Das Weiche siegt über das Harte.
Das Schwache siegt über das Starke.
(Tao te king)
Gianni Vattimo ist der wichtigste Vertreter der italienischen Postmoderne in der Philosophie. Die Postmoderne in der Philosophie versteht sich als Abgesang an den Gedanken der Letztbegründung, daran, dass das Sein ein stabiles Fundament hat und es eine letztgültige Wahrheit „da draußen“ gäbe, an die Idee einer Metaphysik der starren, ewigen und starken, verbindlichen Strukturen – die von einem starken, umfassenden, mit normativer Verbindlichkeit auftretenden Denken erfasst und deklamiert werden könnten. Vattimos Innovation in der Philosophie ist das „schwache Denken“. Das schwache Denken reagiert auf eine „Ontologie des Verfalls“, einem Verfall der Absolutheitsansprüche, des religiösen oder des Platonischen Ideenhimmels und auch der Subjektzentriertheit, des Humanismus in der Philosophie und in der Lebenswelt. Die Sphären sind eingestürzt. Gott ist tot und es gebe keine Verbindlichkeit mehr in der Kunst und im geschriebenen Wort, erkennt Vattimo mit Nietzsche an, und die Herrschaft des Ge-stells dezentriere den Menschen aus dem Sein und sei eine gleichsam ironische Verwirklichung des Anspruchs der Metaphysik, alle Seienden in ursächlichen, vorhersehbaren und beherrschenden Verhältnissen tendenziell miteinander zu verbinden, übernimmt Vattimo als Diagnose von Heidegger. Die Lebenswelten haben sich in der Moderne ausdifferenziert (könnte man mit Max Weber sagen), daher habe sich auch die Vernunft pluralisiert (über die Stimmen der Marginalisierten und Ausgeschlossenen und deren Vernünftigkeiten und Gegenmächte nähert sich Vattimo, anders als Foucault oder Derrida, an die Zusammenhänge allerdings nicht an, und auch nicht über nicht-westliche Stimmen: er betrachtet das schwache Denken und die Ontologie des Verfalls hauptsächlich innerhalb der Traditionen des westlichen Denkens). Die Verwindung der Metaphysik ist nichts anderes als die Säkularisierung. Für Vattimo ist die Wissenschaft vom schwachen Denken und der Ontologie des Verfalls allerdings, ähnlich wie für Nietzsche, eine fröhliche. Wie auch für Rorty ist für Vattimo das Vorhandensein einer Wahrheit, eines Fundaments, einer Präsenz gleichbedeutend mit etwas Gewaltsamen, mit etwas Autoritärem. Er will nicht unbedingt was Starkes und kein inhärent unterjochendes starkes Denken. Er stellt sich, wie Rorty, gegen vergegenständlichende und totalisierende Züge in der Metaphysik (wie bei der Lektüre von Rorty, der noch rebellischer ist als Vattimo, drängt sich allerdings die Frage auf, inwieweit es diesen Totalitarismus in der Metaphysik und in der Geschichte der Vernunft denn jemals gegeben habe). Das schwache Denken will kein autoritäres Denken mehr sein. Es proklamiert keine ewigen Wahrheiten mehr und kommt mit keinen Ewigkeits-Statuten mehr daher. Es ist vielmehr interpretativ und pragmatisch, es stabilisiert und errichtet „pragmatische Stabilisierungen innerhalb der Phänomenalität“ (Wolfgang Welsch) indem es justiert. Es ist, könnte man wohl sagen, empathisch und sympathetisch. Mit dem schwachen Denken wird die traditionelle Metaphysik nicht (triumphal und polternd) überwunden, vielmehr wird sie (um den heideggerschen Terminus zu bemühen) ver-wunden: ihre Fragestellungen werden bedeutungslos und zu etwas, das in der Zeit zurückliegt. Allerdings werden sie nicht vergessen. Die Verwindung ist auch Andenken: eine Wiederaufnahme der Philosophie und ihrer Inhalte, allerdings ohne Absolutheitsansprüche. Vattimo plädiert für eine Haltung der pietas, eine Aufmerksamkeit, eine andächtige Achtung vor dem, was nur einen begrenzten Wert besitzt, aber gerade aufgrund dieses begrenzten Wertes Aufmerksamkeit verdient, weil er der einzige ist, den wir kennen: pietas ist die Liebe zum Lebendigen und dessen Spuren. Das Lebendige, das ist vielleicht nicht die letzte metaphysische Wahrheit, aber das ist das Vorhandene. Das Vorhandene ist, wenn auch von begrenztem Wert, das