Schelling und der dunkle Grund des Systems

(Fichtes) direkter Nachfolger Schelling (1775 – 1854) war liebenswerter, doch nicht weniger subjektiv. Er stand den deutschen Romantikern sehr nahe; philosophisch ist er unbedeutend, obwohl er zu seiner Zeit berühmt war.

 Bertrand Russell, Philosophie des Abendlandes

Ich denke es zu der größten Klarheit zu bringen, dass der Schellingsche Weltschöpfer von Ewigkeit zu Ewigkeit nichts anderes erschafft, als die Zeit … Es gibt nur eine Qualität, und das ist das Leben als solches … Der Mensch hat mehr davon als der Mistkäfer, hat aber in sich nichts Besseres oder Höheres. Alles, was lebt, lebt nur eines und dasselbe Leben. Die Totalität aber, das All, die Natur, käuet, wie ein altes Weib, von Ewigkeit zu Ewigkeit nur mit leerem Maule, macht und vertreibt sich die Zeit. Dies zu erkennen ist das reine Gold der Wahrheit und des Lebens, die Herrlichkeit des Menschen.

Jacobi an Fries über Schelling

STARKE EPIPHANIE Yorick drängt es plötzlich, er fasst einen Plan, er sucht die öffentlichen Waschräume am Hessenplatz auf, denn er hat dort etwas vor. Dort angekommen fällt sein Blick offenbar für einen Moment zu lange in die bauchige Wölbung der Pissoirschüssel, da überkommt ihn plötzlich eine Vision. In seinem Geist kriecht er durch eine unglaublich enge Öffnung in der Erde, kaum dass er mit den Schultern durchgelangt, und erreicht schließlich nach erheblichen Mühen eine schwach ausgeleuchtete Höhle. Dort in der Mitte, auf einer kegelförmig ausgerichteten Ansammlung von Stäben, befindet sich ein Kopf. Es ist der Kopf eines alten Mannes, der scheinbar in Schwierigkeiten steckt. Und es ist der Kopf, von dem das schwache Licht ausgeht, das die Wölbung erhellt. Es handelt sich, wie Yorick bemerkt, um das Antlitz Gottes. Das Antlitz Gottes blickt ihn unendlich traurig an.                    

Von alldem verstand Yorick natürlich nichts.

Das Buch vom seltsamen und unproduktiven Denken

Die Philosophie von Immanuel Kant war die große Kopernikanische Wende, die alle philosophische Welt in Aufruhr versetzte. Allerdings war Kant tatsächlich auch ein „Alleszermalmer“, insofern er zwar tradierte scheinbare Gewissheiten zerstörte, gleichzeitig aber neue Ungewissheiten in die Welt setzte. Die Kantische Philosophie leidet nicht nur an inneren Widersprüchen (was kein so großes Problem wäre, denn das tun die meisten anderen Philosophien auch), sie scheint vielmehr in Wirklichkeit gleich als eine Ruine in die Welt gekommen zu sein, wie irgendjemand es formuliert hat. Die Kantische Philosophie gilt der Ausarbeitung eines Vernunftsystems und verlegt den (absoluten) Schwerpunkt in das Subjekt, dem die Welt ausschließlich über seine subjektive Vernunft und seine subjektiven Anschauungsformen zugänglich ist. Zwar leugnet Kant die Außenwelt nicht, doch bleibt sie als „Ding an sich“ eben an sich unzugänglich und unerkennbar. Unsere Vernunft und unsere Anschauungsformen helfen bei der Anschauung der Außenwelt, sind gleichzeitig aber auch ein Gefängnis: Indem sie unsere Erkenntnismöglichkeiten auf das, was in ihnen selbst liegt, ultimativ beschränken. Jetzt hantiert die Philosophie – auch die Kantische Philosophie – mit Begriffen und Ideen wie Welt, Mensch oder