Hier sitz ich nun also, forme Gedanken. Meine Gedanken betreffen die ganze Welt und legen sich über die ganze Welt. So wie die Masse des Blob legen sie sich über alles, sie legen sich gallertartig um diese Ecke und jenes Grasbüschel und versuchen sich mit ihm zu verbinden, mit ihm zu verschmelzen, eine höhere Einheit mit ihm einzugehen: meine Gedanken beinhalten und empfinden dann dieses Grasbüschel, und dieses Grasbüschel kennt dann und empfindet dann mich und meinen Geist. Ein Verhältnis der guten Symbiose. Was aber, wenn das gar nicht so ist und so sein kann? Als Atlas trage ich die ganze Welt, intellektuell ist das sogar relativ leicht für mich (wenngleich auch natürlich viel Arbeit und Auseinandersetzung dahinter steckt), spirituell auch, allerdings nicht ganz so leicht und möglicherweise ganz unmöglich und auch das ganz Falsche, so was zu tun oder zu probieren, da Möglichkeiten der spirituellen Verbindung nicht immer gegeben sind zu den Objekten und den Subjekten in der Welt. Der Geist ist leicht, weil er so leicht ist. Die Dinge sind schwer, weil sie so schwer sind. In seinem Buch „Wunschdenken“ zitiert sogar Thilo Sarrazin Schiller: „Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit. Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“ Ich bin in guten Verhältnissen aufgewachsen, persönlich wie sozial, in einer guten lokalen Ecke in einem, was ebendiese Ecke betrifft, guten Zeitalter. Es gab immer Anlass zur Hoffnung, dass das – im Wesentlichen – so weitergehen würde: Hindernisse mag es geben auf dem Weg zum Fortschritt, doch der Fortschritt und das Fortschreiten der Zivilisation seien die eigentliche Macht, und nicht der Rückschritt. Es kann schon sein, dass im Rahmen des jüngsten, sich anbahnenden Abschnittes der Industrialisierung (hierzulande genannt „Industrie 4.0“) gegen Mitte des Jahrhunderts umfassende Umwälzungen zum Positiven stattgefunden haben werden. Aber vielleicht werden die gar nicht so wichtig sein, da das eigentliche Zentrum des geschichtlichen Verlaufes in negativen Entwicklungen bestehen mag. Kann ich mir dann auf die Schulter klopfen und sagen: Im Rompf-Roman (dem „uninterpretierbaren Traum“) habe ich das unzeitgemäß vorhergesehen! Ein Szenario, wo es, global betrachtet, immer nur Inseln gibt – Inseln des Guten und Inseln des Schlechten oder Bösen – die sich über die Zeit wandeln und sich eventuell in ihr Gegenteil transformieren mögen, ohne wiederum darin beständig zu sein – das Zusammenspiel von Kosmos und Chaos als ewiger weltgeschichtlicher Prozess! Das Thema des Rompf-Romanes war die Auseinandersetzung zwischen Geist und Welt, ihrer ewigen möglichen Zusammenarbeiten und Symbiosen, ihrer ewigen gegenseitigen Indifferenzen oder aber auch Feindseligkeiten. Die Sichtweise auf Inseln der Ordnung und des kosmisch in sich Zusammengefügten im weltgeschichtlichen Prozess, die mit der Zeit erodieren oder von anderen Entwicklungen überholt werden, und die dann ins Chaos abgleiten – nicht allein wegen der identifizierbaren menschlichen Dummheit, sondern aufgrund der mehr oder weniger anonymen und schwer adressierbaren Dummheit von Gesellschaften, die ihr Eigenleben fristen und die ihre eigene Schwerkraft ausstrahlen. Gut behütet kann man also auf das schöne Farben- und Formenspiel blicken, das der weltgeschichtliche Prozess ist, das allsehende Auge tut das. Kierkegaard spricht von einer Art Position des allsehenden Auges vom Ungeheuer des weltgeschichtlichen Prozesses, das „selbst so ungeheure Portionen wie China oder Persien verschlinge wie nichts“ (was zähle und was ewig sei, sei allein das Verhältnis des Einzelnen zu Gott). Man mag da, von der Position des allsehenden Auges, den weltgeschichtlichen Prozess anblicken, da tut sich hin und wieder was, neue Dinge geschehen, neue Technologien oder Ereignisse kommen auf und produzieren „Gewinner“ und „Verlierer“ (die aber durch den insgesamt guten Verlauf kompensiert werden), bunt ist das, prächtig, mosaikhaft! – Doch könnte das Ganze vom Beschaulichen bald ins Unbeschauliche kippen. Es wurde zwar vorhergesagt, dass sich im Rahmen der heutigen Entwicklungen innerhalb des Post-Cold War World Orders (unrichtige