Herbert Marcuse und der eindimensionale Mensch

Die meisten Menschen können kaum denken. Aber sie sind gerne eingebildet, größenwahnsinnig und rechthaberisch, außerdem ziemlich feindselig. Sie können die Realität nicht eigenständig intellektuell interpretieren und, da sich ihr Denken und Empfinden auf keiner abstrakten Ebene abspielt, auch keine Abstrakta bilden, d.h. wenn, dann sind es sehr simplifizierende Abstrakta wie „die Juden“, „der Islam“, „der Kapitalismus“, „das Patriarchat“, „der Werteverfall“, „die Konsumgesellschaft“ oder eben „das System“, von denen sie sich dann einbilden mögen, dass diese an ihren wirklichen oder eingebildeten Problemen schuld seien. Das ist offensichtlich zu kurz gedacht. (Kritisches) Denken bedeutet, dass man zu dem, was man gerade im Kopf hat, ein hinterfragendes Negativ errichten kann; bei diesem sehr plakativen alltäglichen Denken fehlt diese Fähigkeit aber, zu viele Schritte einer logischen Schlussfolgerung können nicht unternommen werden, und so benennt die jeweilige Kategorie – „die Juden“, „die Islamisierung des Abendlandes“ etc – dann eben eine Negativität, die, ins Positive substantialisiert, dann eben ein Feindbild ergibt, an dem man sich abarbeitet und zu dem man sich dann auch noch einen „Guten“ ausdenkt: sich selber, der dann ebenfalls in dieser Eigenschaft nicht hinterfragt wird.

Einem solchen Habitus fehlt es offensichtlich an Dimensionalität. Jetzt habe ich eben „Der eindimensionale Mensch“ von Herbert Marcuse gelesen, eine sozusagen populärphilosophischere Pointierung des Denkens der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule; eine „Studie zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft“, ursprünglich erschienen 1964, das für die 68er Generation wichtig wurde. Dort steht in der Vorrede an und für sich: „Gegenüber dem totalen Charakter der Errungenschaften der fortgeschrittenen Industriegesellschaft  gebricht es der kritischen Theorie an einer rationalen Grundlage zum Transzendieren dieser Gesellschaft. Dieses Vakuum entleert die theoretische Struktur selbst, weil die Kategorien einer kritischen Theorie der Gesellschaft während einer Periode entwickelt wurden, in der sich das Bedürfnis nach Weigerung und Subversion im Handeln wirksamer sozialer Kräfte verkörperte. Diese Kategorien waren wesentlich negative und oppositionelle Begriffe, welche die realen Widersprüche der europäischen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts bestimmten. Die Kategorie „Gesellschaft“ selbst drückte den akuten Konflikt zwischen der sozialen und politischen Sphäre aus – die Gesellschaft als antagonistisch gegenüber dem Staat. Entsprechend bezeichneten Begriffe wie „Individuum“, „Klasse“, „privat“, „Familie“ Sphären und Kräfte, die in die etablierten Verhältnisse noch nicht integriert waren – Sphären von Spannung und Widerspruch. Mit der zunehmenden Integration der Industriegesellschaft  verlieren diese Kategorien ihren kritischen Inhalt und tendieren dazu, deskriptive, trügerische oder operationelle Termini zu werden. Ein Versuch, die kritische Intention dieser Kategorien wiederzuerlangen und zu verstehen, wie diese Intention durch die gesellschaftliche Wirklichkeit entwertet wurde, erscheint von Anbeginn als Rückfall von einer mit der geschichtlichen Praxis verbundene Theorie in abstraktes, spekulatives Denken: von der Kritik der politischen Ökonomie zur Philosophie.“

Das Interessante ist nun aber, dass, entgegen dieser Einsicht, der gesamte „eindimensionale Mensch“ einen solchen Rückfall darstellt!  Das Dilemma: Man will also was Nonkonformistisches machen, man will in die Opposition gehen – und wenn das also erfolgreich ist, verschmilzt es mit dem Mainstream, und wird scheinbar kontaminiert oder korrumpiert (verändert aber eben auch gleichzeitig den Mainstream). Wenn sich irgendein Phantasma von der absoluten Reinheit nicht erfüllt, muss man daraus dann den Schluss ziehen, dass überhaupt alles Bestehende falsch ist? Diesen Gestus hat man aber eben in der Kritischen Theorie, und im „eindimensionalen Menschen“ vom Marcuse (oder auch im späteren „Empire“ von Negri und Hardt). Die westlichen Industriegesellschaften diesseits der Eisernen Vorhanges haben in der Nachkriegszeit ihre Probleme im Wesentlichen recht gut gelöst. Wenn man grundsätzlich gegen die westliche Industriegesellschaft oder gegen den Kapitalismus oder gegen die Demokratie ist, bleibt einem da nur mehr wenig anderes als die