Falls der destruktive Giftzwerg und Orban-Fan tatsächlich die Regierung übernimmt, tut er das immerhin in einer robusten und jahrzehntelang gewachsenen Demokratie, die ihm bestimmtes Handeln nicht so einfach machen sollte. Wahrscheinlich passen die Erzählungen von Orban zu Ungarn besser, als die Erzählungen von Kickl es zu Österreich tun. Den Übergang zur Demokratie hat Ungarn nicht gut bewältigt, seine Regierungen waren immer wieder sehr korrupt. Die Ungarn sind ein einsames Volk, das eine Sprache spricht, die von Ausländern praktisch nicht erlernt werden kann. Sie sind misstrauisch gegenüber dem Ausland, da sie über ihre Geschichte hinweg tatsächlich von ihren Bündnispartnern immer wieder betrogen und fallengelassen worden sind. Die Ungarn sind zugleich chauvinistisch als auch von einer Untertanen-Mentalität. Eventuell weil Ungarn zwar immer wieder hervorragende Individuen in allen Bereichen des menschlichen Könnens hervorgebracht hat, es dann aber doch nicht geschafft hat, sich als tatsächliche Kulturnation und als Zivilisation zu etablieren; eine Lücke, in die Orban mit seiner dann doch recht speziellen nationalistischen Beschwörungsrhetorik reinstößt. Vielleicht ist das deswegen so, weil die Ungarn keinen gut ausgeprägtern Gemeinsinn haben, was dann ein brauchbares Biotop abgibt für Parteien, die zwar einheits- und sinnstiftend in der Rhetorik sind, aber zersetzend in der Tätigkeit. Es wird darüber kaum berichtet, aber in ganz praktischem Sinne verteilt Orban ja vielleicht materielle Brosamen an die Bevölkerung, die außerhalb der gewöhnlichen Erwartungshaltung fallen. Für so was sind Bevölkerungen immer wieder ewig dankbar, selbst wenn die jeweilige Partei schließlich das gesamte Staatswesen und die Wirtschaft ruiniert (oder aber sie ist es auch nicht oder hört irgendwann auf, es zu sein). Vielleicht macht Kickl so was auch. Den „Depravierten“ (ideelle) Anerkennung zu vermitteln, ist es, was ja auch die FPÖ seit Langem schon tut.
Trotzdem ist es unerklärlich, warum sie damit jetzt so einen Erfolg hat. Vor allem, es wird auch nicht erklärt und nicht versucht zu erklären. Als die FPÖ angefangen hat, bei Wahlen die Ergebnisse von hinten aufzurollen, war ich in Südamerika (in der Zwischenzeit auch noch ein weiteres Mal); auf eine fundierte Analyse, warum das so ist, bin ich seitdem aber zuhause nie gestoßen. Klar ist, dass mehrere Faktoren dazu beitragen, unklar ist aber, warum sie das in dem Maße tun, und vor allem angesichts eines Parteiführers, der vor nicht allzu langer Zeit als besonders unmöglich erachtet worden ist. Haider und Strache hatten immerhin auch eine joviale Seite, und sie haben in regelmäßigen Abständen Kreide gefressen und sich dann staatsmännisch und verbindlich gegeben, bevor sie wieder zu ihrer Krawallrhetorik übergegangen sind, um ihr eigenes Wählerklientel zu bedienen. Bei Kickl hat man all das nicht (außerdem haben Haider und Strache einigermaßen gut ausgesehen, während Kickl das nicht tut). Dass aber reine Wutpolitiker wie Trump, Milei oder Bolsonaro gut punkten können, ist seit einiger Zeit in der Welt ein Phänomen. Es ist ein großes Versagen der Medien, dass sie die Ursachen für die Sympathie, die der FPÖ plötzlich entgegengebracht wird, nie systematisch betrachtet und elaboriert dargestellt haben und trotz ihrer allfälligen Großspurigkeit wie das Kaninchen vor der Schlange gestanden sind. Offenbar hätte es eine zu kritische Reflexion hin auf das Migrationsthema erfordert, was bei den Verantwortlichen eine zu große kognitive Distanz zwischen ihrer Erwartungshaltung, wie was zu sein hat und der Wahrnehmung, wie es tatsächlich ist produziert hat, und wofür sie noch keine Sprache gefunden haben, um sich auszudrücken (Kurz ist es gelungen, eine solche Sprache zu finden, und damit konnte er über Jahre hinweg praktisch tun, was er wollte. Als er dann doch zu viel getan hat, war aber glücklicherweise auf einmal die Luft aus ihm heraußen – wobei Orban in Ungarn im Hinblick auf Korruption und unlautere politische Manöver doch noch viel mehr auf dem Kerbholz haben müsste. Aus ihm ist die Luft aber immer noch nicht heraußen.) Bei mir im Zwanzigsten Bezirk setze ich mich hin und wieder in ein Beisl, das auch von etlichen FPÖ-Wählern aus der Unterschicht frequentiert wird, und habe das auch am letzten Sonntag gemacht, weil ich sehen wollte, was die an ihrem großen Glückstag wohl zu sagen hatten. Als der ORF dort im Fernseher verlautbart hat, die Coronapandemie, der Ukrainekrieg und die Inflation hätten zum Wahlsieg der FPÖ beigetragen, hat der M. gemeint: Na klar, und über die Ausländer sagen sie nichts. (Eigentlich sind diese Leute freundlich, gut gelaunt und sie gehen gut, beinahe liebevoll miteinander um. Gschissn zu den Frauen sind sie auch nicht. So zumindest der oberflächliche Eindruck.)
