Bemerkungen zu Leibniz

Keine andere Philosophie hat die Bejahung der einzigen und selben Welt und eines unendlichen Unterschieds oder einer unendlichen Mannigfaltigkeit in dieser Welt weiter getrieben.

Gilles Deleuze

Leibniz bejaht die Welt und die Mannigfaltigkeit in der Welt, weil die leitende Vorstellung bei ihm die der Harmonie ist. Harmonie bedeutet in der Musik den wohltönenden Zusammenklang von Tönen. Das bedeutet nicht, dass die einzelnen Töne alle schön sind, ihr gleichzeitiges Auftreten im Ganzen ergibt den Einklang, den Zusammenklang. Leibniz soll auch eine eingehende Abhandlung über Musik verfasst haben, die aber verschollen ist. Die Musik des Zeitalters von Leibniz, des Barockzeitalters, wurde von Johann Sebastian Bach vollendet. Die Musik von Bach ist an geistiger Intensität, an geistiger Fähigkeit, Komplexität zu bewältigen, wohl nicht zu überbieten. Trotzdem erhebt die Komplexität ihr Gorgonenhaupt immer wieder und die Aufforderung, Komplexität zu bewältigen stellt sich immer wieder neu. Das Disharmonische wurde schon vor geraumer Zeit in die Musik eingeführt. Trotzdem haben auch disharmonische Kompositionen ein sinnvolles Ganzes zu ergeben, eben eine Komposition zu sein, oder zumindest auf einer (ordnenden) Inspiration zu beruhen. Wie kann man heute Einheit in der Vielheit, wie kann man Harmonie heute denken? Die so genannte Postmoderne gilt als Absage an das Einheitsdenken (das – und das auch nicht zu Unrecht – als vereinnahmend und totalitär zurückgewiesen wird). Allerdings versucht genau der („postmoderne“) Differenzphilosoph Deleuze Harmonie und Einheit in der Vielheit zu denken. Darauf beruht das hohe Charisma seines Denkens und seiner Sprache. Überhaupt ist das postmoderne Denken und seine Sprache von einer hohen ästhetischen Sogkraft, und daher, in seiner Buntheit, auch irgendwie, implizit, harmonisch. Auch wenn das postmoderne Differenzdenken wohl recht hat. Die Differenz – der tatsächlich mangelnde Einklang – zwischen individuellen Einheiten, ist sicherlich was Reales. Zu glauben, zwischen Lebewesen herrsche nur Einklang – oder ein Missklang, der aber ausgeräumt werden könne, wenn er denn herrscht – ist sicherlich zu romantisch. Ich kenne diesen Imperativ zum Denken der Vielheit in Einheit aber auch. Auch ich mag Harmonie und strebe sie an. Auch ich frage mich: wie kann man Vielheit und Einheit zusammendenken? Denn ich empfinde die Welt nicht als zusammenhangslos, sondern als (letztendlich irgendwie) harmonischen Zusammenhang, eventuell sogar Zusammenklang. Das Streben nach Harmonie und auch die Wahrnehmung von Harmonie liegt im eigenen Geist und im eigenen Gefühl. Jemand, der ohne musikalisches Gehör ist, wird die Harmonie als solche nicht wahrnehmen oder sie anders wahrnehmen. Harmonie ist, zu einem gewissen Grad, eine subjektive Halluzination. Das heißt aber nicht, dass ihr nichts Objektives entspricht. So ziehe ich denn einen großen Kreis und sage: Somit markiere ich hier die Arena, es ist die ganze Schöpfung, es ist das Universum; alles was sich darin aufhält, teilt dasselbe Schicksal und im Hinblick darauf ist alles darin einheitlich, auch wenn es in den anderen Aspekten noch so verschieden ist oder einander schädlich ist. Es herrscht ein gerüttelt Maß an – unhintergehbarem – Chaos im Universum. Die Perversion und der Zerfall ist Teil der Schöpfung. Aber es ist eben trotzdem ein Universum. Nach dem, was wir heute zu wissen scheinen, ist es sogar ein höchst erstaunliches Universum. Ein extrem feinabgestimmtes Universum. Würden die Naturkräfte nur ein klein wenig anders aufeinander abgestimmt sein oder wäre die Zahl der Dimensionen eine andere, würde alles im Universum auseinanderfliegen oder kollabieren. Dass unser