NEIN ich komme, nachdem ich mir das einige Zeit lang zu überlegen versucht habe, darauf: Ich kann mit den Sonetten von Shakespeare nicht wirklich was anfangen! KLAR, sie sind ein notwendiges Korrektiv zu seiner mieselsüchtigen Weltsicht, die in seinen Stücken ausgerollt wird, bzw. einer leeren Weltsicht, die für den tief empfindenden Menschen UNERTRÄGLICH ist, höchstens deswegen erträglich, weil sie interessant ist, bzw. weil es interessant ist, was so einer wie Shakespeare wohl für eine Weltsicht haben würde; gute Frage. Eine nüchterne Weltsicht, weder heiter noch trostlos, einmal verliert man, einmal gewinnt man, einer gewinnt insgesamt, der andere verliert insgesamt, das ist das Leben, insgesamt betrachtet; das ist der Kosmos. Die Welt als ein nüchterner Zusammenhang ohne jede Magie und ohne jedes Charisma – aber höhere Welten sind eben AUCH ein Teil der Welt, und die hat man dann in den SONETTEN. Die Stücke sind das Hirn, die Sonette das Herz von, beziehungsweise bei, Shakespeare. Doch die Wandlungen des Herzens sind, wie die Erwachsenen sagen, unergründlich, und bei den Sonetten von Shakespeare fällt mir auf, dass ich sie meistens zweimal lesen muss, und dann schon wieder den Anfang vergessen habe! KLAR, bei Hafis hat man das auch, aber bei Hafis ist das ganz anders: die scheinbar irrationale innere thematische Gebrochenheit seiner Gedichte. Der Endzweck von Kunst ist es, direkt in den Chaosmos, das Überwältigend-Schöpferisch-Zerstörerisch-Umwandelnde, das reine ontologische Potenzial zu schauen, das auf einer sehr hohen Stufe der inneren Wahrnehmung (nicht als das All sondern) als das ÜBER-ALLES erscheint, ein rotierendes Gewurle, das aus vielen Kammern besteht, die die Bezirke des Seins symbolisieren, und dann gibt es da das HERAUSRAGENDE ELEMENT, eine größere, aus all dem heraustretende Kammer, die sozusagen den Bezug auf das virtuelle Ganze herstellt; dabei rotiert und pulsiert das alles; das hat man in der Dichtung von Hafis. Das Pulsieren, die Dynamik. Bei den Sonetten von Shakespeare hat man allerdings das Problem, das sich ergeben kann, wenn Superintelligente Poesie machen: wortreich und verwinkelt. Kompliziert. Statisch deswegen. Was Dichtung lebendig macht, ist eine Dosis Psychose, Gleiten der Wortfläche unter sich hinweg, wenn sie verstehen, was ich meine. Die Magie der Stücke von Shakespeare liegt in der psychotischen Sprache. Aber seine Sonette sind NICHT psychotisch. Während die Poesie von Hafis PSYCHOTISCH ist, ist die von Shakespeare NICHT psychotisch! (Die von seinem diesbezüglichen Vorbild Edmond Spenser ist auch NICHT psychotisch (zumindest das bisschen, was ich gehört habe, ist mir NICHT psychotisch erschienen).) Und während die Stücke von Shakespeare PSYCHOTISCH sind, sind die Sonette von Shakespeare NICHT psychotisch! (Naja, vielleicht wollte er halt was anderes ausprobieren. Es erscheint auch logisch, dass er gegen das Chaos in den Stücken die Ordnung in den Sonetten setzt, sonst schnappt man ja über.) Das ist mein momentaner Eindruck; kann sein, dass das sich wieder ändert, im Chaosmos ist so was ja möglich. Ich hätte mir eigentlich auch die Sonette im englischen Original ansehen sollen, wenn sie, in meiner zweisprachigen Ausgabe, eh direkt auf der linken Seite daneben stehen. Aber habe ich NICHT getan, und ist ja auch egal, einstweilen, da ich sowieso verachtet werde, sage ich mir: mache ich halt einfach, was ich will. EMILY DICKINSON! Ich habe neulich den Anschein bekommen, dass ich, nicht nur an den Briefen, sondern auch an den Gedichten der Dickinson was als unbehaglich empfinde. Aber da habe ich innerlich noch nichts dazu elaboriert, es erscheint auch schwierig, möglicherweise eine unlösbare Aufgabe, der Dickinson auf den Pelz zu rücken, denn die Intelligenz der Dickinson übertrifft fast alles, was JEMALS dagewesen ist. Der Hauptgrund aber, warum ich William angreife, Emily aber nicht, liegt in der Solidarität zwischen uns Frauen.
Shakespeare und seine Sonette
Nachsatz 11:43: AAAAAAaaaaaaah, wenn ich mir das jetzt nochmal ansehe, so sind die Strophen in den Sonetten von Shakespeare wie hängende Juwelen auf __________, aber ______________________——–