Ohnmacht und das Verharren in der Dimensionslosigkeit. „Zu dem Zeitpunkt, da die letzten Verbote verblassen, reden zahllose Intellektuelle nach wie vor über sie, als seien sie immer erdrückender. Oder sie ersetzen den Mythos des Verbots durch den Mythos einer allgegenwärtigen und allmächtigen „Herrschaft“ – eine neue mythische Übersetzung der mimetischen Strategien“, sagt Renè Girard; und „sehn doch viele von ihnen schon aus, als hätten sie immerfort nur Einen und denselben Gedanken, unfähig irgend einen andern zu denken“, sagt Schopenhauer über die „allermeisten Menschen“. Allein schon einmal deswegen mag es Leute mit bestimmten prononcierten Ansichten und politischen Anliegen immer nur in die eine Richtung treiben, gleichgültig, wie intensiv die entsprechenden realen Missstände praktisch noch vorhanden sind. (Natürlich mag sich aus dieser Dimensionslosigkeit, oder aber dimensionalen Undefiniertheit vieles Interessante ergeben, wie etliche schöne Blüten der (damaligen und permanenten) Protestkultur zeigen. Allerdings hat man in den Protestkulturen aller Art auch Biotope der Eigensinnigkeit, in denen das seltsame und unproduktive Denken (in der negativen Art) kultiviert wird. Wie Zizek einmal launisch bemerkt hat, ist es ja viel eher der Mainstream, der offen und freundlich und unvoreingenommen und aufnahmebereit erscheint, während die Oppositionellen griesgrämig, egozentrisch und höchst possessiv im Hinblick auf ihre (geringen) Besitztümer wirken (worauf Zizek übrigens in seiner bisweilen hellsichtigen und lehrreichen Fundamentalopposition gegen die heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eigentlich hinauswill, weiß ich ebenfalls nicht). „Die Schizos, die wahren wie die falschen, finde ich inzwischen dermaßen zum Kotzen, dass ich mich fröhlich zur Paranoia bekehre. Es lebe die Paranoia“, antwortet Gilles Deleuze einem strengen Kritiker (bereits im Jahre 1973, also nur ein Jahr nach dem Erscheinen des „Anti-Ödipus“).) Die Welt hat einen schizoiden und einen paranoiden Pol. Man muss sie beide so gut wie möglich begreifen. Interessant ist, wie im Fall von Marcuse die Schizo-Dynamik so weit getrieben wird, dass sie in Wirklichkeit, und von ihrer Grundlage her, als was Paranoides erscheint; als etwas sogar Totalitäres, als die Eindimensionalität selbst. Als ein eindimensionales Menschsein, dass seine Eindimensionalität in etwas anderes paranoid projiziert.

Marcuse konstatiert in der Vorrede zum „eindimensionalen Menschen“ also die „zunehmende Integration der Industriegesellschaft“, also die zunehmende politische, wirtschaftliche und soziale Integration ihrer Mitglieder „in die etablierten Verhältnisse“. Es ist richtig, dass durch Integration allgemein was verlorengehen kann, bestimmte Ursprünglichkeiten und mehr oder weniger gute Impulse, die sich aus ihnen ableiten könnten. Aber es scheint eher, oder häufiger, der Fall zu sein, dass die Integration das Richtige und Produktive ist. Marcuse löst nun aber die Dialektik dieser Integration immer nur in das Falsche auf, den gegebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang nicht in etwas, das sich positiv verändert, sondern negativ in ein immer umfassenderes und rein manipulatives „Empire“ des Bösen, in die Verabsolutierung von (irrationaler und sachlich unbegründeter) „Herrschaft“. Schreibt er zum Beispiel: „Die abstoßende Verschmelzung von Ästhetik und Wirklichkeit widerlegt die Philosophien, die die „poetische“ Einbildung der wissenschaftlichen und empirischen Vernunft gleichsetzen. Der technische Fortschritt ist von einer zunehmenden Rationalisierung, ja Verwirklichung des Imaginären begleitet. Die Archetypen des Grauens wie der Freude, des Krieges wie des Friedens verlieren ihren katastrophischen Charakter. Ihr Erscheinen im täglichen Leben der Individuen ist nicht mehr das von irrationalen Kräften – ihre modernen Ersatzgötter sind Elemente technischer Herrschaft und ihr unterworfen.“ Oder (da natürlich auch die Sinnlichkeit nicht verschont bleiben darf): „Diese Gesellschaft verwandelt alles, was sie berührt, in eine potentielle Quelle von Fortschritt und Ausbeutung, von schwerer Arbeit und Befriedigung, von Freiheit und Unterdrückung. Die Sexualität bildet keine Ausnahme.