Am 3. Juli 2018 am frühen Nachmittag ist mein Vater Hans Hautmann im Wiener Hanuschkrankenhaus verstorben. Er ist dort die letzten fünf Wochen gelegen, nachdem sich seine Krebserkrankung plötzlich massiv verschlechtert hat.

Vor einem Jahr wurde Lungenkrebs bei ihm diagnostiziert. Es war ein sehr aggressiver, schnell wachsender Krebs. Gleichzeitig hat es sich dabei um eine seltene Mutation gehandelt, die allein mit einem neuartigen Medikament erstaunlich unkompliziert behandelt werden konnte, und die Behandlung hat so gut angeschlagen, dass wir zuversichtlich waren, dass sie sich noch auf unbestimmte Zeit fortsetzen ließe. Als „Glück im Unglück“ hat alles nicht so schlecht ausgesehen.
Ende Mai wurde er jedoch mit Verdacht auf Metastasen im Bauchraum ins Krankenhaus eingewiesen. Dort hat er auch plötzlich starke Bauchschmerzen entwickelt, die man dann aber für eine Entzündung gehalten hat. Dann hat ein Darmverschluss gedroht, der zunächst aber auch wieder abwendbar erschienen ist. Als es dann aber – aufgrund eines Tumors im Bauchraum – fast dazu gekommen wäre, musste rasch eine Notoperation eingeleitet werden, von der gar nicht klar war, ob sie überhaupt erfolgreich sein kann und er sie überleben kann – der schlimmste Moment für uns alle. Das hat er aber, und am nächsten Tag waren wir alle wieder einmal verwundert, wie erstaunlich gut es ihm gegen alle medizinische Erwartung gegangen ist. Am Tag darauf setzten dann aber die Wundschmerzen ein, die mit starken Medikamenten, inklusive Psychopharmaka behandelt werden mussten. Von da an hat er sich nicht mehr wirklich erholt, es wurde festgestellt, dass die Metastasen im Bauchraum, die sich vorher nicht wirklich bemerkbar gemacht hatten, sehr ausgeprägt waren, so dass die Aussichten auf eine Behandlung zwar da waren, aber erfordert hätten, dass er wieder mehr zu Kräften gekommen wäre. Dafür war sein Körper aber dann schon zu schwach. Am Ende ist noch eine Lungenentzündung dazugekommen. Man hat versucht, sie zu behandeln, aber an jenem 3. Juli hat sein Körper den Kampf aufgegeben.