Gott, und versucht zu einem ultimativen Wissen über Welt, Mensch und Gott zu kommen. Dabei kann die Philosophie Kants aber an und für sich nicht erklären, wo diese Begriffe eigentlich herkommen: Denn über das Ding an sich kann man ja nichts wissen. Wenn das Subjekt und die Subjektivität so zentral werden, dass die materielle Welt hinter einem Schleier verschwindet, wie begründet man dann Ideen, die offensichtlich aus der Außenwelt stammen? Damit ist der Grund der Kantischen Philosophie, bzw. der idealistischen Philosophie, eigentlich ein unbekannter, den die Philosophie nicht erklären kann. Der Grund der Ideen und ihrer Einheit, d.h. der Grund des Systems ist dunkel. Der Weg zum System ist nicht gesichert. Die Wahrheit des Systems ist fraglich. Und doch – die Forderung des Systems ist unumgänglich – schreibt Heidegger in seinem Schellingbuch (Schellings Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit). Welt, Mensch, Gott u. dergl. sind zwar innerhalb des Kantschen Systems als Leitbegriffe und Leitideen (die in der Vernunft selbst liegen) gedacht, sie sind gleichsam regulative Ideen, die unsere Vernunft leiten. Gleichzeitig sind es aber inhaltlich so bestimmende Ideen, dass nur aufgrund ihrer ein eigentliches Wissen möglich ist, das alle Philosophie ja anstrebt. Kants Nachfolger, die gemeinsam mit ihm den Deutschen Idealismus begründet haben, haben diese Problem auf jeweils ihre Weise versucht zu lösen. Fichte versucht, eine ganze Wissenschaftslehre zu entwickeln, die allein von einem („absoluten“) Ich ausgeht: Sie verlagert das Zentrum im Kampf zwischen Ich und Außenwelt rein ins Ich. Das ist aus naheliegenden Gründen kaum befriedigend – aber Fichte war in seinem Freiheitsstreben so impulsiv, dass er die Idee einer Außenwelt mit aufoktroyierenden Gesetzmäßigkeiten kaum akzeptieren wollte. Hegel geht von einer dialektischen Interaktion zwischen Ich und Welt aus – genau gesagt einer dialektischen Arbeit an der Entwicklung von dynamischen Begriffen (die zuvor in der Philosophie, und auch bei Kant, im Wesentlichen als etwas Statisches und Unveränderliches gedacht wurden) – die schließlich in einer glorreichen Selbstdurchdringung des „absoluten Geistes“ münden, und, korrespondierend dazu, in einem irgendwie perfekten, vollständig in Ordnung gebrachten Zustand der Welt. Karl Marx hat dann den Aufklärungsgedanken von einer progressiven Vernunftentwicklung ins Materialistische gewendet. Und der junge Engels hat – als Hörer des alten Schelling in Berlin – gegrübelt, dass dessen System bzw. seine Spätphilosophie eigentlich in einem Materialismus münden müsse: Keine andere Konsequenz ließe der Idealismus also eigentlich zu. Friedrich Schelling ist der noch Fehlende im Bunde der Deutschen Idealisten. Schelling versucht, das Ich und die Außenwelt als ein Ganzes zu bedenken – er landet damit also beim Absoluten. Auch er wird ein gewaltiges System aufstellen. So etwas ist schon lange verpönt und wird in seiner Intention – freilich ein wenig im Gelächter der Idioten – verlacht, oder aber verärgert als Ausdruck eines (phallokratischen) „Willens zur Macht“, als der Versuch, innerhalb des Denkens Herrschaft zu etablieren, gesehen. Allerdings kommt diese Aufforderung zum System bei den