Universum so ist, wie es ist, gilt als extrem unwahrscheinlich. Doch ist es so. In dem Sinn hat Leibniz Recht, und Gott hat scheinbar eine extrem unwahrscheinliche Wahl getroffen und ein Universum geschaffen das, in Bezug auf uns, harmonisch ist. Das Böse ist etwas, das nicht sein sollte (definiert Heidegger es). Doch dass es sein kann, ist eben der höheren Harmonie zu verdanken. Also sollten wir uns nicht so leichtfertig beschweren. Dass Existenz überhaupt möglich ist, dass Sein ist gegenüber dem Nichts, ist allein schon einmal ein Phänomen von hoher Qualität; dass neben gutem Sein auch schlechtes Sein da ist, hingegen ist von nachgeordneter Bedeutung diesbezüglich, ist ein Derivat. Wir halten fest an der außer Zweifel stehenden Lehre, die Zahl der ewig Verdammten sei unvergleichlich größer als die der Geretteten, und müssen trotzdem sagen, dass das Übel, verglichen mit dem Guten, fast wie ein Nichts erscheint, wenn man auf die wahre Größe des göttlichen Staates achtet. (Theodizee 19) Und: Die Glückseligkeit alles vernunftbegabten Geschöpfe ist eines der Ziele, nach denen (Gott) trachtet, aber sie ist nicht sein ganzes, ja nicht einmal sein höchstes Ziel. Aus diesem Grunde kann also das Unglück einiger dieser Kreaturen begleitweise und gleichsam als Folge anderer weit größerer Güter eintreten … Gott erzeugt so viel Vernunft und Erkenntnis in der Welt, wie sein Plan es zulässt. (Theodizee 119) Harmonie ist der wohltönende Zusammenklang von Tönen. Damit es Harmonie gibt, oder damit Harmonie auferscheint, sind aber eben einzelne Töne notwendig. In vielen Philosophien und Metaphysiken scheinen keine einzelnen Töne auf. Parmenides ist der erste Philosoph, der das Sein im Ganzen zu denken versucht. Es ist aber ein starres und einziges Sein. Bei seinem Antipoden Heraklit ist das Sein zwar dynamisch, aber nicht unbedingt harmonisch. Auch bei Leibnizens Zeitgenossen Spinoza – dem Leibniz offenbar intellektuell nicht wenig verdankt – hat man eine einzige Substanz und die Einzelwesen mehr oder weniger als Emanation dieser Substanz. Das ergibt dann einen gewissen Widerspruch – oder disharmonischen Misston – zwischen dem Postulat einer starren und notwendigen Entfaltung dieser Substanz und der Freiheit, die den Lebewesen doch zu eigen ist. Leibniz löst (so gesehen) den Misston auf, indem er die Substanz individualisiert. Diese individualisierten Substanzen sind dann autonom. Das System der prästabilisierten Harmonie ist am Besten geeignet, dieses Übel zu beseitigen. Denn es zeigt, dass es einfache, unausgedehnte Substanzen geben muss, die in der ganzen Natur verbreitet sind, dass die einzelnen Substanzen von allen anderen, nicht nur von Gott, unabhängig subsistieren und dass sie niemals ganz von organisierten Körpern getrennt sind. (Theodizee 10) Leibnizens Metaphysik geht von den Einzelwesen aus. Das sind bei ihm die so genannten Monaden. Die Monade, von der wir im Folgenden sprechen werden, ist nichts anderes als die einfache Substanz, welche in die Zusammengesetzten eingeht; einfach, das heißt ohne Teile. (Monadologie 1) Es sind diese Monaden die wahrhaften Atome der Natur und, kurz gesagt, die Elemente der Dinge. (Monadologie 3) Die Monaden sind kontingent, aber (als Substanzen) unzerstörbar. Als Substanzen, die kontingent sind, müssen sie daher notwendig von einem absoluten Grund zu Anbeginn der Zeit geschaffen worden sein: also von Gott. Obwohl sie Einzelwesen sind, tragen sie sozusagen den Plan der ganzen Schöpfung mit sich und in sich, sie sind lebendige Spiegel des ganzen Universums: Überdies ist jede Substanz gleichsam eine ganze Welt und wie ein Spiegel Gottes oder vielmehr des ganzen Universums, das jede auf ihre Weise ausdrückt, etwa so, wie die eine und