“ Nun ja, man kann ja auch sagen: von Ausbeutung und Fortschritt, von Unterdrückung und Freiheit, und sozusagen die positiven, transzendenten Aspekte als die realeren, höherinstanzlichen begreifen. Vielleicht wäre das die eigentlichere Freiheit, der eigentlich – zwar nicht „kritische“, aber – schöpferische Akt. Über die zunehmende Verwirklichung des Imaginären (obwohl die eigentlich gar nichts Neues, sondern eher so alt wie die Welt ist) kann man sich freuen; man sehe sich einmal an, wie herrlich und schön sich diese Architektoniken in den Filmen von Antonioni ausmachen! Wenn Kritische Theoretiker von einer Verarmung der Wahrnehmung sprechen, und von einem verdinglichenden, verobjektivierenden, herrschaftlichen Blick, kann das ja vielleicht daran liegen, dass ihre eigene Wahrnehmung verarmt ist, und ihr eigener Blick verdinglichend und verobjektivierend (und herrschaftlich). Schau, noch einmal, wie schön die Architektoniken und Landschaften der fortgeschrittenen Industriegesellschaften sind (im Zusammenhang mit dem ich eben auch den „eindimensionalen Menschen“ gelesen habe)! Gut, sie haben auch was Beklemmendes, eine Weitläufigkeit, die ihrer selbst nicht sicher ist, Jeanne Moreau flaniert in La notte durch diese Landschaften, die scheinbar gleichermaßen Freiheiten servieren, wie von Unfreiheit und Machtlosigkeit. Aber diese stummen Architekturen sprechen nicht und wissen nicht (was auch ihren eigentümlichen Reiz ausmacht), uns häppchenweise Freiheiten zu servieren und dann wieder Sackgassen, das tut das Dasein selbst. Das ist die ontische Struktur. Gibt es ein tatsächliches Außerhalb? In einer Geschichte des „exzentrischen“ Science-Fiction-Autors R. A. Lafferty gelangt einer immer wieder von neuem an die Grenzen des Universums. Mit der Zeit stellt er fest, dass es in den entlegensten Winkeln des Universums überall etwa gleich aussieht. Die Wiedererkennbarkeit ist wohl auch notwendigerweise so, das „ganz andere“, von dem Eskapisten träumen, ist ja nicht notwendigerweise was Gutes, das Gegenteil von Ordnung ist Chaos, und im reinen Chaos und der reinen Mannigfaltigkeit kann es schwer Ordnung geben. Ja, das ist ein Problem. Aber es ist ein letztendlich unlösbares Problem. Man kann es so lösen, indem man die Landschaften bei Antonioni als etwas außergewöhnlich Schönes sieht. Das ist der geheime Kern der Kunst. „Das Unbehagen der modernen Zeit ist das Unbehagen jeder Zeit. Es fehlt den Menschen der Zugang zu ihrem Geist … Neunundneunzig Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu ihrem Geist … Die Geschichte ist für mich ein schwarzes Loch. Was zählt, ist der GEIST. Der Rest ist Schnickschnack“, (so einer der größten Künstler, Beckett, im Gespräch mit Patrick Bowles, Nov. 1955). Natürlich sieht Marcuse auch in der Kunst und der Schriftstellerei einen ursprünglich „kritischen“ Kern (der in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ebenfalls korrumpiert werde), eine Abarbeitung an der „Entfremdung“; ja, gut, aber diese Welt der Kunst ist doch viel tiefer, als der Tag von Marcuse gedacht wird, und reicht tief in die Aporien des Seins hinab. Kritische Theoretiker, die eine ursprüngliche und latent manifeste „Brüderlichkeit“ unter den Menschen angenommen haben, die leider nur von irgendwelchen ephemer herrschenden Verhältnissen korrumpiert werde, und die ganz leicht wiederhergestellt werden könne, wenn man nur diese Verhältnisse ändere, waren große/tiefsinnige Künstler eher selten – wenngleich sie vielleicht die einzigen sind, die dieses brüderliche Band unter den Menschen tatsächlich sehen und als Ideal begreifen (daran aber eben melancholisch verzweifeln, dass es eben ein Ideal bleibt). James Baldwin sagt: Die Poeten (damit gemeint sind Künstler generell) sind die einzigen, die die Wahrheit über uns wissen. Soldaten wissen sie nicht. Politiker wissen sie nicht. Priester wissen sie nicht. Gewerkschaftsführer wissen sie nicht. Nur die Poeten wissen sie. Viele (kritische) Intellektuelle scheinen sie bekanntlich auch nicht zu wissen, und auch nicht wissen zu wollen. Sie verharren in normativen Vorstellungen vom Menschen, und können und wollen von dort auch nicht weg (was vielleicht auch ganz gut ist, da normative Vorstellungen genauso ein Element, und ein Steuerelement, in der Realität sind, wie eben die „harte“ Realität). Gasdanow wundert sich auf seinen „Nächtlichen Wegen“ wie selten es sei, dass Menschen versuchen würden, tatsächlich andere Menschen, die aus tatsächlich anderen Milieus kämen, tatsächlich zu verstehen, wobei Intellektuelle da keine Ausnahme machen würden (nur die Schriftsteller wären eben anders, sonst wären sie ja auch keine Schriftsteller).