Deutschen Idealisten nicht von daher, sondern weil Philosophie in der damaligen Tradition, und auch in der zermalmten Verfassung, in der Kant sie hinterlassen hat, tatsächlich nach einem allumfassenden System verlangt: Sonst kann sie kein Wissen sein (auch bei dem großen Anti-Systematiker Nietzsche hat man das Problem, dass das Wissen bei ihm im Wesentlichen anekdotisch wird – und so (oder aus anderen Gründen) versucht er seinem Wissen dann ja eine systematische Basis („ewige Wiederkehr des Gleichen“, „Wille zur Macht“ u. dergl.) zu geben). Natürlich kann kein philosophisches System totales Wissen sein – da die Philosophie dazu immer wieder Wissenszufuhr von außen benötigt (v.a. der Wissenschaften – oder zu früherer Zeit eben überwiegend der Religion). Aber sie tut eben zu gegebener Zeit immer, was sie kann. Richtig ist jedoch, dass die spekulativen Systeme der Vergangenheit nie der Wirklichkeit entsprachen. Stets erlagen sie der Gefahr, das Vielschichtige zu sehr zu vereinfachen und das Verschiedenartige auf gewaltsame Weise zu vereinheitlichen. Hinzu kommt, dass sie Versprechen sicherer Beweisführung gaben, die sie nie einhalten konnten. Vermutlich war es von Anfang an falsch, diese Versprechen zu geben, wie es überhaupt ein Fehler ist, hinsichtlich der letzten Fragen Anspruch auf absolute Schlüssigkeit und apodiktische Gewissheit zu erheben. Wie alle Systemphilosophen widerstand auch Schelling diesen Versuchungen nicht. Äußert sich Franz Josef Wetz in seiner Junius-Einführung zu Schelling. Schelling wirkt dabei gleichsam als der unkonturierteste unter den Systematikern des Deutschen Idealismus. Seine Systemgrenzen scheinen nicht ganz klar, es scheint erhebliche Lücken in den Grenzen zu geben, die sein Territorium einfassen. Ist es also vielleicht kein klares, systematisch eingegrenztes Territorium? Das liegt aber auch daran, dass Schelling kein reiner Systemdenker war. Schelling war auch Problemdenker. Ein Systemdenker hat einen Leitgedanken – oder überhaupt nur einen einzigen Gedanken – um den herum er ein System konstruiert. Ein Problemdenker erkennt ein Problem und denkt darüber nach – zentriert also auf das jeweilige Problem. Schelling war, wie Franz Josef Wetz es zumindest versteht, beides. Und so hat er im Lauf seines überaus langen Lebens sein System immer wieder angepasst und anders gefasst. Ich meinerseits kann nicht behaupten, dass ich von Schelling und seinen (halboffenen) Systemen einen allzu systematischen Eindruck gewinnen konnte. Bei anderen Philosophen scheint mir das besser zu gelingen. Ein dunkler Grund scheint da zu sein, wie es ja auch Schelling selbst behauptet, wenn man sich das alles fassbar machen will. Schelling hat sehr viel geschrieben, und vieles habe ich nicht gelesen, allerdings ist die Redundanz des Inhalts (in den Schriften, die ich von ihm gelesen habe) bei kaum einem Philosophen derartig, wie bei Schelling. Schelling wiederholt sich wirklich sehr penetrant! Habe ich von dieser wechselseitigen Durchdringung aller Einheiten nicht aufs Klarste geschrieben, so liegt die Ursache hiervon großenteils in dem Gegenstand selbst, dessen labyrinthische und fast undurchdringliche Verwicklungen nur mit Mühe bezeichnet werden