Zeitlichkeit und Ewigkeit

Petrarca war sehr ruhmsüchtig, und er war, wie ich finde, ein schlechter Dichter. Pessoa hat gemeint, eine Art abstrakter Unsterblichkeit wäre ihm lieber, und er war, wie ich finde, ein guter Dichter. Petrarca hat sich viele Sorgen um die mangelnde Beständigkeit des Ruhms gemacht, Pessoa hat zu seinen Lebzeiten kaum was veröffentlicht. Ruhm erscheint als etwas Unbeständiges, da auch die Ruhmseligkeit eine subjektive Motivation ist, und daher, so scheint es, als geradezu notwendiges Korrelat, von fremder subjektiver Motivation erhalten, zerstört oder zumindest erheblich gefördert oder beschädigt werden kann. Die abstrakte Unsterblichkeit, die Ewigkeit hingegen, kann einem keiner mehr nehmen. Es ist daher besser, in der Ewigkeit anzulangen und dort vollkommen in sich zu ruhen, als nach Ruhm, der eine Sache der Zeitlichkeit und der subjektiven Motivation ist, zu streben.

Die Zeitlichkeit ist etwas Fragmentiertes und Relatives, vom Ewigen erhofft man Objektivität und erzerne Beständigkeit. Somit verweist auch die Zeitlichkeit auf das Leben, und die Ewigkeit auf den Tod, oder, hoffentlich, auf das ewige Leben; auf jeden Fall aber auf einen Seinsbezirk, der mit der Zeitlichkeit in keinem direkten Kontakt steht, nicht direkt mit ihr kommuniziert, sondern, irgendwie, jenseitig ist. Somit ist zwar das Zeitliche möglicherweise was Lächerliches und Eitles, das Ewige aber auch möglicherweise etwas Morbides und (subjektiv) nicht eben Erstrebenswertes. Wenn man, primär, die Zeichen der Ewigkeit sieht, so wie Pessoa, wird man von der Zeitlichkeit gerne ignoriert, und man hat dann halt nur seine kleine Ewigkeit. Die Zeitlichkeit hofft aber auf die Ewigkeit, um in ihr die Möglichkeit ihrer Transzendenz zu erblicken. Zeitlichkeit und Ewigkeit stehen in einem Wechselverhältnis und sind nur über dieses einigermaßen begreifbar.

Zeitlichkeit und Ewigkeit ist, scheinbar, das Zusammentreffen von Subjektivität und Objektivtät. Die Subjektivität wird im Objektiven (positiv oder negativ) aufgehoben und in ihr geborgen, die Objektivtät aktualisiert sich notwendigerweise aber eben im Subjektiven. Wenn das Subjektive so bedeutsam wird, dass es objektive Bedeutsamkeit und Gültigkeit erlangt, erreicht man die Sphäre des Ideals. Das Ideal ruht in sich selbst und ist unzerstörbar und ist ewig. Es ist geronnen und erstarrt, und es geht durch die Zeit und es ist lebendig. Es ist der Ort, wo die zeitliche Subjektivität und eine eherne, ewige Objektivität sich treffen. Das Ideal hat keine feste Form und es ist unvorhersehbar. Wer aber in der Sphäre des Ideals angelangt ist, ist, zumindest dort, frei. Es kann aber durchaus sein, dass es von dort aus komisch aussieht. Die Ewigkeit können ungute Räume sein (nichtsdestoweniger aber trotzdem interessante Räume).

„Ich sehe die wirklichen Genies und Sieger – die großen wie die kleinen – durch die Nacht der Dinge segeln, nicht wissend, was ihre stolzen Buge durchpflügen in dieser Sargassosee aus Verpackungsstroh und Korkresten.“

„Eure Argonauten trotzten Ungeheuern und Ängsten. Auch ich musste auf der Reise meines Denkens Ungeheuern und Ängsten trotzen. Auf dem Weg zu abstraken Abgrund, auf dem Grund aller Dinge, gilt es Schrecknisse zu durchstehen, unvorstellbar für die Menschen unserer Welt, und Ängste, fremd aller menschlichen Erfahrung; das Kap des gemeinen Meers, das zum Unbestimmten führt, ist menschlicher vielleicht als der abstrakte Weg zum Vakuum der Welt.

