Einer (offenbar falschen) Erinnerung zufolge ist es mir, als hätte einer einmal gesagt: Zum Schluss sei Nietzsche in seiner Selbststeigerungsdramatik nichts mehr übrig geblieben, als, entpersönlicht, eins zu werden mit dem Schicksal. Zum Schluss führe das Transzendenzbestreben zu nichts mehr, als, lapidar und fatalistisch, darin aufzugehen, dass man „ein Schicksal“ werde. Das sei der Weisheit letzter Schluss (vielleicht also sollte man ihn besser vermeiden: denn was bringt so was denn?). Im Schlussabschnitt von Ecce homo, betitelt Warum ich ein Schicksal bin, seinen tatsächlich in etwa letzten Worten als geistig noch Lebender, schwelgt Nietzsche dann auf jeden Fall endgültig in Phantasien von der Heraufkunft des Bösen, der Vernichtung, des Antichristentums, des Immoralismus. Das ist es, wohin sein Transzendenzbestreben und Übermenschentum ihn zum Schluss gleichsam hingebracht hat. Ja, das kenne ich alles nur zu gut! Ich habe ja auch meine Freude am Antichristlichen und dem radikal Bösen. Bands wie Blasphemy, Bethlehem, Beherit, Proclamation, Abruptum oder Archgoat, die den besonders radikalen und abgefuckten Bestial und War Black Metal bzw. Ritual Black Metal spielen oder das Splitalbum von Pure Evil und The True Werwolf geben mir schon Land und ermöglichen mir (zeitweiligen) Aufenthalt, in sehr entfernten Regionen des Seins. Besonders der Pure Evil/The True Werwolf Split ist sehr weit draußen, wo das stabile Raumzeitgitter in einen Abgrund stürzt und man dann nur mehr die absolute Wand des Nichtidentischen, die absolute Begrenzung des Seins vor sich hat. Ja, so ist das. Es ist notwendig, sich in diesen Denk- und Seinsbezirken unbeschwert aufhalten zu können, genauso unbeschwert, wie in zentraleren Denk- und Seinsbezirken. Nur dann, so vermute ich, ist man in der Lage, das Zentrum zu verstehen, von dem alle Verbindungen ausgehen; nur dann ist es einem möglich, den ganzen Schaltplan des Seins zu erfassen: Wenn man Archgoat und den Pure Evil/The True Werwolf Split versteht, wenn man zu Nether Tombs of Abaddon und allgemein dem Zeug vom Nuclear War Now! Label eine osmotische Verbindung herstellen kann! Wenn man diese Denkmöglichkeiten erfassen kann! Das praktisch Böse hingegen ist mir zu dumm, ihm fehlt die Komplexität und Ausdifferenziertheit. Es ist, zwar vielleicht labyrinthhaft verworren, aber beschränkt und endlich, und daher nichts für unendliche Geister. Nietzsche hat das Böse nicht wirklich verstanden, seine Ausführungen dazu sind von bestürzender Naivität. Ob er Nether Tombs of Abaddon oder den Pure Evil/The True Werwolf Split verstanden oder geschätzt hätte, ist zumindest nicht sicher. Der elitäre Hochmut hätte es vielleicht verhindert, der Antithese tatsächlich furchtlos ins Auge zu blicken, so wie er zu seiner Zeit und zu allen Zeiten den Armen nicht furchtlos ins Auge blicken konnte, den Tschandala, den Sozialisten und Anarchisten und der Disharmonie in der Musik. Denn so war Nietzsche. Aus dieser Ab-gespaltenheit heraus ist ihm die Selbststeigerung dann auch nur unzulänglich gelungen, indem sie immer wieder nur auf sich selbst verwiesen hat und weniger auf die Möglichkeit der Symbiose mit dem Anderen und mit der Welt, war sie gewissermaßen ein Leerlauf, der den Übermenschen immer verfehlt, dafür dann aber mit der Herrschaft und mit dem Bösen gemeinsame Sache machen will. Als paranoide Persönlichkeit hat Nietzsche mit dem Willen zur Macht und der (redundanten, zirkulären, nicht-transzendenten) ewigen Wiederkehr des Gleichen und seiner Sympathie für die Herrschaft und für das Böse, an denen er, entgegen seiner allgemeinen Gewohnheit als Denker, dann so entschieden festgehalten hat, eventuell seinen eigenen, echten Wesenskern erkannt bzw. als metaphysische Prinzipien verkannt, genauso wie er – in an und für sich krankhaftem Ausmaß – von den Armen, der „décadence“, den lebensverneinenden Kräften erschrocken war und sich dauernd von ihnen bedroht gefühlt hat, so sehr eben, dass er sich in den Immoralismus geflüchtet hat. Der Bestial und War Black Metal hingegen sagt frei heraus, dass er gegen das Leben gerichtet ist, und er ist so obskur und seine Musik ist so schlecht, dass es zum herrschaftlichen Mainstream nie irgendeine Verbindung geben wird. Wer den Bestial und War Black Metal als Denk- und Seinsbezirke kennt und schätzt, ohne ihnen freilich bedingungslos zu verfallen, hat hingegen die Möglichkeit, den hochzeitlichen Ring der Ringe zu schmieden und seine Transzendenz so abzurunden, dass sie ein perfekterer Kreis als das Sein, ein perfekterer Kreis als die Schöpfung wird. Er ist dann definitiv draußen aus diesem Sein.
