denen (Gott) trachtet, aber sie ist nicht sein ganzes, ja nicht einmal sein höchstes Ziel. Aus diesem Grunde kann also das Unglück einiger dieser Kreaturen begleitweise und gleichsam als Folge anderer weit größerer Güter eintreten … Gott erzeugt so viel Vernunft und Erkenntnis in der Welt, wie sein Plan es zulässt. (Theodizee 119) Harmonie ist der wohltönende Zusammenklang von Tönen. Damit es Harmonie gibt, oder damit Harmonie auferscheint, sind aber eben einzelne Töne notwendig. In vielen Philosophien und Metaphysiken scheinen keine einzelnen Töne auf. Parmenides ist der erste Philosoph, der das Sein im Ganzen zu denken versucht. Es ist aber ein starres und einziges Sein. Bei seinem Antipoden Heraklit ist das Sein zwar dynamisch, aber nicht unbedingt harmonisch. Auch bei Leibnizens Zeitgenossen Spinoza – dem Leibniz offenbar intellektuell nicht wenig verdankt – hat man eine einzige Substanz und die Einzelwesen mehr oder weniger als Emanation dieser Substanz. Das ergibt dann einen gewissen Widerspruch – oder disharmonischen Misston – zwischen dem Postulat einer starren und notwendigen Entfaltung dieser Substanz und der Freiheit, die den Lebewesen doch zu eigen ist. Leibniz löst (so gesehen) den Misston auf, indem er die Substanz individualisiert. Diese individualisierten Substanzen sind dann autonom. Das System der prästabilisierten Harmonie ist am Besten geeignet, dieses Übel zu beseitigen. Denn es zeigt, dass es einfache, unausgedehnte Substanzen geben muss, die in der ganzen Natur verbreitet sind, dass die einzelnen Substanzen von allen anderen, nicht nur von Gott, unabhängig subsistieren und dass sie niemals ganz von organisierten Körpern getrennt sind. (Theodizee 10) Leibnizens Metaphysik geht von den Einzelwesen aus. Das sind bei ihm die so genannten Monaden. Die Monade, von der wir im Folgenden sprechen werden, ist nichts anderes als die einfache Substanz, welche in die Zusammengesetzten eingeht; einfach, das heißt ohne Teile. (Monadologie 1) Es sind diese Monaden die wahrhaften Atome der Natur und, kurz gesagt, die Elemente der Dinge. (Monadologie 3) Die Monaden sind kontingent, aber (als Substanzen) unzerstörbar. Als Substanzen, die kontingent sind, müssen sie daher notwendig von einem absoluten Grund zu Anbeginn der Zeit geschaffen worden sein: also von Gott. Obwohl sie Einzelwesen sind, tragen sie sozusagen den Plan der ganzen Schöpfung mit sich und in sich, sie sind lebendige Spiegel des ganzen Universums: Überdies ist jede Substanz gleichsam eine ganze Welt und wie ein Spiegel Gottes oder vielmehr des ganzen Universums, das jede auf ihre Weise ausdrückt, etwa so, wie die eine und selbe Stadt nach unterschiedlichen Standorten des Betrachters verschiedenartig vorgestellt wird. Daher wird das Universum gewissermaßen so viele Male vervielfältigt, wie es Substanzen gibt, und die Ehre Gottes wird allen diesen so völlig verschiedenen Vorstellungen seines Werkes entsprechend vermehrt. Man kann sogar sagen, dass jede Substanz in irgendeiner Weise das Merkmal der unendlichen Weisheit und der Allmacht Gottes trägt und ihn nachahmt, soweit sie es vermag. Denn sie drückt, wenn auch undeutlich, alles das aus, was im Universum geschieht, Vergangenes, Gegenwart und Zukunft, was eine gewisse Ähnlichkeit mit einer unendlichen Perzeption oder Erkenntnis hat, und da alle anderen Substanzen diese wiederum ausdrücken und sich ihr anpassen, so lässt sich sagen, dass sie, in Nachahmung der Allmacht des Schöpfers, ihre Macht auf alle anderen Substanzen ausdehnt. (Metaphysische Abhandlung 9) Es erscheint sehr anmutig und versöhnlich, dass alle Monaden, und dass auch die Monade, die ich bin, lebendige Spiegel des ganzen Universums sind – und ein Universum in sich sind; überdies Abglanz einer großen Vollkommenheit. Auch wenn Leibniz seine Metaphysik auf rationalen Schlussfolgerungen aufzubauen sucht, kommt sie hierin einer mystischen Schau und Zuständen einer mystischen Erleuchtung recht nahe. Das ist nicht unbedingt was Schlechtes. Metaphysik versucht ja, Sinn zu machen und unseren Sinn in einem unerklärlichen, sich entziehenden Universum zu erklären oder zu postulieren. Hierin hat die Metaphysik von Leibniz eine gewisse Schönheit und Anrührigkeit. Noch schöner und anrühriger wird es, wenn Leibniz schließlich zur letztmöglichen metaphysischen Schau vordringt, der der Existenz als Gottesstaat. Daher (weil alle Monaden lebendige Spiegel des Universums sind, Anm.) kommt es, dass die Geister in eine Art von Gesellschaft mit Gott gelangen können und dass dieser in Bezug auf sie nicht allein das ist, was ein Erfinder für seine Maschine ist (das ist Gott in Bezug auf die anderen Geschöpfe), sondern zudem das, was ein Fürst seinen Untertanen ist und selbst ein Vater seinen Kindern. (Monadologie 84) Alle Monaden haben mehr oder weniger klare Ansichten und Eindrücke von Gott. Tiere haben deren wenig bewusste Anschauungen, Menschen bewusstere, besonders klare Monaden, wie die der Heiligen aller Art, sehen Gott am deutlichsten. In der Monarchie des Gottesstaates sehen die Monaden also Gott, und Gott ist die höchste aller Monaden. Gott zu sehen ist die höchste Glückseligkeit für alle Monaden: Gott ist der Monarch der vollkommensten, aus allen Geistern zusammengesetzten Republik, und die Glückseligkeit dieses Gottesstaates ist seine Hauptabsicht. (Metaphysische Abhandlung 36) Eine glückselige Republik muss aber eine gute Republik sein, und um gut zu sein, muss die Republik moralisch sein: Dieser Gottesstaat, diese wahrhaft universale Monarchie, ist eine moralische Welt in der natürlichen Welt und das erhabenste und göttlichste unter den Werken Gottes. (Monadologie 86) Moralisch bedeutet, dass sie gerecht ist, und gerecht bedeutet, dass Handlungen adäquate Konsequenzen nach sich ziehen: Darum treten alle Geister, sowohl Menschen wie Geister, aufgrund der Vernunft und der ewigen Wahrheiten in eine Art von Gemeinschaft mit Gott ein, sind Mitglieder des Gottesstaates, d.h. des vollkommenen Staates, der durch den größten und besten Monarchen gebildet und regiert wird, worin es kein Verbrechen ohne Strafe gibt, keine guten Handlungen ohne die entsprechende Belohnung und schließlich so viel Tugend und Güte wie möglich. (Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade 15) Leibniz unterscheidet hier von einem physischen Reich der Natur und einem moralischen Reich der Gnade. Im physischen Reich der Natur mag uns scheinbar keine Gerechtigkeit widerfahren. Das jedoch auch deswegen, weil wir die zahllosen, universellen Verkettungen, in die wir eingelassen sind, nicht zu überschauen vermögen. Das Reich der Gnade überschaut jedoch gleichsam diese Verkettungen und löst sie in einen harmonischen Wohlklang auf, den wir, als Angehörige des Gottesstaates, dann vernehmen können. Gemäß Leibniz leben wir in der besten aller möglichen Welten. Diese Welt ist eine Welt von Monaden, Einzelwesen, die sich (tatsächlich) frei und autonom verhalten. Der göttliche Verstand allein sieht vor, wie sie sich verhalten und stimmt, aus ihren unzähligen Verhaltensweisen, den Gesamtplan ab – der dann die beste aller möglichen Welten ist, und das Höchstmaß an Harmonie beinhaltet. Gott selbst ist die höchste aller Monaden und die universelle Harmonie. Ordnung und harmonische Beziehungen vermögen uns zu entzücken, die Künste der Musik und der Malerei sind ein Abbild davon, Gott dagegen ist die Ordnung selbst, in ihm herrscht strengste Folgerichtigkeit der Beziehungen, und er ist mit der universellen Harmonie identisch; alle Schönheit schließlich ist nichts als ein Abglanz der von ihm ausgehenden Strahlen. (Theodizee, Vorrede) (Die Leibnizsche Vorstellung, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben würden, wird am bekanntesten im Candide von Voltaire lächerlich gemacht. Als ich vor langer Zeit einmal den Candide lesen wollte, ist er mir aber selber lächerlich und erstaunlich primitiv vorgekommen. Ich muss es noch mal probieren damit. Die Schriften von Leibniz hingegen lese ich gerne immer wieder einmal.)

Die Metaphysik von Leibniz erscheint als eines der versponnensten Stücke der Philosophie überhaupt, als Phantastik. Zwar ist sie von hoher interner Konsistenz. Doch genau diese internen Konsistenzen erzeugen Schlussfolgerungen, die im Sinn der externen Konsistenz als haarsträubend anmuten. Immaterielle Substanzen; tatsächlich als solche abgrenzbare Einzelwesen; Seelen, in denen sich das ganzen Universum spiegelt; Vollkommenheiten und beste aller möglichen Welten; prästabilisierte Harmonien… Wenn man jedoch von einem Gott, der vollkommen ist, ausgeht – und eine andere Grundannahme war Leibniz und seinen Zeitgenossen praktisch unmöglich (warum eigentlich?) – dann erscheint es naheliegend, dass wir eben in der besten aller möglichen Welten leben. Wenn ein vollkommener Gott die Welt geschaffen hat, muss diese Welt ja weniger vollkommen sein als er, sonst wäre die Welt ja mit Gott identisch (was dann Pantheismus oder Spinozismus wäre). Die Geschöpfe Gottes können nicht so vollkommen sein wie er, vor allem, wenn man sie in ihrer Eigenständigkeit und Autonomie belassen will. Es folgt daraus auch, dass die Geschöpfe ihre Vollkommenheit dem Einfluss Gottes verdanken, ihre Unvollkommenheit aber ihrer eigenen Natur, die nicht ohne Schranken sein kann. Denn eben darin sind sie von Gott verschieden. (Monadologie 42) Um solche Schlussfolgerungen zu vermeiden, wäre es daher angebracht, gar nicht mit der Vorstellung von einem vollkommenen Gott anzufangen, aber an dieser Vorstellung hing für Leibniz und die meisten seiner Zeitgenossen zu viel und ein ganzer Rattenschwanz von anderem dran, als dass man sich ihrer entledigen hätte können. Bestünde die Möglichkeit, der Vollkommenheit eine Absage zu erteilen (und Gott als eminentes, aber unvollkommenes Wesen zu begreifen). Das wäre logisch, da Begriffe von Allmacht und Vollkommenheit zu inneren Widersprüchen führen, und obendrein menschliche Begriffe sind, von denen man gar nicht weiß, was sie eigentlich bedeuten und inwieweit sie in der Wirklichkeit etwas bedeuten. Wie so oft Spinoza es tut, verwendet Leibniz den Begriff der Vollkommenheit, indem er ihn definiert (d.h. setzt). Zum Beispiel: Daraus folgt, dass Gott absolut vollkommen ist, insofern Vollkommenheit nichts anderes als die Größe der positiven Realität ist, die eben so genommen wird, dass alle Grenzen oder Schranken in den Dingen, die eine haben, zur Seite gesetzt werden. Und dort, wo es keine Schranken gibt, d.h. in Gott, ist die Vollkommenheit absolut unendlich. (Monadologie 41) Kann man also sagen, dass Gott maximale Seinsfülle sei. Damit spiegelt sich dann auch die Qualität der von ihm geschaffenen Welt weniger in einer starren Harmonie als in einer möglichst exorbitanten Vielheit der Geschöpfe und einer ständigen Neuheit, die geschaffen wird. Zumindest Gilles Deleuze zieht die Schlussfolgerung: Die beste aller Welten ist nicht diejenige, welche das Ewige reproduziert, sondern diejenige, worin sich das Neue hervorbringt, die eine Fähigkeit zur Neuartigkeit, zur Kreativität besitzt: teleologische Konversion der Philosophie. (Die Falte. Leibniz und der Barock, Kapitel 6) Neuheit und Werden sind zentrale Elemente im Deleuzianischen Philosophieren, und tatsächlich ist die Philosophie von Leibniz auch eine Philosophie der geistigen Spontaneität und Freiheit, und des Werdens. Monaden sind für Leibniz so etwas wie Entelechien, Einzelwesen, die sich entwickeln. Den einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden könnte man auch den Namen der Entelechien geben. (Monadologie 18) Genau gesagt, ist damit gemeint, dass einer Monade eine Entelechie zugrunde liegt. Die Monade ist vom Prinzip her schon, präformiert, in ihrem Samenkorn, aus dem sie sich schließlich entfaltet, enthalten. In dem Sinn könnte ich sagen: Meine Monade, und die Monade eines jeden Lebewesens, ist eine tatsächliche Monade – und zwar ihr jeweiliger genetische Code. Davon hat Leibniz nichts gewusst, und so bleibt vieles im Zusammenhang mit seiner Monadologie unklar. Was ist eigentlich ein Einzelwesen, eine Seele, etwas, das die Integrität eines Einzelwesens oder einer Seele hätte? Bekanntlich sagt der Deutsche: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust (und hält das scheinbar für den Gipfel der Komplexität); spätestens die Postmoderne begreift das Subjekt als uneinheitlich und das Ich als ein „Ich ist ein anderer“; Derek Parfitt führt überzeugende Argumente gegen den Begriff der Person an. Natürlich kann man das als Spitzfindigkeiten ansehen, die nicht sehen, wo der Hund eigentlich begraben ist (und dass es Einzelwesen eben tatsächlich gibt), aber sie beunruhigen doch. Leibniz auf jeden Fall kommt aber abermals auf den Begriff der Monade, weil er vom Begriff der Substanz ausgeht, was, wie wir schon bei Spinoza gesehen haben, auf Abwege führen muss (da Substanz ein bloßer Begriff ist, dem in der Wirklichkeit so nichts entspricht). Da Leibniz meint (und logische Argumente dafür anführt), eine Substanz könne nicht teilbar sein, muss die Substanz für ihn unausgedehnt und immateriell sein (was die Substanz freilich noch seltsamer aussehen lässt). Das sind dann die einzelnen Monaden. In ihrem Kern sind die Monaden Seelen (die allerdings nur in Verbindung mit einem Körper auftreten, der allerdings nicht Teil der Substanz ist, sondern etwas (aus unzähligen anderen Monaden und ihren Körpern) seinerseits Zusammengesetztes). Dann hat man, aus rationaler Sicht wieder das Problem: was soll eine Seele sein? (wenn man statt ihrer den genetischen Code setzt, sollte es aber eben gehen). Da die Monaden Substanzen sind, können sie, als solche, sich nicht gegenseitig beeinflussen: Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas in sie hineintreten oder sie verlassen könnte. (Monadologie 7) Daraus folgt dann wieder, dass das Verhalten der Monaden zueinander eine prästabilisierte Harmonie sein muss usw. So gesehen führen die Konsequenzen der Leibnizschen Metaphysik wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück, was man als ein wenig zirkulär betrachten könnte. Trotzdem lässt die Leibnizsche Metaphysik die Entwicklung, die Entelechie, auch den Fortschritt hochleben. Die angenehme, beschauliche Prozessphilosophie von Whitehead könnte man als eine modernisierte Version der Leibnizschen Philosophie ansehen. Vor allen Dingen für Gilles Deleuze „bleiben wir Leibnizianer“, obwohl es nicht mehr die Zusammenklänge sind, die unsere Welt oder unseren Text ausdrücken. Wir entdecken neue Weisen zu falten und neue Hüllen, wir bleiben aber Leibnizianer, weil es immerzu darum geht, zu falten, zu entfalten, wieder zu falten. (Die Falte. Leibniz und der Barock, Schluss) Deleuze freut sich und „bleibt Leibnizianer“, weil er in der Philosophie von Leibniz eine vitalistische Philosophie herausliest, in der die Entwicklungen aber weniger von menschlichen Subjekten (die ihm suspekt sind) ausgehen, als von Monaden, die sich ständig zu neuem falten und entfalten und neue Verbindungen und Verknüpfungen herstellen. Wie kann man noch an den alten Leibniz anknüpfen? Leibniz unterscheidet zwischen einem physischen Reich der Natur und einem göttlichen Reich der Gnade im Gottesstaat. Das erscheint eskapistisch. Aber auch rational betrachtet können wir wohl zwischen einem physischen Reich der Natur und einem ideellen Reich der Gnade unterscheiden. Das physische Reich der Natur ist ein amoralisches von reinen Ursache-Wirkungszusammenhängen. Diese haben an und für sich keine moralischen Qualitäten. Doch das ideelle Reich der Gnade und der Moral ist, recht besehen, ebenfalls Teil des Reiches unserer Natur. Dieses ideelle Reich der Moral scheint tief in unser physisches Reich der Natur hinein. Seiner gleichsam physischen Natur zufolge scheint der Mensch geradezu besessen davon, alles moralisch zu beurteilen und der Großteil der zwischenmenschlichen Kommunikation dreht sich darum, zu bewerten, was moralisch richtig ist und was moralisch falsch ist. Zwischen dem physischen Reich der Natur und dem ideellen Reich der Gnade gibt es halt mal nicht notwendigerweise Übereinstimmung, da das physische Reich der Natur materiell und konkret ist, und das göttliche Reich der Gnade ideell ist und abstrakt. Gerade aber weil es ideell und abstrakt ist, scheint es die materiellen Konkretheiten zu überdauern. Ungerechtigkeiten im Hier und Jetzt werden früher oder später als solche erkannt und benannt werden und dann findet ein Ausgleich statt. So hofft man. Im ideellen Reich der Gnade findet der Ausgleich unmittelbar statt, mehr noch, er war schon vorher vorhanden; da es ein abstraktes Reich ist, ist es zeitlos und ewig. Die Schau dieses zeitlosen und ewigen Reiches ist tatsächlich eine Gnade. Das physische Reich der Natur erscheint dagegen wie ein hilfloses Abstrampeln. Es kann eventuell gar nicht gesagt werden, welches das mächtigere Reich ist: das physische der Natur oder das ideelle der Gnade. Klar ist, dass es, solange es ein physisches Reich der (menschlichen) Natur geben wird, es auch ein ideelles Reich der Moral und der Gnade geben wird. Man kann die Frage, welches Reich stärker ist, rational eventuell so lösen, indem man sie verwindet. Es wäre ein Versuch zu werten, und werten ist letztendlich unmöglich, da Qualitäten sich immer wieder ändern und sowieso nicht eindeutig bestimmbar sind. Lasse man es vielleicht dabei bewenden, dass das physische Reich der Natur und das ideelle Reich der Gnade, als jeweilige Nemesis, füreinander bestehen bleiben und es, aufgrund der Spontaneität der lebendigen Einzelwesen und der lebendigen Prozesse, nicht vorhersehbar ist (außer für den göttlichen Verstand), welches Reich sich da und dort durchsetzen mag. Von großem Interesse aber natürlich, ob wir tatsächlich, so wie Leibniz meint, in der besten aller möglichen Welten leben, oder ob, wie Schopenhauer dem höhnisch entgegensetzt, es nicht vielmehr die schlechteste aller Welten sei (denn, wenn sie nur noch ein wenig schlechter wäre, würde sie überhaupt zusammenbrechen). Was wird wohl die letzte Antwort auf diese Frage sein? Aber die letzte Antwort wird die Antwort sein, die immer schon als solche sich aufgetan hat: nämlich das es einmal nach dem einen erscheint, dann wieder nach dem anderen. Leibnizens Antwort auf diese Frage ist auf jeden Fall eine optimistische, während sich Schopenhauer bekanntlich dem Pessimismus verschreibt. Allerdings keinem Pessimismus, der der heutige Vernunft- und Zivilisationspessimismus wäre. Denn auch Schopenhauer begreift die Welt als einheitlich. Und er begreift sie metaphysisch. Heute hingegen leben wir eher in einem nachmetaphysischen Zeitalter, in dem Ansprüche an die universale und universalisierende Kraft der Vernunft zurückgewiesen werden, zugunsten von „Differenzen“. Das hat gute Gründe, da sich solcherart universalisierende Vorstellungen und Metaphysiken als unhaltbar erwiesen haben. Allerdings ist eben auch das nachmetaphysische Zeitalter der Differenzen kein wirklich glückliches, noch optimistisches. Der Mensch strebt – und das auch aus einem ganz praktischen und moralischen Bedürfnis heraus – nach Zusammenhang, Einklang, Sinn und Harmonie. Pessimismus ist nicht jedermanns Sache. Daher wäre eine Philosophie, die die Nachmetaphysik überwindet, wieder einmal gut. Sloterdijk formuliert im Andenken an Leibniz: Für die künftige Geschichte der Menschheit wird es von Belang sein, ein Prinzip des Optimismus (oder zumindest ein Prinzip des Nicht-Pessimismus) mit nach-leibnizschen Mitteln zu regenerieren. Falls dies gelänge: Wer wollte ausschließen, dass spätere Generationen in Leibniz einen ihrer wichtigsten Anreger finden werden? (Philosophische Temperamente, Leibniz) Versuchen wir es so zu betrachten: Irgendeine Harmonie wird es in der Welt schon geben, sonst wäre die Welt ja ein Chaos. Nur weil etwas nicht chaotisch ist, ist es freilich nicht notwendigerweise harmonisch – aber wer weiß, und man kann versuchen, es so zu betrachten. Aus einer höheren Dimension betrachtet ist die Welt vielleicht harmonisch, aus dem Phasenraum heraus betrachtet ist sie vielleicht das (und aus dieser höheren Dimension heraus – und aus diesem Phasenraum heraus – versucht ja auch Leibniz sie zu betrachten). Es ist sicherlich gut, sich Ansichten aus höheren Dimensionen zu erwerben bzw. diese anzustreben. Genug und übergenug Menschen, inklusive Philosophen, machen das nämlich nicht, und bleiben im Konkreten und im Tagespolitischen – oder eben im Egoischen – hängen. Da sie ihre eigenen Konkretheiten nicht transzendieren, ist ihr Diskurs tatsächlich ziemlich disharmonisch; vorgetragen in einer zerstörten und verstümmelten Sprache, die tatsächlich kaum der Verständigung dient. Vergessen wir die Differenz nicht, aber versuchen wir doch wieder, das Universale anzustreben. Denn das Universale schafft Ausgleich zwischen den Kräften, im Prinzip daher Harmonie. Zwar kann das Anstreben von Universalität aus einem egomanischen Motiv oder einem Willen zur Macht heraus passieren, und eventuell will es sich auch als solches verwirklichen. Dann ist das halt ein schlechtes Universales, dem wir eben ein das Egoische transzendierendes, ins Allgemeine vorstoßendes gutes Universales entgegensetzen und an dem wir festhalten wollen. Das Universale wäre dann so was wie eine Anschauung Gottes. Problem: es gibt keine universale Art, das Universale anzuschauen, keine einheitliche Art, Gott sich vorzustellen. Das Streben nach dem Universalen könnte also zu dessen Gegenteil, zu Meinungsverschiedenheiten und Krieg führen. Das sind dann Dinge, die passieren, und sie passieren immer wieder aus Gründen. Der Grund ist: unsere Existenz splittet sich in Einzelwesen auf, die autonom sind, und diesen Einzelwesen sind gewisse Dinge näher und wichtiger als es anderen Einzelwesen sind. Daher kämpfen sie für sie. Autonomie der Einzelwesen und deren Verteiltheit in Raum und Zeit beinhaltet die Möglichkeit von Konflikten zwischen den Einzelwesen. Das philosophische Temperament hingegen wird trotzdem das Universale anstreben. Es wird das Universale nicht als etwas Endgültiges zu betrachten, sondern es wird es als einen Imperativ betrachten, es wird den Imperativ setzen, das Universale anzustreben. Das Streben ist das Gute, oder zumindest das Konstruktive. Das Konstruktive ist, implizit, optimistisch. Der Imperativ, das Universale anzustreben, ist also implizit eine optimistische Philosophie. Wer das Universale anstrebt, kann von der bloßen Philosophie zur Metaphysik vorstoßen. Und die gibt der Philosophie Orientierung und Würze. Etwas weiter oben wurde eingeräumt, universalisierende Vorstellungen und Metaphysiken hätten sich immer wieder als unhaltbar erwiesen. Unhaltbar sind sie aber nicht notwendigerweise; die metaphysischen Systeme der Philosophen sind nur von begrenzter Reichweite. Das hingegen ist notwendigerweise so, da Metaphysik ein Ringen mit dem Unbekannten und dem sich Entziehenden ist. Und das Unbekannte und das sich Entziehende schlägt dann halt in die metaphysischen Systeme zurück, in Form von ihren blinden Flecken. Die Metaphysik selbst ist einheitlich und universal. Sie ist jedoch nicht notwendigerweise totalitär. Wie totalitär er seine Metaphysik verfechtet, bleibt dann dem Metaphysiker überlassen. Er mag einen ausgeprägten Willen zur Macht haben, oder aber gar keinen. Wahrhafte Universalität erkennt die Autonomie der Einzelwesen an, und deren differierende Anschauungen. Sie erkennt, dass es einen Unterschied zwischen dem physischen Reich der Natur und dem metaphysischen Reich der Gnade gibt. Der Metaphysiker hofft, dass die Einzelwesen aus dem physischen Reich der Natur näher an das metaphysische Reich der Gnade herangeführt werden können. Er geht im konstruktiven Bemühen auf, das metaphysische Reich der Gnade und den Imperativ zum Universalen vorzustoßen aufzuzeigen. Das ist sein Optimismus. Im metaphysischen Reich selbst gibt es wahrscheinlich keinen Optimismus und keinen Pessimismus. Das sind menschliche Verständnisse und damit verbundene Hoffnungen. Das metaphysische Reich hingegen reflektiert das reine Sein, das, so gesehen, weder zum Optimismus noch zum Pessimismus übermäßig einlädt. Das metaphysische Reich sieht man über einen Zustand der Erleuchtung an, und die Erleuchtung ist jenseits von Optimismus oder Pessimismus, sondern die reflektiert das reine Sein, und die Reinheit des eigenen Geistes. Im erleuchteten Zustand werden – wie die Zen-Meister immer wieder betonen – keine Unterscheidungen getroffen, daher auch nicht zwischen Optimismus und Pessimismus. Ein dermaßen östliches Denken, das weder Optimismus noch Pessimismus kennt, führt irgendwie zu Lethargie und Passivität, während das westliche Denken aktiv, wissenschaftlich-rational und weltverändernd ist. Es hat seine eigenen Probleme und seine eigenen begrenzten Reichweiten. Aber deswegen sage ich ja immer, dass eine gute Philosophie und Metaphysik westliches und östliches Denken kombinieren sollte. Ein solches Denken sollte neue Reichweiten schaffen. So optimistisch bin ich schon.