Die Kritische Theorie, wie linke und (geschlechter)emanzipatorische Befreiungsideologien leiden an dem Widerspruch, dass sie einerseits die individuelle Selbstermächtigung und Artikulierung der Subjektivität ihres jeweiligen Klientels begrüßen und fordern und fördern, andererseits aber ratlos sind, wenn sich dann was anderes artikuliert, als sie politisch im Sinn haben. (Wenn man so will, leiden sie an dem Widerspruch, dass sie einerseits Programm der individuellen Selbstermächtigung sind, aber auch der politischen; individuelle Selbstermächtigung bedeutet aber eben Freiraum von Politik und einen individuellen Rückzugsraum, wo man von der Politik auch gerne in Ruhe gelassen wird.) Nun, das lässt sich, aufgrund der doppelten (bzw. vielfältigen) Natur von Selbstermächtigung (mit ihren individuellen und politischen Implikationen) auch gar nicht ändern. Es ist eine Sache der Enge oder Weite der BefreiungsideologInnen, wie viel Spielraum sie da zulassen wollen, und es gibt solche, die da enger sind und solche, die da weiter sind. Allerdings haben Befreiungsideologien halt mal einen gewissen, mehr oder weniger absoluten, mehr oder weniger apodiktischen Anspruch, der, wenn es um die Wurst geht, schlagend werden kann, so dass sich die Freiheitsideologie realiter als Gulag-Ideologie erweist. Das Verstörende (das gegen die übermächtige Herrschaft von einzelnen schnell eine übermächtige Herrschaft des Kollektivs oder eben der Reinheitsideologie gesetzt wird) hat man in diversen Befreiungsideologien und Utopien ja überall. Eine letztendliche rechthaberische und machtverliebte Disposition kommt auch immer wieder zum Vorschein, wenn subjektive Äußerungen, die nicht ausfallen, wie es die Befreiungsideologie vorsieht, als irrelevant abgetan werden, oder als Ausdruck eines „falschen Bewusstseins“. Wenn die Leute, die Proletarier, die Unterdrückten, die Frauen, was tun, ist das aus der Sicht der Befreiungsideologen selten das Richtige. Das bedeutet aus ihrer Sicht dann: sie lassen sich manipulieren, und von ihren „wahren Interessen“ ablenken. Da sehen sie zum Beispiel fern (und lassen sich direkt wie auch indirekt manipulieren). Also sollen sie doch aufhören, fernzusehen und sich ablenken zu lassen, und stattdessen „innehalten“ und „nachdenken“ (und, am Besten, „das System infrage stellen“). Die Penetranz, mit der Kritische Theoretiker und Befreiungsideologen immer wieder einfordern, die anderen sollten doch mal „innehalten“ und „nachdenken“ ist ein Hinweis darauf, dass sie es eben von sich selbst nicht kennen, das mit dem Innehalten und dem Nachdenken und dem kritischen Hinterfragen, und dass die gedankenlose Übernahme von Gedankengut, das einem Realitätscheck gar nicht wirklich gewachsen ist, die sie also bei den anderen vermuten, halt mal der Rahmen ist, durch den sie selbst in die Welt blicken.

Natürlich besteht dann aber die Möglichkeit, Realitäten überhaupt gleich „kritisch“ wegzudenken und zu entsubstanzialisieren: „Wenn wir auf der Tiefe und Wirksamkeit dieser Kontrolle bestehen, setzen wir uns dem Einwand aus, dass wir die prägende Macht der „Massenmedien“ sehr überschätzen und dass die Menschen ganz von selbst Bedürfnisse verspüren und befriedigen würden, die ihnen jetzt aufgenötigt werden. Der Einwand greift fehl. Die Präformierung beginnt nicht mit der Massenproduktion von Rundfunk und Fernsehen und mit der Zentralisierung ihrer Kontrolle. Die Menschen treten in dieses Stadium als langjährig präparierte Empfänger ein….“ Unter kritischen Theoretikern und Linken ist der Habitus stark verbreitet, handfeste Realitäten (weniger kritisch zu hinterfragen als) zu delegitimieren, wonach sie (tatsächlich oder angeblich) einfach nur (von einer bösartigen Instanz) „gemacht“ seien, wodurch sie die Konfrontation mit unliebsamen Realitäten ideell einfach beliebig hinausschieben kann, und den Fehler einfach immer nur beim anderen verorten, aber niemals bei sich selbst. Marxisten behaupten (zumindest indirekt), dass das „wahre Wesen“ des Menschen der „bessere sozialistische Mensch“ sei, wie auch, dass es ein „wahres Wesen“ des Menschen gar nicht gibt, da dieser einfach die Summe der gesellschaftlichen Verhältnisse sei. Das ist jeweils in etwa gegenteilig (und außerdem ist beides falsch), was sie aber in der Praxis kaum daran hindert, mal so, mal so zu argumentieren (genauso wie Feministinnen gerne mal genderdekonstruktivistisch, mal biologistisch/essentialistisch argumentieren, je nachdem, wie es die Frauen in der momentanen Situation besser dastehen lässt). Die marxistisch geprägte „wissenschaftlich sozialistische“ Linke klopft sich gerne auf die Brust, (dialektisch) „materialistisch“ zu denken („denken“), und nicht „idealistisch“. (Dialektisch) „materialistisch“ müsse man denken, nicht „idealistisch“ etc., lautet die Devise! Mit ihrer gleichzeitigen Fixierung darauf, dass vorgefundene soziale, wirtschaftliche, politische oder Geschlechterverhältnisse (sofern sie ihnen nicht in den Kram passen) „nichts Naturgegebenes“, sondern (nichts als) „sozial konstruiert“ seien, glaubt sie dann aber wieder, ganz reale Faktizitäten, die (gleichsam) materiell vorhanden und in der Wirklichkeit verankert sind, idealistisch in Luft auflösen zu können. Ihren Fluchtpunkt errichtet sie in einem reinen Imaginarium wie dem Kommunismus, dem „Reich der absoluten Freiheit“, einem „Reich Gottes“ oder einem Dritten Reich, dessen Überlegenheit gegenüber den bestehenden Verhältnissen gar nicht bewiesen ist, das gar nicht theoretisch ausformuliert ist, und das auch gar nicht theoretisch ausformuliert werden kann: Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Menschen gibt es keinen Kommunismus und kein Reich der Freiheit oder ein herrliches Reich, in dem alle Konflikte abgeschafft sind. Es gibt die liberale Demokratie und die soziale Marktwirtschaft, die das bislang Beste sind, was der Menschheit passiert ist – eben die „fortgeschrittene Industriegesellschaft“, gegen die Marcuse sich in einer totalisierenden Geste wendet. Was bestimmte, radikale Teile der „kritischen Linken“ wollen, ist diese Gesellschaft durch etwas zu ersetzen, das offensichtlich schlechter ist, als das „System“, gegen das sie sich wenden, was sie aber in ihrem revolutionären Elan gar nicht wahrnehmen oder eben kritisch hinterfragen wollen. Im schlimmsten, allerdings durchaus herkömmlichen Fall führt das dann dazu, dass die materialistischen Idealisten nie intellektuell und moralisch die Verantwortung übernehmen wollen, wenn sich ihre Realsozialismen in der Realität als was durchaus nicht so Positives erweisen, wie sie es sich – in ihrer Gedankenlosigkeit – erwartet hätten. Dann ist nicht die Idee (des Sozialismus) falsch, sondern halt leider, unglücklicherweise (immer wieder) nur die Umsetzung.

Marcuse nennt die Mitglieder der fortgeschrittenen Industriegesellschaft „Sklaven“, wobei (meines Wissens) weder Marx noch Engels bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse hundert Jahre zuvor solche Begrifflichkeiten in Anspruch genommen haben (die nicht einmal auf die damalige Feudalgesellschaft in Russland korrekt angewendet werden könnten). Allegorien oder Metaphern (oder auch ganz buchstäblich gemeinte Bezeichnungen) kann man anwenden, um gewisse Symptome hervorzuheben und schärfer zu bezeichnen, genauso gut kann man damit aber auch daneben greifen bzw. aus der Fokussierung auf einen bestimmten Gegenstand den Gesamtzusammenhang, in den er eingelassen ist, verkennen (ein allgemeines Charakteristikum und Problem ideologischer und tendenziöser Sichtweisen: einerseits erkennen diese bestimmte Probleme schärfer und hellsichtiger, andererseits ignorieren sie andere oder aber größere Zusammenhänge, die nicht unmittelbar auf ihrem Radar erscheinen). Oder aber die Verwendung solcher Bezeichnungen ist überhaupt falsch – oder verlogen. Und wenn man die Mitglieder der fortgeschrittenen Industriegesellschaft als Sklaven bezeichnet, so ist das eben falsch, oder verlogen. Übertriebene, utopische, transzendente Freiheits/Befreiungsideologien sind, an und für sich, inhärent verlogen. Im „eindimensionalen Menschen“ hat man Ausführungen zur „Rationalisierung“ der Sprache in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, von wegen, wie Begriffe ihrer Konnotationen beraubt werden, beschönigende, verharmlosende, ästhetisierende Begriffe verwendet werden, u. dergl. mehr (allerdings übrigens in keiner Weise aus feministischer Sicht oder im Hinblick auf gegenderte Sprache). Wenn man jetzt einmal unvoreingenommen an Diskurse wie den über den eindimensionalen Menschen aus kritischer Sicht herangeht, wird man glauben, feststellen zu können, dass man eine derartige Totalisierung und Hermetisierung, ideologische Versiegelung der Sprache und der Begrifflichkeiten in erster Linie in den Werken der Kritischen Theorie selbst hat. Dahinter steckt ein totalisierender, versklavender Geist, der sich sozusagen an seiner eigenen Neurose abarbeitet und sein eigenes Spiegelbild auf Verhältnisse wirft und projiziert. Die Wahrnehmung der Ontologie ist mehr oder weniger durch die jeweilige Epistemologie bestimmt, und die beklemmende Enge und Aussichtslosigkeit, die die Kritische Theorie überall und in allem, was mit der „fortgeschrittenen Industriegesellschaft“ zu tun haben will, erblickt, erscheint so (irgendwie) als Emanation der eigenen beklemmenden Enge und Unfreiheit. Was, wenn Marcuse et al wilde Angriffe gegen die fortgeschrittene Industriegesellschaft reiten, die dann aber nur sagt: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst; nicht mir“?

