Der gegenwärtige Zustand meines Geistes

Mein Geist versucht, eine so universale Perspektive zu entwickeln wie nur möglich. Das Universale ist konnotiert mit dem Ganzen, und das Ganze ist zum einen das Eigene und zum anderen das Andere. Es ist gut, dass ich das Andere so leicht zu erfassen und ergreifen imstande bin, denn so ergreife ich progressiv das Universale. Um das Universale tatsächlich zu erfassen und ergreifen, sollte es ein osmotisches Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen geben: so wird das Eigene, über die Osmose mit dem Anderen, progressiv universaler. Es ist gut, dass ich zu solchen osmotischen Verbindungen mit dem Anderen fähig bin. Und vielleicht wäre es gut, wenn auch andere Menschen in vergleichbarer Intensität und Ernsthaftigkeit zu solchen osmotischen Verbindungen mit dem Anderen fähig wären: Man sollte daher mein Hirn erforschen, wieso es diese spezifischen Qualitäten aufweist, und die Gehirne der anderen daran anpassen. Das Eigene und das ganze Andere ist schließlich das Ganze, und die Erfassung und Ergreifung des Ganzen ist das Universale. Die Sprache des Universalen kann schlecht eine reguläre Sprache sein, sein Ausdruck schlecht ein herkömmlicher Ausdruck. Das Eigene lernt man wesentlich über das Andere kennen. Das Andere ist einerseits beredt, andererseits schweigsam und drittens sendet es bisweilen rätselhafte Zeichen aus, und es steht vor demselben Problem hinsichtlich seiner Selbstvergegenwärtigung wie das Eigene. So ist die Sprache des Ganzen – das Universale – ein zum Teil verständlicher Text, zum Teil ein Fluss von Anekdoten, Sinnsprüchen, Witzen von unterschiedlicher Qualität, Abschweifungen, Ritualistiken und Höflichkeitsformeln, Beschwörungen etc., und zu einem weiteren Teil ist sie schwer verständlich, elliptisch, zerklüftet, inkommensurabel, stellt Blöcke gegeneinander auf, errichtet Mauern. Und so übernehme ich mittlerweile diese Sprache ganz natürlich, die Sprache des Universalen; in der es Helles – grell Helles – gibt; und absichtlich Dunkles. Die Welt ist Licht und Schatten. Diese Sprache sollte zum Mitdenken einladen, zur weiteren Errichtung und Fortschreibung des Universalen. Diese erfordert eine gewisse Anstrengung, denn das Universale ist nicht das unmittelbar Gegebene, sondern muss aufgespürt werden.

Der hingeschiedene Ex-Papst erinnert mich an das ehrwürdig Hierarchische, das teilweise Schroffe und Unzugängliche, das der Katholizismus verkörpert, und das ich teilweise gut finde. Das Universale ist tiefer im Sein, älter und übergeordnet. Die eigene Subjektivität ist kleiner und unwichtiger: kann sich jedoch an das Universale annähern. Das ist die Aufgabe, ist Imperativ für die Subjektivität. Das Universale ist das Göttliche. (Das Göttliche ist dabei noch nicht Gott, sondern imitiert ihn nur.) Das Sein hat Koordinaten. Da ist zum einen eben diese Achse der Ordnung, des Starren, Erhabenen, Ehrwürdigen. Zum anderen verläuft da die Achse des Chaos, der Revolution, letztendlich auch der Auflösung. Gemeinsam spannen sie den Raum der Freiheit und der sinnvollen Beschränkungen der Freiheit auf. Freiheit ist für mich, so stelle ich bei der Gelegenheit fest, im Übrigen aber keine allzu relevante Kategorie. Auch meine Philosophie handelt kaum von der Freiheit. Vielleicht, weil meine innere Freiheit so groß ist, dass ich sie nicht einmal als solche empfinde. Beziehungsweise, weil Freiheit und die Erlangung von Freiheit für mich keine Probleme sind. Vielleicht, weil ich weniger einem Impuls der Freiheit zu folgen empfinde, sondern einer Konsequenz und Folgerichtigkeit, die sich nicht unmittelbar am Eigenen orientiert: dem Impuls, das Universale zu erfassen, und damit das Gerade, Richtige, Unumstößliche und Unkaputtbare; das, was den höchsten Wahrheitswert hat.