Formulierung, aber ich lasse sie, da sie mir gerade eben gefällt) die Dinge auf der Arena der internationalen Politik sich komplexer und komplizierter gestalten können und somit für die Verantwortlichen immer schwieriger, sie positiv zu gestalten, mit der Gefahr also, dass die Entwicklungen überhaupt zu entgleiten drohen. Und solche Feuerzeichen scheinen immer deutlicher. Die Degeneration der Demokratie und der zivilisierten Politik in der westlichen Welt! Die mögliche Degeneration des „aufgeklärten“ Despotismus in China unter Xi hin in einen plumpen und gefährlichen Despotismus wie unter Mao (möglicherweise nicht aufgrund von buonapartistischen Ambitionen von Seiten Xis, sondern weil ansonsten die Kontrolle über die chinesische Gesellschaft ganz zu entgleiten droht)! Die mögliche Degeneration der islamischen Kultur und Zivilisation in die Barbarei (in ihren Heimatländern wie auch in den Ländern anderswo)! Die Verwerfungen, die der Kapitalismus entlang der Industrie 4.0. produziert, ohne dass man gegen die Grundtendenzen (den technologischen Wandel und der Probleme, die er erzeugt, durch die Ersetzung des Kapitalismus durch irgendein anderes System was tun könnte)! Am Schlimmsten aber die möglichen Konsequenzen des Klimawandels!! Jüngst wurde eine Studie veröffentlicht, wonach die voraussichtliche Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur zwar nicht höher oder schneller ausfallen würde als bisher angenommen, dass aber eine diese (vergleichsweise moderate) Erhöhung viel drastischere Folgen zeitigen könnte als angenommen! Der Klimawandel und seine negativen Folgen werden seit den 1970er Jahren vorhergesagt, als die „Grenzen des Wachstums“ sich dann doch nicht so eng erwiesen haben wie 1972 ursprünglich prognostiziert, hat der Alarmismus wieder abgenommen, in etlichen Zukunftsszenarios wird dem Klimawandel kein herausragender Platz zugesprochen. Man kann sagen, ein wärmeres Klima ist besser als eine Abkühlung, möglicherweise schützen wir uns mit der Aufheizung der Erde in Wirklichkeit vor einer neuen Eiszeit; immer noch läge die globale Durchschnittstemperatur unter dem langfristigen Mittel (wobei die Frage aber ausgespart bleibt, was passiert, wenn die Erhöhung des Klimas so schnell wie noch nie stattfinde und wie gut sich die Ökosysteme daran vergleichsweise kurzfristig anpassen könnten). Onkel Karli, der Alpenfreund, meint, am deutlichsten sehe man den Klimawandel am Rückgang der Gletscher in den Alpen, und den müsse man gesehen haben, um es tatsächlich glauben zu können. Der neue Klimareport sagt drastische globale Konsequenzen des Klimawandels bereits innerhalb der nächsten 20 – 30 Jahre vorher, räumt allerdings noch ein gewisses Zeitfenster ein, um gegenzusteuern. Man kann hoffen, dass diese Vorhersage falsch und tendenziös ist. Was aber, wenn es nicht so ist? Dass die Menschheit in einem so kurzen Zeitrahmen die notwendigen Mittel ergreift, um einer gar nicht mal eindeutig bestätigten Gefahr gegenzusteuern, erscheint wenig aussichtsreich. Man kann zwar sagen, dass die Menschheit letztendlich, wenn der Hut brenne, dann doch einlenke und das Richtige tue – aber in so etlichen Fällen ist auch das nicht der Fall, und vor allen Dingen stehen die Chance wohl schlecht, wenn die Menschheit dazu gar nicht über die adäquaten Mittel verfügt (in dem Fall über grüne Technologien, auf die man großflächig umsteigen könne). Man könnte meinen, es werde nicht so heiß gegessen wie gekocht wird, doch, wie Hannah Arendt mit Rückblick auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gemeint hat, wurde da immer heißer gegessen als es je einem Koch in den Sinn gekommen wäre. Wenn wir an das 20. Jahrhundert zurückdenken, an dessen „Urkatastrophe“ des Ersten Weltkrieges, in den die Herrschenden unwissend als „Schlafwandler“ hinein geschlafwandelt seien, nichts ahnend, das Verhängnis nicht ahnend? In seiner monumentalen Kafka-Biographie verwirft Reiner Stach ein solches Verständnis: die Herrschenden hätten genau gewusst, worauf sie sich da wahrscheinlich einlassen, die Mittel des modernen Krieges hätten sie gekannt, dass Blitzsiege unwahrscheinlich seien, hätten sie gewusst. Trotzdem seien sie