können. (Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie) Vielleicht stimmt das, und der Fehler liegt bei mir. Vielleicht liegt er aber auch bei Schelling. Vielleicht liegt er sogar bei Schelling im System oder hat System! Dem späten Schelling wird vorgeworfen, all seine Gedanken habe schon Hegel formuliert, nur besser und stringenter. Andere sehen in ihm einen reinen Neuplatoniker. Oder als jemand, der sich bei der Formulierung seiner Gottesvorstellung offenbar heftig bei dem mittelalterlichen Großtheologen Cusanus und dessen Konzeption vom Ineinsfallen der Gegensätze in Gott bedient hat. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens hat Schelling, der als beispielloser junger Shootingstar die intellektuelle Bühne ursprünglich betreten hatte, nichts mehr veröffentlicht. Ein ausgebranntes, früh verglühtes Genie hat man bei ihm vermutet. In Wirklichkeit hat er nach wie vor Unmengen an Texten geschrieben. Aber kaum was davon fertiggestellt, oder eben: systematisiert. Die wesentlichen Manuskripte zu seinem geplanten Hauptwerk Die Weltalter sind unwiederbringlich verloren gegangen: Bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg, also gut hundert Jahre danach. Maulwurfsgänge schien Schelling unternommen zu haben. Wurde ihm klar, dass die Vernunft doch die Welt nicht abschließend und systematisch erfassen kann? Dass, gleichsam, der dunkle Grund der Schöpfung auch die Vernunft in seine Tiefen hinein abbiegt? Dass die Unvernunft auch Gegenstand der Philosophie sein müsse, und das Unbewusste, Triebhafte u. dergl. Teil des Menschenbildes – wie es von der Romantik künstlerisch vorbereitet und von Freud und der Psychoanalyse dann systematisiert wird? Auch wenn die Philosophie viel selbstkritischer und vernunftkritischer geworden ist: Gibt es eigentlich eine Philosophie bzw. eine philosophische Kontemplation des reinen Verhängnisses, des rein Verhängnisvollen – wenn nicht des Bösen –, so wie sie Schelling mit seiner Vorstellung vom dunklen Grund anstößt? Natürlich hat man das doch schon seit langem zumindest bei Schopenhauer und Nietzsche: Doch weder bei Schopenhauer, Nietzsche noch bei irgendwem anderen scheint man das Dämonische dieser Art von Qualitäten so anschaulich herausgearbeitet zu haben, wie bei Schelling. Schließlich ist aber die Philosophie Schellings bzw. sind seine späten philosophischen Untersuchungen vielleicht weniger depressiv im Hinblick auf die Möglichkeiten, die in der Vernunft liegen, als es die meiste Philosophie seit dem 20. Jahrhundert scheint. Kann die Schellingsche Philosophie vielmehr eine Ekstase der Vernunft anstoßen? Kann Schelling ein früher Prophet einer planetarischen Vernunft sein, die in der Anschauung des Absoluten besteht, damit aber eben auch eine Spannweite gewinnt, um eine mittlerweile sehr weit und breit gewordene empirische Welt zu bewältigen? Auch die akribischsten Schelling-Exegeten sind sich uneins, worin eigentlich die Wirkung Schellings besteht und seine dauerhaften Beiträge. Nehmen wir also an, dieser Wirkung könnte sich erst in Zukunft entfalten, wenn die Menschheit endlich zu einer vernünftigen Anschauung des Absoluten vorgedrungen ist, oder eben: zu einer absoluten Vernünftigkeit. Das wird sich sicher gut anfühlen. Aber der Reihe nach.