selbe Stadt nach unterschiedlichen Standorten des Betrachters verschiedenartig vorgestellt wird. Daher wird das Universum gewissermaßen so viele Male vervielfältigt, wie es Substanzen gibt, und die Ehre Gottes wird allen diesen so völlig verschiedenen Vorstellungen seines Werkes entsprechend vermehrt. Man kann sogar sagen, dass jede Substanz in irgendeiner Weise das Merkmal der unendlichen Weisheit und der Allmacht Gottes trägt und ihn nachahmt, soweit sie es vermag. Denn sie drückt, wenn auch undeutlich, alles das aus, was im Universum geschieht, Vergangenes, Gegenwart und Zukunft, was eine gewisse Ähnlichkeit mit einer unendlichen Perzeption oder Erkenntnis hat, und da alle anderen Substanzen diese wiederum ausdrücken und sich ihr anpassen, so lässt sich sagen, dass sie, in Nachahmung der Allmacht des Schöpfers, ihre Macht auf alle anderen Substanzen ausdehnt. (Metaphysische Abhandlung 9) Es erscheint sehr anmutig und versöhnlich, dass alle Monaden, und dass auch die Monade, die ich bin, lebendige Spiegel des ganzen Universums sind – und ein Universum in sich sind; überdies Abglanz einer großen Vollkommenheit. Auch wenn Leibniz seine Metaphysik auf rationalen Schlussfolgerungen aufzubauen sucht, kommt sie hierin einer mystischen Schau und Zuständen einer mystischen Erleuchtung recht nahe. Das ist nicht unbedingt was Schlechtes. Metaphysik versucht ja, Sinn zu machen und unseren Sinn in einem unerklärlichen, sich entziehenden Universum zu erklären oder zu postulieren. Hierin hat die Metaphysik von Leibniz eine gewisse Schönheit und Anrührigkeit. Noch schöner und anrühriger wird es, wenn Leibniz schließlich zur letztmöglichen metaphysischen Schau vordringt, der der Existenz als Gottesstaat. Daher (weil alle Monaden lebendige Spiegel des Universums sind, Anm.) kommt es, dass die Geister in eine Art von Gesellschaft mit Gott gelangen können und dass dieser in Bezug auf sie nicht allein das ist, was ein Erfinder für seine Maschine ist (das ist Gott in Bezug auf die anderen Geschöpfe), sondern zudem das, was ein Fürst seinen Untertanen ist und selbst ein Vater seinen Kindern. (Monadologie 84) Alle Monaden haben mehr oder weniger klare Ansichten und Eindrücke von Gott. Tiere haben deren wenig bewusste Anschauungen, Menschen bewusstere, besonders klare Monaden, wie die der Heiligen aller Art, sehen Gott am deutlichsten. In der Monarchie des Gottesstaates sehen die Monaden also Gott, und Gott ist die höchste aller Monaden. Gott zu sehen ist die höchste Glückseligkeit für alle Monaden: Gott ist der Monarch der vollkommensten, aus allen Geistern zusammengesetzten Republik, und die Glückseligkeit dieses Gottesstaates ist seine Hauptabsicht. (Metaphysische Abhandlung 36) Eine glückselige Republik muss aber eine gute Republik sein, und um gut zu sein, muss die Republik moralisch sein: Dieser Gottesstaat, diese wahrhaft universale Monarchie, ist eine moralische Welt in der natürlichen Welt und das erhabenste und göttlichste unter den Werken Gottes. (Monadologie 86) Moralisch bedeutet, dass sie gerecht ist, und gerecht bedeutet, dass Handlungen adäquate Konsequenzen nach sich ziehen: Darum treten alle Geister, sowohl Menschen wie Geister, aufgrund der Vernunft und der ewigen Wahrheiten in eine Art von Gemeinschaft mit Gott ein, sind Mitglieder des Gottesstaates, d.h. des vollkommenen Staates, der durch den größten und besten Monarchen gebildet und regiert wird, worin es kein Verbrechen ohne Strafe gibt, keine guten Handlungen ohne die entsprechende Belohnung und schließlich so viel Tugend und Güte wie möglich. (Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade 15) Leibniz unterscheidet hier von einem physischen Reich der Natur und einem moralischen Reich der