Einzige und der einzige Wert, den wir haben. Das Vorhandene ist außerdem das geschichtlich Gewordene. Das geschichtlich Gewordene ist das, was sich im Sein ereignet, und Vattimo übernimmt von Heidegger: das Sein manifestiert sich nicht in einem stabilen Grund, sondern in Ereignissen, in denen das Sein zum Ausdruck kommt (einen entsprechenden Authentizitäts-Fimmel, der nur „authentischen“ Ereignissen wahres Sein zukommen lassen möchte, teilt Vattimo dabei mit Heidegger nicht: er ist demokratischer und liberaler). Die Ereignisse, das geschichtlich Gewordene, das Lebendige (nicht das illusionäre metaphysisch „Wahre“) bilden das, was wir haben und was uns angeht. Wir verbinden uns mit diesen begrenzten Werten über pietas und über Hermeneutik – der hermeneutischen Auslegung des Lebendigen und des geschichtlich Gewordenen. Das geschichtlich Gewordene (auch wenn es, wie Heidegger meint, ein Irrtum (der Seinsvergessenheit) ist), ist für uns eine Bedeutungsganzheit, in der man sich wiederfindet, eine robuste Struktur, ein Verweisungszusammenhang, etwas, dem wir (in unserer Geworfenheit) sowieso nicht entkommen können, das wir aber besser verstehen können, durch Hermeneutik. Das bedeutet also weniger: der (ausschließenden) Analyse, sondern eher: des Kennenlernens. Der Maßstab für Wahrheit und Adäquanz ist die Gültigkeit (von etwas in) meiner Lebenswelt, die historisch vermittelt ist. Wir gelangen so zu einem epochalen Verständnis von Bedeutungsganzheiten, wenn uns auch ein totales verwehrt bleibt: durch diese hermeneutische Rückversicherung will sich Vattimo philosophisch stabilisieren und Wahrheitsanforderungen zumindest partiell gerecht werden (Rorty verwirft auch eine solche Möglichkeit und setzt sozusagen auf reine Anarchie). Hierin hat man praktisch den Vollzug der Heideggerschen Kehre: es geht nicht mehr um die Bestimmung der Struktur des Seins, sondern um die Hinwendung zum Sein – als Antithese zur Seinsvergessenheit (wobei Seinsvergessenheit für Heidegger de facto synonym ist zur Metaphysik). Indem die ewigen platonischen Ideen zugunsten des geschichtlich Gewordenen (und des gegenwärtig Lebendigen) entsorgt werden, wird der Weg frei für die Erscheinungen (die Platon als „irreal“ und „schattenhaft“ verwirft) und das zwanglose Anerkennen der Erscheinungen – einer Art Schwingen mit den Erscheinungen. Gegen die Instabilität, die sich in Vattimos Paradigma auftut, wird ein Schwingen und wird eine schwingende Existenz proklamiert. Lob der Erscheinung! Es ist eine erleichterte Wirklichkeit, in der man sich so wiederfindet. In der alles immer schon medialisiert und vermittelt ist, und in der wir von keiner „eigentlichen“ metaphysischen Wirklichkeit mehr getrennt, ihr gegenüber praktisch verworfen sind. Ich finde das alles recht gut und attraktiv, denn das verbindet sich ziemlich mit dem was ich auch sage und was ich auch will. Noch mehr begeistert mich Vattimos Verweis auf eine hermeneutische Interpretationsgemeinschaft, in der sich philosophisches Zusammenleben vollzieht, die in ihrer hermeneutischen Geschäftigkeit gleichzeitig in Andacht und pietas versunken ist, einer Kirche ähnlich (oder einer Sekte). Schließlich setzt Vattimo auf caritas, als einzig quasi-echten, quasi-totalen Wert. Die Wahrheit der Caritas sei keine religiös offenbarte, sondern eine rational erschlossene, die rational begründbar ist: Insofern wir uns selbst und unserem Nächsten am nächsten sind, ist die Caritas ganz einfach nur der rationale Ausdruck dieses Naheverhältnisses. So leben wir also dahin: in einer pietätvollen hermeneutischen Interpretationsgemeinschaft, schwingend in einem Sein als einer offenen Struktur, in der fortwährend neues Seiendes und Interpretationsmöglichkeiten von Sein produziert wird. Es scheint ein glückliches Leben, eine gelungene Existenz, ein befriedigendes Denken: das schwache Denken. Das Weiche siegt über das Harte, das Schwache siegt über das Starke, das haben wir Taoistinnen schon lange gewusst.