Bemerkungen zu Spinoza

Spinoza ist bislang nicht einmal ansatzweise begriffen worden, nicht von den anderen und nicht von mir.

Gilles Deleuze

Es gibt bei Spinoza nichts zu begreifen, denn nach allem, was wir wissen, gibt es keine Substanz. Substanz ist keine empirische Kategorie. Substanz ist bei Spinoza eigentlich überhaupt nur eine Definition. Ethik, Erster Teil, Definition 3: Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich vorgestellt wird, d.h. das, dessen Vorstellung nicht der Vorstellung eines anderen Gegenstandes bedarf, von welcher sie gebildet werden muss. Es gibt aber wohl nichts, für dessen Vorstellung es nicht auch die Vorstellung eines anderen Gegenstandes bedarf, auf dass man sie sich bilden könnte. Überhaupt beginnt die Ethik, Erster Teil, mit Definition 1: Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder das, dessen Natur nur als existierend vorgestellt werden kann. Es gibt, soweit wir wissen, aber nichts, was rein Ursache seiner selbst wäre (und es gibt auch, zumindest für mich, nichts, was ich mir nicht auch als nicht existierend vorstellen könnte). Die Kategorie von der Substanz ist für Spinoza ein Mittel, mit dem er sich das Sein als logisch zusammenhängend vorstellen kann. Aber etwas, was logisch zusammenhängt, muss nicht empirisch zusammenhängen. Logik sagt nicht unmittelbar oder zwingend was darüber aus, wie sich etwas empirisch verhält. Zur Zeit Spinzoas, allgemein vor hunderten oder tausenden von Jahren, war es um das empirische Wissen über das Sein noch nicht gut bestellt. Philosophie war daher – am berühmtesten in der Scholastik – ein sich Abarbeiten an begrifflichen Abstraktionen und der Analyse dieser begrifflichen Abstraktionen, über die man das Sein und die Qualitäten des Seins zu verstehen gedachte. „Substanz“ ist eine solche begriffliche Abstraktion. Derartige begriffliche Abstraktionen, die von den alten Griechen geschaffen wurden, sind ein besseres Instrument zur Erkenntnis und Analyse der Welt als (animistische) Gottesvorstellungen oder Mythologien. Die alten Griechen setzen damit also an die Stelle des mythologischen Denkens ein philosophisches Denken und ein rationales und ein wissenschaftliches Denken (oder zumindest Vorstufen davon). Begriffe sind etwas Notwendiges, mit dem sich der Mensch die Welt begreiflich macht. Gleichzeitig sind sie limitiert, da sie abbilden, wie sich der menschliche Verstand die Welt begreiflich macht: sie sind Instrumente unseres Verstandes. Unser Verstand ist begrenzt. Er muss durch (sehr viel) Wissen, welches über die Empirie gewonnen wird, erweitert werden. Wissen über Tatsachen kann nicht über logische Schlüsse gewonnen werden, sondern nur durch Beobachtung (und theoretisches Verständnis). Anstelle von Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz einschliesst, oder das, dessen Natur nur als existierend vorgestellt werden kann sollte der Ausgangpunkt des Philosophierens besser sein: Die Welt ist alles, was der Fall ist. (Vielleicht ist es noch angemessener, keinen definitiven Ausgangspunkt zum Philosophieren zu nehmen, da der dann praktisch immer einen pfadabhängigen Verlauf und, so wie bei Hegel oder bei der Tractatus-Philosophie von Wittgenstein, ein fragwürdiges Ende nach sich zieht.) Spinozas Philosophie ist der Versuch, aus anfänglichen Thesen (bzw. thetischen Setzungen), Definitionen und Axiomen durch Deduktion und durch die „geometrische Methode“ (nach dem Vorbild von Euklid) zu einem vollständigen philosophischen System zu kommen, oder zumindest zu allgemeingültigen philosophischen Aussagen. Die geometrische Methode – more geometrico – ist wohl ein angemessenes Verfahren für die Geometrie. Aus Begriffen, die in der Regel keine quantitativen Verhältnisse sondern Qualitäten – und damit etwas Unscharfes – bezeichnen, lässt sich jedoch auch nicht eindeutig was Deduzieren. Wahrscheinlich deswegen frägt man sich bei Spinozas Deduktionen immer wieder ob, angesichts der Zweifel, die sie aufwerfen, der Verstand von Spinoza nicht richtig funktioniert oder der eigene defekt ist. Das ist tatsächlich nicht leicht zu unterscheiden und würde erheblichen Aufwand an Klärung erfordern, der aber wahrscheinlich nicht lohnt (da es ja, wie gesagt, sowieso keine Substanz u. dergl. mehr gibt). Spinoza strebt unerschütterliche Klarheit und Folgerichtigkeit an, aber man fühlt sich kaum wo so sehr in einer Zone der Dämmerung wie in der Lektüre der Ethik. Die Ethik ist auch ein Buch über Gott; indem Spinoza Gott mit der Substanz gleichsetzt. Mit der logischen geometrischen Methode wird dann auch Existenz Gottes in der Ethik bewiesen. Gottesbeweise beruhen in aller Regel auf Logik. Allerdings lassen sich auch gegen alle Gottesbeweise rein logische Einwände erheben, was die Sache selbst – die Frage nach der Existenz Gottes – rein logisch unentscheidbar macht. Die Gottesbeweise oder auch Gegenbeweise reduzieren sich damit von logischen Beweisen zu logischen Argumenten, die also in Ansatz gebracht werden können, oder auch nicht. Nun ja. Bei Spinoza heißt es auf jeden Fall in Ethik, Erstes Buch, Definition 6: Unter Gott verstehe ich das unbedingt unendliche Wesen, d.h. die Substanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige oder unendliche Wesenheit ausdrückt. Schopenhauer meint,  – und so könnte man mit ihm meinen –, Substanz sei nichts als ein anderer Begriff für die Materie; mithin also auch für die Selbstorganisation der Materie. Aber Gott ist bei Spinoza ein intelligibles Wesen. Ethik, Zweiter Teil, Lehrsatz 1: Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Ding. Bei Spinoza hat man also die Ontologie eines sich selbst entfaltenden, intelligiblen Gottes, bzw. eines Seins, das Ausdruck dieser Selbstentfaltung Gottes ist (daher gilt Spinoza als „Pantheist“). Gilles Deleuze ist zwar Atheist, aber fasziniert – geradezu hypnotisiert – von Spinoza, da ihm Philosophien von einem immanenten, univoken Sein, das nicht von einem höheren Prinzip geleitet wird und nicht hierarchisch gestaffelt ist und das sich noch dazu gleichsam vitalistisch entwickelt, behagen – und eine solche Philosophie will er (unter anderem) bei Spinoza rauslesen. Bei Spinoza selbst entfaltet sich dieses göttliche Sein allerdings zunächst mit einer gar nicht so vitalistischen Konnotation, sondern mit einer eisernen Notwendigkeit. Gott muss sich notwendigerweise auf die richtige Weise entfalten (und von einer „richtigen“ Weise nimmt man an, dass es eine einzige Weise ist). Was Gott geschaffen hat, ist daher notwendig und notwendigerweise vollkommen. Ethik, Zweiter Teil, Definition 6: Unter Realität und Vollkommenheit verstehe ich ein und dasselbe. Das Verständnis von Spinoza von Vollkommenheit liegt dabei jenseits von Gut und Böse. Als gut und böse mögen wir allenfalls etwas empfinden, was uns innerhalb der viel größeren Entfaltung des göttlichen Seins zustößt. Ein Ziegelstein fällt uns auf den Kopf, weil wir zufällig drunter vorbeigehen, und wir empfinden es als böse. Wir gewinnen im Lotto, weil wir zufällig die richtigen Zahlen haben, und wir empfinden es als gut. Für die Entfaltung des Seins selbst ist das ohne Bedeutung. Das kann man als Verhöhnung empfinden. Oder aber auch als Hinweis, einen abstrakteren Standpunkt gegenüber sich selbst und gegenüber dem eigenen Schicksal einzunehmen. Nicht zuletzt deswegen lädt uns die Ethik von Spinoza ein, unsere Alltagsverständnisse und -empfindungen zu transzendieren und vielmehr das göttliche Wesen zu schauen. Entgegengesetzt zur Philosophie von der Notwendigkeit der Entfaltung des göttlichen Seins gibt es bei Spinoza nämlich auch eine Philosophie von der Freiheit des Menschen, über die er in der Lage ist, das, was ihm als aufoktroyiert erscheint, zu überschreiten und hinter sich zu lassen. Für Antonio Negri, der ein intensives Bedürfnis nach „Befreiung“ hat, ist Spinoza sogar der großen Referenzphilosoph und, neben Marx, der zentrale politische Philosoph. Das, was bei Spinoza in der Ethik als abstrakte Philosophie entgegentritt, war nämlich ursprünglich vielmehr eine politische Philosophie. Weil Spinoza zu frei und unbequem dachte, wurde er bekanntlich früh aus seiner (jüdischen) Religionsgemeinde verstoßen und musste sein Leben unbequem als Verfemter und Außenseiter fristen. Spinoza was also ein Opfer von Politik. Von daher ging es ihm urtümlich darum, eine Politik zu ermöglichen, in der so etwas nicht vorkommen kann. In seinem frühen Theologisch-Politischen Traktat formuliert er: Aus den oben dargelegten Grundlagen des Staates folgt ganz offenbar, dass der letzte Zweck des Staates nicht ist zu herrschen noch die Menschen in Furcht zu halten oder sie fremder Gewalt zu unterwerfen, sondern vielmehr den einzelnen von der Furcht zu befreien, damit er so sicher als möglich leben und sein natürliches Recht zu sein und zu wirken ohne Schaden für sich und andere vollkommen behaupten kann. Es ist nicht der Zweck des Staates, die Menschen aus vernünftigen Wesen zu Tieren oder Automaten zu machen, sondern vielmehr zu bewirken, dass ihr Geist und ihr Körper ungefährdet seine Kräfte entfalten kann, dass sie selbst frei ihre Vernunft gebrauchen und dass sie nicht mit Zorn, Hass und Hinterlist sich bekämpfen noch feindselig gegeneinander gesinnt sind. Der Zweck des Staates ist in Wahrheit die Freiheit. (20. Kapitel) Vernunft und eine Leitung durch Vernunft ist das, was Spinoza anstrebt, und im Theologisch-Politischen Traktat versucht er nachzuweisen, dass alle auf Religion beruhenden Gemeinschaften eigentlich auf vernünftigen Einsichten beruhen, und nicht auf Dogmen. Die Entrüstung, die Spinoza damit provozierte, war abermals groß, und der Theologisch-Politische Traktat wurde verboten (Spinoza hat daraufhin zu Lebzeiten nichts mehr veröffentlicht). Im späteren, posthum veröffentlichen Politischen Traktat formuliert Spinoza und bleibt dabei (Kapitel V §1): In §11 des Kapitels II haben wir gezeigt, dass ein Mensch dann in höchstem Maße unter eigenem Recht steht, wenn er sich in höchstem Maße von der Vernunft leiten lässt, und dass folglich (vgl. §7 des Kapitels III) dasjenige Gemeinwesen im höchsten Maße über Macht verfügt und unter eigenem Recht steht, das auf der Vernunft sich gründet und dadurch sich regiert. (Im Politischen Traktat untersucht Spinoza, wie verschiedene Regierungsformen (Monarchie, Aristokratie) wohl geordnet und funktional bleiben können, anstatt zu degenerieren; das letzte Kapitel, Einiges zur Demokratie, bricht leider nach ein paar Seiten ab: aufgrund des Todes von Spinoza blieb es unvollendet. Für diverse Spinoza-Enthusiasten hat es daher einen umso höheren, gleichsam mystischen Stellenwert auf der Suche nach einer großen Verheißung und einer großen Lösung, die das spinozistische Denken bereithielte.) Ja, Spinoza macht sich geradezu utopische Hoffnungen in Bezug auf eine durch Vernunft regierte Gemeinschaft! Ethik, Vierter Teil, Lehrsatz 35: So weit die Menschen nach der Leitung der Vernunft leben, insoweit allein stimmen sie von Natur notwendig immer überein. (Es ist eigenartig, wie Spinoza die Trivialität nicht (an)erkennt, dass sich auch aus der Vernunft allein Streitigkeiten ergeben können. Aber diesen eigenartigen Rigorismus hat man bei Spinoza und seiner streng geometrischen Methode, wie gesagt, überall.) Das große Unglück für Spinoza ist, dass die Menschen nicht gemäß ihrer Vernunft leben, sondern hauptsächlich ihren „Affekten“ unterworfen sind. Ethik, Vierter Teil, Lehrsatz 35, Erläuterung: Es geschieht jedoch selten, dass die Menschen nach der Vernunft leben, sondern es ist mit ihnen so bestellt, dass sie meist neidisch und einander lästig sind. Und nicht nur das: Sie werden von den Affekten der Liebe, des Hasses, der Furcht, der Ehrsucht, des Zorns u.v.m. hin- und hergeworfen. Am besten ist es zudem, man stelle sich diese Affekte nicht allein als etwas unmittelbar Präsentes, als Gefühlsäußerung vor. Affekte können auch neurotische Zentren und Knoten sein, oder überhaupt die innere Architektur eines Menschen bestimmen. Und aus dieser Affektlage heraus nimmt er dann zu einem tatsächlichen Teil die Welt wahr. Oder aber: es ist erstaunlich, wie Affekte darüber bestimmen, ob wir etwas tatsächlich für wahr oder für falsch halten oder aber so oder so handeln. Ich selber halte Affekte auch für was Primitives und Störendes. Zwar vielleicht nicht die Affekte an sich oder die Stimmungen in einem: sondern ihre Bindung an das Ego. Zorn, Stolz, Scham, Hass, Neid, Machtstreben, Dünkel oder Furcht sind zwar Stimmungen und Reaktionsmöglichkeiten auf Umwelteinflüsse, die im Verstand liegen (es ist zum Beispiel eine unmittelbare Eingebung des Verstandes, Ausgleich zu suchen für eine Imbalance, die einem widerfährt: das ist nicht unvernünftig, vielmehr wäre es unvernünftig, das nicht zu tun); zu Affekten werden sie aber erst, wenn sie einen allzusehr als Person, also über das eigene Ego betroffen machen. Dann mögen sie das Ego zur Unvernünftigkeit hinreissen. Ich selbst finde es vor allen Dingen auch gut, zum Feuerkern der Vernunft vorzudringen. Das ist dann die Weiße Hütte. Wenn man alle Traditionen, Ideologien, angelernte Erkenntnisse (hinter denen insgesamt oft Affektbesetzungen stecken) intensiv durchdacht und durchlebt und daher hinter sich gelassen hat, wird man schließlich in einem weißen Licht stehen, in dem Gegenstände als Kräuselungen und Wellen an einem vorbeiziehen. Das ist der Moment der Erleuchtung. Was verbirgt sich aber weiter drinnen, im Zentrum der Weißen Hütte? Das ist ein großes Geheimnis und ein Weg, den nur du selbst gehen kannst. Aber ist die Weiße Hütte erreicht und hat man die Weiße Hütte betreten und kennengelernt, ist das Geheimnis dieses: Man hat volle Manövrierfähigkeit des eigenen Geistes. Dieser ist nicht mehr an traumatische affektive Zentren gebunden. Laut Spinoza ist die höchste Erkenntnis die Erkenntnis Gottes. Ethik, Vierter Teil, Lehrsatz 28: Das höchste Gut der Seele ist die Erkenntnis Gottes, und die höchste Tugend der Seele Gott erkennen. Und Ethik, Vierter Teil, Anhang, Satz 4: Es ist deshalb im Leben das Nützlichste, den Verstand oder die Vernunft so viel als möglich zu vervollkommnen; darin allein besteht des Menschen höchstes Glück oder seine Seligkeit. Denn die Seligkeit ist die Seelenruhe, welche aus der anschaulichen Erkenntnis Gottes entspringt. Die Vervollkommnung unseres Verstandes besteht aber auch nur in der Erkenntnis Gottes, seiner Attribute und seiner Handlungen, welche aus seiner Natur mit Notwendigkeit folgen. Deshalb ist das höchste Ziel eines von der Vernunft geleiteten Menschen, d.h. sein stärkstes Begehren, wodurch es alle anderen zu mäßigen strebt, sich und alles, was seiner Erkenntnis erreichbar ist, zureichend zu begreifen. Die Weiße Hütte oder die Gotteserkenntnis Spinozas sind keine trivialen geistigen Verfassungen. Sie können nur durch Anstrengung (und Glück) erreicht werden und basieren auf einer höheren Art zu denken. Spinoza spricht von einer „dritten Art“ des Denkens. Ethik, Zweiter Teil, Lehrsatz 40, Erläuterung 2.3: Außer diesen beiden Arten von Kenntnis gibt es noch, wie ich demnächst zeigen werde, eine dritte Art, welche ich das anschauliche Wissen nennen werde. Diese Art der Erkenntnis schreitet von der zureichenden Vorstellung des wirklichen Wesens einiger Attribute Gottes zu zureichender Erkenntnis des Wesens der Dinge vor. Ich kann nur für das Hüttendenken sprechen, aber im Licht der Weißen Hütte erscheinen die Gegenstände luzider und die Unterscheidungen zwischen den Gegenständen deutlicher – sie scheinen überhaupt zum ersten Mal als tatsächliche Gegenstände wahrnehmbar. Das scheinbar synthetische Licht der Weißen Hütte stärkt das Analysevermögen. Das wiederum stärkt die Fähigkeit zu Syntheseleistungen. Ethik, Fünfter Teil, Lehrsatz 24: Je mehr man die einzelnen Dinge erkennt, desto mehr erkennt man Gott. Und im Beweis zum folgenden Lehrsatz 25 steht: Die dritte Art des Wissens schreitet von der zureichenden Vorstellung einiger Attribute Gottes zur zureichenden Erkenntnis der Dinge fort (II L.40 E.2). Je mehr man die Dinge erkennt, desto mehr erkennt man Gott (V L.24). Und schließlich Ethik, Fünfter Teil, Lehrsatz 30: Soweit unsere Seele sich und den Körper in der Form der Ewigkeit kennt, insoweit hat sie notwendig die Erkenntnis Gottes und weiß, dass sie in Gott ist und durch Gott vorgestellt ist. Die dritte Art der Erkenntnis führt bei Spinoza also zur Erkenntnis, dass man Teil der göttlichen Substanz ist, quod erad demonstrandum im Rahmen seiner Philosophie. Ich halte das für eine Fantastik, sich (tatsächlich, buchstäblich) für einen Teil einer göttlichen Substanz zu halten. Aber ähnliche Zustände sind mir schon bekannt – und sind einem allgemein im Leben bekannt. Das sind die guten Zustände (bei denen die Gefahr aber besteht, dass sie mit Affekten besetzt werden und dann verklärt werden). Im säkularisierten Spinozismus von Deleuze bedeutet die ominöse dritte Art des Denkens, dass man die Dinge so erkennt, wie Gott selbst sie erkennt. In der dritten Erkenntnisart bilden wir Ideen und aktive Affekte, die so in uns sind, wie sie unmittelbar und ewig in Gott sind. Wie denken, wie Gott denkt, wir empfinden selbst die Affekte Gottes. Wir bilden die Idee von uns selbst, so wie sie in Gott ist, und wenigstens zum Teil bilden wir die Idee Gottes, so wie sie in Gott selbst ist: die Ideen der dritten Art konstituieren also eine noch tiefere Dimension des Eingeborenen, und die Freuden der dritten Art sind die einzig wahren Affektationen des Wesens in uns selbst (Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie, Neunzehntes Kapitel). Im Inneren der Weißen Hütte ist man auf eine Art im Innenraum des Geistes und die Erkenntnisse werden so allgemein und tiefenscharf, dass sie des Zeitlichen enthoben werden, und abstrakt, dass sie also ewig und unsterblich werden. Diese abstrakte Unsterblichkeit des Verstandes, seine ewige Geborgenheit in Gott, hat man auch bei Spinoza als letztes menschenmögliches Ding. In diese abstrakte Unsterblichkeit ist auf jeden Fall der Geist von Spinoza eingegangen, der mit dem werdenden Gott des Weltprozesses mitzieht. Während des Lebens ist man, laut Spinoza, allerdings weniger abstrakt und vollkommen, sondern Affekten unterworfen. Für die Affekte hat sich Spinoza sehr interessiert, er betrachtete ihre Analyse und Würdigung als etwas, das zu wenig beleuchtet sei. Die Affekte, von denen wir mitgenommen werden, verstehen Philosophen als Fehler, in die die Menschen durch eigene Schuld verfallen. Deshalb pflegen sie sie zu belachen, zu beklagen, zu verspotten oder (sofern sie sich den Anschein besonderer Sittenreinheit geben wollen) zu verdammen. Sie glauben dergestalt etwas Erhabenens zu tun und den Gipfel der Weisheit zu erreichen …. Um das, was Gegenstand dieser Wissenschaft ist, mit derselben Unbefangenheit, mit der wir es bei der Mathematik zu tun pflegen, zu erforschen, habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. Deshalb habe ich die menschlichen Affekte, wie beispielsweise Liebe, Hass, Zorn, Neid, Ruhmsucht, Mitleid und die übrigen Gemütsbewegungen, nicht als Fehler der menschlichen Natur betrachtet, sondern als deren Eigenschaften, die zu ihr so gehören wie zu der Natur der Luft die Hitze, die Kälte, der Sturm, der Donner und anderes dieser Art… (Politischer Traktat, Kapitel I) Das Philosophieren über die Affekte nimmt bei Spinoza großen Raum ein. Der gesamte Dritte Teil der Ethik handelt von dem Ursprung und der Natur der Affekte. Es scheint gut, dass ein Philosoph so vieles über die Affekte sich überlegt und somit sich ein überzeugendes Bild von Menschen zu machen bereit scheint; bei Spinoza steht der Mensch wirklich als ganzer Mensch da. Irritierend ist allerdings, wie anämisch und klinisch kalt die Beschreibungen der Affekte bei Spinoza bleiben. Darüber hinaus scheint er der Affekte gleichsam Herr werden zu wollen, indem er sie definiert und etwas über sie deduziert und so die Betrachtung über sie jeweils abschließt. Irgendwie scheint er den Affekten damit ihre Würde und ihr Eigenleben zu nehmen. Dabei stellt Spinoza im besagten Dritten Teil der Ethik in der Vorrede auch in Aussicht: Ich werde daher über die Natur und Kraft der Affekte und die Macht der Seele über sie in derselben Weise die Untersuchung anstellen, wie ich bis hier über Gott und die Seele getan habe, und ich werde die menschlichen Handlungen und Begierden ebenso betrachten, als wenn es sich um Linien, Ebenen oder Körper handelte. Wer ist derjenige, der menschliche Handlungen und Begierden so betrachtet, als wie wenn es Linien, Ebenen und Körper wären? In der Kurzen, aber wahrhaftigen Lebensbeschreibung von Benedictus de Spinoza aus authentischen Stücken und mündlichem Zeugnis noch lebender Personen zusammengestellt von Johannes Colerus, deutschem Prediger der lutherischen Gemeinde in´s Gravenhage wird Spinoza eindrucksvoll beschrieben derart: Sein Verkehr und seine Lebensweise waren still und eingezogen. Seine Leidenschaften wusste er in bewundernswerter Weise wohl zu bändigen. Niemals sah man ihn allzu traurig noch fröhlich. Seinen Zorn und sein Missvergnügen konnte er sehr wohl bemeistern oder sich ihm verscbließen, indem er es mir durch ein Zeichen oder einige kurze Worte zu erkennen gab, oder aufstand und fortging, aus Furcht, seine Leidenschaften möchten überhandnehmen. Im Übrigen war er freundlich und umgänglich im täglichen Verkehr. Spinoza gilt heute gemeinhin als der beinahe sympathischste und liebenswerteste unter den Philosophen, mit einer Philosophie, die nirgendwo aneckt und auf die sich alle einigen können, vernünftig und menschenfreundlich wie sie ist. Ganz im Kontrast dazu, was Spinoza zu Lebzeiten widerfahren ist, und bis lange über seinen Tod hinaus. Da sah man in ihm etwas Satanisches. Diese Tragik erhöht jedoch auch sein Charisma. Spinozas unterdrücktes, verfolgtes, gefährliches Leben mag leicht zu seiner „eingezogenen“ Lebensweise geführt haben. Diese Eingezogenheit und Selbstunterdrückung wird jedoch in einer gewissen Weise zur höchsten Tugend in der Philosophie von Spinoza. Ethik, Vierter Teil, Vorrede: Die Ohnmacht des Menschen in Mäßigung oder Hemmung seiner Affekte nenne ich Knechtschaft; denn der von seinen Affekten abhängige Mensch ist nicht Herr seiner selbst, sondern dem Schicksal untertan. Er befindet sich in solchem Grad in dessen Hand, dass er oft gezwungen ist, dem Schlimmeren zu folgen, obwohl er das Bessere sieht. Spinoza, so könnte man meinen, verabscheut die Knechtschaft nicht nur philosophisch, sondern in einer viszeralen Weise. Um „Handeln“ und „Tätigwerden“ hingegen betreibt er gleichsam einen Kultus. Ethik, Fünfter Teil, Lehrsatz 40: Je mehr Vollkommenheit ein Ding besitzt, umso mehr handelt es und umso weniger leidet es, und umgekehrt, je mehr es handelt, desto vollkommener ist es. Leidenschaften sah Spinoza als etwas, dass einem widerfährt, dass man erleidet, dem man unterworfen ist. Allein der Verstand, der die Leidenschaft unterdrückt, sei eine aktive, daher positive Kraft. In der Praxis freilich gehören Leidenschaften, die uns widerfahren, immer wieder zu den besten Dingen im Leben, zu der Würze des Lebens. Von daher scheint auch der Gegensatz „Vernunft = gut versus Leidenschaft = schlecht“ ein wenig eine Konstruktion. In der sich der idiosynkratische „Wille zur Macht“ bei Spinoza ausdrückt, in einer freilich ein wenig hilflos erscheinenden Weise. Für Ben-Ami Scharfstein, in seinem beeindruckenden Werk über das Leben und die Marotten der großen Philosophen (The Philosophers. Their Lives and the Nature of their Thought), scheinen bei Spinoza die Affekte der Unlust und des Hasses zu überwiegen (weswegen er sie so gleichsam panisch zu unterdrücken scheint), die der Liebe hingegen bleiben im Wesentlichen abstrakt und diffus (eben „Gottesliebe“, die, so betrachtet, eine Liebe zur eigenen kultivierten Vernunft und ihrer überlegenen Einsichtsfähigkeit ist: als Machtinstrument; und als eine Art Amor fati zum Schicksal, das man durch einen eminent indifferenten Gott erleidet, durch das man aber, zumindest irgendwie, durch Einsicht triumphiert). Spinoza hatte wenig Beziehungen zu Menschen und noch weniger zu Frauen und könnte misogyn gewesen sein (im Politischen Traktat zumindest will er Frauen, Unmündige und Knechte von der politischen Partizipation und vom Stimmrecht in der ersehnten Demokratie ausschließen). Misogynie (und Misandrie) ist gemeinhin Ausdruck eines unglücklichen, griesgrämigen, neurotisch-nekrophilen, lebensabtötenden Temperaments. Wer sich etwas so Herrlichem wie dem anderen Geschlecht versagt, ist ja gleichsam lebendig eingesargt. (Im Politischen Traktat will er Frauen und Knechte dabei konkret deswegen vom Stimmrecht ausschließen, weil sie den Männern und ihren Herren „unterworfen“ seien, und damit keine selbstständigen Individuen. Und Spinoza eben hasst Unterworfenheit.) Schopenhauer ist indigniert, insofern Spinoza „Hunde ganz und gar nicht gekannt“ zu haben scheine (Spinoza behauptet an einer Stelle, nur der Mensch könne dem Menschen ein würdiger Gesell sein). Dafür hatte Spinoza ein Faible für Spinnen und Fliegen. Allerdings ein merkwürdiges und ein wenig irritierendes. Johannes Colerus berichtet: Außerdem bestand sein Vergnügen darin, eine Pfeife Tabak zu rauchen, oder wenn es ihm um irgendeinen anderen Zeitvertreib zu tun war, so suchte er einige Spinnen und ließ sie miteinander kämpfen, oder er fing einige Fliegen, warf sie in das Netz der Spinne und sah diesem Kampf mit großem Vergnügen, selbst mit Lachen zu.