Der Heimatstatt beraubt, vom Heimweg vertrieben, Witwer für immer der Annehmlichkeit eines immergleichen Lebens, erreichten eure Sendboten endlich – ihr wart schon verstorben – das ozeanische Ende der Welt. Sie schauten – stofflich – einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Ich, fern der Wege meiner selbst, blind vom Sehen des Lebens, das ich liebe, (…), habe endlich auch das leere Ende der Dinge erreicht, das unwägbare Ufer der Grenze aller Wesen, die Pforte ohne Ort zum abstraken Abgrund der Welt. Ich trat, Herr, durch diese Pforte. Ich irrte, Herr, über dieses Meer. Ich starrte, Herr, in diesen unsichtbaren Abgrund.“

„Der Wert der Kunst besteht darin, dass sie uns aus dem Hier holt.“

(Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe)

Die Möglichkeit, die Ewigkeit zu sehen, liegt im Geist, und sie liegt in der Seele. Sie liegt, am Besten, im Zusammenspiel von Geist und Seele. Der Geist durchdringt sich selbst und frisst sich in die Dinge. Das ist sein Wesen. Er vertieft sich in sich selbst. Er korrodiert die Dinge und relativiert ihre Bedeutung und schafft neue Dinge. Durch die Reflexion über die Reflexion sprengt er schließlich die Begrenzungen und die materielle Hyle und gelangt in ein neues Reich der Bedeutungen, und gelangt in das Reich der ewigen Bedeutungen, wenn der Geist sich vollständig realisiert hat, und somit die ewigen Bedeutungen begreift.

Das Begreifen der, scheinbar starren, ewigen Bedeutungen ist dabei ein höchst dynamischer, sich ständig wandelnder Prozess, eben die Reflexion der Reflexion, als der letzten Wirklichkeit des Geistes. In dieser Ewigkeit (des Geistes) ruht nichts. Es rotiert und fluktuiert alles herum, um eben das ideale ewige Zentrum des Geistes, das in Stasis ist, da es in sich selbst ruht, und keine Bedingungen anerkennt als seine eigene reine Subjektivität und die möglichst reine Objektivität der Dinge und der Vorgänge, die der Geist beobachtet.

Wenn der Geist sich verwirklicht hat, eben indem er sich permanent verwirklicht, über die Reflexion der Reflexion, erscheinen die Zeichen der Ewigkeit und die Räume und Felder der Ewigkeit. Die Zeichen und die Räume und die Felder der Ewigkeit sind ebenso universell, wie sie privat sind. Sie sind zum Beispiel die Erleuchtung, das Satori, oder auch die unio mystica. Sie erscheinen in der großen Kunst, in den Landschaften von Tarkowskij oder Antonioni zum Beispiel hat man einen Blick auf die ewigen Felder.

Wenn mir die Zeichen und die Perspektiven auf die Ewigkeit erscheinen, ist das etwas Geistiges und es ist etwas Körperliches. Der Geist tritt aus sich selbst heraus, und nimmt den Körper mit, die starren Formen der Ewigkeit wiederum fixieren den Geist, und sie fixieren den Leib. Es sind starre, einfache Architekturen, die unendlich robusten Verstrebungen, sie wachsen aus dem Leib heraus und durch ihn hindurch, so dass der Geist und der Leib nicht wegkönnen; von ihrem in die Zeitlichkeit geworfenen Reflektieren, das die Ewigkeit zum Gegenstand hat. Was mich anlangt, so kann ich von dort nicht weg. Das ist, bei allen ekstatischen Erlebnissen, nicht immer angenehm, sondern durchaus auch dessen Gegenteil. In meiner radikalen Freiheit bin ich gefangen, in meiner Gefangenschaft in Zeit und Ewigkeit bis ich radikal frei. Die Zeichen der Ewigkeit treten vor mein geistiges Auge und in mein inneres Erleben mal so, mal so. Jetzt zum Beispiel erscheint mir folgendes Zeichen der Ewigkeit:

Dieses Zeichen der Ewigkeit erscheint vor meinem Geist, und wandert jetzt auf das Firmament, brennt sich in den Himmel ein und ist dann dort.