Als ein weiteres Beispiel dafür, wie man etwas, das eigentlich nur als Redensart Gültigkeit beanspruchen kann, trotzdem ungeniert als wissenschaftliches begriffliches Instrumentarium gebraucht, bezeichnet Marcuse die fortgeschrittene Industriegesellschaft gerne als „irrational“. Aber an welchem Maßstab könnte man die Rationalität oder Irrationalität einer Gesellschaft messen (wenn man sich nicht in ein idealistisches, unverifizierbares „Außerhalb“ schmeißen will, das eben kein wirklicher Maßstab sein kann)? Man kann vielleicht sagen, das Ziel einer Gesellschaft sei, sich zu reproduzieren; qualitativ gesehen, sich jeweils auf einem höheren Level zu reproduzieren. Das Ziel einer Gesellschaft sei, dass Positivsummenspiele gespielt werden, dass Win-Win-Situationen entstehen und gefördert werden. Tatsächlich gibt es viele Gesellschaften, in denen das weitreichend nicht der Fall ist; korrupte Gesellschaften, in denen kein kollektives Verantwortungsgefühl herrscht, Laxheit gepaart mit Selbstüberschätzung, ein Misstrauen gegenüber dem Staat und ein betrügerischer Staat, gegenüber dem ein solches Misstrauen sogar gerechtfertigt ist; im schlechtesten Fall Gesellschaften, in denen die Mentalität verbreitet ist, den anderen übers Ohr zu hauen (was dann in eine gesamtgesellschaftliche Lose-Lose-Situation führt). Die fortgeschrittenen Industriegesellschaften sind aber solche Gesellschaften, in denen diese Charakteristika vergleichsweise wenig ausgeprägt sind (falls man jetzt Umweltzerstörung hernimmt, sei dazu gesagt, dass die Verantwortungslosigkeit gegenüber der Umwelt in Ländern, die nicht den fortgeschrittenen Industriegesellschaften angehören, oftmals noch viel sensationeller ist, in einigen Fällen, wie z.B. in der Sowjetunion oder in Rotchina unter Mao im Zusammenhang mit der sozialistischen Industrialisierungs- und Fortschrittsideologie sogar regelrecht psychopathische Züge angenommen hat). Eine Gesellschaft ist gut und rational, wenn sie dem Individuum viele Freiheiten ermöglicht, gleichzeitig die freien Individuen ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem gesellschaftlichen Ganzen aufweisen (wenn also die Tugenden und die guten Eigenschaften von Gesellschaften mit individualistischer und solcher mit kollektivistischer Ausrichtung zusammengeführt werden, und deren jeweilige Negativa dadurch kompensiert werden). Wie mir scheint, ist das in der Schweiz am Idealtypischsten der Fall. Allgemein: Wenn man sich dafür interessiert, wie eine Gesellschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten am besten ihre Probleme lösen kann, ist es vielleicht am Hilfreichsten, wenn man mehr die Schweiz studiert und weniger (kritische oder auch andere) Theorien. Wenn das theoretisch hochtrabende „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ dann in der Praxis auf ein „sie tun so als würden sie uns bezahlen, wir tun so, also würden wir arbeiten“ hinausläuft, ist das eine Lose-Lose-Situation.

„Ich habe das Düstere übertrieben, der Maxime folgend, dass heute überhaupt nur Übertreibung das Medium der Wahrheit sei. Missverstehen Sie meine fragmentarischen und vielfach rhapsodischen Anmerkungen nicht als Spengelerei: die macht selbst mit dem Unheil gemeinsame Sache (…) vieles spricht dafür, dass die Demokratie, samt allem, was mit ihr gesetzt ist, die Menschen tiefer ergreift als in der Weimarer Zeit. Indem ich das nicht so Offenbare hervorhob, habe ich vernachlässigt, was doch Besonnenheit mitdenken muss: dass innerhalb der deutschen Demokratie nach 1945 bis heute das materielle Leben der Gesellschaft sich reicher reproduzierte als seit Menschengedenken, und das ist dann auch sozialpsychologisch relevant. Die Behauptung, es stünde nicht schlecht um die deutsche Demokratie und damit um die wirkliche Aufarbeitung der Vergangenheit, wenn ihr nur Zeit genug und vieles andere bleibt, wäre sicherlich nicht allzu optimistisch…“, gesteht Adorno 1959 am Ende einiger seiner üblichen, düsteren Ausführungen ein. Ja also: die Festigung der Demokratie und der liberalen Gesellschaft hat man also der fortgeschrittenen