Gnade. Im physischen Reich der Natur mag uns scheinbar keine Gerechtigkeit widerfahren. Das jedoch auch deswegen, weil wir die zahllosen, universellen Verkettungen, in die wir eingelassen sind, nicht zu überschauen vermögen. Das Reich der Gnade überschaut jedoch gleichsam diese Verkettungen und löst sie in einen harmonischen Wohlklang auf, den wir, als Angehörige des Gottesstaates, dann vernehmen können. Gemäß Leibniz leben wir in der besten aller möglichen Welten. Diese Welt ist eine Welt von Monaden, Einzelwesen, die sich (tatsächlich) frei und autonom verhalten. Der göttliche Verstand allein sieht vor, wie sie sich verhalten und stimmt, aus ihren unzähligen Verhaltensweisen, den Gesamtplan ab – der dann die beste aller möglichen Welten ist, und das Höchstmaß an Harmonie beinhaltet. Gott selbst ist die höchste aller Monaden und die universelle Harmonie. Ordnung und harmonische Beziehungen vermögen uns zu entzücken, die Künste der Musik und der Malerei sind ein Abbild davon, Gott dagegen ist die Ordnung selbst, in ihm herrscht strengste Folgerichtigkeit der Beziehungen, und er ist mit der universellen Harmonie identisch; alle Schönheit schließlich ist nichts als ein Abglanz der von ihm ausgehenden Strahlen. (Theodizee, Vorrede) (Die Leibnizsche Vorstellung, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben würden, wird am bekanntesten im Candide von Voltaire lächerlich gemacht. Als ich vor langer Zeit einmal den Candide lesen wollte, ist er mir aber selber lächerlich und erstaunlich primitiv vorgekommen. Ich muss es noch mal probieren damit. Die Schriften von Leibniz hingegen lese ich gerne immer wieder einmal.)

Die Metaphysik von Leibniz erscheint als eines der versponnensten Stücke der Philosophie überhaupt, als Phantastik. Zwar ist sie von hoher interner Konsistenz. Doch genau diese internen Konsistenzen erzeugen Schlussfolgerungen, die im Sinn der externen Konsistenz als haarsträubend anmuten. Immaterielle Substanzen; tatsächlich als solche abgrenzbare Einzelwesen; Seelen, in denen sich das ganzen Universum spiegelt; Vollkommenheiten und beste aller möglichen Welten; prästabilisierte Harmonien… Wenn man jedoch von einem Gott, der vollkommen ist, ausgeht – und eine andere Grundannahme war Leibniz und seinen Zeitgenossen praktisch unmöglich (warum eigentlich?) – dann erscheint es naheliegend, dass wir eben in der besten aller möglichen Welten leben. Wenn ein vollkommener Gott die Welt geschaffen hat, muss diese Welt ja weniger vollkommen sein als er, sonst wäre die Welt ja mit Gott identisch (was dann Pantheismus oder Spinozismus wäre). Die Geschöpfe Gottes können nicht so vollkommen sein wie er, vor allem, wenn man sie in ihrer Eigenständigkeit und Autonomie belassen will. Es folgt daraus auch, dass die Geschöpfe ihre Vollkommenheit dem Einfluss Gottes verdanken, ihre Unvollkommenheit aber ihrer eigenen Natur, die nicht ohne Schranken sein kann. Denn eben darin sind sie von Gott verschieden. (Monadologie 42) Um solche Schlussfolgerungen zu vermeiden, wäre es daher angebracht, gar nicht mit der Vorstellung von einem vollkommenen Gott anzufangen, aber an dieser Vorstellung hing für Leibniz und die meisten seiner Zeitgenossen zu viel und ein ganzer Rattenschwanz von anderem dran, als dass man sich ihrer entledigen hätte können. Bestünde die Möglichkeit, der Vollkommenheit eine Absage zu erteilen (und Gott als eminentes, aber unvollkommenes Wesen zu begreifen). Das wäre logisch, da Begriffe von Allmacht und Vollkommenheit zu inneren Widersprüchen führen, und obendrein menschliche Begriffe sind, von denen man gar nicht weiß, was sie eigentlich bedeuten und inwieweit sie in der Wirklichkeit etwas bedeuten. Wie so oft Spinoza es tut, verwendet Leibniz