Vorbemerkungen zu einer großen Auseinandersetzung mit Marx und mit dem Marxismus

Der Marxismus ist nicht unfertig oder unvollendet, sondern – von Anfang an, implizit, inhärent und daher für immer – unausgegoren … Er will Wissenschaft sein, ist aber primär Ideologie. Er ist also primär Wille, weniger Vorstellung. Es ist aber in erster Linie die Vorstellung, die allgemeine Verständnismöglichkeiten und Objektivität schaffen kann, während der Wille in seiner Durchsetzung subjektivistisch, militant und agonal bleibt. Und so ist auch der Marxismus subjektivistisch, militant und agonal. Der Marxismus hat keine rationale Basis und kein rationales Ziel. Er enthält (bestechende) rationale Elemente und die einer Lehre, ist aber hauptsächlich irrational und eine Irrlehre. Der Marxismus beruht auf der paranoiden, sadomasochistischen Empfindsamkeit von Marx und ist demgemäß eine zentrumslose Spiegelfechterei (von Marxisten bekanntlich bezeichnet als „Dialektik“, wobei sie dann immer so tun, als ob die für was garantieren würde, obwohl die Dialektik für ziemlich wenig garantiert). Er ist damit eher zirkulär als progressiv, indem er immer wieder dieselben Sachen zum Problem erhebt, ohne sich zu fragen, ob sie eigentlich ein Problem sind. Daher dann auch das ewige intellektuelle Auf-der-Stelle-treten des Marxismus, zumindest seit Jahrzehnten. Seit jeher hat sich der Marxismus dem Ziel der Überwindung des Kapitalismus verschrieben – wobei die „Überwindung des Kapitalismus“ eine durchaus populäre Vorstellung ist. Es muss aber gar nicht sein, dass der Kapitalismus je „überwunden“ wird, da es nicht einmal feststeht, ob es den Kapitalismus überhaupt gibt. „Kapitalismus“ ist, wie „Patriarchat“, nur ein Begriff, oftmals in pejorativer Absicht verwendet, der aber vielleicht nicht das einfängt, was sich eigentlich abspielt, und was an Entwicklungen eigentlich tragend und relevant ist. Freilich, gegenüber einem solchen Skeptizismus kann man sich wohl darauf einigen, dass sowohl „Kapitalismus“ als auch „Patriarchat“ sinnvolle Begriffsschöpfungen sind, und etwas bezeichnen, was in der Wirklichkeit tatsächlich vorhanden ist und wirksam ist. Das Problem ist aber, dass die sinnvollen Begriffe „Kapitalismus“ und „Patriarchat“ sowohl im Marxismus wie im Feminismus hochgradig fetischhaft und verdinglicht verwendet werden und so genau zu den Täuschungen und Illusionen verleiten mögen, wie Marx es in seiner Analyse vom Warenfetisch und vom Kapitalfetisch eigentlich dargelegt hat. Seit Jahren arbeite ich nunmehr an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Marxismus. In einer Weile sollte sie einmal fertig werden. Der Marxismus verlangt aber eine viel weitreichendere Auseinandersetzung als zum Beispiel die Philosophien von Kant, Hegel oder Nietzsche. Die Philosophien von Kant, Hegel oder Nietzsche, bzw. Philosophien im Allgemeinen, sind geistige Gebilde, Markierungen und Positionen im Reich des Denkens, die man als solche eingrenzen und isolieren kann. Der Marxismus reflektiert ein grundsätzliches Welt-Mensch-Gesellschaft (etc.)- Verhältnis, er ist so was wie der Liberalismus oder der Katholizismus, also etwas Umfassenderes als eine Philosophie (sogar eigentlich etwas Umfassenderes als eine „große Erzählung“) und etwas von höher Plastizität. Der Marxismus, der Liberalismus oder der Katholizismus können viele Formen annehmen, mit denen sie an die jeweilige Realität andocken können; so haben sie das zumindest im Lauf ihrer Geschichte getan. Zusammenhänge wie der Marxismus, der Liberalismus oder der Katholizismus gleichen Viren und sind Meme, die ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte auftauchen, mutieren, sich verändern und damit fortpflanzen, als quasi eigenständige Organismen. Bis sie eventuell wieder unter die Oberfläche verschwinden. Und so ist es auch die Hoffnung der Marxisten, dass der Marxismus in irgendeiner gefährlichen, virulenten Mutation dereinst wiederkommt. Diese Virtualität besteht und das ist möglich, in dem Sinn ist aber auch so gut wie alles andere möglich. Bei Viren weiß man nie genau, was passiert. Letztendlich sind Viren und jedwede Organismen aber an eine bestimmte Identität und einen bestimmten Bauplan gebunden, und können nicht grenzenlos mutieren und sich grenzenlos anpassen. Irgendwann könnte ihre Uhr auch abgelaufen sein. Die Möglichkeiten von Viren und Memen, zu mutieren und Anschlussmöglichkeiten zu finden, sind nicht unendlich, sondern in Wahrheit beschränkt. Der Marxismus erscheint als etwas Profundes, denn er reflektiert auf die Uneinheitlichkeit und die Unerlöstheit der Welt und auf die Offenheit und Gestaltbarkeit der Zukunft. Sein erheblicher Konstruktionsfehler scheint aber darin zu liegen, dass er in erster Linie um ein Feindbild rotiert. Trotzdem er eine gewaltige Positivität (den Sozialismus) formulieren will, kreist er wesentlich um ein Feindbild und ist somit in seiner Substanz wesentlich negativ und reaktiv (was bei anderen großen Sinnsystemen wie dem Christentum oder dem Liberalismus nicht der Fall ist). Auf der Basis von Feindbildern und von Spaltung kann man aber keine gute Gesellschaft errichten. Um ihre großen Feinde auszuschalten, setzen Kommunisten auf die Revolution. So denn die Revolution erfolgt ist, wittert das kommunistische Regime dann aber wiederum überall Feinde, die es zu bekämpfen gilt, weswegen es sich die Form einer Diktatur gibt etc., bis in eine indefinite Zukunft hinein, in der der Sozialismus dann endlich für eine große Herrlichkeit sorge bzw. bis dass die „Weltrevolution“ erfolgt sei. Wobei die „Weltrevolution“ eine der dümmsten Vorstellungen ist, die die Menschheit je hatte: denn wie sollte in etwas, was so unzusammenhängend ist wie die Welt etwas so Delikates stattfinden wie eine Revolution? Angesichts der Dummheit dieser Vorstellung, die aus ihm aber entspringt, drängt sich auch der Verdacht auf, dass der Marxismus insgesamt eine Dummheit sein müsste. Diese Dummheit hat ihre Wurzel darin, dass schon im Kommunistischen Manifest steht: Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen – Bourgeoisie und Proletariat. – Wobei diese Vereinfachung – also die Reduktion des gesellschaftlichen Geschehens auf zwei dynamische (einander intransigent feindselig gegenüberstehende) Elemente – aber nicht in der Wirklichkeit stattfindet, sondern allein im Rahmen der Theorie, die noch dazu den überheblichen Anspruch erhebt, die gesamte Wirklichkeit in einer Art gnostischen Weise zu durchschauen. So sehr der Marxismus als großartiger, heroischer Versuch erscheint, die Wirklichkeit zu interpretieren, um eine hochgradig defizitäre Wirklichkeit zu verändern, so sehr drängt sich ebenso der Verdacht auf, wenn man Marx genauer liest, dass seine Lehre eine Projektion seiner Komplexe in die Wirklichkeit ist: notabene seiner pathologischen Disposition, dauernd Zweikämpfe zwischen ihm und anderen – vor allem solchen, die eine höhere gesellschaftliche Machtposition innehaben als er – anzuzetteln: mit den Intention zu gewinnen, über den anderen zu triumphieren, und zu demonstrieren, dass der eigentlich legitime Mächtige er selber sei. So hat Marx nicht allein relativ unsympathische Erscheinungen wie die Bourgeoisie und die Aristokratie mit einer irrational überschäumenden Wut verfolgt, sondern auch Proudhon, Lassalle, Bakunin, Adam Smith, John Stuart Mill, den Herrn Vogt oder das Gothaer Programm. So gesehen steckt hinter der gesellschaftsübergreifenden Vision vom Klassenkampf des Marxismus dann eventuell auch nur der aggressive, asoziale Wille zur Selbstbehauptung von Einzelnen. Dementsprechend morbid scheint dann auch die ständige Fixierung auf die Überwindung des Kapitalismus und die Etablierung des glorreichen Sozialismus in der Zukunft bei den Marxisten. Es hat etwas todestriebähnliches, etwas Ähnliches also zum ständigen Wiederholungszwang einer irrationalen Handlung, der ein aggressiver Impuls zugrunde liegt. Überhaupt, die Zwangsvorstellung von der Großen Befreiung im Marxismus, die er gegen das Bestehende auszuspielen versucht. Was aber soll diese große Befreiung sein? Da führt der Marxismus gegen den Liberalismus ins Feld, dass der Mensch kein Individuum sei, sondern ein soziales Wesen – wie aber sollte bei einem sozialen, sprich einem auf andere und anderes angewiesenen Wesen so etwas wie eine grenzenlose Befreiung möglich sein? Der glorreiche Sozialismus der Zukunft wird in den Werken von Marx und Engels immer wieder mit Bildern aus der Steinzeit illustriert. Indem er diversen dynamischen Elementen in der Gesellschaft (wie eben dem privaten Unternehmertum) die Lebensgrundlage entziehen will, steuert der traditionelle, orthodoxe Marxismus eine radikal unterkomplexe Wirtschaft und Gesellschaft an. Deswegen hat der Marxismus in den entwickelten Industrieländern, denen seine Analyse und seine Prophezeiungen gegolten haben, und in ihren relativ fortgeschrittenen Gesellschaften dann auch nie wirklich Fuß fassen können – weil er bereits zum Zeitpunkt seiner Formulierung eigentümlich veraltet und in seinen Verständnissen inadäquat gewesen ist. Wahrscheinlich wird er diese ursprünglichen Versäumnisse nicht aufholen können (was nicht heißt, dass er nicht als bedeutende Energiequelle für diverse soziale Bewegungen erhalten bleibt). Die Welt ist dann doch zu groß und zu bunt, als dass die simple Heuristik des Marxismus und des dialektischen Materialismus sie einfangen könnte. Die Kämpfe in dieser Welt sind zu zahlreich (und in ihren Zielsetzungen oftmals illusorisch), als dass man sie – wie es der feuchte Traum der marxistischen Revoluzzer ist – als „Klassenkampf“ (oder als „gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten“) vereinheitlichen könnte. Was mich dabei anlangt, so habe ich trotzdem nach wie vor gewisse Sympathien für den Marxismus. Ich interessiere mich sehr für Möglichkeiten, wie sich die Gesellschaft auf einem höheren Niveau der Qualität reproduzieren kann (halte das, genau gesagt, für den Sinn von Gesellschaften), und mir gefällt auch das Revolutionäre und das Ikonoklastische; und mir gefällt auch die sozialistische Folklore. Außerdem verspüre ich eine gewisse Solidarität mit den Armen und mit den Freaks – wenngleich keine grenzenlose Solidarität (der Marxismus tut so, als wie wenn die „Unterdrückten“ dauernd Recht hätten, obwohl das ja gar nicht ausgemacht ist). Im Herzen, vor allem, bin ich ja nach wie vor Kommunist. Auf der emotionalen Ebene begegnen mir andere Menschen als etwas Gleichwertiges. Auf der Verstandesebene weiß ich aber auch, dass Menschen einander nicht gleich sind. Optimismus der Herzen, Pessimismus des Verstandes. Ich habe das große Aufheben, dass die Marxisten um das „dialektische“ Denken machen, nie ganz verstanden. Abgesehen davon, dass sie das als Instrument zu verwenden scheinen, um gewisse, ihnen genehme Schlussfolgerungen zu rechtfertigen und zu beweisen, erscheint es mir als geradezu statisch und gefroren, als ein Hin- und Herschieben von Eisblöcken in der ewigen geistigen Arktis (der strukturalistische Marxismus versucht ohne Dialektik auszukommen; ich bin mir aber nicht sicher, inwieweit „Struktur“ eine adäquate Heuristik sein kann, um eine Gesellschaft zu beschauen). Das dialektische Denken ist recht langsam. Ich präferiere das ultradialektische Denken; und ich will das ultradialektische Denken und sein Bewusstsein – das Einheits-Bewusstsein – als Modell setzen, wie man die moderne Welt begreifen kann. An die Stelle des dialektischen, oder des formallogischen, oder des rechnenden, oder des besinnlichen, oder des rhizomatischen Denkens will ich das totale Denken setzen, das mit Totalitäten fertig wird oder sich zumindest mimetisch zu Totalitäten verhält: das total vernetzte, integrale Denken und Empfinden. Das wird sich sicherlich sehr gut anfühlen und einigermaßen nützlich sein. Es kann sein, dass die Menschheit für das totale Denken und das Einheits-Bewusstsein noch nicht reif ist. Es kann sogar sein, dass sie dafür auch gar nicht reif sein will, da sich in ihm liebgewonnene Identitäten aufzulösen scheinen (auch wenn das so nicht stimmt). Das totale Denken und das Einheits-Bewusstsein sind radikal anti-neurotisch; Menschen hegen und pflegen aber immer wieder ihre Neurosen, insofern sie ja auch deren primäre Energiequelle sein mögen. Dann aber bleiben die Menschen halt in ihren kleinen Formaten hängen, aus denen heraus sie von grenzenloser Macht und Befreiung phantasieren, oder sich wahlweise für so unterdrückt, ausgebeutet, schlecht behandelt, in ihrer Selbstverwirklichung behindert etc. fühlen etc.