Das Zeichen der Ewigkeit hängt am Himmel, einigermaßen groß, und blickt stumm und ein wenig ernsthaft, ein wenig überwältigend, ein wenig durchdringend auf uns hinab. Sein metaphysisches Charisma liegt dabei nicht darin, dass es kommuniziert, denn es kommuniziert nicht. Es liegt nicht darin, dass es tatsächlich blickt, denn es ist augenlos. Inwieweit es Wissen beinhaltet, weiß man nicht. Es ist unkompliziert, es ist simpel, aufdringlich und unwandelbar. Es ist präsent. Sein metaphysisches Charisma ist es, einfach präsent zu sein. Es gemahnt an die ewige Möglichkeit einer anderen Ordnung, und damit an die Relativität der jeweiligen zeitlichen Ordnung. Es gemahnt an die Ewigkeit. Dass es sich in das Firmament eingebrannt hat, gemahnt, genau gesagt, an das Wechselverhältnis zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit. Von der Ewigkeit aus blicke ich auf die Zeitlichkeit und relativiere sie so (ein wenig, da ich trotzdem der Zeitlichkeit angehöre), von der Zeitlichkeit aus blicke ich auf die (sich der definitiven Kommunikation entziehende, und offenbar eigentlich dumme und stumme) Ewigkeit, und transzendiere so die Zeitlichkeit, und ermögliche in der Zeitlichkeit großen Fortschritt.

Das Zeichen der Ewigkeit hat sich in das Firmamen eingefressen und besteht dort. Es wird dort noch bestehen, wenn die Sonne längst verloschen ist, so mächtig ist es. Vielleicht wird es irgendwann einmal anfangen, zu verblassen. Sein Verblassen wird erst in ferner Zukunft stattfinden und der Prozess seines Verblassens wird sich noch viel länger hinziehen als die Zeit seines unverblassten ursprünglichen Bestehens. Irgendwann, in der fernsten Zukunft des Universums, mag es ganz verblasst sein. Wobei das nur eine Möglichkeit ist, es ist nicht einmal sicher. Es erscheint nur wahrscheinlich, auch weil die Zeitlichkeit in der fernsten Zukunft des Universums, in der alle Ordnungen zerfallen sein werden, eine andere sein wird, und damit auch ihr ewiger Reflex ein anderer. Das metaphysische Charisma des Zeichens der Ewigkeit wird nicht mehr in der Präsenz liegen, sondern in seiner verblassenden Absenz.

Das ist die Ewigkeit des Geistes. Dann gibt es die Ewigkeit, die in der Seele liegt. Die Substanz der Seele liegt darin, gute, empathische Bezüge zu schaffen, zu sich und zu dem, was sie umgibt. Zu dem, was in ihr liegt, und zu dem, was außerhalb von ihr liegt: zum Anderen. Die Ewigkeit der Seele ist der Himmel. Der Himmel besteht in der permanenten Kommunion mit Christus, dem Allesvereiniger, dem Hersteller des guten Bezugs und der guten Bezüglichkeit. Das ist die Ewigkeit der Seele. Sie ist, in ihrem Sinnbild, eher was Wolkenhaftes und Luftiges als was Starres.

Man sieht, die Ewigkeit der Seele zu beschreiben, ist nicht schwierig; ist weniger schwierig, als die Ewigkeit des Geistes zu beschreiben, die sich der definitiven Beschreibbarkeit und definitiven Anschaulichkeit entzieht. Angesichts der Ewigkeit des Geistes hat man nur verschwimmende Anschauungen oder eben, als Gegenteil, stumme und gänzlich unterkomplexe (allerdings hochsuggestive) Zeichen. Die Ewigkeit der Seele ist etwas Emotionales (und Moralisches!), und nicht etwas Intellektuelles oder Anschauliches. Das Emotionale hat seine Präsenz nicht in Anschauungen oder Zeichen, sonden in sich selbst. Das ist der Himmel.

