R.I.P. Benedikt XVI.

Gut finde ich am Katholizismus, dass er eine hierarchische Tiefengestaffeltheit der Welt andeutet, eine übergeordnete Instanz eines Gesetzes, das einerseits beschützt und Behausung bietet und anziehend wirkt, andererseits aber unnahbar ist, unkommunikativ, selbstgenügsam und deutlich von uns getrennt, von anderer, höherer Qualität. Das Erbauliche des Gedankens, dass wir gegen Gott immer unrecht haben, wie Kierkegaard das schon empfindet. Laut Pseudo-Dionysius ist Gott ein dunkles Licht. Anders gesagt, ist es die gleichzeitige Deutlichkeit wie Rätselhaftigkeit der moralischen Gesetze, die älter sind als wir und uns übergeordnet. Um diese radikale, inkommensurable, autonome Objektivität angemessen zu verstehen und zu würdigen und mit ihr koexistieren zu können, braucht es wahrscheinlich eine radikale, inkommensurable, autonome Subjektivität, wie schon Kierkegaard sie hatte und der das menschliche Maß wenig begegnen kann, sonst verfällt sie ins Rigorose. Ratzinger hatte diese radikale Subjektivität eben nicht; der Argentinier ist näher an ihr dran. Kierkegaard hat seine Subjektivität hauptsächlich in Gedanken ausgelebt, war weltabgewandt und nie in Argentinien. Außerdem war er eitel und selbstbezogen und hat Nebensächlichkeiten seines Lebens, wie die Lösung seiner Verlobung mit Regine, zu gigantischer Bedeutung aufgebläht bzw. sich selbst z.B. als „Verführer“ quasi satanischen Zuschnitts. So ist auch er dem Rigorismus verfallen. Die Gegengewichte zum moralischen und intellektuellen Rigorismus – die guten und die schlechten – liegen glücklicherweise überall in der Welt, sofern man sie empfinden und genießen kann. Vielleicht ist das der Sinn der Schöpfung. Das posthume Paradies und Reich Gottes ist schließlich reiner Genuss – der in seiner höchsten Form in der genießenden Anschauung der höchsten Idee und Objektivität, also eben dem Göttlichen besteht.

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-12/joseph-ratzinger-papst-benedikt-xvi-freiburger-rede-2011