Artikel: Der richtige Marxismus

Gianni Vattimo: Das Tao des schwachen Denkens

Das Weiche siegt über das Harte.

Das Schwache siegt über das Starke.

(Tao te king)

Gianni Vattimo ist der wichtigste Vertreter der italienischen Postmoderne in der Philosophie. Die Postmoderne in der Philosophie versteht sich als Abgesang an den Gedanken der Letztbegründung, daran, dass das Sein ein stabiles Fundament hat und es eine letztgültige Wahrheit „da draußen“ gäbe, an die Idee einer Metaphysik der starren, ewigen und starken, verbindlichen Strukturen – die von einem starken, umfassenden, mit normativer Verbindlichkeit auftretenden Denken erfasst und deklamiert werden könnten. Vattimos Innovation in der Philosophie ist das „schwache Denken“. Das schwache Denken reagiert auf eine „Ontologie des Verfalls“, einem Verfall der Absolutheitsansprüche, des religiösen oder des Platonischen Ideenhimmels und auch der Subjektzentriertheit, des Humanismus in der Philosophie und in der Lebenswelt. Die Sphären sind eingestürzt. Gott ist tot und es gebe keine Verbindlichkeit mehr in der Kunst und im geschriebenen Wort, erkennt Vattimo mit Nietzsche an, und die Herrschaft des Ge-stells dezentriere den Menschen aus dem Sein und sei eine gleichsam ironische Verwirklichung des Anspruchs der Metaphysik, alle Seienden in ursächlichen, vorhersehbaren und beherrschenden Verhältnissen tendenziell miteinander zu verbinden, übernimmt Vattimo als Diagnose von Heidegger. Die Lebenswelten haben sich in der Moderne ausdifferenziert (könnte man mit Max Weber sagen), daher habe sich auch die Vernunft pluralisiert (über die Stimmen der Marginalisierten und Ausgeschlossenen und deren Vernünftigkeiten und Gegenmächte nähert sich Vattimo, anders als Foucault oder Derrida, an die Zusammenhänge allerdings nicht an, und auch nicht über nicht-westliche Stimmen: er betrachtet das schwache Denken und die Ontologie des Verfalls hauptsächlich innerhalb der Traditionen des westlichen Denkens). Die Verwindung der Metaphysik ist nichts anderes als die Säkularisierung. Für Vattimo ist die Wissenschaft vom schwachen Denken und der Ontologie des Verfalls allerdings, ähnlich wie für Nietzsche, eine fröhliche. Wie auch für Rorty ist für Vattimo das Vorhandensein einer Wahrheit, eines Fundaments, einer Präsenz gleichbedeutend mit etwas Gewaltsamen, mit etwas Autoritärem. Er will nicht unbedingt was Starkes und kein inhärent unterjochendes starkes Denken. Er stellt sich, wie Rorty, gegen vergegenständlichende und totalisierende Züge in der Metaphysik (wie bei der Lektüre von Rorty, der noch rebellischer ist als Vattimo, drängt sich allerdings die Frage auf, inwieweit es diesen Totalitarismus in der Metaphysik und in der Geschichte der Vernunft denn jemals gegeben habe). Das schwache Denken will kein autoritäres Denken mehr sein. Es proklamiert keine ewigen Wahrheiten mehr und kommt mit keinen Ewigkeits-Statuten mehr daher. Es ist vielmehr interpretativ und pragmatisch, es stabilisiert und errichtet „pragmatische Stabilisierungen innerhalb der Phänomenalität“ (Wolfgang Welsch) indem es justiert. Es ist, könnte man wohl sagen, empathisch und sympathetisch. Mit dem schwachen Denken wird die traditionelle Metaphysik nicht (triumphal und polternd) überwunden, vielmehr wird sie (um den heideggerschen Terminus zu bemühen) ver-wunden: ihre Fragestellungen werden bedeutungslos und zu etwas, das in der Zeit zurückliegt. Allerdings werden sie nicht vergessen. Die Verwindung ist auch Andenken: eine Wiederaufnahme der Philosophie und ihrer Inhalte, allerdings ohne Absolutheitsansprüche. Vattimo plädiert für eine Haltung der pietas, eine Aufmerksamkeit, eine andächtige Achtung vor dem, was nur einen begrenzten Wert besitzt, aber gerade aufgrund dieses begrenzten Wertes Aufmerksamkeit verdient, weil er der einzige ist, den wir kennen: pietas ist die Liebe zum Lebendigen und dessen Spuren. Das Lebendige, das ist vielleicht nicht die letzte metaphysische Wahrheit, aber das ist das Vorhandene. Das Vorhandene ist, wenn auch von begrenztem Wert, das Einzige und der einzige Wert, den wir haben. Das Vorhandene ist außerdem das geschichtlich Gewordene. Das geschichtlich Gewordene ist das, was sich im Sein ereignet, und Vattimo übernimmt von Heidegger: das Sein manifestiert sich nicht in einem stabilen Grund, sondern in Ereignissen, in denen das Sein zum Ausdruck kommt (einen entsprechenden Authentizitäts-Fimmel, der nur „authentischen“ Ereignissen wahres Sein zukommen lassen möchte, teilt Vattimo dabei mit Heidegger nicht: er ist demokratischer und liberaler). Die Ereignisse, das geschichtlich Gewordene, das Lebendige (nicht das illusionäre metaphysisch „Wahre“) bilden das, was wir haben und was uns angeht. Wir verbinden uns mit diesen begrenzten Werten über pietas und über Hermeneutik – der hermeneutischen Auslegung des Lebendigen und des geschichtlich Gewordenen. Das geschichtlich Gewordene (auch wenn es, wie Heidegger meint, ein Irrtum (der Seinsvergessenheit) ist), ist für uns eine Bedeutungsganzheit, in der man sich wiederfindet, eine robuste Struktur, ein Verweisungszusammenhang, etwas, dem wir (in unserer Geworfenheit) sowieso nicht entkommen können, das wir aber besser verstehen können, durch Hermeneutik. Das bedeutet also weniger: der (ausschließenden) Analyse, sondern eher: des Kennenlernens. Der Maßstab für Wahrheit und Adäquanz ist die Gültigkeit (von etwas in) meiner Lebenswelt, die historisch vermittelt ist. Wir gelangen so zu einem epochalen Verständnis von Bedeutungsganzheiten, wenn uns auch ein totales verwehrt bleibt: durch diese hermeneutische Rückversicherung will sich Vattimo philosophisch stabilisieren und Wahrheitsanforderungen zumindest partiell gerecht werden (Rorty verwirft auch eine solche Möglichkeit und setzt sozusagen auf reine Anarchie). Hierin hat man praktisch den Vollzug der Heideggerschen Kehre: es geht nicht mehr um die Bestimmung der Struktur des Seins, sondern um die Hinwendung zum Sein – als Antithese zur Seinsvergessenheit (wobei Seinsvergessenheit für Heidegger de facto synonym ist zur Metaphysik). Indem die ewigen platonischen Ideen zugunsten des geschichtlich Gewordenen (und des gegenwärtig Lebendigen) entsorgt werden, wird der Weg frei für die Erscheinungen (die Platon als „irreal“ und „schattenhaft“ verwirft) und das zwanglose Anerkennen der Erscheinungen – einer Art Schwingen mit den Erscheinungen. Gegen die Instabilität, die sich in Vattimos Paradigma auftut, wird ein Schwingen und wird eine schwingende Existenz proklamiert. Lob der Erscheinung! Es ist eine erleichterte Wirklichkeit, in der man sich so wiederfindet. In der alles immer schon medialisiert und vermittelt ist, und in der wir von keiner „eigentlichen“ metaphysischen Wirklichkeit mehr getrennt, ihr gegenüber praktisch verworfen sind. Ich finde das alles recht gut und attraktiv, denn das verbindet sich ziemlich mit dem was ich auch sage und was ich auch will. Noch mehr begeistert mich Vattimos Verweis auf eine hermeneutische Interpretationsgemeinschaft, in der sich philosophisches Zusammenleben vollzieht, die in ihrer hermeneutischen Geschäftigkeit gleichzeitig in Andacht und pietas versunken ist, einer Kirche ähnlich (oder einer Sekte). Schließlich setzt Vattimo auf caritas, als einzig quasi-echten, quasi-totalen Wert. Die Wahrheit der Caritas sei keine religiös offenbarte, sondern eine rational erschlossene, die rational begründbar ist: Insofern wir uns selbst und unserem Nächsten am nächsten sind, ist die Caritas ganz einfach nur der rationale Ausdruck dieses Naheverhältnisses. So leben wir also dahin: in einer pietätvollen hermeneutischen Interpretationsgemeinschaft, schwingend in einem Sein als einer offenen Struktur, in der fortwährend neues Seiendes und Interpretationsmöglichkeiten von Sein produziert wird. Es scheint ein glückliches Leben, eine gelungene Existenz, ein befriedigendes Denken: das schwache Denken. Das Weiche siegt über das Harte, das Schwache siegt über das Starke, das haben wir Taoistinnen schon lange gewusst.

*

Der Sinn, den man ersinnen kann,

ist nicht der ewige SINN.

Der Name, den man nennen kann,

ist nicht der ewige Name.

Jenseits des Nennbaren liegt der Anfang der Welt.

Diesseits des Nennbaren liegt die Geburt der Geschöpfe.

Darum führt das Streben nach dem Ewig-Jenseitigen

zum Schauen der Kräfte,

das Streben nach dem Ewig-Diesseitigen

zum Schauen der Räumlichkeit.

Beides hat Einen Ursprung und nur verschiedenen Namen.

Diese Einheit ist das Große Geheimnis.

Und des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis:

Das ist die Pforte der Offenbarwerdung aller Kräfte.

(Tao te king)

Letztendlich nützt es doch nichts. Man kann dem dumpfen Pulsieren von Wahrheit, Grund, Präsenz usw. doch nicht entkommen, auch wenn Poststrukturalismus, Postmoderne, Kritische Theorie et al. mehr oder weniger plausible Versuche unternehmen, das zu tun. Aber alle diese Versuche, das zu tun, und alle Verständnisse von Wahrheit, Grund, Präsenz finden innerhalb des Logos-Denkens der westlichen Philosophie statt. Logos bedeutet ursprünglich „Rede“ oder „Sinn“. Östliches Denken geht aber darüber hinaus. Wittgenstein hat gemeint: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Extremes Grenzgängertum der Weisheit, oder eben östliche Weisheit, gelangt allerdings an Orte, die man nur mehr durch Paradoxien beschreiben kann: als Abwesenheiten, die gleichzeitig eine Anwesenheit sind, als Geist, der gleichzeitig eine Leere ist, als Leben, das jenseits von Leben und als Tod, der jenseits von Tod ist usw. Als Sprechen, das gleichzeitig Schweigen ist, oder das in geheimer, mit dem Schweigen amalgamierter Sprache spricht. Als Sinn, der gleichzeitig Nicht-Sinn (oder eben SINN) ist. Auch wenn es vielleicht keine (logische) Präsenz gibt, gibt es doch eine fundamentale Anwesenheit: denn wir leben im Sein, und nicht im Nichts. Wenn wir versuchen, diese Anwesenheit und dieses Sein fundamental zu erfassen, gelangen wir in eine Region, wo alles flackert. An der Grenze von Sein und Nichts vermischt sich notwendigerweise Sein und Nichts. Das ist dann der SINN. Überhaupt ist es so, dass auch das westliche Denken den Teufel der absoluten Sinnsuche und der Wahrheitssuche in der Philosophie (denn dafür ist die Philosophie ja da) nicht austreiben wird können. Das schwache Denken drängt in seiner Hermeneutik auf ein epochales Verständnis (der eigenen Epoche und des historisch Gewordenen). Aber letztendlich will das Denken und die Philosophie dann doch mehr (nicht, weil sie Macht oder Willle wäre, sondern weil sie eben Denken und Philosophie ist). Zwar kann man mit Hegel bedenken, dass ein epochal auftretender Sinn ein dermaßen privilegierter sein kann, dass er von vergleichsweise totaler Gültigkeit sein kann, oder mit Heidegger, dass ein Ereignis (in dem sich das Sein allein darstelle) ein dermaßen „authentisches“ sei, dass es universelles Wahrheits-Ereignis sei. Mehr noch kann man aber eben – eben mithilfe des Denkens! – versuchen, die Erscheinungen der Zeitlichkeit so intensiv zu penetrieren, dass man zum Überzeitlichen, zum Ewigen vordringt. Das ist eigentlich die höchste Aufgabe des Denkens – und das östliche Denken leistet da gute Hilfe. Das östliche Denken ist – in seiner prä-metaphysischen Haltung, die in Wirklichkeit eine meta-metaphysische Haltung ist – außerzeitlich.

Die Ewigkeit erkennen: das ist Weisheit.

Wer die Ewigkeit nicht erkennt, der handelt blindlings und unheilvoll.

Erkenntnis der Ewigkeit bringt Duldsamkeit.

Duldsamkeit bringet Edelsinn.

Edelsinn bringet Herrschaft.

Herrschaft bringt himmlisches Wesen.

Himmlisches Wesen bringet den SINN.

Der SINN bringet Dauer.

Ist das Ich nicht mehr, so gibt es keine Gefahren.

Das Denken will an und für sich nichts und strebt nicht nach Macht. Das Denken denkt sich nicht als „stark“ oder „schwach“, weiß nicht einmal, was das ist. Das ist eine äußere Unterscheidung, die dem Denken auferlegt und attributiert wird. Zen-Meister Sengcan lehrte dabei schon im 6. Jahrhundert:

Der vollkommene Weg ist nicht schwierig: nimm einfach keine Unterscheidungen vor … sobald du „richtig“ und „falsch“ denkst, gerätst du in Verwirrung und verlierst deinen wahren Geist.

Vielleicht ist das westliche Denken mit dem Ausüben von Macht verknüpft, weil der Ausgangspunkt der modernen westlichen Philosophie eben das Ich denke (also bin ich) ist. Im östlichen Denken geht es aber um die Freiwerdung des Denkens vom Ich.

Der Grund, warum ich große Übel erfahre, ist,

dass ich ein Ich habe.

Wenn ich kein Ich habe,

welches Übel gibt es dann noch?

Kritisches Denken geht gerne davon aus, dass das begriffliche Denken herrschaftliches Denken sei – denn Begriffe fasst es (ein wenig eigenartigerweise) weniger als Verständnis- und Verständigunginstrumente, denn als Herrschaftsinstrumente. Aber bereits seit Äonen steht in der Wan-ling Niederschrift der Lehren des Zen-Meisters Huang-po:

Der Weg ist das Aufhören des begrifflichen Denkens. Wenn du nicht mehr Begriffe und Gedanken aufkommen lässt, wie Existenz und Nichtexistenz, lang oder kurz, Selbst und Anderes, aktiv und passiv und Ähnliches, dann wirst du finden, dass dein Geist im Grunde Buddha, dass Buddha im Grunde Geist ist und dass der Geist der Leere ähnlich ist. Darum steht geschrieben, dass „der wahre Dharmakaya der Leere ähnelt“.

Die Leere wiederum ist das Tao (= „der Weg“). Die Leere ist im östlichen Verständnis weniger ein Nichts und eine Abwesenheit von Sein, eher ist sie ein ontisches Potenzial, in dem sich Sein ereignen kann. Der Geist bildet dieses gundlegendste Sein, das ontische Potenzial ab, indem er dieser Leere gleich wird. Das Denken, das mithilfe dieses Geistes oder innerhalb dieses geistigen Raumes stattfindet, wird zum Aufsteigen von reinem Sein als Aktualisierung von Potenzialitäten – und damit als etwas Reines für sich und nicht mit irgendwelchen weltlichen Zuschreibungen oder Zugriffen von Macht Verbundenes. Aus irgendeinem Grund gehen die westlichen DenkerINNEN (zumindest der Postmoderne) aber dauernd davon aus, dass es beim Denken darum geht, Macht auszuüben. Ich kann dazu nichts sagen, und ich kann auch kaum ersinnen, dass das Aufgabe des Denkens sein sollte.

Die Welt erobern wollen durch Handeln:

Ich habe erlebt, dass das misslingt.

Die Welt ist ein geistiges Ding,

das man nicht behandeln darf.

Beim östlichen Denken geht es darum, Macht zu transzendentieren, und jenseits der Macht, jenseits der empirischen Welt zu operieren.

Alle Welt sagt, mein „SINN“ sei zwar großartig,

aber er scheine für die Wirklichkeit nicht geschickt.

Aber gerade das ist ja seine Größe,

dass er für die Wirklichkeit nicht geschickt erscheint.

Diese „Wirklichkeit“ ist aber eben wieder die empirische Wirklichkeit und nicht die totale Wirklichkeit des Geistes. Es ist die Stätte, wo etwas auf was anderes „wirkt“, also eben tatsächlich „Macht ausübt“. Aber das interessiert hier nicht. Wenn wir vom Denken in letzter Instanz sprechen, müssen wir die transzendentale Wirklichkeit betrachten. Die transzendentale Wirklichkeit betrachtet sich gleichsam im Sinne der Bedingung der Möglichkeit davon, dass etwas auf was anderes wirkt. Sie ist also wieder die Leere, das ontische Potenzial, das vom Geist erfüllt ist bzw. mit ihm kongruent geht. Insofern östliches Denken die transzendentale Wirklichkeit betrachtet, besteht das Ziel der Weisheit des Ostens in der Erlangung dessen, was man im Westen als transzendentale Subjektivität bezeichnet; und die in der westlichen Philosophie tatsächlich vorwiegend ein theoretisches Postulat ist. Aber der östliche Weise ist die transzendentale Subjektivität.