Soll das zu findende ein Weltsystem sein, so muss es 1) als Welt-system ein Prinzip haben, das sich selbst trägt, das in sich und durch sich selbst besteht, das sich selbst in jedem Teil des Ganzen reproduziert; 2) darf es nichts ausschließen (z.B. die Natur), nichts einseitig unterordnen oder gar unterdrücken; 3) muss es eine Methode der Entwicklung und des Fortschreitens haben, bei der man versichert sein kann, dass kein wesentliches Mittelglied übersprungen werden kann. (Stuttgarter Privatvorlesungen) Schelling will ein intern wie extern konsistentes philosophisches System vorlegen; das Ausgangsproblem, das sich mit Kant stellt, ist: Wenn das Subjekt, das Ich, das Objekt setzt; wie kommt dann das Subjekt objektiv in die Welt? Wie bedingen sich beide gegenseitig? Auch bei Schelling ist das Ich, das Denken, das Subjekt der Ausgangspunkt – allerdings ein Subjekt, das bar aller Subjektivität ist. Bei Schelling fällt, wenn er in den Urgrund blickt, Subjekt und Objekt zusammen. Und dieses Subjekt-Objekt ist das Absolute, das denkt. Erkennen und Sein ist dasselbe. Die notwendige und ewige, dem Absoluten selbst gleiche Form ist das absolute Erkennen. (Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie) Damit wird die Welt selbst zu einer Entität, die denkt, und die selbstreflexiv ist. Damit wiederum wird sie gleich mit Gott. Damit wird wiederum Schellings Philosophie pantheistisch, so wie die von Spinoza. Während Spinoza aber eben vom Sein ausgegangen ist, geht Schelling vom Denken aus. Damit wird Sein eine Art Entfaltung des Denkens. Da Denken und Sein aber sehr unterschiedliche Qualitäten sind, wie kommt es dazu? Man betrachte zunächst den einheitlichen Urgrund, das Subjekt-Objekt, das denkt, den brütenden Gott. Gleichsam insofern nichts anderes da ist, er die Totalität ist, das Absolute, bejaht sich dieser Gott. Ein solches, welches sich selbst absolut affirmiert, und also von sich selbst das Affirmierte ist, ist nur das Absolute oder Gott … Gott ist die absolute Affirmation von sich selbst, dies ist die einzig wahre Idee Gottes… (System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere) Man könnte meinen, in dieser und durch diese freudige Affirmation seiner selbst, wird Gott dazu veranlasst, die Formen der Welt zu schaffen, die Schöpfung einzuleiten. Schelling spricht von überschießenden Kräften und Potenzen, die in der Natur selbst liegen, die Formen schaffen, oder er spricht von einer „Kraft“, die sozusagen irgendwas raushaut, und einer „Beschränkung“ dieser Kraft, die dieses roh Geschaffenen sinnvoll in eine Form bringt. Schelling geht auf jeden Fall über eine mechanistische Sichtweise der Welt und der Natur, die bis dahin – ausgehend von Descartes – in der Philosophie durchaus vorherrschend war, hinaus und sieht die Natur selbst als produktive Kraft. Er kommt in die Nähe dessen, was heute als „Gaia“-Hypothese die Welt bzw. den Planeten Erde als eine Art Lebewesen ansieht, oder zumindest als ein einziges, sich selbst regulierendes komplexes System. Damit entfernt sich Schelling aber auch gleichsam wieder mit dem, was heute wissenschaftlicher Standard ist, und er selbst hat das Problem, zu erklären, woher diese produktiven Kräfte denn kommen, wie sie wirken – und warum sie wirken: Könnte sich Gott in seiner ursprünglichen „absoluten Affirmation“ selbst genug sein. Tatsächlich: Gott erkennt sich selbst. Nun ist aber nach §7 Gott selbst nichts anderes als die unendliche Affirmation, also auch das unendliche Erkennen von sich selbst. Gott erkennt sich selbst, heißt daher: Gott erkennt sich selbst auf unendliche Art als das Erkennende von sich selbst und als das Erkannte. Er ist also als das eine und als das andere gleich unendlich, gleich absolut … Aller Regressus ins Unendliche hört hier auf. (ebenda) In