Ebensowenig, wie ich weiß, was Freiheit genau ist, und was daran so wichtig sein sollte, weiß ich auch nicht so recht, was Macht ist. Folgerichtig weiß ich auch nicht so recht, was Angst ist. Folgerichtig auch nicht, was Unsicherheit ist; außerdem nicht Neid, Hass, oder Kränkungen. Kränkungen sind Spuren, die sich in das Eigene, in ein Ego einschreiben. Wo keine solche Schreibfläche vorhanden ist, kann sich also keine Kränkung einschreiben. Kränkungen sind ein lokales Ereignis, das Universale aber ist nicht-lokal. Daher empfehle ich auch deswegen, sich vom Eigenen und dem Egoischen abzuwenden, und eine universale Perspektive anzustreben: schon einmal allein aus Eigennutz.

Überhaupt scheint diese Konsequenz des Impulses, das Universale zu erfassen, als das vielleicht Befreiendste von allem: denn es befreit vom Gefängnis der eigenen Subjektivität, indem es eine transzendente Perspektive anpeilt. Es übersetzt das Eigene unmittelbar in das Andere, bzw. ins Allgemeine und Objektive. Das Eigene ist ein lokales Ereignis, das Universale aber ist nicht-lokal. Das Universale bezieht sich auf die geistige Erfassung des Ganzen.

Durch das Universale zieht sich eine eherne gerade Linie: der Maßstab der richtigen Kritik. Kritik, das heißt: Trennen und Unterscheidungen treffen um einzelne Qualitäten, und ihr Verhältnis zueinander, richtig zu bestimmen. Vieles, vielleicht das Meiste von dem, was in dieser Welt Kritik ist oder sein will, ist ein ziemlicher subjektiver Mischmasch. Daher scheint es mir notwendig, den ehernen Maßstab der richtigen Kritik zu ergreifen. Hin und wieder passiert das in der Welt, das eine:r das tut. Um diesen ehernen Maßstab der richtigen Kritik und des Treffens von richtigen Unterscheidungen zu ergreifen und zu schwingen, ist es wohl notwendig, möglichst viel zu verstehen: also das Universale. Um das Einzelne zu verstehen, muss man zuerst alles verstehen.

Um richtig zu kritisieren, ist es notwendig, das zu erreichen, was Adorno mit seiner Negativen Dialektik anstrebt: so sehr zu differenzieren, dass es an das Kleinste heranreicht und das Individuellste erfasst. Die postmoderne Differenz ist weder universal noch individuell. Sie ist allein durch Differenz bestimmt und dadurch keine Entität, ein Mängelwesen.

Die postmoderne Differenz sollte überholt werden von einem Denken und Empfinden, einem denkenden Empfinden, einem empfindenden Denken, das also ins Kleinste und Individuellste hineinreicht. Und gleichzeitig ins Allgemeinste und eben ins Universale. Es scheint mir glücklicherweise so zu sein, dass sich dieses Eine und jenes Andere sowieso gegenseitig bedingen, wenn es richtig vonstatten gehen will.

Der Geist will differenzieren und synthetisieren. Mit der Differenz allein kann er nicht leben, denn die Differenz allein ist ein Mängelwesen. Der Geist will sinnvolle Grenzen ziehen. Das Universale ist letztendlich auch eine sinnvolle Grenzziehung. Es handelt sich beim Universalen um eine paradoxe Grenzziehung, denn die universale Grenzziehung arrondiert einerseits, andererseits bleibt sie offen und öffnet den Raum. Es ist eben eine durchlässige Scheidewand, eine semipermeable Trennschicht.

Es ist gegenwärtig zu einer Sache einer mittelmäßigen Intelligenz herabgesunken, das Universale zu verwerfen und es als totalisierend, implizit oder explizit als totalitär zu begreifen. Früher habe ich das auch spannend gefunden, heute aber nicht mehr so. Sache des Geistes ist es ja nicht, partikular und different zu werden – oder ewig „dialektisch“ zu bleiben – sondern universal. Wenn der Geist eine durchlässige Scheidewand, eine semipermeable Trennschicht bleibt, ist alles gut. Er erfüllt damit seine eigentliche Bestimmung: die Entwicklung des Universalen, das sich über Osmose vollzieht.