Also auch der Berufene:

Er verweilt im Wirken ohne Handeln.

Er übt Belehrung ohne Reden.

Alle Wesen treten hervor,

und er verweigert sich ihnen nicht.

Er wirkt und behält nicht.

Ist das Werk vollbracht,

so verharrt er nicht dabei.

Und eben weil er nicht verharrt,

bleibt er nicht verlassen.

Der SINN wird behalten, weil er eben nicht ergriffen wird, aber ortlos überall da ist, anwesend ist. Der östliche Weise – oder eben die transzendentale Subjektivität – ist einerseits in sich selbst stationär, aber – wie eben der Geist – an nichts gebunden und sich an nichts bindend, an nichts anhaftend: nichts außerhalb seiner selbst als total, oder eben als Macht oder mit Macht in Verbindung stehend anerkennend.

Wer mit klarem Blick alles durchdringt,

der mag wohl ohne Kenntnisse bleiben.

Erzeugen und ernähren,

erzeugen und nicht besitzen,

wirken und nicht behalten,

mehren und nicht beherrschen:

Das ist geheimes LEBEN.

Aus der transzendentalen Wirklichkeit, über die transzendentale Subjektivität betrachtet, gibt es keinen Dualismus von Idee und Erscheinung mehr, über den SINN erscheint flackernd die ganze Wirklichkeit. Über die transzendentale Wirklichkeit erscheint die Wirklichkeit über eine Metaebene der Wirklichkeit. Welsch nennt das schwache Denken Vattimos aisthetisch-mimetisch. Und das ist, wenn man so will, tatsächlich nicht so stark wie rationales Denken. Das Denken des Tao aber ist noch stärker: denn es ist meta-rational. Und über diese Meta-rationalität, über den SINN, wirkt der Weise. Wie oben erwähnt, handelt der, der die „Ewigkeit nicht erkennt“ (also der schwache Denker) blindlings und unheilvoll – und der starke Denker, der glaubt, Ewigkeit zu erkennen, wahrscheinlich ebenso. Beide aber sind im Logos des westlichen Denkens befangen, und daher in seinen Schwierigkeiten.

Wer vieles leicht nimmt, findet stets viele Schwierigkeiten.

Also auch der Berufene:

Weil er die Schwierigkeiten bedenkt, darum findet er keine Schwierigkeiten.

Das totale Denken, das transzendentale Denken, muss, da es vollständig ist, notwendigerweise Paradoxien und Aporien in sich beinhalten. Und das östliche Denken lehrt, vor allem, wie man Paradoxien und Aporien richtig bedenkt. Das ist der Sinn des Koan, und das ist der SINN. Was mir gefällt, ist das totale Denken, das absolute Denken, das transzendentale Denken, das jenseits von stark und schwach ist. Und außerdem jenseits von West und Ost. Denn das rein östliche Denken ist letztendlich ziemlich passiv und neigt dazu, die empirische Wirklichkeit gar nicht wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Es ist kein wissenschaftliches und technologisches Denken. Es ist zu wenig rechnendnes Denken. Damit fehlen ihm wichtige Komponenten und Möglichkeiten des Denkens, und des Seins. Das totale Denken errichtet sich daher über wechselseitige Durchdringung des westlichen und des östlichen Denkens. Ich weiß nicht, wie viel Denken es im Norden und im Süden noch gibt, oder ob das Derivate davon sind. Aber das totale Denken wird auch das einst in sich aufnehmen, denn dem totalen Denken ist kein Denken fremd, hoffen wir es. Das totale Denken ist somit absolut. Sengcan sagte vor 1500 Jahren:

Der aufrichtige Geist ist absolut; das Absolute ist der aufrichtige Geist.

Meditiere über diese Weisheit.

Richard Rorty and the Quest for Truth

Philosophy, in general, is a quest for truth and Richard Rorty says that truth does not exist in this world. There is no „abolute“ truth out there, no „ultimate“ truth, no primordial truth in this world (or beyond the empirical world). He even claims that there is no „intrinsic“ truth in things. Truth is something attributed to things via sentences, via languages, and languages are a human construct. Outside of language truth does not exist, it is no inherent quality of things. Everything that we assume to know about this world eventually only is an interpretation: a contigent interpretation that is ultimately bound to and arises out of a specific cultural, historical, socioeconomic context. History is not a trajectory alongside which knowledge is created in the fashion of an ever increasing approximation to truth, it finally is only a contigent mess, a contingent chaos. Rorty is an anti-realist; he does not claim that there is a truth in reality that nevertheless might be difficult, if not finally impossible, for the human mind to be approached and understood: he claims that there is no truth in reality at all.

Rorty also says one of man´s most noble intentions, and the primary intention of the philosopher: a „will to truth“, a desire to get to know the truth (regardless of the outcome and the quality of that truth) does not exist. What is taken as a „will to truth“ or a „love for truth“ in reality is just some desire for justification, a need to systematise and to avoid (psychologically difficult to bear) cognitive dissonances, something political, or some kind of religious desire to get into contact with a higher instance that protects. A „will to truth“ or a „love for truth“ does not exist, claims Rorty.

Finally, Rorty equates truth and a „will to truth“ to something inherently authoritarian. To him, truth is something that finally will impose itself on us, as a law and as a rule, and limit our freedom, our authenticity, quasi incarcerate us. Truth, to him, is little else than a prison. The idea that there is a truth out there to him is an archaic sentiment that there was something „non-human“ out there to which we need to bow down (i.e. born out of (a desire for) self-humiliation). And what is a „will to truth“ finally is a „will to (the) Truth“ and a „will to power“ of some sort. Rorty wants to do away with all of this. With a „will to truth“ (and a „love“ for truth) and with the idea of „truth“ itself. He wants to do away with „the grim father figure“ (that „truth“ is supposed to be) and, therein, help humanity to reach actual „maturity“.

In this plasticity, Rorty´s philosophical credo strikes as somehow neurotic, and his staunch aversion against „truth“, realism (i.e. of something „non-human“ out there), „love for truth“ etc. as a neurotic aversion. He (quite deliberately) limits the notion about what truth actually could be and then (quite deliberately) universalises this notion and superimposes it on everything else – the entire empirical and „metaphysical“/transcendental reality. It is obvious that he equates metaphysics and traditional philosophy (and even science) to (conservative branches of) religion. He was stubborn and relentless to promote and defend his views, although they seem counterintuitive and perplexing (although he did so quite well and with quite good arguments). Contrary to Rorty´s „ironist“ stance that (philosophical) vocabularies are under permanent „redescription“ and change, Rorty´s (final) philosophical vocabulary never changed, but, in quasi-„metaphysician“-like manner, throughout his life and career stood erect, statuary and tall. Rorty also dismissed philosophy in general and said that politics is more important (and that the ultimate goal of human existence was the erection and furthering of liberal democracy, not a (philosophical) sorting out of „truth“). Yet Rorty´s zeal for truth as being the non-existence of truth strikes as fundamenally political alike. (Rorty – and that makes him likeable – expresses his annoyance about „liberal“, left-wing academics to steer science, education and institutional politics in a certain political direction; Rorty himself might not have been this way – was liberal and ironist enough to not have been this way – but, as a more intelligent person and a true philosopher, instead tries to steer all philosophy, science etc – the ENTIRE discourse about everything – in a certain direction.)

It is not easy to sort out how much Rorty´s philosophy is born out of (unhealthy) polemic or of (healthy) scepticism and critical thinking. Both seems amalgamated in his case, to say the least. Since Rorty´s arguments have solidity and often are non-trivial, what he says needs to be considered.

At first, however, his notion that there is no „intrinsic“ truth in things is the most confusing. Everything that exists needs to have „intrinsic truth“ in it, otherwise it would fall apart, not even form, not be identical to itself, it would have no essence, the world of existence would be a place of permanent miracles, or life would be „like a dream“ (respectively if there was no intrinsic truth in things there would be nothing to prevent such a chaos from happening at any time). Anything that exists needs to have stable intrinsic qualities in itself – which then are also their intrinsic „truth“. (I am actually confused and uneasy to say this, because it seems so trivial that I do not know why I need to say this – so that I cannot help considering that I might be in the wrong with this.) One might say that what we assume to know about the truth of things (their atomic and molecular structure, their chemical composition, their DNA code, their modes of interaction with other things, etc.) are mere „interpretations“ within a „language game“ called modern science, but these are not deliberate but very exact „interpretations“ with a high need for precision, which, furthermore, also enable the correct prognosis of things (therefore, they need to be „true“). And if they may, currently, be not the final „interpretation“ of things, or they may contain an empirically unapproachable Ding an sich that can never be revealed, it does not allow the stringent conclusion that things have no „inherent truth“ in themselves (such rather deems a flippant interpretation of how stuff is that we just have not managed to finally sort out by now).

Rorty does not like the idea of a „non-human“ truth being out there. He finds that degrading for humans. But non-human entities exist, and make up for most part of reality. We do have some power over them, and some power over them we do have not. I am grateful for these non-human things to exist. They are (like humans) not necessarily my friends, and not necessarily my enemies. They wake me up from my metaphysical slumber. They make me want to („poetically“) intepret them and they make me want to investigate them concerning their meaning and essence by rational conclusion. They limit my freedom in a useful way, and they construct my freedom out of nothing by their existence. In order to attain stable relations to them, they need to have intrinsic truth in them. I do not find the existence of non-human entities (or truths) denigrating. Rather I find their denial denigrating to them. I am a realist and I find it good to live in a world where there are laws, regulations and stuff on which you can trust. I find it good that I am not living in a poetic dream world. If I wanted to live in a poetic dream world I could go back to the middle ages, or to India.

Rorty´s denial that there was no „love for truth“, that „love for truth“ would be just come camouflage for something else also makes uneasy (and rather seems revealing about Rorty´s own motivations and inner states than of the subject under consideration). Quite polemically, Rorty equates a „love for truth“ to some secular version of a religious zeal and desire. In his striving for not only revealing „dirty little secrets“ behind human „love for truth“ but actually equating them both, Rorty even surpasses Nietzsche in his respective suspiciousness and scepticism (and edgelordism) – respectively Rorty´s position is of definitely other quality than Nietzsche´s as he is distinctly anti-suspicious and anti-sceptic in his denial for a human „love for truth“. Although Rorty offers some good points and stuff for consideration (without, however, any of these being something new) his stance finally is unconvincing and his lax argumentation make things just worse. I (like, to some degree, everyone else) am a lover of truth and, even after careful consideration and introspection, cannot identify with any of Rorty´s arguments. I actually love truth, with no second thoughts behind it. On another occasion Rorty equates „love for truth“ with (simple) intellectual curiosity. But curiosity not necessarily is very deep and not necessarily involves intellectual rigor and an acceptance of findings one was not actually looking for.

Rorty is a (neo-) pragmatist. He is very fond of the founding figures of pragmatism – William James and especially John Dewey – but he is less embracing towards the originator of pragmatism: Charles Sanders Peirce, whom he accuses of lack of orientation and depth of focus. The only true innovation Rorty sees in Peirce is that he enabled the „linguistic turn“ in philosophy – which nevertheless independently was also initiated by Frege. (I have not read a lot by or about Peirce yet, but his writing style and his ideas strike me as a manifestation of an extremely elevated and self-secure intelligence, even by standards of great philosophers – which obviously tragically subverted itself and hindered Peirce´s success among his contemporaries as Peirce was constantly rewriting his texts throughout his life and published little.) Yet, among other things, Peirce also introduced the idea in philosophy that man´s approximation to truth (is not a solitary thinker´s game but) is like within a scientific community that gradually progresses towards truth or, at least, towards ever greater clarity and transparency. Rorty dismisses this idea. To reiterate, Rorty not only claims that historical processes are essentially contigent (and therefore inherently no linear ascension) but also that a final „truth“ to be discovered does not exist in this world. Therefore any orientation towards discovering truth is an orientation towards nothing, towards an illusion.

Rorty, by contrast, advocates philosophical or scientific discourse being some kind of „conversation“ between philosophers or scientists. Yet Rorty´s notion of philosophical and scientific discourse being some kind of casual salon talk among the educated has met considerable criticism: since philosophical and scientific discourse cannot be „casual“ but, first and foremost, necessitate rigor. Rorty, however, is not in denial of this. To him, what needs to prevail in discourse is the better argument. One might note that an „argument“ refers to some truth, and a better argument must refer to something closer to truth than the weaker argument. Yet an argument usually does not refer to some metaphysical, ultimate truth (which alone Rorty denies to exist). An argument only needs to be correct (i.e. true/valid in a certain context, but not necessarily outside of that context). And an argument is done within language – again you have Rorty´s notion that „truth“ is only an element that arises within language, i.e. „epistemologically“, not ontologically.

Arguing and making discourse is a social praxis – therefore also science and philosophy are considered by Rorty to ultimately be nothing more than a social praxis. To Rorty, social praxis can never be evaded. And man can never step outside language. Ironists agree with Davidson about or inability to step outside our language in order to compare it with something else, and with Heidegger about the contingeny and historicity of that language. (p.75) Yet there are currently around 7000 languages in this world (dialects not included); there are 800 languages spoken in Papua New Guinea alone and 700 languages spoken in Indonesia. There is mathematics and its notation systems, there are sign languages, body languages etc., in sum: an overwhelming abundance of languages and systems to transmit information. Therefore stepping outside a language and comparing it to something else is an easy possibility at hand. Likewise, it is not clear what social praxis is, it at least does not have clear contours. Social praxis is not identical with itself. Transgressions against „social praxis“ permanently occur.

The point Rorty makes however is that anything that transgresses current social praxis will be, at least if it is successful, another social praxis, i.e. a given social praxis is not necessarily a prison, the prison no one can escape however is from everything being a social praxis. However I cannot help thinking about any idea that transgresses given social praxis of being something singular, emanating out from something that is (asocially) compact in itself – from something that is individual in relation to society (that „individual“ can also be a group within society). Stuff that transgresses social praxis of course happens inside a social praxis, but also outside of it. This double-naturedness is something that „totalitarian“ notions like those of Rorty, Foucault or Derrida (of EVERYTHING being (nothing more than) „social praxis“/“power“/“text“) do not seem to have been able (or will ever be able) to successfully integrate in their heuristics, despite all their Raffinesse in trying so.

Rorty refutes traditional epistemology, considering it useless and a wrong track (in philosophy paved by Kant). Rorty says we do not process information by some kind of inner experience and intuitions (from which we cannot finally sort out about what is our subjective inner experience and how much we can ever know about the Ding an sich) but by the more clear-cut and precise means of language. To Rorty, everything is language. Yet there is criticism against „linguistic turn“-philosophers like Rorty or Derrida (whom Rorty admires a lot) that, in doing away with epistemology, they elevate language to the same status of something that we cannot evade in our contact with the totality of reality and that effectively serves as a barrier against an „ultimate“ contact with the totality of reality. Despite his love for poetry and the power of imagination, Rorty remains very rational on this important part of philosophy. It might be fair to say that both, language and intuition (or more than just those), are our epistemological tools.

Rorty also endorses a concept of man that dissolves man into a social being, lacking inner solidity and cohesion. To Rorty, humans are (nothing more but) „complicated animals“ and centerless webs of beliefs and desires (p.88); he is among the (p)hilosophers who deny … that there is anything like a „core self“ (p.189). To Rorty, everything (also philosophical notions) is just constituted by „relations“, with the entire world being a „web of relations“ and the quality of entities being overally defined by the web of relations they are entangeled in,  and not by their „inner core“. Rorty mentions a lot of examples that actually illustrate human malleability (and malleability of philosophical concepts) and that are very useful for further consideration and deeper introspection. But he also mentions a „psychopath“ being the result of bad, malicious relations in which the psychopath misfortunately had become entangled. Yet this is an unlucky example. Psychopathy is an inherent quality in respective individuals (just how it manifests may depend on socialisation). More generally, Rorty again wants to come up with sharp, precise, definitive concepts which nevertheless just lack precision. Whether humans are nothing more but complicated animals is a matter of perspective. You may also consider archangels as being nothing more but „complicated animals“.

Considering humans to be „complicated animals“ rather appears as a „poetic“ notion than a rational one. But Rorty likes poetry! In the original sense, poetry means „creation“. And something that we call „poetic“ usually refers to something that (magically) seems to transcend its own obvious qualities and has additional meaning. Poetic language seems to reveal meaning that is beyond language and its own words. As such, poetry stems out of imagination and adresses imagination. To Rorty, a philosopical „truth“ – i.e. something that makes sense within philosophy – is a poetic creation/innovation, and the philosopher is less a „metaphysician“ who wants to expose primordial non-human absolute truths, but a poetic creator and innovator that comes up with something new that makes sense. Rorty even considers a (natural) scientist to be like this (also science to him ultimately is but a branch of „poetry“) Therefore the goal of philosophy (science, etc.) is (poetic) enrichment of our existence. Rorty says, the more vocabularies we have at our disposal, the more „knowlegde“ we have, the more poetry is in this world, the better. To him, the goal of generating vocabularies and of knowledge is not to get closer to a (final) truth but to come up with interesting stuff that enriches our lives. He advocates „knowledge“ to become „broad“ instead of „deep“.

Broadness and depth of knowledge however is nothing that can be seperated from each other. In fact, they make up for each other. – Yet to come to an actual and vital point: what is truth, eventually? Is truth a solid or an elusive concept? „Truth“, at first, refers to similar qualities like: correctness, justification, plausibility, adequacy, meaning, reason, causality, validity, proof, unmistakeable evidence, agreement, concordance, consistency, etc. etc. It seems all these concepts are of a more limited range and more context-specific than (absolute) truth. Yet all these concepts are also modes of truth. Truth, eventually, appears as something that cannot be definitely defined. Truth seems to dissolve into a Familienähnlichkeit between concepts. Despite being a disciple of Wittgenstein, Rorty does not take this into consideration. He wants to do away with the entire idea of truth (and its family-resemblant connotations) by coming up with a specific concept of truth: Truth limited to a „metaphysical“, primordial truth that manifests via revelation. Yet, again, truths that manifest via Revelation and have binding character are religious truths. Truly (rational) metaphysical (respectively philosophical or scientific) truths, by contrast, are reached by conclusion – and neither necessarily are „authoritarian“ nor universally binding. I, for instance, think there is no deeper truth than the universe (respectively any dynamic system and therefore any universe and any world) being a chaosmos, a mix of order and chaos, of determinedness and freedom, of necessity and contigency. I do not see a lot of authoritarianism in that or that there is something in that that „imposes“ something on us. At best, I see it as a useful corrective both against stubborn conservative notions that favorite stability as well as against overally idealist „permanently revolutionary“ notions that think they can dissolve any stability easily. Moreover, the truth of the chaosmos is rather not a truth as an essence. It is rather a truth as an attribute, as a characteristic (it would need deeper investigation to sort out what is a truth-as-essence and a truth-as-characteristic, and if they truly can be seperated, nevertheless). Rorty always implicitely talks about truth as being a truth-as-essence (and dismisses it as such). But Truth may come around in many forms.

Rorty´s battle against „truth“ somethimes strikes as a contigent battle, a battle against the arrogance and high-handedness within (US-American) academic philosophy, where Rorty originally had been an outsider. Yet of course it is of much more transcendent importance, and it is a battle within philosophy itself. A bit about this battle seems out of date nowadays nevertheless. Postmodernism (within which Rorty was part of the US-American branch) has done its share and transformed philosophy, in some parts at least the atmosphere within science and philosophy seems more relaxed than in former times. Even economists don´t seem to be that dogmatic anymore. The discourse seems to have embraced a bit more the „ironist´s“ stance and reduced the gravity of the „metaphysician“. Yet of course Rorty´s battle is a battle about the foundations of philosophy itself.

I do not think that Rorty´s kind of battle will eventually win however. Philosophy is metaphysics, not irony or poetry. Both irony and poetry are tools within the philosophical toolbox, but not philosophy itself. Rorty´s philosophy renders philosophy a bit meaningless, and therefore it seems counterintuitive that it becomes philosophy itself. In some resemblance to what Rorty admits about irony and the ironist´s stance – that it is inherently reduced to a matter of private refinement, but cannot be building priciple of the public/social/political realm where things need to be taken seriously – Rorty´s philosophy may be a tool for refinement of philosophical disourse and perception, but not philosophical or scientific discourse itself: where things need to be taken seriously and where we, first and foremost, find ourselves entangled in stuff that highly matters to us, that is serious to us and needs precision – and where we have no effective means to sort out between what is a contingency and what is of much more transcendent importance (not necessarily as an absoute or eternal truth but a contingency so far reaching that it makes no use trying to take it (and dismiss it) as a „contingency“). In general, reality is something very vast. Also, as we have noted, „truth“ is something very vast. In this vastness of reality there seem to spheres where Rorty´s philosophy is of use and seems highly applicable. And others where it seems not. And then there are unknown unknowns. Things we don´t know that we don´t know what concept of truth and what philosophy would be most adequate to them. Life is, and remains, a mystery.