Die Grundlage für ein gut funktionierendes Gemeinwesen ist, ganz allgemein betrachtet, die Sozialdemokratie. Die konkrete Formulierung von sozialdemokratischen Positionen findet dabei in einem erheblichen Spielraum statt. Man hat gemeint, eine Rückbesinnung auf ihre traditionellen Werte wäre die richtige sozialdemokratische Antwort auf die Fragen der Gegenwart. Beziehungsweise, eine „anti-neoliberale“ Politik ist halt mal die große Hoffnung der Linken in Bezug auf alles; und warum auch nicht? Mir ist das ja auch zumindest sympathisch; auch wenn es mir nicht sehr wichtig ist, ob eine Politik neoliberal oder antineoliberal ist, eher, dass sie, möglichst umfassend betrachtet, mehr richtig ist als falsch (auch wenn es zu den Problemen der Politik gehört, dass man das nicht immer vorhersagen kann). Allerdings weiß ich nicht, wie neoliberal die Politik und die Zustände in Österreich eigentlich sind. Ich habe einige Jahre mal am Mikrozensus der Statistik Austria mitgearbeitet, und dort immer wieder erlebt, dass nur wenige Menschen hierzulande arbeitslos sind (was sowieso aus der Statistik hervorgeht) oder sich von Arbeitslosigkeit bedroht fühlen, und dass viele Menschen seit Jahren, wenn nicht seit immer schon, im selben Betrieb arbeiten. Dass ein so rauer neoliberaler Wind weht, der alle durcheinanderrüttelt und verunsichert, scheint in erheblichem Maße also nicht der Fall zu sein (und wenn der Neoliberalismus von der Bevölkerung so umfassend als Problem angesehen wäre, hätte sie ja nicht so umfassend für Kurz gestimmt). Offenbar war es auch keine so berechtigte Hoffnung, dass ein Bürgermeister von Traiskirchen, der auch wie ein solcher daherredet, das Format für einen Kanzlerkandidaten überzeugend ausfüllen kann. Doskozil ist immerhin Landeshauptmann, und wie ich höre, soll er seine Sache nicht so schlecht machen. Aber leider ist Doskozil eine problematische Persönlichkeit. Ich kenne Leute aus der Meinungsforschung; die haben mir erzählt, dass Babler und sein Team, das sich auch innerhalb der SPÖ ziemlich abschottet, darauf verzichten würden, über Umfragen zu erheben, was die heimischen Wählerinnen denn wollen würden. Das würden die Bablerianer selber am besten wissen. Die kryptomarxistischen Sektierer, die in ihrer leidenschaftlichen Phantasiewelt vom Klassenkampf als der ganz großen Dominante leben, und die alle anderen sozialen Phänomene zwar irgendwie wahrnehmen, aber keine Heuristik dafür haben, als die man sie von außen betrachtet zu erkennen glaubt, scheinen sie im Inneren auch zu sein. (Im Beisl im Zwanzigsten Bezirk habe ich mich auch einmal mit alten Sozis von der Basis unterhalten, Gewerkschaftstypen und dergleichen, die sich da mal hinverirrt haben. Sie haben große Sympathien für Babler gehabt – der damals noch nicht Parteichef war – aber gemeint, dass die SPÖ mit einer solchen Politik, auch wenn sie ihnen selber am Herzen liege, hierzulande keine Wahlen gewinnen könne. Josef, der wortführende Obersozi, hat mir bei der Gelegenheit auch erzählt, sein Sohn sei kein Sozi, sondern de facto zum Nazi geworden, weil er als einer der wenigen Einheimischen in eine Brennpunktschule gegangen ist, die er schließlich hingeschmissen habe. Ich habe das mit den Brennpunktschulen, und was in denen zum Ausdruck kommt, auch nicht gut verstanden, bis ich die Bücher von Susanne Wiesinger gelesen habe (auch im Hinblick auf die Ignoranz seitens der SPÖ, die die Probleme dort nicht zugibt, aus Angst, das würde der FPÖ helfen (auch wenn es das jetzt endgültig getan hat) – vor allem, und das ist das Kernporblem des Ganzen, scheint sie die Lehrer nach wie vor dort allein zu lassen. Wäre sie damit gekommen, das Lehrpersonal in den Brennpunktschulen aufzustocken, weil nur so dort die Probleme zu bewältigen sind, hätten das die Wähler eventuell schon verstanden). Aber das ist wohl zu wienbezogen, wo die FPÖ ja nicht so stark gewählt wurde. Wahrscheinlich wurde sie überall anders deswegen so stark gewählt, weil sie dort keine „Wiener Verhältnisse“ haben wollen. Wie es ja auch der eine niederösterreichische FPÖ-Typ gesagt hat. Und sich dann alle darüber aufgeregt haben. Aber wie soll eine Gesellschaft das verkraften, wenn 53 Prozent von den Schülern die einheimische Sprache nicht mehr als Muttersprache haben? Es ist klar, dass das ständige Reibereien produzieren wird, die mal akuter, mal weniger akut sein werden. Was aber ist die Alternative dazu?)
Naja, einstweilen: Gott schütze Österreich.