*
Der Sinn, den man ersinnen kann,
ist nicht der ewige SINN.
Der Name, den man nennen kann,
ist nicht der ewige Name.
Jenseits des Nennbaren liegt der Anfang der Welt.
Diesseits des Nennbaren liegt die Geburt der Geschöpfe.
Darum führt das Streben nach dem Ewig-Jenseitigen
zum Schauen der Kräfte,
das Streben nach dem Ewig-Diesseitigen
zum Schauen der Räumlichkeit.
Beides hat Einen Ursprung und nur verschiedenen Namen.
Diese Einheit ist das Große Geheimnis.
Und des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis:
Das ist die Pforte der Offenbarwerdung aller Kräfte.
(Tao te king)
Letztendlich nützt es doch nichts. Man kann dem dumpfen Pulsieren von Wahrheit, Grund, Präsenz usw. doch nicht entkommen, auch wenn Poststrukturalismus, Postmoderne, Kritische Theorie et al. mehr oder weniger plausible Versuche unternehmen, das zu tun. Aber alle diese Versuche, das zu tun, und alle Verständnisse von Wahrheit, Grund, Präsenz finden innerhalb des Logos-Denkens der westlichen Philosophie statt. Logos bedeutet ursprünglich „Rede“ oder „Sinn“. Östliches Denken geht aber darüber hinaus. Wittgenstein hat gemeint: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Extremes Grenzgängertum der Weisheit, oder eben östliche Weisheit, gelangt allerdings an Orte, die man nur mehr durch Paradoxien beschreiben kann: als Abwesenheiten, die gleichzeitig eine Anwesenheit sind, als Geist, der gleichzeitig eine Leere ist, als Leben, das jenseits von Leben und als Tod, der jenseits von Tod ist usw. Als Sprechen, das gleichzeitig Schweigen ist, oder das in geheimer, mit dem Schweigen amalgamierter Sprache spricht. Als Sinn, der gleichzeitig Nicht-Sinn (oder eben SINN) ist. Auch wenn es vielleicht keine (logische) Präsenz gibt, gibt es doch eine fundamentale Anwesenheit: denn wir leben im Sein, und nicht im Nichts. Wenn wir versuchen, diese Anwesenheit und dieses Sein fundamental zu erfassen, gelangen wir in eine Region, wo alles flackert. An der Grenze von Sein und Nichts vermischt sich notwendigerweise Sein und Nichts. Das ist dann der SINN. Überhaupt ist es so, dass auch das westliche Denken den Teufel der absoluten Sinnsuche und der Wahrheitssuche in der Philosophie (denn dafür ist die Philosophie ja da) nicht austreiben wird können. Das schwache Denken drängt in seiner Hermeneutik auf ein epochales Verständnis (der eigenen Epoche und des historisch Gewordenen). Aber letztendlich will das Denken und die Philosophie dann doch mehr (nicht, weil sie Macht oder Willle wäre, sondern weil sie eben Denken und Philosophie ist). Zwar kann man mit Hegel bedenken, dass ein epochal auftretender Sinn ein dermaßen privilegierter sein kann, dass er von vergleichsweise totaler Gültigkeit sein kann, oder mit Heidegger, dass ein Ereignis (in dem sich das Sein allein darstelle) ein dermaßen „authentisches“ sei, dass es universelles Wahrheits-Ereignis sei. Mehr noch kann man aber eben – eben mithilfe des Denkens! – versuchen, die Erscheinungen der Zeitlichkeit so intensiv zu penetrieren, dass man zum Überzeitlichen, zum Ewigen vordringt. Das ist eigentlich die höchste Aufgabe des Denkens – und das östliche Denken leistet da gute Hilfe. Das östliche Denken ist – in seiner prä-metaphysischen Haltung, die in Wirklichkeit eine meta-metaphysische Haltung ist – außerzeitlich.
Die Ewigkeit erkennen: das ist Weisheit.
Wer die Ewigkeit nicht erkennt, der handelt blindlings und unheilvoll.