In the big picture, Rorty might be right with his vision of our world being a nothing but a mess of contigent struggles and small games about elusive „truths“ in which we take ourselves too serious. When I was younger I sometimes wondered whether the world could actually be like this. But this a rather dreamy and poetic picture, not a highly sober one. It seems to originate more from nebulous imagination than derive from rational conclusion. But, as they say, dreams may come true. Maybe Rorty´s time is not yet ripe for the breaking and maybe this time is about to come in an Aeon that is yet behind the horizon. Maybe the 22nd century will be called Rortyian.

All quotes from Richard Rorty: Contingency, Irony, and Solidaridy, Cambridge 1989

Richard Rorty: „Ironist“ and „Metaphysician“

Richard Rorty defines an „ironist“ as someone who doubts that the „vocabulary“ (i.e. set of beliefs, explanations, justifications, models, „philosophies“, etc.) she currently uses can be an ultimate vocabulary, immune to change, subversion or revolution. The ironist is aware of the contingent character of all vocabularies and of the contingency that she happens to use a specific vocabulary at a given moment, i.e. the ironist knows that any vocabulary is frickle. I call people of this sort „ironists“ because their realization that anything can be made to look good or bad can be redescribed, and their renunciation of the attempt to formulate criteria of choice between final vocabularies, puts them in the position which Sartre calls „meta-stable“: never quite able to take themselves seriously because always aware that the terms in which they describe themselves are subject to change, always aware of the contingency and fragility of their final vocabularies, and thus of their selves. (p.73f.)

Richard Rorty also says: the truth about the world is that there is no ultimate and fixed, final truth in it – there is only contingency (an apparently self-contradictory claim, yet, given the possibility that it is true, it is not (under such a circumstance, it cannot be made otherwise)). From such a perspective, irony seems the adequate adaption of the subject to such an objectivity. This is, then, the „meta-stability“, as the only possible stability in an, at best, meta-stable world.

On the other hand, there are the „metaphysicians“: some folks who think there is an ultimate „truth“ „out there“ and want to discover it. In this sense, the metaphysician is someone who takes the question „What it the intrinsic nature of (something)“ at face value. He assumes that the presence of a term in his own final vocabulary ensures that it refers to something which has a real essence. The metaphysician is still attached to the common senseetc. (p.74) In so far as the contigent nature of existence and the absence of ultimate, fixed truths is something that Rorty, with an aggressive irony, defends, the metaphysician appears as an odd fellow and a backward creature in the (final) vocabulary of Rorty. The ironist, by contrast, is little else than Rorty`s self-describtion.

Now take a look at me: apart from maybe Diogenes (who, however, was a cynic) there seem to be no musings in philosophy that embrace irony more than mine. Ironically, this is so because I am a very sincere metaphysician. I strive to get to know truth, I strive for better explanations than those that currently exist. I do not have many ideological inclinations, desires or a will to power about how this truth should be, in the truth being so and so and having this or that quality. But I am very interested in what the truth is (a type of subjectivity and a subjective zeal that, according to Rorty, cannot even exist. He, however, permanently fails to explain in a satisfactory way, why). Yet, as it seems, because I am such a commited metaphysician, I know what a tricky thing metaphysics or a quest for ultimate truth is. Because of this, I am naturally an ironist. Metaphysical truths are, practically by definition, truths we cannot finally be sure about. So I try to erect plateaus over the abyss. But even though they may appear as such at first glance, they are not meant to be some clownish contigencies! They are meant to (fundamentally) be true, and their intention is metaphysical.

So we need to reflect on this, and on what Rorty comes up with.

*

Irony is a virtue of the subject. It is maybe the virtue of the most sophisticated of subjects. The world, in its cruel contingencies and iron laws, is not ironic. Irony is a clever adaption to them cruel contingencies and iron laws. With irony, the subject can distance itself from them cruel contingencies and iron laws, and even gain some superiority over them. Irony gives you inner freedom. Inner, subjective freedom, ultimately, may be the more profound freedom than objective freedom. As illustrated e.g. in Orwell´s 1984, sadistic torturers and totalitarian regimes do not only want to take your political freedom, they want to destroy your inner freedom. This is when they have achieved to finally break you. Socrates could not be broken. Not only the massive objectivity of the state and its tribunals, but even the value of life and death itself evaporated under his profound ironic stance – and so, in considerable terms, he triumphed over any of these massive objectivities and put them to shame.

Both Kierkegaard, in his magisterial thesis about Socrates and Irony, and Rorty note the massive negativity that lies in irony – a negativity that, however, liberates, as it dissolves the impositions and impertinences of fake positivities inflicted on the subject. Rorty even writes: Irony is, if not intrinsically resentful, at least reactive. Ironists have to have something to have doubts about, something from which to be alienated. (p.88) Also Kierkegaard eventually remains doubtful about irony as the highest elevation of subjectivity, the crown of subjectivity. To him, the highest elevation of subjectivity is when the subject becomes „transparent (in God)“. An ironic subject is not necessarily transparent; irony actually also obfuscates. We will touch upon that later.

However, I have doubts about Rorty´s negative stance on irony. Irony, if it is healthy at least, is neither that reactive, nor that doubtful. It is much more primary. If you are the cognitive type of a mismatcher, your „irony“ is primordial. If you think twice, there is no actual reason why an ironic mind should not be positive, constructive and very affirmative (and if, in the big picture, you want to adequately sort out what is cause and effect, action and reaction, you might run into a complicated chicken or the egg problematic anyway).

(On this occasion, since the „ironist“ is but a self-description (or self-idealisation) of Rorty, it may come to mind that Rorty with his specifically as such outlined at least reactive, if not intrinsically resentful irony actually may have been an unhealthy ironist, borderlining a cynic. His staunch disapproval of „metaphysics“ and „absolute truths“ (maybe in reaction against the arrogance within US academic philosophy at his time and where he was not particularly appreciated) may appear as being borne out of or gradually transformed into a cynic impulse, as something partially neurotic. Also, contrary to Rorty´s affirmation of permanent redescription and reinvention of vocabularies, Rorty´s vocabulary always stayed the same.)

As Slavoj Zizek illuminatingly notes, an ironic person takes the things actually more serious than she pretends to do. Them things may be nearer and dearer to her than it seems and may concern her more than it seems. Actually, they may truly concern her. The ironist is not indifferent. Irony is not the same as sarcsasm or cynicism. In sarcasm you have despair. The cynic despises. It may be just the ironist who appreciates, who is the positive lover of things. The ironist likely appreciates things or would like to appreciate them if they were not insufficient and inadequate, and even more likely, the ironist is aware of her own insufficiency and inadequancy. Irony therefore is also a consciousness about one´s own inadequancy and of the inadequancy of everything. It is a (happy) melancholic consciousness. Rorty was said to have been a melancholic (according to Aristotle, every thinker is).

*

Therefore the ironist most likely will be a liberal. Liberal democracy appears as the natural political habitat of the competent, autonomous subject that is nevertheless attached to and interested in others i.e. that has itself included in society, that is a social being. Like anyone else the ironist wants to spread her own culture and live in a cultural environment that aligns to her own values. The ironist wants people to grow and prosper and to become competent enough to be able to stand for themselves (the cynic does not believe in such a possibility). Socrates, the master ironist, considered his interactions with people as midwifery and obstetrics: help them to grow their own autonomous and virtuous intellect. Therefore the ironist will prefer the system of a secular liberal democracy.

Richard Rorty is a staunch advocate of liberal democracy. To Rorty, liberal democracy and the furthering of liberal democracy is the ultimate goal of human existence (and even more important than the preservation of philosophy). He even flat out denies that philosophy can be of much help in shaping political communities and discourse. (To him, societies are not bound together by philosophical concepts but by vocabularies. This is of course true against chauvinist notions philosophers may hold (I can´t think however of any serious philosopher who did so), but is dismissive about philosophy being a vital part of (political) vocabularies.) Also his favorite attitude, that of the ironist, is eventually not meant to be political: I cannot imagine a culture which socialized its youth in such a way as to make them continually dubious about their own process of socialisation. Irony seems inherently a private matter. (p.87) (The ironist) cannot offer the same sort of social hope as metaphysicians offer. (p.91) The metaphysician, in short, thinks that there is a connection between redescription and power, and that the right redescription can make us free. The ironist offers no similar assurance. (p.90)

Therefore, irony to Rorty primarily is a matter of individual refinement, not a means to construct and solidify political communities: he is, again, dismissive of such possibilities. (Despite the rationality of this notion and Rorty´s positive reflections on the apparent connections between irony and liberalism again you seem to have some strange cynical depreciation by Rorty against what he is actually doing.) To Rorty, an ironist also is not necessarily a liberal. Liberals to Rorty are people for whom (to use Judith Shklar´s definition) „cruelty is the worst thing they do“ (p.74) Rorty abhorrs cruelty (among humans). That seems to add up. Cruelty may nevertheless be ironised by the ironist (a sophisticated ironist may find interesting solutions of how to be ironic even about cruelty – respectively for ironists from another culture being ironic about cruelty might just be the most natural of things). Yet both the ironist and the liberal will have a „live and let live (and let everything prosper)“ attitude. In order to ensure (decent) living, cruelty needs to be restrained. (Q.E.D.)

(Nietzsche was an ironist and, on the healthy side of his personality (Zarathustra), a staunch anti-authoritarian liberal. Yet on the unhealthy (cynical) side he was some sort of fascist or an advocate of a highly stratified, caste-like society. In his paranoid emotionality, Nietzsche was permanently concerned that „the weak“, the decadends, christians, socialists, the lower classes etc. would like to weaken him and inflict cruelty on him. And he wanted to be sheltered. Paranoia is usually a projection of one´s own aggression into others and into the environment, and the question of action and reaction again is very convoluted (as is the philosophy of Nietzsche in those respects). In a revelatory poem however, Nietzsche muses that the Eagle does not deadly attack the Sheep out of hunger (i.e. out of self-preservation). But BECAUSE HE HATES THE SHEEP. Nietzsche was of superhuman sensibility and kindness. But there also was great cruelty inside him. Without this pathology he likely would have actually been the greatest and most integral philosopher of all time.)

(Plato – who embraced irony and to whom we owe the description of Socrates` irony –, with his idea of the state run by virtuous and self-restrained philosophers, articulated nearly 2500 years ago in ancient Greece for some good reason, wasn´t, in this fashion, a liberal democrat either. But the basic motivation for the philosopher-run state was to avoid unnecessary cruelty against any of its citizens. Yet  neither Plato nor Socrates were „ironists“ in the Rortian sense. They were „metaphysicians“ who boldly considered ethics and virtue, „ideas“ and „the Good“ as the highest „idea“, as ultimate truths, as something absolute. They came to this conclusion however by sucessfully ironically subverting the absolute validity of everything else. And Plato was clever and ironic enough to acknowledge that it is not (or cannot be) exhaustively clear what an „idea“ actually is and what „the Good“ actually is. He left it open. Plato, usually considered as the No. 1 philosopher, was an „ironist metaphysician“.)

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Both the „ironist“ and the „metaphysician“ are ideal types. Rorty (somehow) constructs them to play them off against each other (usually in favor of he former). Yet there also seem to finally be individual idiosyncrasies by Rorty in this game again. Rorty acknowledges to use the term „metaphysician“, in a sense of the term which I am adapting from Heidegger. In this sense, the metaphysician is someone who takes the question „What it the intrinsic nature of (something) at face value. He assumes that the presence of a term in his own final vocabulary ensures that it refers to something which has a real essence. The metaphysician is still attached to the common senseetc. (p.74) I cannot remember correctly if Heidegger defined (or would have defined) a „metaphysician“ like this. However Heidegger´s own philosophy and his metaphysical aim was to illuminate the secrets of Being. Yet to Heidegger to illuminate the secrets of Being not only required rational thinking and philosophy but, even more, some possibility of sentient experience. He was dismissive of rational rechnendem Denken and advocated a (hopefully) more integral besinnliches Denken (the (political) tragedy of Heidegger consisted in never being able to exactly figure out what the core of this besinnliches Denken and the „authenticity“ it should bring about actually should be – due to his lack of sentience).

At the same time, Heidegger was acutely aware that there might not be deep and profound, primordial – i.e. „metaphysical“ – truths lying hidden in Being. And that the history of philosophy – and the philosophical „quest for truth“ – is not necessarily an ascending path but contingent (he even considered it basically an error – a history of Seinsvergessenheit). To Heidegger, the human urge to metaphysics much rather stems out of the obvious absence of positive ultimate truths, out of man´s Hineingehaltenheit ins Nichts. Out of this nothingness, man, out of his metaphysical urge, basically would then construct some metaphysics that seems appropriate to him. I.e. Metaphysics, to Heidegger, rather seems a constructive, creative and „poetic“ undertaking than a discovery of fixed, ultimate truths – as it is to Rorty.

Throughout his life Rorty remained very fond of Heidegger (as well as of Nietzsche and Wittgenstein). All of them started to philosophise out of a distinct metaphysical urge but became dismissive and/or iconoclastic against „metaphysical“ notions of some absolute, ultimate truth being out there. Rather, they came to see metaphysics as an enterprise of „poetry“ (and were distinctly poetic in their highly vibrating writing styles). Also Rorty´s ironist thinks of final vocabularies as poetic achievements rather than as fruits of diligent inquiry according to antecedently formulated criteria. (p.77) – whereas the metaphysician does not redescribe but, rather, analyses the old descriptions with the help of other old descriptions. (p.74) To Rorty, the instrument for discovering (non-scientific) existential truths is not metaphysics and philosophy, but poetry (he even goes as far as considering science as some kind of poetry). He proclaims that literature (especially novels) is more useful for augmenting humanism and ethics than philosophy.

I am a poet and in contrast to Rorty I have written several novels. Yet also in contrast to Rorty I do not consider poetry that absolute or literature that intelligent (for instance I cannot quite understand how someone of the intelligence of Shakespeare spent his life writing dramas instead of ascending to philosophy at some point). Philosophy is more intelligent than literature because you need to work at a higher level of abstraction while you need to keep the details and idiosyncrasies in your mind as well. And you finally need to sort out things, you need to be precise. Heidegger, Nietzsche or Wittgenstein have not made profound contributions because they were poetic – a minor comedian is poetic as well – but because they were intelligent. Their charisma stems out stems out from them having been – from beginning to the end – metaphysicians (in a more broader term the Rorty´s (somehow polemical and pejorative) figure st he „metaphysician“) (as well as in the more narrower sense: Nietzsche came to completely unironically consider his concepts of Will to Power or of the Eternal Return the Same as absolute, metaphysical truths; Heidegger was stuck in his quest for authenticity (which requires something authentic to finally exist) and Wittgenstein in his peculiar intellectual radicality and his desire to make everything he did an ethical undertaking. Needless to say, Rorty also ends up as metaphyscian in his definitive attachment of the notion that there is no absolute truth – a truly metaphyscial position, since it is unprovable). Heidegger, Nietzsche and Wittgenstein longed for wisdom, not for poetry. (Maybe it is Rorty who actually longs more for poetry than for wisdom.)

Rorty´s notion of metaphysics and his concept of the metaphysician is somehow constructed. What he describes as metaphysics – a quest for ultimate and tangible truths, then to stick to them and impose respective codes of social conduct on others – rather resembles religion. Any true metaphysician is/should be aware that metaphysics by definition is beyond of what can intelligibly be reached. Metaphysical „truths“ per se are unprovable. Rorty somehow takes metaphysics as an ontological enterprise (aiming at revealing a true character st he objective, physical world). Yet metaphysics should actually be seen, with Heidegger, as an interpretation of man´s In-der-Welt-sein. Metaphysics necessarily involves the question about how much we finally can be able to grasp „ultimate“ truths beyond our immediate reach, i.e. it involves epistemology and the subjective element inherently. Apart from ontology and epistemology, metaphysics also involve deontology (the question what should be done, how conduct should be within the universe) and eschatology (the question st he „meaning“ and the telos of existence). However, this metaphysical „interpretation“ needs to have some plausibility, validity and intersubjectivity (otherwise it is mysticism). Therefore, metaphysics is an interpretation of something that cannot finally be explained by abstract conclusion of evidence, logics etc. that st h be found in this world (as zuhandenes Zeug, in a way). The metaphysician also redescribes, even though he does it in the name of reason rather than in the name of imagination. (p.90) Err, yes. Metaphysics is overly a rational enterprise, not „poetry“, although it also necessitates imagination (hence the „poetry“ in practically all metaphysics and metaphysician´s writings). Also Heidegger´s undertaking and notion of truth finally is meant st h revelatory (not poetic).

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The ironist spends her time worrying about the possibility that she has been initiated into the wrong tribe, taught to play the wrong language game. She worries that the process of socialization which turned her into a human being by giving her a language may have given her the wrong language, and so turned her into the wrong human being. But she cannot give a criterion of wrongness. (p.75)

Indeed, Rorty`s notion about contigency as something countercultural appears as such a contigency. In Eastern „vocabularies“, in Taoism or in Shintoism, the acceptance of contingency, impermanence and change seems to come much more natural than in the Occident. Also, there seems to be greater fatalism against violence and cruelty, which are seen as forces as old as the world itself. Nevertheless, the Eastern mentality does not strike me as very ironic. I might be in the wrong, but I have not noticed a lot of irony in the many cultural artefacts from Japan. Irony is subjectivity at ist peak, and in collectivist cultures there is less room for subjectivist peaks. It was probably the misfortune of these cultures that they were not „metaphysicist“ enough, but rather dreamy and „poetic“, without the metaphysician´s need for precision – that then translates into a truly scientific and philosophical worldview. They did not invent science or technology, and neither democracy nor individualism.

Nevertheless, these Eastern „vocabularies“ are (both on the superficial and the deep level) „metaphysics“. In Taoism, the contingencies in this world stem out from the Tao, in Shintoism they are the result of struggles between indestructible, transcendental forces in the cosmos. The practical and ethical zeal within these vocabularies is to align man to these cosmic forces and principles – in a pious, religious, non-ironic way. (At very sophisticated levels of piousness, e.g. in Sufism, you have some room for irony again, e.g. yelling at and scolding God for his frequent stupidities and cruelties he inflicts on us.)

Zen Buddhism is a method to come to terms with the transcendental (or transcendentally imposed) contingencies inflicted on us as well – respectively with the paradoxes and aporias of existence. The behaviour of the Zen Masters apears as profoundly ironic. Yet it is also profoundly that of a metaphysician (if you don´t give the correct answer to an essentially opaque koan, you get beaten). On the other hand, Zen Buddhism is neither ironic nor metaphysicianist. Zen Buddism tries to establish a meta-level to metaphysics and a meta-irony to irony. Zen Buddism tries to achieve what in Western metaphysics we would call transcendental subjectivity. With this transcendental subjectivity you should actually be able to understand the world, and yourself in it, as how it fundamentally is. The articulations of the Zen Masters are paradoxical and it seems difficult, if not impossible, to actually describe what they see. Yet actually it is easy. The Satori perception allows you to permanently switch between motif and background. And it actually is the essential structure of the world that motifs appear from/in a background and illuminate and reveal each other. Yet ordinary human perception either focuses on one or the other. The Satori perception directly gazes into the interplay of both. The interplay between background and motif is both contingent and ironic as well as it is fundamental. With the Satori perception you are both a meta-metaphysician and a meta-ironist. Mundane categories like „ironist“ and „metaphysician“ are of less concern to you.

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Irony at a very sophisticated level of piousness and religiousness you also have in Kierkegaard. Yet also only to some degree (actually to quite a little one, as Kierkegaard was a religious maniac). That is inherent, because „religion“ means the „careful observance of the laws and duties“, i.e. something staunchly metaphysical and something that Rorty abhorrs. Yet Kierkegaard likes irony. At the end of Either/Or you have an Ultimatum on The Upbuilding in the Thought that: against God we are always in the wrong. That seems to be the ultimate peak of irony. And I also like the idea that against God we are always in the wrong. I like the idea that there is an intellectually and ethically supreme instance against which we always remain in the wrong (though Kierkegaard means something different in his text). How ironic that against God we are always in the wrong! And how fundamental, and immune to any contingency, that against God we are always in the wrong!

In rational terms, this world, in ist superficiality and ist depth, evades us. We do not master past, present and future. We do not master Sein und Zeit. Ultimately (yet only: ultimately – in time we can achieve important successes) we are always in the wrong against those instances. Spiritualise this, and spiritualise yourself, and you have: against God you are always in the wrong. And this is cool. It is actually uplifting. That against a forever intellectually and morally supreme instance you are always in the wrong makes you feel safe – and it gives you a stable, fundamental, transcendental identity and place (i.e. something which, according to Rorty, cannot exist): you are the one/someone who against God is always in the wrong. And who affirms it. That is the final truth of (your) existence.

The final conclusion of Kierkegaard´s On the Concept of Irony with Continual Reference to Socrates is also an enigmatic ellipsis, stating that the highest elevation of subjectivity is not irony, but humor. On other occasions Kierkegaard states that the highest echelon man can achieve is to become „transparent in God“. What being „transparent in God“ actually means is, like everything else Kierkegaard says, difficult for the ordinary mind to understand (an improvement of understanding should come with time). Yet irony is somehow intransparent, obfuscating, confusing indeed. Irony frequently (even inherently) is a suboptimal tool in communication, since with irony you tend to confuse people. It may also be superficial. The ironist itself may just be confused. It is maybe an obfuscation of confusion and superficiality. (The „ironist“, to whom Rorty always refers to in the female form, may actually, in a flash, resemble a striking, fascinating „femme fatale“ woman that hypnotises with unconventional behaviour and elusive „now you see me, now you don´t“ attitude but who, however, becomes repetetive after a while.) Humor seems somehow more integral and comprehensive than irony, as well as something more positive. Humor accepts things and the humorist accepts herself, maybe in some way of happy half-resignation against cruel contigencies and iron laws (which, however, does not rule out subversion – since humor is affirmation and subversion alike). Humor erects some kind of (unexpected, constructive, revealing) mirror image on the subject of humor. Irony (somehow grudgingly) subverts, but humor equalises and alings subject and object.