Industriegesellschaft zu verdanken! Dass die Leute nicht in irgendwelche Extremismen verfallen, hat man der Konsumgesellschaft zu verdanken! Etc. Adorno ist also skeptisch, inwieweit die kritische Position die richtige sein kann. Das ist gut. Hauptaufgabe und Habitus eines Intellektuellen sei doch eigentlich, dass er skeptisch ist, nachdenklich und vorsichtig; nicht notwendigerweise kritisch (was in der Praxis dann oft bedeutet: vorsätzlich polemisch). Von unendlichem Tiefsinn sei der Intellektuelle, optimalerweise! Im unendlichen Tiefsinn liegt das intellektuelle (und spirituelle) Optimum! Natürlich hat der unendliche Tiefsinn aber auch was (scheinbar) Unbewegliches. Daher ist es auch gut, ja, notwendig, wenn es weniger tiefsinnige, also eben kritische – Intellektuelle gibt, die sich an den Sachen stoßen, während wir unendlich Tiefsinnigen uns an allem stoßen und an nichts, indem wir die Sachen transzendieren. Das ist eine gute, notwendige intellektuelle Arbeitsteilung. Das, was hier unternommen wird, ist eine kritische Kritik an der Kritischen Theorie, die vor den Reaktionären zwar beschützt gehört, nicht aber vor sich selbst. Ich will nur nicht, dass die Kritische Theorie (oder irgendjemand sonst) allzu stolz wird und apodiktisch. – Am Schluss vom „eindimensionalen Menschen“ steht: „Die kritische Theorie der Gesellschaft besitzt keine Begriffe, die die Kluft zwischen dem Gegenwärtigen und seiner Zukunft überbrücken könnten; indem sie nichts verspricht und keinen Erfolg zeigt, bleibt sie negativ. Damit will sie jenen die Treue halten, die ohne Hoffnung ihr Leben der Großen Weigerung hingegeben haben und hingeben. Zu Beginn der faschistischen Ära schrieb Walter Benjamin: Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben. Die „Hoffnungslosen“ sind aber keine einheitliche Kategorie. Sie erregen das Mitgefühl, sie sind die Ersten, denen man helfen sollte. Was aber eben, wenn sie das nicht wollen, wenn ihre Hingabe an die Große Weigerung kein schöner lebensästhetischer Ausdruck oder ein produktiver Nonkonformismus ist, sondern ein moralisches Mäntelchen für einen beklemmenden Fundamentalismus, der eigentlich gar nichts wirklich will, als sich immer nur in der Opferrolle zu sehen, und, vor allem, der deswegen gegen (eine als quasi totalitär angenommene) bestehende Herrschaft und Macht ist, weil er selbst nicht an der Macht ist, der deswegen gegen (eine als quasi totalitär angenommene) bestehende Herrschaft und Macht sich positioniert und gegen sie polemisiert, weil er in seinem eigenen neurotischen Machtstreben sich frustriert fühlt (und der darin auch die anderen Charakeristika von Machtmenschen aufweist: Neid, Paranoia, ständiges Misstrauen, der Wunsch, sich zum großen Helden zu stilisieren etc.)? Wenn also der Hoffnungslose, den man gerne an die Brust nehmen will, der Ressentiment-Mensch ist? Die Hilflosen und Schwachen erregen, wie gesagt, das Mitgefühl; die Starken sollten den Schwachen mehr helfen – man sollte aber nicht vergessen, dass die Schwachen noch viel gefährlicher werden können als die „Starken“, wenn sie in eine Position falscher Stärke kommen. Marcuse formuliert zwar keinen Machtkomplex, sondern einen Freiheitskomplex. Ständig will er mehr Freiheit, in allem aber, was in der Welt passiert, sieht er perfide und totale Unfreiheit, die sich allein verwirkliche und triumphiere. So hat man den Eindruck, dass hinter dem schrankenlosen, gar nicht mehr spezifischem Freiheitsstreben, das bei Marcuse zum Ausdruck kommt, eine fundamentale mentale Unfreiheit und Unbeweglichkeit steht. Und dass Freiheit (bisweilen durchaus enge) Grenzen hat, der Gestus und der Wunsch nach einer „totalen“ Freiheit auf etwas hinzielt, was gar nicht existiert, Herrschaftzeiten, das weiß doch, ganz grundsätzlich, jeder Depp! Wenn akademische Intellektuelle sich immer wieder, zumindest heimlich, eingedenk sind, dass sie von saufenden Stammtischgenossen durchaus unter den Tisch geredet werden können, hat das seinen Grund darin, dass sie in ihrer intellektuellen und moralischen Weltflucht entscheidende Sachen vergessen.