dem Zusammenhang bringt Schelling einen anderen Erklärungsversuch ins Spiel, warum es die Schöpfung überhaupt gibt. Die Schöpfung ist ein „Abfall“ von Gott. Um sich selbst zu erkennen und zu affirmieren, müsse das Absolute ein Bild von sich schaffen, in dem und über das es sich selbst erkennt. Dieses Bild vom Absoluten ist ebenfalls ein Absolutes. In seiner Freiheit und Selbstständigkeit macht es sich aber autonom und fällt ab von Gott – wird also Schöpfung, wird also Welt. Natürlich ist auch diese Erklärung irgendwie unbefriedigend. Ausgehend von der ursprünglichen, selbstaffirmativen Einheit des Subjekt-Objekt im Absoluten entwickelt Schelling schließlich eine „Identitätsphilosophie“, innerhalb derer im Absoluten alle Formen und Gegensätze in eins fallen: Subjekt und Objekt, Freiheit und Notwendigkeit, Realität und Idealität usw. (Das All) enthält alle (Formen), aber als absolute, unteilbare Einheit, als schlechthin einfache Position, und es enthält sie nicht, eben deshalb, weil es sie nur als Einheit, alle absolut aufgelöst enthält. (ebenda) Diese absolute Einheit von allen ist das All, Gott, Absolutes aus einer bestimmten Sichtweise heraus. Aus einem anderen Blickwinkel erscheint sie als mannigfache, differenzierte Schöpfung. Schelling benutzt immer wieder die Metapher (?) vom Sehen: Gott sieht sich selbst, in sich selbst, durch sich selbst durch, so wie er eben der sich selbst durchdringende Verstand, das absolute Denken ist. „Sehen“ tut man aber nicht als immaterielle Instanz durch sich selbst hindurch, sondern mit einem Auge, das eine Wahrnehmung außerhalb seiner selbst wahrnimmt. Ebenso ist es mit dem Denken. Sowohl Sehen und Denken sind gerichtet – aber wie soll ein solches absolutes Sehen und Denken „in sich selbst“ gerichtet sein? Schelling kann also kaum erklären, wie ein solches absolutes „Sehen“ und „Denken“ vor sich gehen soll. Warum ein solch selbstgenügsamer Urzustand eine Schöpfung produzieren sollte – und wie, mit welchen Mitteln – kann er auch nicht erklären. Er rechnet es einer Kontingenz zu: Als etwas, das vom Absoluten angestoßen wurde, mehr oder weniger zufällig, für das aber keine eigentliche Notwendigkeit besteht. Schließlich wird Schelling von einer Geteiltheit des Urgrundes selbst ausgehen, einer Art Konflikt, der die Schöpfung anstößt; der Urgrund ist nicht mehr identisch mit sich selbst, sondern beinhaltet selbst, nebst seiner Vernunft, ein „dunkles“, unergründliches Prinzip. Dazu später. Außerdem besteht Schellings philosophisches System eigentlich aus zwei Philosophien: der Naturphilosophie, die die Entwicklung der Welt bis zum bewussten Ich nachzeichnet, und die Transzendentalphilosophie, die erklärt, wie das Ich zur Erkenntnis der Welt gelangt. Beide sollten sich gegenseitig ergänzen. Tatsächlich aber stehen sie auch isoliert voneinander. Die Naturphilosophie ist eigentlich materialistisch. Schon Friedrich Engels hat als junger Hörer von Schelling ruminiert, dass die Schellingsche Philosophie eigentlich keine strikt idealistische mehr ist, sondern in den Materialismus münden müsse. Umso mehr, indem Schelling nicht erklären kann, wie durch eine „denkende“ Natur ebendiese hervorgehen würde: Die Kräfte, die das möglich machen, kann er ja trotzdem nicht benennen. Es könnten daher genauso gut auch materialistische Kräfte sein, also Kräfte, die in der Materie selbst liegen, oder in der Wechselwirkung von Materie entstehen oder aber diese Wechselwirkung ermöglichen. Das eine scheint die Vernunft, das andere scheint die Welt, und genau die philosophischen Kniffe und Kunststücke des Deutschen Idealismus scheinen diese Getrenntheit voneinander zu bestätigen. Wie verhält sich nun aber die Philosophie Schellings mit dem anderen großen System, in dem die Vernunft zur Welt kommt: dem Hegelschen?