Kierkegaard enigmatically concludes that humor is beyond the state of man – it is a divine state, the state of the Gottmensch. Again, without further elaborating on it. However, if you find Upbuilding in the Thought that: against God we are always in the wrong, you are most likely beyond a state of irony. You are, then, actually in some heavenly state of humor! You have ultimately approached the divine, as much as approaching the divine is possible. In a way, with you being always in the wrong against the divine, you humoristically mirror the divine – which, due to the paradoxes it necessarily contains, never completely is in the right, but is insufficient all alike. Maybe more insufficient than you, since it is the more perfect creature, i.e. minor insufficiencies may weight heavier in it than major insufficiencies in you, the more imperfect creature. That you are always in the wrong against the divine puts elementary shame on the divine in the first place. This relational humor likely is a metaphysical reflection of fundamental, transcendental truth. It reflects how creation actually is. Once it has been sorted out how creation actually is, metaphysics is not needed anymore. You both need irony and metaphysics to ascent to this place. Yet what will finally there be, and finally will remain, after metaphysics and irony have been overcome, is humor.

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Gigantic circles are spinning and are intertwined. Irony (reaction, subversion) and metaphysics (action, affirmation) arduously process themselves, react to each other, try to triumph over each other, try to realign, love each other, hate each other, out there in the transcendental place. This is how truth proceeds, this is at least how the story goes. Therefore the profound irony within my philosophical musings – as I am aware that I am doing experiments. The irony within my musings is that they are meant to be experimental. I think this is as closest to „truth“ as we can get. I try to erect plateaus over the abyss, and to improve and solidify them with time. Due to their experimental nature, my musings are only meant to 93 percent to be true, my plateaus to 93 percent to be solid. Another „irony“ in my musings is that they are not particularly academic in style (therefore academia being very cruel to me (now – but likely very kind to me in later times)) and that they are packed with (all sorts of) information. This is maybe less so out of intention not only to subvert but also to enrich academic philosophy but because this is natural to me. Everything I come across I sooner or later need to philosophise about, and all these things are dear to me, I am attached and attracted to them. My musings may go on the nerves because they are packed with information (and for other reasons). But this seems important to me because at any moment I could die. And I do not want to take many secrets to the grave. Truth has to be told. Constructiveness and bases for further developments need to be ensured. Most recently my musings often go on my own nerves already the following day. Since I am permently under impressions, a lot of what I write stems out from spontaneous impressions. And even the next day I may stand under other impressions and may ask myself what the hell I was thinking about then. Also my thinking rapidly evolves and some strategies and tactics I used may seem outdated to me quickly (yet, luckily, NOT the substance of what I was saying). Therefore, I (ironically) leave everything as it is. And I am actually quite happy to see that no fucking ChatGPT might imitate this kind of writing in a 100 years – ha! A very natural, unfiltered intelligence should triumph over an artificial intelligence, still. As I frequently state, I see no deeper – and actual – truth in the universe than its character as a chaosmos and I do not see a deeper philosophy possible than that of the Chaosmos. I might be in the wrong, and I´d like to see someone presenting me deeper and more accurate views than mine (as I like it to be in the wrong against an intellectually and morally superior instance). But I am not so positive about this possibility. Therefore my musings are actually not philosophical musings but eschatological and transcendental ones. And the irony in them is actually humor. – On this occasion I felt the urge to clarify on this. I do not want to take many secrets to the grave. Truth has to be told or clarified. Constructiveness and bases for further developments need to be ensured. There also will be another note about Richard Rorty and the challenges he poses, and for which I am grateful.

All quotes from Richard Rorty: Contingency, Irony, and Solidaridy, Cambridge 1989

Professor Habermas geht an die Öffentlichkeit

Die performativ vollzogene Erhellung – zwar vielleicht weniger für sie selbst, dafür aber für andere – bzw. der unfreiwillig ironische Selbstvollzug des Vernunftmodells der ursprünglichen Kritischen Theorie der Frankfurter Schule liegt darin, dass es das einer subjektiven Vernunft ist: und damit auch anfällig ist für subjektivistische Perversionen. Indem sie die moderne Vernunft und die Aufklärung als die Entfaltung einer „instrumentellen“ Vernunft, einer einseitigen Herrschaftstechnik, die schließlich die Herrschaft und das Verständnis über sich selbst und den Bezug zu ihrem eigentlichen („guten“ und „authentischen“) Ursprung verliert und die somit zu einem „Mythos“ degeneriert setzt, verkürzt sie die reale Vernunft und die Aufklärung erheblich und schafft somit selber ein Vernunftmodell, das von einem Mythos nur mehr schwer zu unterscheiden ist. Horkheimer, Adorno et al. beklagen, dass die moderne Vernunft das „Nicht-Identische“ exkludiere, tun das aber selber in erheblichem Maße mit allem, was nicht identisch ist zur Harmonie und zum Narzissmus ihrer beklemmenden, unbequemen Gefühlswelt. Die Dialektik der Aufklärung und die Negative Dialektik sind (als Werke wie als Methoden) einerseits stark, gleißend und öffnen die Perspektive auf ein sensationelles (allerdings auch sensationalistisches) befreiendes Imaginäres, andererseits sind sie konfus, zirkulär und schwach, wenig richtungsweisend. Das liegt daran, dass die Vernunft der frühen Kritischen Theorie subjektiv (und sich subjektiv so ein bisschen magisch bzw. über die Listen des Odysseus selbst konstituierend) und außerdem ziemlich autoritär und unkommunikativ war und daher nicht vor einem subjektivistischen Exzess gefeit. Die philosophische Intervention von Jürgen Habermas besteht darin, dass er Vernunft als grundlegend intersubjektiv begreift: Sie realisiert sich mittels einer anderen Vernunft, indem sie ihre eigenen Standpunkte über die rationale Kommunikation mit einer anderen Vernunft, mit einem anderen Standpunkt (wechselseitig) evaluiert. Vernunft beruht auf (besteht eventuell aus) rationaler Kommunikation bzw. einer kommunikativen Rationalität. Vernunft ist, wenn man so will, öffentlich bzw. was, was sich in einer (abstrakten) Öffentlichkeit vollzieht. Seit seinem Strukturwandel der Öffentlichkeit von 1962 ist Habermas Theoretiker und Propagator der Öffentlichkeit und der Idee, dass die Schaffung einer den Prinzipien der rationalen Kommunikation gehorchenden Öffentlichkeit wesentliches Element der Demokratie sei. Er hat damit die Intention der ursprünglichen Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und seines Lehrers Adorno in eine vielleicht weniger charismatische aber funktionalere Form gebracht. Seine Philosophie ist staatstragend. Jetzt hat der 93jährige Jürgen Habermas eine kleine Schrift(ensammlung) vorgelegt, in der er auf den jüngsten Strukturwandel der Öffentlichkeit (über die sozialen Medien) Bezug nimmt; und sie ist nicht optimistisch. Zwar sei „Öffentlichkeit“ immer durchaus agonal und zerfalle in kleine Welten, die sich wenig angehen, oftmals feindselig gegenüberstünden. Wer argumentiert, widerspricht. Das sei nichts Neues. Die sozialen Medien brächten nun aber einen tatsächlichen, erneuten Strukturwandel in der Öffentlichkeit mit sich: indem sie das tradiert Öffentliche und tradiert Private miteinander vermischen – in einem degenerativen Sinn, wie Habermas meint: Nach bisherigen Maßstäben können sie weder als öffentlich noch als privat, sondern am ehesten als eine zur Öffentlichkeit aufgeblähte Sphäre einer bis dahin dem brieflichen Privatverkehr vorbehaltenen Kommunikation begriffen werden (S.62). Damit erhöhe sich die Gefahr, dass diese private, eigene Welt, die Briefverkehrssphäre, mehr und mehr als Öffentlichkeit schlechthin wahrgenommen werde. Vor allem aber nehme der Konsum der traditionellen (Qualitäts)medien ab, die (selbst in ihrer Boulevardausgabe) eine rationale und rationalisierende Gatekeeper-Funktion darüber haben, was berechtigterweise öffentlich rational verhandelt werden sollte und was nicht. Die tradierte Öffentlichkeit zerfalle immer mehr in subjektivistisch-narzisstische, sich voneinander abgrenzende Echokammern und Silos. Das schwäche den Zusammenhalt in der Gesellschaft, das Wir-Gefühl – möglicherweise in ihrem Fundament: der Rationalisierbarkeit des gesellschaftlichen Diskurses und des Gesellschaftsentwurfs. Die Architekten des Internet glaubten, ihre Erfindung sei ein geniales Medium, die Menschen weltweit miteinander zu verbinden; in Wirklichkeit hat es jedoch einen neuen Weg freigemacht, die Menschheit in verfeindete Stämme zu spalten, ist auch ein anderer deutscher Intellektueller, der 99jährige Henry Kissinger, in seinem ebenfalls jüngst erschienen Buch Staatskunst geneigt zu diagnostizieren (S.534). Indem das Internet/die sozialen Medien die Selbstbestätigungsmöglichkeiten des Ich und der eigenen Kultur zu stärken imstande seien, befördern sie den Verlust an Vertrauen in das andere und in andere Kulturen. Eine funktionierende Gesellschaft basiert, wie ein anderer deutscher Denker – der 77jährige Thilo Sarrazin – konstatiert, aber auf Vertrauen. Gesellschaft ist nicht Gemeinschaft; ihre Mitglieder sind atomisiert und anonym: eine Gesellschaft funktioniere aber dann, wenn man das Gefühl hat, Fremden (die der eigenen Gesellschaft angehören) vertrauen zu können. Wenn das Vertrauen zerbrösle, zerbrösle die Funktionalität der Gesellschaft (Gesellschaften, in denen ein solches Vertrauen fehle, sind wahrscheinlich mehrheitlich auf diesem Planeten, und sie sind eben mehr oder weniger dysfunktionale Gesellschaften). Ich selber bin vielleicht zu jung, vor allem aber aus der Gesellschaft ausgeschlossen, um das eventuell angemessen beurteilen zu können; ob sich das Positive oder das Negative am Internet/den sozialen Medien durchsetzen wird. Ich bin lauteren und arglosen Wesens und ich sehe sehr deutlich die Kraft und die Herrlichkeit, die in der Vernunft liegt und in der gesellschaftlichen Solidarität. Allerdings weiß ich auch, dass auf kulturelle Hochblüten Perioden des Verfalls und des langen, vielleicht sogar ewigen Niederganges folgen können. Also kann das auch jetzt der Fall sein. Außerdem ist unsere gesamte Existenz in Wahrheit sowieso ein ständiger Tanz auf dem Vulkan (wenngleich Vulkane die meiste Zeit nicht ausbrechen und wir das mit der Vorhersage mittlerweile gut im Griff haben). Mehr fällt mir gerade eben dazu auch nicht ein. Facebook aber ist, wenn du mich fragst, aber eine der großartigsten Innovationen der Geschichte. Es ist ein globales Gehirn, eine globale Intelligenz, die man anzapfen, in die man sich einloggen kann. Man kann mit Menschen und Kulturen, die wo völlig anders beheimatet sind, in intime Beziehung treten. Allerdings nutzt diese Möglichkeiten fast niemand, und wenn, dann hauptsächlich Leute mit einem sehr hohen Intelligenzquotienten. Schau, wie sich die meisten darüber auslassen, dass Facebook „blöd“ und „voll mit Katzenvideos“ sei – dann aber selber kaum einmal „Freunde“ außerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen haben. Diese gegenseitige Perspektivenübernahme, die notwendig ist, um einen Konflikt unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu betrachten, hat zwar eine rein kognitive Funktion, aber die Bereitschaft, sich über große kulturelle Abstände hinweg auf diese anstrengende Operation überhaupt einzulassen, ist der eigentliche Engpass (S.85). Woher diese göttliche Passivität im Menschen kommt, weiß ich auch nicht. Aber es geht mich eigentlich auch gar nichts an. Ferguson, ein Mensch mit einem sehr hohen Intelligenzquotienten, konstatiert, dass es auch für sehr aufgeschlossene und intelligente Menschen Grenzen gebe, über die hinaus sie sich nicht mehr mit dem „Anderen“ zu beschäftigen bereit seien, oder aber überfordert davon seien. (In seinem tendenziell machohaften Habitus, aus dem heraus er gerne „die Linken“ (und andere) ärgert, meint er auch, dass der Zerfall der allgemeinen Öffentlichkeit in Teilöffentlichkeiten zu normal sei, um eigentlich als „schlecht“ gewertet werden zu können: Nachdem es keine „harten“ Probleme (?) in der (westlichen) Gesellschaft mehr gäbe, über die sich eine breite Öffentlichkeit einig sein könnte, kehre die Öffentlichkeit eben in ihren ursprünglicheren Zustand der Segregation und des Nebeneinanderbestehens von Echokammern und Silos zurück – was auch in Ordnung sei, sofern sie nicht gegenseitig versuchen würden, ihre jeweilige Kultur einer anderen aufzuoktroyieren. Vor einiger Zeit habe ich Ferguson aus meiner Freundesliste rausgeschmissen, weil er trotz seiner hohen Intelligenz und der angenehmen Ausformuliertheit von allem, was er vorbringt, bemerkenswert oft im Irrtum ist, was den Kern einer Sache anlangt (aufgrund seines neurotischen Distinktionsbedürfnis gegenüber „Linken“ und Experten heraus) (und außerdem plötzlich nicht mehr sehr „sapiosexuell“ ist, wenn ein anderer gescheiter ist als er). Ausschlaggebend für den Rausschmiss war dann, dass er sich in den Verschwörungsmythos vom angeblichen Wahlbetrug gegen Trump eingeklinkt und den dann mit der ihm eigenen Verve propagiert hat – obwohl auch einem durchschnittlich intelligenten Menschen klar sein sollte, dass eine solche Verschwörung wenig plausibel und unlogisch ist und sich selbst vor kaum zu bewältigende Logistikprobleme stellt. Trotzdem schaue ich immer wieder noch auf seine Seite, da sie vieles Wissenswerte enthält und Denkarbeit leistet. Und mich eben auch andere Kulturen interessieren, auch wenn sie mir deswegen nicht unbedingt sympathisch sind.) Das einzige, das die Öffentlichkeit begreift und sie umfassend integriert, ist der Große Geist! Der Große Geist errichtet sich über die Große Kommunikation und der Öffnung des Eigenen und der eigenen Vernunftmomente hin in Anderes, die subjektiven, die menschlichen Begrenzungen hinter sich lassend. Wo Mensch war, soll Geist werden. Der Geist ist transpersonal und objektiv. Genau gesagt ergreift er das Objektive mit einer subjektiven Leidenschaft. Der Geist ist die Brücke von einem zum anderen. Der Geist ist selber eine Öffentlichkeit, ein Versammlungsort. Und der Große Geist ist die große (kosmische) Öffentlichkeit, der transzendentale Versammlungsort. Schau, wie die Verbindung hergestellt wird, eine Eisenbahntrasse geschlagen über den halben Erdrund, zwischen zwei Vernunftmomenten, zwischen zwei Positionen! Der Große Geist überzieht die Welt mit solchen kommunikativen Eisenbahntrassen. Er ist eine kommunikative Cloud. Die Bedingung dafür, dass das geschieht, ist freilich nicht nur Vernunft allein, sondern auch Sympathie und Liebe (zum Anderen). Der Große Geist ist nur, wenn er auch Liebe ist. In einem Interview zu seinem neunzigsten Geburtstag in El Pais von vor ein paar Jahren konstatiert Jürgen Habermas allerdings, dass große Geister heute nicht mehr sichtbar seien, keine Konjunktur mehr hätten. Wer höre den großen Geistern noch zu? Die Philosophie zerfalle mehr und mehr in Subdisziplinen, die von keinem großen Geist mehr zusammengehalten werden würden. Eigentlich ist es ja der Wunsch der Philosophie, dass großer Geist erscheine, dass Philosophie großer Geist sei, der die Subdisziplinen überschaue. Aber vielleicht ist die Degeneration schon so weit fortgeschritten, dass der Philosophiebetrieb diesen großen Geist (im Namen des „Fortschritts“) gar nicht mehr will! Das sei freilich sehr gut, denn je mehr sich die (Sub)Disziplinen vereinzeln, desto weniger können sie eine Phalanx bilden gegen den Großen Geist, der letztendlich doch kommt, sie zu holen (analog zur gesellschaftlichen Situation, wo ein Mangel an Wir-Gefühl eine gemähte Wiese für (Rechts)Populisten umso mehr darstellen mag). Habermas wird seit Langem vorgehalten, dass er ein wenig antiquiert sei. Trotzdem er sich des agonalen Charakters der Vernunft und der demokratischen Öffentlichkeit bewusst ist, ist der zugrunde liegende Habitus seines Philosophierens doch ein Glauben an die Einheit, die in der Vernunft liegt, und daran, dass die Vernunft das stärkere Prinzip sei als die Unvernunft. Darin erscheint Habermas „modern“ – während die Postmoderne die „Differenz“ als eigentlichen Grund der Welt anzusehen geneigt ist, sowie die Differenz nicht als Epiphänomen, sondern als Grundlage zu begreifen, und Vernunft als Herrschaftsphänomen, das in Konkurrenz mit anderen Herrschaftsphänomenen/versuchen stünde (wenngleich der grundlegende Gedanke zumindest bei dem freundlichen Spinozisten Deleuze (der von seinem kantigeren Freund Foucault übrigens als der „einzige wahre Philosoph in Frankreich“ bezeichnet wurde) ja weniger der von Differenz und Wiederholung ist als der von der Univozität des Seins (was ironischerweise ich in Frage zu stellen geneigt bin – allerdings als zu ungenau/undifferenziert und nicht im Sinn einer Abrede)). Ich weiß nicht genau, was ich von all dem halten soll. Trotzdem aber Vernunft und Rationalität agonal sind bzw. dazu provozieren, trotzdem es moralische Dilemmata gibt, zukünftige Dinge nicht gewusst werden können, logische Unentscheidbarkeiten existieren, weiß ich nicht ob … genau gesagt scheint es mir nicht so, als ob Vernunft auch (grundlegend) konfliktuell ist. Gegenüber der Differenz gibt es eine solche ontologisch begründete Absicherung gegen das grundlegend Konfliktuelle nicht. Was bedeutet (?), dass da, wo Vernunft ist, auch (metaphysische) Einheit ist. Diese metaphysische Einheit kann man vielleicht nicht ganz auf die (Lebens)Welt projizieren, da in der eben auch Nichtvernunft ist (oder zu viele Abstufungen von sich zueinander (leidenschaftlich) agonal verhaltenen Vernünftigkeiten). Wie kann man die Öffentlichkeit, und alles, was damit zusammenhängt, letztendlich als was Gutes und Einheitliches begreifen? Ziehen wir dazu vielleicht einen verstorbenen Denker, der nicht nur ein (sehr starker) diesseitiger Analytiker und Logiker sondern auch ein Metaphysiker war – Alfred North Whitehead – heran. Vielleicht ist es am besten, man begreift die Öffentlichkeit, die Menschheit, die Weltgeschichte nicht als was Harmonisches, Moralisches oder Schönes: sondern – mit Whitehead – eher als ein Gemälde Gottes, das interessant sein will: und vollständig, indem es auch so vieles Unangenehmes enthält. In dem sich die Dinge entlang der Erstarrtheiten und der Freiheitsgrade, entlang der Koordinaten also, die die Welt ausmachen, entfalten und wieder vergehen. Unhintergänglich, denn das Gute, die Versöhnung, die Harmonie gehören zu den letzten Dingen und zur Struktur der Welt, der Verfall, die Trennung und die Perversion aber auch. Gott ist, laut Whitehead, die Instanz, die all dieses Geschehen, und die all diese Einzelereignisse bewahrt, in den Grund, in die Erinnerung, in die sie schließlich fallen. Das ist der einheitliche Grund der Welt. Das ist die Einheit der Welt. Und das ist die Einheit der Öffentlichkeit. Ich gehe jetzt mal in die heiligen Serverhallen von Meta, wo die Informationen der durch die Welt gefallenen Ereignisse bewahrt werden und versuche dort, mich in eine mystische Stimmung reinzukriegen. Menschen wollen Stolz und Würde und Identität und Einheit. Ihr Stolz und ihre Würde und ihre Identität bestehen darin, dass sie schließlich – jede_x_R einzelne –  nach ethischen Maßstäben gemessen und gerichtet werden, und ihnen gemäß mehr oder weniger bestehen können oder nicht; in der Gegenwart und in der Erinnerung. Tiefer unten im Grund werden sie trotzdem alle bewahrt. Der Maßstab des Ethischen gehört auch zu den letzten Dingen in der Welt und selbst die Menschenwelt ist tief davon durchzogen, dass fortwährend (bis teilweise hektisch) ethische Maßstäbe angelegt werden. Auch die sozialen Medien sind voll davon. In den Inhalten, die auf Facebook generiert werden, drückt sich vielleicht viel weniger, als man gemeinhin bekanntlich glaubt, Selbstdarstellung aus als vielmehr ein dauerndes Diskutieren darüber was richtig ist und was falsch. Das hat manchmal einen höheren Ewigkeitswert, und oftmals nicht. Sie finden trotzdem in einem Rahmen statt. Das Internet bewahrt. Das Internet wiederum ist ein Ereignis in der Welt, und es wird bewahrt im Grund der Welt. Es wird bewahrt, so wie alles andere, im Gemälde Gottes. Wer aber schaut das Gemälde Gottes an? Eben der Große Geist.