Mein philosophisches System vom Chaosmos kann nicht totalitär sein, denn neben der herrlichen Ordnung des kosmischen Prinzipes wirkt das chaotische Prinzip Totalisierungen und primitiven Vereinfachungen ganz genau entgegen. Es handelt sich beim Chaosmos und dem Universalen außerdem um kein „Wertesystem“, das sich der Welt aufoktroyieren will. Sondern um einen richtigen Gebrauch des Geistes. Auch wenn sein Raum offen ist, hindert ihn das nicht, in sich logisch und einheitlich zu sein und zu wirken, ein großer Kritiker und ein großer Aufräumer zu sein. Ein großer Sichvergegenwärtiger des Ganzen, das er also als das Universale erfasst. Das Ganze liegt möglicherweise nicht einmal da draußen in der Welt: die Welt ist womöglich nicht „ganz“. Das Universale – als Anschauung und Vergegenwärtigung des Ganzen (oder seiner Imitation) – aber liegt im Geist. Ich will weiter daran arbeiten, diese Einheitlichkeit und Logik des Universalen mir zu vergegenwärtigen.

Das ist der gegenwärtige Zustand meines Geistes, über den ich nun also erneut Zeugnis abgelegt habe, um mir und anderen zu helfen, ihn genauer zu verstehen und nachzuvollziehen und damit mir und anderen, wie ich hoffe, zu helfen, den Geist an sich zu verstehen, nachzuvollziehen und richtig zu gebrauchen; aus einem fernen Land, Anfang des Jahres 2023.

R.I.P. Benedikt XVI.

Gut finde ich am Katholizismus, dass er eine hierarchische Tiefengestaffeltheit der Welt andeutet, eine übergeordnete Instanz eines Gesetzes, das einerseits beschützt und Behausung bietet und anziehend wirkt, andererseits aber unnahbar ist, unkommunikativ, selbstgenügsam und deutlich von uns getrennt, von anderer, höherer Qualität. Das Erbauliche des Gedankens, dass wir gegen Gott immer unrecht haben, wie Kierkegaard das schon empfindet. Laut Pseudo-Dionysius ist Gott ein dunkles Licht. Anders gesagt, ist es die gleichzeitige Deutlichkeit wie Rätselhaftigkeit der moralischen Gesetze, die älter sind als wir und uns übergeordnet. Um diese radikale, inkommensurable, autonome Objektivität angemessen zu verstehen und zu würdigen und mit ihr koexistieren zu können, braucht es wahrscheinlich eine radikale, inkommensurable, autonome Subjektivität, wie schon Kierkegaard sie hatte und der das menschliche Maß wenig begegnen kann, sonst verfällt sie ins Rigorose. Ratzinger hatte diese radikale Subjektivität eben nicht; der Argentinier ist näher an ihr dran. Kierkegaard hat seine Subjektivität hauptsächlich in Gedanken ausgelebt, war weltabgewandt und nie in Argentinien. Außerdem war er eitel und selbstbezogen und hat Nebensächlichkeiten seines Lebens, wie die Lösung seiner Verlobung mit Regine, zu gigantischer Bedeutung aufgebläht bzw. sich selbst z.B. als „Verführer“ quasi satanischen Zuschnitts. So ist auch er dem Rigorismus verfallen. Die Gegengewichte zum moralischen und intellektuellen Rigorismus – die guten und die schlechten – liegen glücklicherweise überall in der Welt, sofern man sie empfinden und genießen kann. Vielleicht ist das der Sinn der Schöpfung. Das posthume Paradies und Reich Gottes ist schließlich reiner Genuss – der in seiner höchsten Form in der genießenden Anschauung der höchsten Idee und Objektivität, also eben dem Göttlichen besteht.

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-12/joseph-ratzinger-papst-benedikt-xvi-freiburger-rede-2011