den Begriff der Vollkommenheit, indem er ihn definiert (d.h. setzt). Zum Beispiel: Daraus folgt, dass Gott absolut vollkommen ist, insofern Vollkommenheit nichts anderes als die Größe der positiven Realität ist, die eben so genommen wird, dass alle Grenzen oder Schranken in den Dingen, die eine haben, zur Seite gesetzt werden. Und dort, wo es keine Schranken gibt, d.h. in Gott, ist die Vollkommenheit absolut unendlich. (Monadologie 41) Kann man also sagen, dass Gott maximale Seinsfülle sei. Damit spiegelt sich dann auch die Qualität der von ihm geschaffenen Welt weniger in einer starren Harmonie als in einer möglichst exorbitanten Vielheit der Geschöpfe und einer ständigen Neuheit, die geschaffen wird. Zumindest Gilles Deleuze zieht die Schlussfolgerung: Die beste aller Welten ist nicht diejenige, welche das Ewige reproduziert, sondern diejenige, worin sich das Neue hervorbringt, die eine Fähigkeit zur Neuartigkeit, zur Kreativität besitzt: teleologische Konversion der Philosophie. (Die Falte. Leibniz und der Barock, Kapitel 6) Neuheit und Werden sind zentrale Elemente im Deleuzianischen Philosophieren, und tatsächlich ist die Philosophie von Leibniz auch eine Philosophie der geistigen Spontaneität und Freiheit, und des Werdens. Monaden sind für Leibniz so etwas wie Entelechien, Einzelwesen, die sich entwickeln. Den einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden könnte man auch den Namen der Entelechien geben. (Monadologie 18) Genau gesagt, ist damit gemeint, dass einer Monade eine Entelechie zugrunde liegt. Die Monade ist vom Prinzip her schon, präformiert, in ihrem Samenkorn, aus dem sie sich schließlich entfaltet, enthalten. In dem Sinn könnte ich sagen: Meine Monade, und die Monade eines jeden Lebewesens, ist eine tatsächliche Monade – und zwar ihr jeweiliger genetische Code. Davon hat Leibniz nichts gewusst, und so bleibt vieles im Zusammenhang mit seiner Monadologie unklar. Was ist eigentlich ein Einzelwesen, eine Seele, etwas, das die Integrität eines Einzelwesens oder einer Seele hätte? Bekanntlich sagt der Deutsche: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust (und hält das scheinbar für den Gipfel der Komplexität); spätestens die Postmoderne begreift das Subjekt als uneinheitlich und das Ich als ein „Ich ist ein anderer“; Derek Parfitt führt überzeugende Argumente gegen den Begriff der Person an. Natürlich kann man das als Spitzfindigkeiten ansehen, die nicht sehen, wo der Hund eigentlich begraben ist (und dass es Einzelwesen eben tatsächlich gibt), aber sie beunruhigen doch. Leibniz auf jeden Fall kommt aber abermals auf den Begriff der Monade, weil er vom Begriff der Substanz ausgeht, was, wie wir schon bei Spinoza gesehen haben, auf Abwege führen muss (da Substanz ein bloßer Begriff ist, dem in der Wirklichkeit so nichts entspricht). Da Leibniz meint (und logische Argumente dafür anführt), eine Substanz könne nicht teilbar sein, muss die Substanz für ihn unausgedehnt und immateriell sein (was die Substanz freilich noch seltsamer aussehen lässt). Das sind dann die einzelnen Monaden. In ihrem Kern sind die Monaden Seelen (die allerdings nur in Verbindung mit einem Körper auftreten, der allerdings nicht Teil der Substanz ist, sondern etwas (aus unzähligen anderen Monaden und ihren Körpern) seinerseits Zusammengesetztes). Dann hat man, aus rationaler Sicht wieder das Problem: was soll eine Seele sein? (wenn man statt ihrer den genetischen Code setzt, sollte es aber eben gehen). Da die Monaden Substanzen sind, können sie, als solche, sich nicht gegenseitig beeinflussen: Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas in sie hineintreten oder sie verlassen könnte. (Monadologie 7) Daraus folgt dann wieder, dass das