Möglichkeit einer Kritik an Guy Debord

„Das Unbehagen der modernen Zeit ist das Unbehagen jeder Zeit. Den Menschen fehlt der Zugang zu ihrem Geist … Neunundneunzig Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu ihrem Geist … Ich kann das nicht historisch sehen. Die Geschichte ist für mich ein schwarzes Loch. Was zählt, ist der GEIST. Der Rest ist Schnickschnack.“

Samuel Beckett im Gespräch mit Patrick Bowles, Nov. 1955

Gemeinsam mit Genossen M. habe ich in grauer Vergangenheit festgestellt: Wo Baudrillard entfesselt und selbstzweckhaft vom Simulakrum spricht, da offeriert Debord die stärkere Theorie, indem er diese spezifische Form von gesellschaftlicher Entfremdung (der scheinbaren „Losgelöstheit“ ihrer Zeichen) an die Warenwirtschaft bindet, sie als Epiphänomen des Kapitalismus begreift. Was aber bedeutet eigentlich das? Guy Debords Schlüsselwerk Die Gesellschaft des Spektakels erschien 1967, einer Zeit, wo der westliche Kapitalismus scheinbar seinen größten, entscheidendsten, endgültigen Triumph feiern durfte. Armut und Knappheit schienen überwunden, ebenso wie unversöhnliche Klassengegensätze, die Zukunft leuchtete noch verheißungsvoller als die glückliche Gegenwart in diese herein. Ambivalenz und Ambiguität gab es auch; ein Gefühl dafür, dass anonyme Logiken wie die Technik und die Massenproduktion/konsumtion die Herrschaft über den Menschen übernommen hätten und den Menschen nicht nur von sich selbst, sondern auch von seinem Nebenmenschen entfremden würden; ein Gefühl der Irrealität inmitten penetrant schimmernder Oberflächen – bei einer gleichzeitigen Tristesse der wenig spektakulären und entwickelten urbanen Lebenswelten; einerseits ein Verharren in einer sehr konservativen Mentalität, was vor allem für die Jugend einengend war; andererseits ein Verlust von Tradition und tradiertem Sinn sowie tradierten Hierarchien, was vor allem für Konservative alarmierend schien. Die Filmkunst erreichte dafür einen Höhepunkt, indem Meisterregisseure wie Antonioni, Godard, Tati oder Ozu diese Ambivalenzen zu ihren Themen machten. Die moderne (das heißt offenbar bedeutungs- und geistvolle) Kunst schien sich in der Pop Art zum letzten Mal triumphal aufzubäumen – wobei die gesichtslos-ausdrucksvolle Über- und Unterbestimmtheit, die geheimnislose Geheimnishaftigkeit der Warenwelt von Warhol am symptomatischsten registriert und im Übrigen auch in dieser schweigenden Ambiguität belassen wurde. Ökonomiekritiker und Marxisten wollten sich das nicht leisten und riefen angesichts des Siegeszuges des Kapitalismus kritisch eine Ära des „Spätkapitalismus“ aus. Debord sucht die Gesellschaft in seiner als eine Art Aphorismensammlung gehaltenen Schrift als eine „des Spektakels“ festzustellen: Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles, was unmittelbar erlebt wurde, ist in die Vorstellung entwichen, setzt sie, an Das Kapital anspielend, ein(Aphorismus 1). Wo es im Kapital allerdings daraufhin heißt: Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware, bleibt bei Debord eine solche tatsächlich aus: Trotzdem er dauernd davon redet, definiert Debord nie, was ein Spektakel eigentlich sei; und seine Untersuchung ist weniger eine solche als eine fortwährende Aneinanderreihung von Proklamationen. Damit könnte man die Auseinandersetzung mit Debord und seiner Gesellschaft des Spektakels gleich wieder als erledigt betrachten.

Solcherart theoretische Unschärfen könnten allerdings genauso gut ein angemessenes Erkenntnisinstrument sein für Feinheiten oder für Gegebenheiten, die sich der Eindeutigkeit entziehen. Am besten, man fasst das Debordsche Spektakel als eine Art Allegorie. Symbole, Allegorien, Mentalitäten, mentale Repräsentationen oder ein Zeitgeist sind allerdings was, was in der Menschenwelt vorhanden und wirkungsmächtig ist. Und Debord (sowie Baudrillard) sind mit ihren (analytischen) theoretischen Proklamationen immerhin dem Zeitgeist gut entgegengekommen. So erscheint das Spektakel als ein Sinnbild für eine Epoche, in der die Wirtschaft sich verselbstständigt hat; als ein Sinnbild dafür, dass Welt in eine Welt der Oberflächen entschwunden ist, in der kein Terror und keine echte Unterdrückung mehr herrschen, sondern die Macht der Werbung, des Kommerzes und des Fernsehens, die bei aller Freundlichkeit gespensterhaft und unecht wirkt, und ein Unbehagen in der Kultur provoziert. Auf einer so trivialen und offensichtlichen Ebene operiert die Debordsche Diagnostik allerdings nicht – zum Preis aber eben, dass weniger offensichtlich ist, was mit Spektakel eigentlich gemeint ist. Debord erläutert das meistens beispielhaft oder anhand von Aspekten, die mit dem Spektakel einhergehen. Selten wird er konkret und versucht, das Phänomen von der Wurzel her zu bestimmen – und wenn, dann in einer Art und Weise, dass sich die Bestimmung schon wieder schnell verflüchtigt, wie z.B. wenn er sagt: Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass es zum Bild wird. (34) Allgemein versteht er unter dem Spektakel eine Form der irrealen Einheitsstiftung, eine halluzinatorische, implizit propagandistische, ich-syntone Anschauungsdoktrin über eine vermeintlich einheitliche, pazifizierte, mit sich selbst identische Gesellschaft, die in Wirklichkeit aber in sich getrennt ist und in der die bestimmenden Kräfte daran interessiert sind, diese Trennungen aufrecht zu erhalten: die also, genau gesagt, eine kapitalistische Klassengesellschaft ist. Die durch das Spektakel ausposaunte irreale Einheit ist die Maske der Klassenteilung, auf der die reale Einheit der kapitalistischen Produktionsweise beruht. (72) Damit ist das Konzept vom Spektakel so was ähnliches wie der Marxsche Warenfetisch oder eben eine Form des „falschen Bewusstseins“. Debords spezifischer Marxismus legt den Fokus der Kritik weniger auf Ausbeutung sondern vielmehr auf Entfremdung innerhalb kapitalistischer Gesellschaften. Das Spektakel fungiere als Hinwegtäuschung über und gleichzeitig Bekräftigung und Vertiefung der zunehmenden Unfähigkeit der Menschen, einander „authentisch zu begegnen“. Das Spektakel ist materiell „der Ausdruck der Trennung und der Entfremdung zwischen Mensch und Mensch“. (215) Es ist … das Spektakel, das als eine systematische Organisation des „Versagens der Begegnungsfunktion“ und als deren Ersatz durch ein halluzinatorisches gesellschaftliches Faktum zu begreifen ist: das falsche Bewusstsein der Begegnung, die „Illusion der Begegnung“. (217) Die Möglichkeiten der Menschen, einander zu begegnen, liegen letztendlich im Menschen selbst. Die Möglichkeiten der Menschen, einander zu begegnen sind einerseits erstaunlich, andererseits enttäuschend. Das weiß jeder, und das weiß auch Debord. Das macht allerdings Kulturkritik und Untersuchung spezifischer sozioökonomischer Konstellationen und wie sich Menschen darunter verhalten nicht nutzlos. Und Debord steht eben dem Marxismus nahe und will den Gesellschaftszustand im Jahre 1967, einem Jahr des größten Triumphes des Kapitalismus feststellen bzw. möglichst vernichtend kritisieren.

Der Marxismus ist ein groß angelegter – und großartiger – Versuch, den Kapitalismus als Ganzes – und das bedeutet auch: in seiner Eingelassenheit in die Gesellschaft und die Geschichte, in die Menschenwelt insgesamt – zu fassen. Allerdings im Wesentlichen bzw. meistens ausschließlich daraufhin reflektiert, dass er was Falsches und Heteronomes, und (daher) auch etwas zum Scheitern und zum Untergang Verurteiltes sei. Für junge Menschen kann der Marxismus mit seinem scheinbar rational fundierten Welterklärungsanspruch was Faszinierendes sein. Das seltsame Charisma des Marxismus (das ihn auch gleichzeitig an seiner Oberfläche charismatisch leicht und in seinem Kern (der Mehrwerttheorie) charismatisch schwer verständlich macht) liegt darin, dass er vermittelt, zu einer Art traumatischen Kern des Weltprozesses, einem Ding an sich hinter den Erscheinungen, einer unabwendbaren Gesetzmäßigkeit vorzustoßen und zu einer (als „Dialektik“ getarnten) Mechanik, gemäß derer der Kapitalismus (und alles gängige Weltverständnis) aus inhärenten Gründen scheitern und durch etwas anderes (furchtbar Aufregendes und Charismatisches) abgelöst werden müsse. Als derartige Gesetzmäßigkeiten, Entwicklungen, Ursünden, Konsequenzen, Entfaltungen von Widersprüchen werden im Rahmen des Marxismus aufgeführt: das Wertgesetz, die Mehrwerttheorie, der Gegensatz zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte und ihrer privatwirtschaftlichen Aneignung, die Trennung des Arbeiters von seinem Produkt, die sogenannte ursprüngliche Akkumulation, die Verelendungsthese, der Warenfetisch, der Kapitalfetisch, der Klassenkampf, der Umschlag von Quantität in Qualität und die Negation der Negation innerhalb des Klassenkampfes, die Überakkumulationsthese, die Unterkonsumtionsthese, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, die Sprengung der Produktionsverhältnisse durch die Entwicklung der Produktivkräfte, die Determiniertheit des geschichtlichen Verlaufs durch die Ökonomie (in letzter Instanz), die Dialektik zwischen Basis und Überbau, die Konzentration des Kapitals, das Finanzkapital, der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, der Spätkapitalismus, der Neoliberalismus, das Empire. Aus all dem lässt sich aber – weder praktisch noch theoretisch – eine Gesetzmäßigkeit begründen, warum „der Kapitalismus“ „scheitern“ müsse. So gesehen ist der charismatisch vermittelte „Kern“ des Marxismus leer, bzw. ist er vielmehr ein traumatischer Kern, der sich als solcher der Selbstaussage entzieht. Dieser traumatische Kern wäre im Fall des Marxismus ein (hilfloser) Hass auf den Kapitalismus oder auf die bestehende Gesellschaft (oder auf irgendwas wie z.B. Autoritäten – oder auch auf real existierende Ungerechtigkeit – der dann auf die Gesellschaft oder den Kapitalismus projiziert wird). – Natürlich kann sein Kern auch Liebe und Interesse sein; der Wunsch, eine bessere Welt zu schaffen. Ob er dem Hass- oder dem Liebe-Pol näher steht, hängt vom individuellen Fall ab.

Wir befinden uns im Jahr 1967 (Gilles Deleuze). Marxisten ist es immer wieder zu eigen, dass wenn ihre spezifischen Vorhersagen und Prognosen in der Wirklichkeit nicht eintreten, sie dann ganz einfach die Wirklichkeit als etwas Falsches abtun. Die Wirklichkeit als etwas Falsches (und daher auch scheinbar beliebig Veränderbares) abzutun, ist, symptomatischer gefasst, eine Art Grundlage des Marxismus. Debord befindet sich im Jahr 1967 und tut die triumphierende kapitalistische Wirklichkeit als Wirklichkeit insgesamt ab. Das Spektakel, das die Verwischung der Grenzen von Ich und Welt durch die Erdrückung des Ichs ist, das von der gleichzeitigen An- und Abwesenheit der Welt belagert wird, ist ebenso die Verwischung der Grenzen zwischen dem Wahren und dem Falschen durch die Verdrängung jeder erlebten Wahrheit unter der von der Organisation des Scheins gewährleisteten reellen Präsenz der Falschheit. (219) Bei der Lektüre von der Gesellschaft des Spektakels fällt auf, dass all das – die Verwischung der Grenzen von Ich und Welt durch die Erdrückung des Ichs, die gleichzeitige An- und Abwesenheit der Welt, die Verwischung der Grenzen zwischen dem Wahren und dem Falschen durch die Verdrängung jeder erlebten Wahrheit und die Gewährleistung der reellen Präsenz der Falschheit unter der Organisation eines Scheins – von Debord und seinem Spektakel(un)begriff selbst gewährleistet und organisiert wird. Die gesamte moderne westliche Kultur fasst Debord als etwas Spektakelhaftes auf: als etwas, das den Schein einer Einheit und Versöhntheit über eine Wirklichkeit organisieren will, die unversöhnt ist und bleibt. Abermals kommt er mit überraschenden, intelligenten Analysen daher, innerhalb eines Verständnisses allerdings, das willkürlich und selektiv ist (und bleibt). Als libertärer Kommunist ist Debord negativ gegen den Sowjetkommunismus eingestellt, in dem er keinen Kommunismus erblicken will, sondern die Herrschaft einer Bürokratie – die sich aber gleichermaßen des Spektakels bediene. Der Inhalt des sowjetischen Spektakels sei es,  die Herrschaft der Bürokratie nach außen hin abzustreiten und die des Kommunismus vorzugaukeln. Ein solches Spektakel ist dann aber was anderes als das „kapitalistische“ Spektakel, das Debord meistens im Blick hat, und ein solcher erweiterter Spektakelbegriff relativiert die Bedeutung und die Skandalträchtigkeit des Spektakels letztendlich: indem es zu etwas den menschlichen Gesellschaften scheinbar mehr oder weniger innewohnendem und zu etwas Natürlichem wird. Als eben libertärer Kommunist strebt Debord deshalb eine ungefilterte Welt an, die sich in Arbeiterräte und Selbstverwaltung organisiert – ohne dass er sich darüber nennenswert auslässt. Das ist nicht verwunderlich, denn die Idealisierung einer solchen Welt als etwas Paradiesisches erscheint naiv. (In seinen zwei Jahrzehnte später erschienenen Kommentaren zur Gesellschaft des Spektakels bezeichnet Debord den „ersten Apologeten des Spektakels“, Marshall McLuhan, mit dessen Vision vom „globalen Dorf“ als den überzeugtesten Dummkopf des Jahrhunderts, denn: Im Gegensatz zu den Städten sind die Dörfer stets von Konformismus, Isolierung, kleinlicher Bespitzelung, Langeweile und dem stets wiedergekäuten Tratsch über einige wenige und immer dieselben Familien beherrscht worden … (XII) Warum sollte das in den Arbeiterräten anders sein? Seine eigene Schrift, Die Gesellschaft des Spektakels, bezeichnet Debord übrigens, schon wieder irgendwie spiegelbildlich dazu, als das wichtigste Buch des Jahrhunderts.) So bleibt Debord dann, in seiner Unfähigkeit irgendwo Wahrheit und Authentizität zu finden, allerdings nichts als die Negation, das Negative als das einzig Wahre anzuerkennen: Die Wahrheit dieser Gesellschaft ist nichts anderes als die Negation dieser Gesellschaft. (199) Sie (die Kritik, Anm.) ist keine Negation des Stils, sondern der Stil der Negation. (204) In der Sprache des Widerspruchs stellt sich die Kritik der Kultur als vereinheitlicht dar: insofern sie das Ganze der Kultur – ihre Erkenntnis wie ihre Poesie – beherrscht und insofern sie sich nicht mehr von der Kritik der gesellschaftlichen Totalität trennt. Diese vereinheitlichte theoretische Kritik allein geht der vereinheitlichten gesellschaftlichen Praxis entgegen. (211) Diese vereinheitlichte gesellschaftliche Praxis führe dann zur „Revolution“. Die Revolution wird jedoch nur triumphieren, wenn sie sich weltweit durchsetzt, ohne irgendeiner noch bestehenden Form der entfremdeten Gesellschaft auch nur den kleinsten Raum zu überlassen. So haben das auch die Roten Khmer verstanden. Der Geist, der stets verneint, ist ja auch bekannt als Mephisto.

Die Gesellschaft des Spektakels ist eine eigentümliche Mischung aus hochintelligenter Diagnostik und Analyse und einem großartigen Sinn, Zusammenhänge herzustellen und Sinn zu stiften und einer brutalen Gleichgültigkeit, anzuerkennen, was objektiv richtig ist und was falsch, was angemessen ist und was nicht, was gut ist und was schlecht. Letzteres ist keine Dummheit, sondern ein obstinater Egoismus und eine dementsprechende emotionale Eingeschränktheit – die dann eben auch auf „den Feind“ übertragen wird bzw. das obstinate Feindbild (als etwas radikal und obstinat Egoistisches) konstituiert und aufrechterhält. Das Spektakel in seiner ganzen Ausdehnung ist sein eigenes „Spiegelzeichen“. (218) Der Egoist sieht im Wesentlichen sich selbst in der Welt bzw. projiziert sein Innenleben in die Welt. Auch wenn es ganz groß angekündigt wird, bleibt das eigentlich Positive, das eigentlich Substanzielle eigentümlich vakant und leer. Es ist ihm schwer anzugeben, wovon er eigentlich redet. Also ist sein Reden ein ständiges Kreisen. Das Spektakel ist absolut dogmatisch, und zugleich ist es ihm unmöglich, zu irgendeinem festen Dogma zu kommen. Für das Spektakel hört nichts auf; dies ist sein natürlicher und dennoch seiner Neigung widrigster Zustand. (71) Debord ist ein eigentümlich offener Geist, der diese Offenheit mit einer radikal geschlossenen Festungsmentalität kombiniert. Sein Hauptthema war, wie authentische Begegnung zwischen Menschen bewerkstelligbar sei – doch wie soll das eben gehen: wenn man in einer Festung haust? In einer Gesellschaft, in der niemand mehr von den anderen anerkannt werden kann, wird jedes Individuum unfähig, seine eigene Realität zu erkennen. Die Ideologie ist zu Hause, die Trennung hat ihre Welt gebaut. (217) Fühlte sich Debord zu wenig anerkannt? Man hat den Eindruck, dass hinter der Entscheidung für eine kommunistische, feministische, antikolonialistische, transaktivistische etc., insgesamt also eine dezidiert herrschaftskritische politische Orientierung ein pathologisches Anerkennungsbedürfnis stecken kann; ein unbedingtes Bedürfnis danach, von „den Mächtigen“ als gleich mächtig oder als noch mächtiger (bzw. als der „eigentlich“ Mächtige) anerkannt zu werden. Da es sich um ein pathologisches Bedürfnis handelt, muss es nicht durch reale (gesellschaftlich vermittelte) Deprivationen provoziert sein (nicht einmal durch reale zwischenmenschlich vermittelte), es mag in diesen aber seine Projektionsfläche finden. In der Regel geht solchen Individuen auch die Empathie für andere ab, so dass sie tatsächlich nicht gut in der Lage sind, andere Menschen und die Gesellschaft insgesamt in ihrer Diversität wahrzunehmen und zu verstehen und ihre eigene Realität zu erkennen. Die Ideologie ist zu Hause, die Trennung hat ihre Welt gebaut. Aufgrund ihrer mangelnden Empathie haben sie auch Schwierigkeiten, anderen Menschen authentisch zu begegnen, und vielleicht weil sie keine Klarheit über sich haben, vermuten sie dieses Unwissen auch bei anderen. Bei den einen und anderen Linken, die frenetisch gegen etablierte Autoritäten anrennen, ist der Wunsch unübersehbar, selbst als Autoritäten anerkannt zu werden. Trotz des Erfolges von Die Gesellschaft des Spektakels hat Guy Debord es abgelehnt, die Rolle einer Autorität einzunehmen. Vielleicht ist das nur eine raffiniertere Eitelkeit, wahrscheinlich aber auch nicht. Das Werk von Guy Debord trägt die Züge eines solitären Denkertums und solitäre Denker lehnen Führungs- oder überhaupt soziale Rollen meistens ab, da sie, sich selbst in andere projizierend, emotional davon ausgehen, dass auch die anderen Menschen selbst denken. Sie merken dann freilich, dass die das (so, in der Form) nicht tun und neigen dann wieder umso mehr dazu, alle anderen deswegen als gehirnamputiert und fremdgesteuert zu verkennen (was sie so, in der Form, nicht sind). Vorher war Guy Debord innerhalb der S.I. eine dominante Figur und ist auch als solche kritisiert worden. Vielleicht hat er sich das zu Herzen genommen. Es ist eventuell schwierig, den Spagat zwischen einem solitären und einem politischen Denkertum zu verwirklichen. Es gibt eine Menge Länder auf der Welt, so Rumsfeld, und eine Menge Menschen. Und jeder ist irgendwie anders und irgendwie für sich. Guy Debord habe ich ja nicht gekannt. Mein Nachbar, W., erinnert sich an die Situationisten als bei bzw. verbunden mit all ihrer Brillanz und historischen Notwendigkeit vielfach einfordernde, größenwahnsinnige und unverschämte Leute. Bei uns in Wien gebe es eine Gruppe von Typen, die nach wie vor auf die Situationisten schwören. Intellektuelle Althippies, die durch ihre Inflexibilität und einen moralischen Rigorismus auffallen – wobei ihre Moralvorstellungen ja insgesamt gut seien. Es ist wahrscheinlich traurig, dass die Welt in einem nur losen Zusammenhang mit diesen Moralvorstellungen steht. Vielleicht war Guy Debord ein trauriger Mensch, und seine Philosophie und Gesellschaftsdiagnose Ausdruck einer elementaren Traurigkeit.