Um aber zum Eigentlichen zurückzukommen: der Gedanke, dass einem als letzte und höchste Seinsstufe nur mehr bleibt, „ein Schicksal“ zu werden. Lapidar und fatalistisch, ohne echte Persönlichkeit und Idiosynkrasie, wie es scheint: Lohnt sich der Aufwand? Wird man, vor allem, dabei nicht auf eine viel niedrigere und primitivere Seinsstufe zurückgestoßen, ist es ein unwürdiger Regress? Das Schicksal ist blind und blöde. Das Schicksal ist aber auch der Chaosmos – das Zusammenspiel von Zufall und Ordnung – und damit das tiefste und eigentlichste Prinzip der Welt. Wenn man eins wird mit dem Schicksal, hat man die größte nicht mehr hintergeh- und transzendierbare Identität mit dem Sein gewonnen; höchste Weisheit ist es bekanntlich, mit „dem Flow zu gehen“; wenn man ein Schicksal wird, geht man definitiv mit dem Flow. Man ist der Flow. Wird man ein Schicksal, so verliert man, so scheint es, nicht nur das Ego/Ich, ja, man verliert sogar die höhere Stufe des Ego/Ich: das Selbst. Die Persönlichkeitsgrenzen aufzulösen ist gut: während Depersonalisierung ein Regress ist, ist Transpersonalisierung, also eine Osmose mit dem Sein, ein Progress. Es ist gut, ein Schicksal zu sein. Dafür muss man freilich sehr viel tun, im Hinblick auf Selbstüberwindung und darauf Achten, dass die eigenen Lebensbahn Sinn macht. Man bezahlt sein Karma ab, wenn man ein Schicksal wird. Überwindet es, denn das Schicksal ist eine tiefere Macht als das Karma (indem es gar keine Macht ist, sondern eben ein Chaosmos). Ein Schicksal wird man, wenn man ein authentisches Streben hat und so, eventuell, zugrunde geht. Das erhöht dann, post mortem, das Charisma, das von einem ausgeht, denn die Menschheit braucht so etwas, um sich ihrer eigenen Authentizität zu vergewissern. Bands wie Behexen, Bethlehem oder Archgoat, die Bestial und War Black Metal spielen, sind authentisch. Sie sind so antithetisch und seltsam, dass sie sehr wohl ihr eigenes Süppchen kochen. Und eigene Süppchen zu kochen, macht glücklich. Studien zufolge sind Metal Fans glücklicher als der Rest der Gesellschaft. Das erscheint paradox, ist aber leicht nachvollziehbar unter anderem dadurch, weil ihre Musik eben authentischer und realistischer ist. Während der Gutteil der populären Musik über Statussymbole und Fake-Beziehungen und, aller-allerjüngstens, über den Feminismus singt, singt der Metal über den Satan und blickt ihm unvermittelt ins Auge und nimmt ihm so seinen Schrecken. Der Gutteil der populären Musik ist unhörbar und schlecht, allerdings nicht, wie der Bestial und War Black Metal, absichtlich. Man mag die Philosophen fragen: Warum machen sie denn nichts Normales, warum reden sie denn nicht wie normale Menschen? Nun, weil die Normalität ein schlechter Gegenstand für die Philosophie ist. Die Normalität hat man schnell verstanden; denn die Normalität besteht darin, dass viele Leute ein paar einfache Verhaltensweisen voneinander kopieren. Die Ritualmusik von Abruptum hingegen kommt von den äußersten Bezirken des Seins, die kaum kolonialisiert und umdefiniert werden. Also muss man auch die verstehen. Nur wenn man über diese Außenbezirke des Seins das Integral legen kann, sie flexibel in seinen Bannkreis ziehen kann, osmotisch, kann man wohl eine integrale und integrative Sicht auf die Totalität des Seins haben (und das ist dann der Übermensch). Weil Nietzsche das nicht gut konnte, ist er wunderlich geworden und hat zwei verschiedene Bahnen gezogen, eine progressive und eine degressive (entsprechend der gesunden Anteile seiner Persönlichkeit und der kranken), ohne den hochzeitlichen Ring der Ringe schmieden zu können, der sich nur über eine Osmose des Denkens und des Empfindens mit dem Sein ergeben kann. Eines der führenden Plattenlabel für Black Metal heißt übrigens Osmose.