Verhalten der Monaden zueinander eine prästabilisierte Harmonie sein muss usw. So gesehen führen die Konsequenzen der Leibnizschen Metaphysik wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück, was man als ein wenig zirkulär betrachten könnte. Trotzdem lässt die Leibnizsche Metaphysik die Entwicklung, die Entelechie, auch den Fortschritt hochleben. Die angenehme, beschauliche Prozessphilosophie von Whitehead könnte man als eine modernisierte Version der Leibnizschen Philosophie ansehen. Vor allen Dingen für Gilles Deleuze „bleiben wir Leibnizianer“, obwohl es nicht mehr die Zusammenklänge sind, die unsere Welt oder unseren Text ausdrücken. Wir entdecken neue Weisen zu falten und neue Hüllen, wir bleiben aber Leibnizianer, weil es immerzu darum geht, zu falten, zu entfalten, wieder zu falten. (Die Falte. Leibniz und der Barock, Schluss) Deleuze freut sich und „bleibt Leibnizianer“, weil er in der Philosophie von Leibniz eine vitalistische Philosophie herausliest, in der die Entwicklungen aber weniger von menschlichen Subjekten (die ihm suspekt sind) ausgehen, als von Monaden, die sich ständig zu neuem falten und entfalten und neue Verbindungen und Verknüpfungen herstellen. Wie kann man noch an den alten Leibniz anknüpfen? Leibniz unterscheidet zwischen einem physischen Reich der Natur und einem göttlichen Reich der Gnade im Gottesstaat. Das erscheint eskapistisch. Aber auch rational betrachtet können wir wohl zwischen einem physischen Reich der Natur und einem ideellen Reich der Gnade unterscheiden. Das physische Reich der Natur ist ein amoralisches von reinen Ursache-Wirkungszusammenhängen. Diese haben an und für sich keine moralischen Qualitäten. Doch das ideelle Reich der Gnade und der Moral ist, recht besehen, ebenfalls Teil des Reiches unserer Natur. Dieses ideelle Reich der Moral scheint tief in unser physisches Reich der Natur hinein. Seiner gleichsam physischen Natur zufolge scheint der Mensch geradezu besessen davon, alles moralisch zu beurteilen und der Großteil der zwischenmenschlichen Kommunikation dreht sich darum, zu bewerten, was moralisch richtig ist und was moralisch falsch ist. Zwischen dem physischen Reich der Natur und dem ideellen Reich der Gnade gibt es halt mal nicht notwendigerweise Übereinstimmung, da das physische Reich der Natur materiell und konkret ist, und das göttliche Reich der Gnade ideell ist und abstrakt. Gerade aber weil es ideell und abstrakt ist, scheint es die materiellen Konkretheiten zu überdauern. Ungerechtigkeiten im Hier und Jetzt werden früher oder später als solche erkannt und benannt werden und dann findet ein Ausgleich statt. So hofft man. Im ideellen Reich der Gnade findet der Ausgleich unmittelbar statt, mehr noch, er war schon vorher vorhanden; da es ein abstraktes Reich ist, ist es zeitlos und ewig. Die Schau dieses zeitlosen und ewigen Reiches ist tatsächlich eine Gnade. Das physische Reich der Natur erscheint dagegen wie ein hilfloses Abstrampeln. Es kann eventuell gar nicht gesagt werden, welches das mächtigere Reich ist: das physische der Natur oder das ideelle der Gnade. Klar ist, dass es, solange es ein physisches Reich der (menschlichen) Natur geben wird, es auch ein ideelles Reich der Moral und der Gnade geben wird. Man kann die Frage, welches Reich stärker ist, rational eventuell so lösen, indem man sie verwindet. Es wäre ein Versuch zu werten, und werten ist letztendlich unmöglich, da Qualitäten sich immer wieder ändern und sowieso nicht eindeutig bestimmbar sind. Lasse man es vielleicht dabei bewenden, dass das physische Reich der Natur und das ideelle Reich der Gnade, als jeweilige Nemesis, füreinander bestehen bleiben und es, aufgrund der Spontaneität der lebendigen Einzelwesen und der