fatalistisch in den Ersten Weltkrieg und in das Elend, das er produziert hat, „hineingeschlittert“. Wobei Stach aber nicht hinweist, warum sie so fatalistisch hineingeschlittert seien. Weil ihnen das innerhalb des Gemengelages der Zeit wohl als unausweichlich erschienen ist. Da hatte man: eine imperialistische Konkurrenz zwischen aufsteigenden und absteigenden Großmächten (wobei das aufsteigende Deutschland sich (aufgrund der kombinierten Rüstungsanstrengungen der Entente) als militärisch am absteigenden Ast gesehen hat und die möglicherweise letzte Chance nutzen wollte, das Blatt noch einmal zu wenden); Probleme im Inneren im Hinblick auf Soziales wie Nationales (v.a. in der Habsburgermonarchie); die Desintegration des Osmanischen Reiches und der Frage, wie man mit der Konkursmasse (v.a. am Balkan und im Nahen Osten) umgehen solle bzw. wie diese Konkursmasse selber mit sich umgehen werde, was die Strahlkraft von internationalen Zankäpfeln produziert hat; kapitalistisch-imperialistische Konkurrenz; die Herausforderung durch den Sozialismus. All das (und wohl anderes mehr) an Gemengelage hat eine Situation erzeugt, wo man fatalistisch in eine „Urkatastrophe“ reingeschlittert ist bzw. eine solche tatsächlich erzeugt hat bzw. sie sogar gewollt hat. Ein anderer Denkrahmen war nicht vorhanden. Es wurde mehrmals gesagt, das Problem der heutigen Zeit sei, dass es zunehmend komplexer werde und sich inmitten dieser Komplexität immer unsicherer navigieren ließe. Aber das ist möglicherweise zu tief gestapelt. Vielleicht wird die Wirklichkeit viel krasser. – Es gefällt mir, dem weltgeschichtlichen Prozess zuzusehen, wie er selbst so ungeheure Portionen wie Persien und China verschlingt wie nichts, aber bald könnte es sein, dass ich auch da nichts mehr zu lachen habe, da die Probleme nicht mehr im Grunde genommen bewältigbar seien, wie ich es bis jetzt geglaubt habe, sondern eben nicht (mehr) bewältigbar. Dann erweist sich auch mein Geist als sinnlos. Mein Geist erfreut sich an der Komplexität und an der Welt, die tief ist und tiefer also der Tag gedacht – also an der Tiefengestaffeltheit der Welt, deren bezaubernde und mitunter quälende Reize nie aufhören und man fraktalsmäßig immer wieder auf neue Reize stößt. Was aber, wenn die Komplexität und die Tiefengestaffeltheit sich mitunter als gar nicht so sexy und amourös erweisen? So wie im Fall von Wirtschaftskrisen, sozialen Problemen oder eben des Klimawandels? Das Spiel mit der Komplexität und die Mimesis mit der Komplexität also gar nichts Gutes, sondern etwas abgrundtief Gemeines, das für uns bereitgehalten wird am Ende? Der Klimawandel ist einfach eine (abgrundtiefe) Gemeinheit weniger des Menschen als der Natur, die immer schon gemein war und wegen der die Menschheit ja die Industrie entwickelt hat, als relatives Bollwerk gegen die Gemeinheit der Natur. Mein Geist beherrscht, intellektuell und spirituell, mehr oder weniger die ganze Welt. Andererseits beherrscht er gar nichts und er wird ja auch kaum wahrgenommen und etliche haben auch gar kein Interesse daran, dass er wahrgenommen wird. Verschwörungstheorien entladen sich in Ideen, wonach es bestimmte Einzelpersonen, Gruppen oder Elemente seien, die den weltgeschichtlichen Prozess steuern und manipulieren, weil sie die Macht und die Kontrolle haben (und solche Verschwörungstheorien machen dann deren Anhänger glauben, dass sie intellektuelle Macht und Kontrolle hätten und „den Durchblick, weil sie in Wirklichkeit durch überhaupt nichts durchblicken). Es ist aber eher so, dass niemand die Macht und die Kontrolle über den weltgeschichtlichen Prozess und über die Sachen hat. Das mag befreiender wirken. Oder aber eben beunruhigender. Trotz seiner nahezuhen Allmächtigkeit verschwindet mein Geist dann auch nur im Malstrom des weltgeschichtlichen Prozesses und er kollabiert oder zerschellt an den Sachen. Was bleibt, ist sein Echo.
„Die Welt neigt zum Verfall. Das Gute manifestiert sich von Zeit zu Zeit in einzelnen Personen und in Ereignissen, … doch insgesamt ist die Entwicklung negativ.“
Kurt Gödel
The evil that men do lives after them, the good is oft interred with their bones.“
Shakespeare, Julius Caesar