Petrarca wäre aber dann doch nicht Petrarca, wenn nicht – trotz aller Besorgnis um Zeitlichkeit und weltlichen Ruhm – auch er zur Ewigkeit vorgedrungen wäre! Petrarca beschäftigt sich, als Universaldichter und Universaldenker und Universalmensch, zeitlebens mit dem pensare, der Ausdehnung des Geistes, um die horizontale Mannigfaltigkeit der Welt zu erfassen, die disparat und gottlos ist (im Gegensatz zu (dem ebenfalls sehr rumsüchtigen und daher folgerichtig von Petrarca getadelten) Dante, der die vertikale Mannigfaltigkeit der Welt erfassen will, also der göttlichen Seins- und Heilsordnung (und bei dem sich das Denken und die Anschauung angesichts der höchsten Instanz, des Göttlichen, auflösen; was bleibt ist die „Liebe, die bewegt die Sonn und Sterne“, also eben die Essenz des Himmels)). Das absolute pensare dringt einerseits in sich selbst, und ist andererseits von grenzenloser Ausdehnung (die aber nichtsdestoweniger einen Horizont hat, hinter dem das ewig Unbekannte liegt: die absolute Zukunft und das Wissen (in) der absoluten Zukunft, die von keinem Denken der Welt antizipiert werden können; das absolute Denken beherrscht es aber, so gut es geht, indem es das nicht antizipierbare Wissen antizipiert und sich darauf vorbreitet: insofern das absolute Wissen und das absolute Denken eben permanent auf neues Wissen und neues Denken sich vorbereitet). Der sich intensivierende Kraftakt des Denkens hat schließlich zum Lohn, dass es zum Stillstand kommt, und die „Welt in unbeweglichem und ewigem Zustand erblickt“, und Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft zusammenfallen; die unüberblickbare Vielheit der Welt wird im Rahmen einer überweltlichen Einheit der Weltanschauung und –introspektion begriffen. Die Sukzession der Zeit (und die disparate, gottlose Vielheit, die sich über die Suzession der Zeit entfaltet) wird aufgehoben und du erblickst dann ihre Vielfalt im Raum, in dem die Ereignisse der Welt zusammentreffen: eine Versammlung der Ereignisse der Zeit im Raum der Anschauung. Da tanzen sie also alle an, die Ereignisse und die Großen und die Kleinen der Weltgeschichte! Ich sehe sie alle wieder! In diesem Raum triffst du auch Petrarca wieder (ich nannte diesen kommunalen Raum schon mehrmals „das Kontinuum“). Ich treffe, genau gesagt, nicht Petrarca wieder, sondern seinen ewigen Geist. Dieser Raum, oder „das Kontinuum“, ist kein Raum des Triumphes des Ruhmträchtigen, der in der Zeitlichkeit stattfindet, sondern es ist der imaginäre Raum des Triumphes der Ewigkeit, eben über die Zeitlichkeit. Es ist der Raum des Ideals, das unzerstörbar ist, der Raum der abstrakten Unsterblichkeit. Abstrakte Unsterblichkeit heißt, dass etwas Sinn im Universum macht. Dass sich ein Text in die Struktur des Universums einbrennt. Das ist ein viel tieferes Ereignis als jeglicher Ruhm.

Ohne das jeweils andere sind beide nichts, ohne die Zeitlichkeit zerfällt die Ewigkeit, und umgekehrt. Das versteht ein jeder und eine jede. Vielleicht existieren beide auch nur, objektiv, als Wechselverhältnis. Doch das ist kaum beantwortbar (da es schon schwer genug ist, als zeitliches Wesen in der Ewigkeit anzulangen – wie also das Wechselverhältnis Zeitlichkeit – Ewigkeit möglicherweise auch noch transzendieren? (hier wird es „aufgelöst“, indem es wechselseitig immanent gemacht wird) Wie lässt sich, möglicherweise, ein solcher Raum betreten? Zu untersuchen!!; Anm.). Was wir hier versucht haben, war, das metaphysische Verhältnis zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit zu beschreiben, angesichts dessen die letzten Beschreibungen versagen, da es, inhärent, hinter dem Horizont liegt. Sein Rest ist Schweigen. Und diese Ausführungen hier eben sind beredtes Schweigen. Damit schließt sich der überdimensionale Zirkel. Und ein Zirkel läuft eben ewig fort. Ich bin schon gespannt auf das nächste Zeichen der Ewigkeit, das mir früher oder später erscheinen wird. Denn die Ewigkeit gibt mir (und auch dir) Zeichen. (Und wie sollte ich verstehen, was er meint, überlegt Wittgenstein, ich sehe ja nur seine Zeichen. Und wie sollte er verstehen, was ich meine, überlegt Wittgenstein weiter, er sieht ja nur meine Zeichen.) Momentan bin ich aber mit diesen drei Balken und der Art Türklinke drüber ganz zufrieden.