lebendigen Prozesse, nicht vorhersehbar ist (außer für den göttlichen Verstand), welches Reich sich da und dort durchsetzen mag. Von großem Interesse aber natürlich, ob wir tatsächlich, so wie Leibniz meint, in der besten aller möglichen Welten leben, oder ob, wie Schopenhauer dem höhnisch entgegensetzt, es nicht vielmehr die schlechteste aller Welten sei (denn, wenn sie nur noch ein wenig schlechter wäre, würde sie überhaupt zusammenbrechen). Was wird wohl die letzte Antwort auf diese Frage sein? Aber die letzte Antwort wird die Antwort sein, die immer schon als solche sich aufgetan hat: nämlich das es einmal nach dem einen erscheint, dann wieder nach dem anderen. Leibnizens Antwort auf diese Frage ist auf jeden Fall eine optimistische, während sich Schopenhauer bekanntlich dem Pessimismus verschreibt. Allerdings keinem Pessimismus, der der heutige Vernunft- und Zivilisationspessimismus wäre. Denn auch Schopenhauer begreift die Welt als einheitlich. Und er begreift sie metaphysisch. Heute hingegen leben wir eher in einem nachmetaphysischen Zeitalter, in dem Ansprüche an die universale und universalisierende Kraft der Vernunft zurückgewiesen werden, zugunsten von „Differenzen“. Das hat gute Gründe, da sich solcherart universalisierende Vorstellungen und Metaphysiken als unhaltbar erwiesen haben. Allerdings ist eben auch das nachmetaphysische Zeitalter der Differenzen kein wirklich glückliches, noch optimistisches. Der Mensch strebt – und das auch aus einem ganz praktischen und moralischen Bedürfnis heraus – nach Zusammenhang, Einklang, Sinn und Harmonie. Pessimismus ist nicht jedermanns Sache. Daher wäre eine Philosophie, die die Nachmetaphysik überwindet, wieder einmal gut. Sloterdijk formuliert im Andenken an Leibniz: Für die künftige Geschichte der Menschheit wird es von Belang sein, ein Prinzip des Optimismus (oder zumindest ein Prinzip des Nicht-Pessimismus) mit nach-leibnizschen Mitteln zu regenerieren. Falls dies gelänge: Wer wollte ausschließen, dass spätere Generationen in Leibniz einen ihrer wichtigsten Anreger finden werden? (Philosophische Temperamente, Leibniz) Versuchen wir es so zu betrachten: Irgendeine Harmonie wird es in der Welt schon geben, sonst wäre die Welt ja ein Chaos. Nur weil etwas nicht chaotisch ist, ist es freilich nicht notwendigerweise harmonisch – aber wer weiß, und man kann versuchen, es so zu betrachten. Aus einer höheren Dimension betrachtet ist die Welt vielleicht harmonisch, aus dem Phasenraum heraus betrachtet ist sie vielleicht das (und aus dieser höheren Dimension heraus – und aus diesem Phasenraum heraus – versucht ja auch Leibniz sie zu betrachten). Es ist sicherlich gut, sich Ansichten aus höheren Dimensionen zu erwerben bzw. diese anzustreben. Genug und übergenug Menschen, inklusive Philosophen, machen das nämlich nicht, und bleiben im Konkreten und im Tagespolitischen – oder eben im Egoischen – hängen. Da sie ihre eigenen Konkretheiten nicht transzendieren, ist ihr Diskurs tatsächlich ziemlich disharmonisch; vorgetragen in einer zerstörten und verstümmelten Sprache, die tatsächlich kaum der Verständigung dient. Vergessen wir die Differenz nicht, aber versuchen wir doch wieder, das Universale anzustreben. Denn das Universale schafft Ausgleich zwischen den Kräften, im Prinzip daher Harmonie. Zwar kann das Anstreben von Universalität aus einem egomanischen Motiv oder einem Willen zur Macht heraus passieren, und eventuell will es sich auch als solches verwirklichen. Dann ist das halt ein schlechtes Universales, dem wir eben ein das Egoische transzendierendes, ins Allgemeine vorstoßendes gutes Universales entgegensetzen und an dem wir festhalten wollen. Das Universale wäre dann so was wie eine Anschauung