Aber ach, scheiß drauf, die Kritische Theorie, die Frankfurter Schule, die Hippies, die Studentenproteste, die Verweigerungshaltung, der Nonkonformismus, sind natürlich gut! Wenn es in der Realität nicht auch das Element „Kritische Theorie“ geben würde, wäre sie eine schön blödsinnige und stumpfsinnige Realität. Ihr Gestus ist es, Öffnung anzuzeigen, Hoffnung, Mut zur Selbstermächtigung, sie steht in der Tradition der Aufklärung und des Humanismus, und stellt, in ihrer konkreten Form, zumindest für die Vergangenheit, eine brauchbare Ideologie und ein gesellschaftliches Selbstverständnis dar. Wenn man das glaubt, runtertun zu können, soll man erst mal was Vergleichbares auf die Beine stellen! Jetzt ist die Kritische Theorie eine einigermaßen politische Philosophie, aber Politik ist eine Domäne, wo die meisten Karrieren im Versagen enden und wo ständig unvorhergesehene Dinge passieren. Ich nehme, trotz meiner gewaltigen geistigen Fähigkeiten und meiner großen Lauterkeit, nicht notwendigerweise an, ein besserer POTUS sein zu können als Trump, dessen historisch positive Bilanz es eventuell sein könnte, dass er die größte Gefahr für unsere Zeit – China – richtig erkannt und bekämpft und besiegt hat, während wir Liberalen uns irgendwelchen Illusionen hingegeben haben und uns auf irgendwas Unwichtiges fokussiert haben. Politik, und Versuche, den Weltenlauf zu beeinflussen, sind überhaupt etwas ziemlich seltsames (das gilt freilich nicht für Lokalpolitik, die ja auch nicht versucht, den Weltenlauf zu beeinflussen; aber zur Lokalpolitik kann man sich übergeordnet intellektuell kaum äußern). Ich werde mich vor der Politik eher hüten. Ich bin auch nicht unbedingt ein politischer Denker. Ich weiß auch nicht so genau, inwieweit ich ein gesellschaftlicher Denker bin (aber das muss ich ja auch nicht, denn als Schriftsteller bin ich ja auch der Einzige, der die Gesellschaft und die Menschen letztendlich tatsächlich versteht). Laut Burkhardt stehen die Menschen den geschichtlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen, in die sie geworfen sind, ohnmächtig gegenüber, und erleben ihre Herrschaft als erdrückend. Vielleicht tun sie das, vielleicht tun sie das auch nicht. Vielleicht sind sie das, vielleicht sind sie das auch nicht, und die Macht der gesellschaftlichen Verhältnisse ist auch zu einem gewissen Grad Einbildung, der man auch mit mehr Gelassenheit gegenübertreten kann. Auf mich selber üben die Gesellschaft und ihre (angeblichen) Normierungen praktisch keine Macht aus; ich bin kein Wesen der Gesellschaft, insofern kann ich vielleicht sehr viel und sehr wenig zur Gesellschaft überhaupt sagen. Ich sehe die Gesellschaft auch gar nicht wirklich, ich sehe nur (ha! „nur“!) die Unendlichkeit, inklusive der Fallen, die sie bereithält. Die Vorkommnisse in der Welt nehme ich als Farben- und Formenspiel wahr, als Statiken und Dynamiken, von denen ich nicht einmal genau sagen kann, ob sie besonders gescheit oder ziemlich blöd sind. Wenn jetzt ein Vulkan ausbricht hat man da auch Asche, Schwefel, Lärm, Eruption, Lava, die rauf spritzt und die vor sich hin mäandert: und man kann auch nicht sagen, ob das besonders gescheit oder ziemlich blöd ist; es ist ein Naturphänomen. Ein anderes Referenzsystem, ein anderer Bezirk des Seins. Und Politik ist für mich auch so was wie ein Vulkanausbruch, einfach ein ganz anderer Teil der Welt, mit dem man auch nicht wirklich kommunizieren kann (und von dem man besser, beobachtend, Abstand nimmt). Ich verstehe (ha! „verstehe“!) meine Position. Ich bin ein absoluter Sonderfall. Aber gleichzeitig bin ich auch äußerst universal, und keineswegs „exzentrisch“. Ich frage mich, ob ich alles zur Gesellschaft sagen kann, oder nichts. Ich frage mich, ob ich unzählige sinnvolle Beiträge leisten kann, oder keinen einzigen. Ob mein Geist, ob das Einheits-Bewusstsein, das alles begreift, was Gutes ist, oder was Sinnloses. Naja. Wahrscheinlich liegt der Effekt irgendwo in der Mitte. Und überhaupt. Meine Strategie scheint es eher zu sein, und meine Aussage scheint es eher zu sein, dass man sich über die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, und über alle Theorien aller Schulen, bei genauer Kenntnis derselben, einfach so weit überheben soll, dass alle diese zu Elementen auf einem gigantischen Monitor werden, in die man sich beliebig rein- und rauszoomen kann; und dass man die Politik – also (laut Hannah Arendt) das Management der Vielheit und Diversität unter den Menschen – einigermaßen überwinden soll, indem man selbst zu einer gigantischen Vielheit und Diversität wird (und das Ego als der zentrale politische Akteur also abfällt). Einfach, dass man die menschlichen Verhältnisse insgesamt überwindet, während man zu selbst zu einem Punkt am Monitor verschwindet, der allerdings die komplette Information über das Ganze enthält. Oh ja, ich finde, so sollte man das machen! Und so wird es geschehen. – Es soll doch jeder machen, was er am besten kann, und was ich am besten kann, ist eben das mit der Allwissenheit. Das ist, soweit ich sehen kann, sogar mein Alleinstellungsmerkmal. Also sollte ich das weiter vertiefen. Vielleicht stiftet es ja sogar noch mal irgend einen Nutzen.

8. – 14. März 2020

(Anm.: Dieser sehr nichtlinear verfasste Text hat stilistisch vielleicht was Furchtbares. Aber es würde mich interessieren, wie man das noch viel weiter treiben könnte. Auch ist dieser Text ziemlich fahrig. Aber wie soll der korrekte und eindeutige Kommentar zur Frankfurter Schule anders sein als fahrig?)