Als er im Krankenhaus war, war ich kurz in Linz, in Auhof, wo ich aufgewachsen bin; bin die Wege gegangen, die meine ersten gewesen waren. Habe mich erinnert, wie er mich an der Hand geführt hat oder das Fahrradfahren beigebracht hat. Eltern sind diejenigen, von denen man was bekommt, wenn man was will, und die das kapriziöse Verhalten der Kinder erdulden und uns trotzdem lieben, und das sehen wir als selbstverständlich an. So war das dann auch. Später im Leben hat mir meine Tante Luise gesagt, dass mein Vater für die damaligen Verhältnisse und Geschlechterrollenverständnisse (in den 1980er Jahren) ein erstaunlich engagierter Vater gewesen sei, der viel mit uns unternommen hat. Wir haben viele Ausflüge unternommen oder Nachtfahrten mit dem Auto, die meinen Bruder und mich als Kinder natürlich fasziniert haben. Meistens haben wir das am Samstag gemacht. Oder wir sind, neben vielen anderen Orten in der Linzer Umgebung, nach Enns gefahren und dort den Stadtturm rauf und nachher in eine Konditorei. Daran habe ich mich erinnern müssen, als ich auf dem Weg nach Linz dort vorbei gefahren bin. Bei einem Urlaub in Annaberg hat er mir den Sternenhimmel gezeigt, dessen Pracht dort für mich als Stadtkind ungewöhnlich gewesen ist. Er hat mir erklärt, was die Milchstraße ist und der Andromedanebel und sie mir gezeigt. Wahrscheinlich im Zusammenhang damit wollte ich einige Zeit später dann Astronom werden und das Universum erforschen. Das war offensichtlich der Grundstein für mich, Wissenschaftler zu werden, wobei ich durch alle möglichen Wissenschaften mäandriert bin. Die reichhaltige Bibliothek zuhause war da sicherlich hilfreich. Später, in unserer Jugend, sind wir Samstag oft in die Plus City gefahren, was essen, Billard spielen und dann ins Kino. Ich erinnere mich, wir haben dort künstlerisch wertvolle Filme gesehen wie „Dark City“ und auch so tiefsinnige und philosophische Filme wie „Independence Day“.
Mein Vater hatte ein akzentuiertes Weltbild und war ein politischer Mensch. Dabei hat er nicht versucht, uns ein Weltbild aufzuoktroyieren, aber versucht uns Werte zu vermitteln, die man als allgemein humanistisch bezeichnen kann. Inmitten der zeitweiligen Graben- und Fraktionskämpfe innerhalb seiner Partei hat er versucht, eine vermittelnde und mediatorische Rolle einzunehmen. Ich kann mich erinnern, wie ihn diese Grabenkämpfe belastet haben und traurig gemacht haben. In meiner Jugend habe ich dieses Weltbild auch übernommen und es auch, in einer sehr allgemeinen Weise, beibehalten. Der Kampf zwischen dem Fortschrittlichen und dem Reaktionären und die Frage nach der Gestaltung einer harmonischen Gesellschaft ist so alt wie die Menschheit selbst und stellt sich in jeder Epoche, auch jeder Generation, und inmitten gänzlich unterschiedlicher Herausforderungen immer wieder neu. Der Kampf zwischen Gut und Böse um die Vorherrschaft im Menschenreich mag womöglich noch lange unentschieden weitergehen. Was aber wohl zählt, ist, auf welcher Seite man war.

Während der letzten Zeit im Krankenhaus war mein Vater allgemein sehr schwach und oft kaum ansprechbar, unter anderem wegen der starken Medikation, wodurch er aber immerhin meistens vergleichsweise schmerzfrei war. Trotzdem ist es uns am 2. Juli noch gelungen, ein letztes Gespräch zu führen, auch wenn es danach an diesem Tag dann wieder gar nicht ausgesehen hat, da noch Vitalität aufgeblitzt ist. Es ging dabei um Bücher und um die Weltrevolution.
Womöglich hätte mein Vater den Wunsch gehabt, zu Hause, inmitten seiner Bücher und Arbeitsräumlichkeiten diese Welt zu verlassen. Dieser mögliche Wunsch war nicht mehr zu erfüllen. Dabei war aber der 3. Juli ein schöner, sonniger, klarer Tag, ohne dass es schon garstig heiß gewesen wäre. Das Hanuschkrankenhaus ist ein geschmackvoller Bau und es geht dort mit wenig Hektik zu und es ist auf einer kleinen Anhöhe im 14. Wiener Bezirk, eine weitläufige und irgendwie idyllische und lauschige Gegend. Wenn man an sein Ende nach Westen fährt, nach Hütteldorf, geht es, bei der Straßenbahnendhaltestelle, in die Natur über. Man könnte meinen, dort beginnen die elysischen Felder.

Seien wir glücklich, dass sein Leben eine sinnvoll abgeschlossene Erzählung bildet! Obwohl auch in seiner Pension voll wissenschaftlichem Tatendrang, konnte er zuletzt doch sein Werk als mehr oder weniger abgeschlossen und getan betrachten. Obwohl Angst und Besorgnis seit Bekanntwerden seiner Erkrankung natürlich da waren, ließ er sich davon nicht übermannen. Was die allerletzten Wochen in seinem Kopf vorgegangen sein mag, wissen wir nicht wirklich. Es gab aber kein sichtbares Hadern oder wütende Unzufriedenheit.
Wir sehen uns wieder in den elysischen Feldern! Auch wenn wir als dialektische Materialisten wohl nicht ganz daran glauben mögen, aber zumindest als ideellen Raum gibt es sie ja doch.
Gehab dich wohl, mach´s gut und hab eine schöne Ewigkeit.

Nachruf der Alfred Klahr Gesellschaft
Nachruf in den Oberöstereichischen Nachrichten