Erkenntnis der Ewigkeit bringt Duldsamkeit.
Duldsamkeit bringet Edelsinn.
Edelsinn bringet Herrschaft.
Herrschaft bringt himmlisches Wesen.
Himmlisches Wesen bringet den SINN.
Der SINN bringet Dauer.
Ist das Ich nicht mehr, so gibt es keine Gefahren.
Das Denken will an und für sich nichts und strebt nicht nach Macht. Das Denken denkt sich nicht als „stark“ oder „schwach“, weiß nicht einmal, was das ist. Das ist eine äußere Unterscheidung, die dem Denken auferlegt und attributiert wird. Zen-Meister Sengcan lehrte dabei schon im 6. Jahrhundert:
Der vollkommene Weg ist nicht schwierig: nimm einfach keine Unterscheidungen vor … sobald du „richtig“ und „falsch“ denkst, gerätst du in Verwirrung und verlierst deinen wahren Geist.
Vielleicht ist das westliche Denken mit dem Ausüben von Macht verknüpft, weil der Ausgangspunkt der modernen westlichen Philosophie eben das Ich denke (also bin ich) ist. Im östlichen Denken geht es aber um die Freiwerdung des Denkens vom Ich.
Der Grund, warum ich große Übel erfahre, ist,
dass ich ein Ich habe.
Wenn ich kein Ich habe,
welches Übel gibt es dann noch?
Kritisches Denken geht gerne davon aus, dass das begriffliche Denken herrschaftliches Denken sei – denn Begriffe fasst es (ein wenig eigenartigerweise) weniger als Verständnis- und Verständigunginstrumente, denn als Herrschaftsinstrumente. Aber bereits seit Äonen steht in der Wan-ling Niederschrift der Lehren des Zen-Meisters Huang-po:
Der Weg ist das Aufhören des begrifflichen Denkens. Wenn du nicht mehr Begriffe und Gedanken aufkommen lässt, wie Existenz und Nichtexistenz, lang oder kurz, Selbst und Anderes, aktiv und passiv und Ähnliches, dann wirst du finden, dass dein Geist im Grunde Buddha, dass Buddha im Grunde Geist ist und dass der Geist der Leere ähnlich ist. Darum steht geschrieben, dass „der wahre Dharmakaya der Leere ähnelt“.
Die Leere wiederum ist das Tao (= „der Weg“). Die Leere ist im östlichen Verständnis weniger ein Nichts und eine Abwesenheit von Sein, eher ist sie ein ontisches Potenzial, in dem sich Sein ereignen kann. Der Geist bildet dieses gundlegendste Sein, das ontische Potenzial ab, indem er dieser Leere gleich wird. Das Denken, das mithilfe dieses Geistes oder innerhalb dieses geistigen Raumes stattfindet, wird zum Aufsteigen von reinem Sein als Aktualisierung von Potenzialitäten – und damit als etwas Reines für sich und nicht mit irgendwelchen weltlichen Zuschreibungen oder Zugriffen von Macht Verbundenes. Aus irgendeinem Grund gehen die westlichen DenkerINNEN (zumindest der Postmoderne) aber dauernd davon aus, dass es beim Denken darum geht, Macht auszuüben. Ich kann dazu nichts sagen, und ich kann auch kaum ersinnen, dass das Aufgabe des Denkens sein sollte.
Die Welt erobern wollen durch Handeln:
Ich habe erlebt, dass das misslingt.
Die Welt ist ein geistiges Ding,
das man nicht behandeln darf.
Beim östlichen Denken geht es darum, Macht zu transzendentieren, und jenseits der Macht, jenseits der empirischen Welt zu operieren.
Alle Welt sagt, mein „SINN“ sei zwar großartig,
aber er scheine für die Wirklichkeit nicht geschickt.
Aber gerade das ist ja seine Größe,
dass er für die Wirklichkeit nicht geschickt erscheint.