Gottes. Problem: es gibt keine universale Art, das Universale anzuschauen, keine einheitliche Art, Gott sich vorzustellen. Das Streben nach dem Universalen könnte also zu dessen Gegenteil, zu Meinungsverschiedenheiten und Krieg führen. Das sind dann Dinge, die passieren, und sie passieren immer wieder aus Gründen. Der Grund ist: unsere Existenz splittet sich in Einzelwesen auf, die autonom sind, und diesen Einzelwesen sind gewisse Dinge näher und wichtiger als es anderen Einzelwesen sind. Daher kämpfen sie für sie. Autonomie der Einzelwesen und deren Verteiltheit in Raum und Zeit beinhaltet die Möglichkeit von Konflikten zwischen den Einzelwesen. Das philosophische Temperament hingegen wird trotzdem das Universale anstreben. Es wird das Universale nicht als etwas Endgültiges zu betrachten, sondern es wird es als einen Imperativ betrachten, es wird den Imperativ setzen, das Universale anzustreben. Das Streben ist das Gute, oder zumindest das Konstruktive. Das Konstruktive ist, implizit, optimistisch. Der Imperativ, das Universale anzustreben, ist also implizit eine optimistische Philosophie. Wer das Universale anstrebt, kann von der bloßen Philosophie zur Metaphysik vorstoßen. Und die gibt der Philosophie Orientierung und Würze. Etwas weiter oben wurde eingeräumt, universalisierende Vorstellungen und Metaphysiken hätten sich immer wieder als unhaltbar erwiesen. Unhaltbar sind sie aber nicht notwendigerweise; die metaphysischen Systeme der Philosophen sind nur von begrenzter Reichweite. Das hingegen ist notwendigerweise so, da Metaphysik ein Ringen mit dem Unbekannten und dem sich Entziehenden ist. Und das Unbekannte und das sich Entziehende schlägt dann halt in die metaphysischen Systeme zurück, in Form von ihren blinden Flecken. Die Metaphysik selbst ist einheitlich und universal. Sie ist jedoch nicht notwendigerweise totalitär. Wie totalitär er seine Metaphysik verfechtet, bleibt dann dem Metaphysiker überlassen. Er mag einen ausgeprägten Willen zur Macht haben, oder aber gar keinen. Wahrhafte Universalität erkennt die Autonomie der Einzelwesen an, und deren differierende Anschauungen. Sie erkennt, dass es einen Unterschied zwischen dem physischen Reich der Natur und dem metaphysischen Reich der Gnade gibt. Der Metaphysiker hofft, dass die Einzelwesen aus dem physischen Reich der Natur näher an das metaphysische Reich der Gnade herangeführt werden können. Er geht im konstruktiven Bemühen auf, das metaphysische Reich der Gnade und den Imperativ zum Universalen vorzustoßen aufzuzeigen. Das ist sein Optimismus. Im metaphysischen Reich selbst gibt es wahrscheinlich keinen Optimismus und keinen Pessimismus. Das sind menschliche Verständnisse und damit verbundene Hoffnungen. Das metaphysische Reich hingegen reflektiert das reine Sein, das, so gesehen, weder zum Optimismus noch zum Pessimismus übermäßig einlädt. Das metaphysische Reich sieht man über einen Zustand der Erleuchtung an, und die Erleuchtung ist jenseits von Optimismus oder Pessimismus, sondern die reflektiert das reine Sein, und die Reinheit des eigenen Geistes. Im erleuchteten Zustand werden – wie die Zen-Meister immer wieder betonen – keine Unterscheidungen getroffen, daher auch nicht zwischen Optimismus und Pessimismus. Ein dermaßen östliches Denken, das weder Optimismus noch Pessimismus kennt, führt irgendwie zu Lethargie und Passivität, während das westliche Denken aktiv, wissenschaftlich-rational und weltverändernd ist. Es hat seine eigenen Probleme und seine eigenen begrenzten Reichweiten. Aber deswegen sage ich ja immer, dass eine gute Philosophie und Metaphysik westliches und östliches Denken kombinieren sollte. Ein solches Denken sollte neue Reichweiten schaffen. So optimistisch bin ich schon.