Diese „Wirklichkeit“ ist aber eben wieder die empirische Wirklichkeit und nicht die totale Wirklichkeit des Geistes. Es ist die Stätte, wo etwas auf was anderes „wirkt“, also eben tatsächlich „Macht ausübt“. Aber das interessiert hier nicht. Wenn wir vom Denken in letzter Instanz sprechen, müssen wir die transzendentale Wirklichkeit betrachten. Die transzendentale Wirklichkeit betrachtet sich gleichsam im Sinne der Bedingung der Möglichkeit davon, dass etwas auf was anderes wirkt. Sie ist also wieder die Leere, das ontische Potenzial, das vom Geist erfüllt ist bzw. mit ihm kongruent geht. Insofern östliches Denken die transzendentale Wirklichkeit betrachtet, besteht das Ziel der Weisheit des Ostens in der Erlangung dessen, was man im Westen als transzendentale Subjektivität bezeichnet; und die in der westlichen Philosophie tatsächlich vorwiegend ein theoretisches Postulat ist. Aber der östliche Weise ist die transzendentale Subjektivität.
Also auch der Berufene:
Er verweilt im Wirken ohne Handeln.
Er übt Belehrung ohne Reden.
Alle Wesen treten hervor,
und er verweigert sich ihnen nicht.
Er wirkt und behält nicht.
Ist das Werk vollbracht,
so verharrt er nicht dabei.
Und eben weil er nicht verharrt,
bleibt er nicht verlassen.
Der SINN wird behalten, weil er eben nicht ergriffen wird, aber ortlos überall da ist, anwesend ist. Der östliche Weise – oder eben die transzendentale Subjektivität – ist einerseits in sich selbst stationär, aber – wie eben der Geist – an nichts gebunden und sich an nichts bindend, an nichts anhaftend: nichts außerhalb seiner selbst als total, oder eben als Macht oder mit Macht in Verbindung stehend anerkennend.
Wer mit klarem Blick alles durchdringt,
der mag wohl ohne Kenntnisse bleiben.
Erzeugen und ernähren,
erzeugen und nicht besitzen,
wirken und nicht behalten,
mehren und nicht beherrschen:
Das ist geheimes LEBEN.
Aus der transzendentalen Wirklichkeit, über die transzendentale Subjektivität betrachtet, gibt es keinen Dualismus von Idee und Erscheinung mehr, über den SINN erscheint flackernd die ganze Wirklichkeit. Über die transzendentale Wirklichkeit erscheint die Wirklichkeit über eine Metaebene der Wirklichkeit. Welsch nennt das schwache Denken Vattimos aisthetisch-mimetisch. Und das ist, wenn man so will, tatsächlich nicht so stark wie rationales Denken. Das Denken des Tao aber ist noch stärker: denn es ist meta-rational. Und über diese Meta-rationalität, über den SINN, wirkt der Weise. Wie oben erwähnt, handelt der, der die „Ewigkeit nicht erkennt“ (also der schwache Denker) blindlings und unheilvoll – und der starke Denker, der glaubt, Ewigkeit zu erkennen, wahrscheinlich ebenso. Beide aber sind im Logos des westlichen Denkens befangen, und daher in seinen Schwierigkeiten.
Wer vieles leicht nimmt, findet stets viele Schwierigkeiten.
Also auch der Berufene:
Weil er die Schwierigkeiten bedenkt, darum findet er keine Schwierigkeiten.
Das totale Denken, das transzendentale Denken, muss, da es vollständig ist, notwendigerweise Paradoxien und Aporien in sich beinhalten. Und das östliche Denken lehrt, vor allem, wie man Paradoxien und Aporien richtig bedenkt. Das ist der Sinn des Koan, und das ist der SINN. Was mir gefällt, ist das totale Denken, das absolute Denken, das transzendentale Denken, das jenseits von stark und schwach ist. Und außerdem jenseits von West und Ost. Denn das rein östliche Denken ist letztendlich ziemlich passiv und neigt dazu, die empirische Wirklichkeit gar nicht wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Es ist kein wissenschaftliches und technologisches Denken. Es ist zu wenig rechnendnes Denken. Damit fehlen ihm wichtige Komponenten und Möglichkeiten des Denkens, und des Seins. Das totale Denken errichtet sich daher über wechselseitige Durchdringung des westlichen und des östlichen Denkens. Ich weiß nicht, wie viel Denken es im Norden und im Süden noch gibt, oder ob das Derivate davon sind. Aber das totale Denken wird auch das einst in sich aufnehmen, denn dem totalen Denken ist kein Denken fremd, hoffen wir es. Das totale Denken ist somit absolut. Sengcan sagte vor 1500 Jahren:
Der aufrichtige Geist ist absolut; das Absolute ist der aufrichtige Geist.
Meditiere über diese Weisheit.