Schelling war der Jüngste im Triumvirat Hölderlin – Hegel – Schelling, im Tübinger Stift. Er hat sich zunächst auch als der hoffnungsvollste Überflieger erwiesen. Ein Zwanzigjähriger als Star am philosophischen Himmel ist selbst historisch eine geradezu einmalige Erscheinung. Schelling publizierte viel und arbeitete an der Verfeinerung seines Systems. 1807 aber legte der bis dahin nicht so produktive Hegel nicht nur ein gewaltiges, einschüchterndes Werk, sondern scheinbar auch ein besseres System vor: das des dialektischen Vernunft- und Weltprozesses der Phänomenologie des Geistes. Schelling hingegen hörte ein paar Jahre darauf auf, zu publizieren (auch wenn er nach wie vor sehr viel schrieb, aber nichts mehr zur Veröffentlichung brachte). Mit seinem Hauptwerk Wissenschaft der Logik legte Hegel auch eine Logik vor, was Schelling nie tat. So vielseitig Schelling intellektuell auch war, erschien Hegel als der enzyklopädischere Denker und der universalere Geist. Somit wurde Hegel also zur Koryphäe und zum charismatischsten Denker seiner Zeit. Schelling sollte Hegel allerdings um mehr als zwei Jahrzehnte überleben. In den 1840er Jahren, also über zehn Jahre nach Hegels Tod, betrat Schelling mit seinen Berliner Vorlesungen über seine Spätphilosophie, der Philosophie der Offenbarung, noch einmal die Bühne. Triumphal, wie es zunächst schien: Leute wie Kierkegaard, Bakunin, Engels, Ruge und viele andere, die später Geister in ihrem eigenen Recht wurden, oder gar intellektuelle Welterschütterer, strömten in seine Vorlesung. Und waren anfänglich annähernd religiös verzückt davon. Schnell allerdings nahm die Begeisterung bei den meisten ab und die meisten verließen schließlich die Vorlesung. Kierkegaard reiste enttäuscht zurück nach Kopenhagen. Viele warfen Schelling Ideenklau bei Hegel vor (ungeachtet dessen, dass Hegel, Hölderlin und Schelling ihre Gedanken ja ursprünglich gemeinsam entwickelt haben und im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus noch zu Tübinger Zeit zu skizzieren versuchten). Schelling gestand in seinen späten Ausführungen Hegel zu, dass dieser tatsächlich das umfassende und gleichsam letztgültige System entworfen habe – allerdings des reinen Denkens, und nicht der realen Prozesse in der Welt. Um nichts Wirkliches kann es dieser Philosophie (von Hegel Anm.) zu tun sein, sondern um den eingeborenen absoluten Inhalt der Vernunft (…) Die Logik macht keinen Anspruch darauf, in sich etwas Wirkliches zu enthalten. Sie will bloß subjektives Denken sein. Das Denken ist mit sich allein, so dass es nicht einmal die Welt, sondern nur sich selbst zum Inhalt hat. Der Reichtum der konkreten Welt, sagt Hegel, ist noch außer ihm. (Philosophie der Offenbarung) Schellings Spätphilosophie hingegen soll eine sein, die das totale Sein umfasst. Der Hegelschen Weltsicht wird immer wieder vorgeworfen, dass sie gleichsam teleologisch – wenn nicht gleichsam mechanistisch – ist, und eine bestimmte Entwicklungslinie vorzeichne (oder versuche, den tatsächlichen Weltprozess unter ein bestimmtes Diktat – das der Hegelschen, Hegel zugänglichen Vernunft – zu subsumieren). Wie entscheidend stellt sich in der realen Welt doch aber auch immer der Zufall heraus! Der den gewichtigsten Dingen eine plötzliche Wendung zu geben vermag und entweder für glückliche Fügungen sorgen mag oder für namenloses Unheil. Schelling baut den Zufall in seine Philosophie ein (wie es ein philosophisches oder ein Vernunftsystem vor ihm noch selten getan hat). Ich habe mich bemüht, das Zufällige in der Natur des ersten Existierens darzutun; denn allein auf diesem Zufälligen beruht die Möglichkeit eines Fortschritts, den das starre Sein versagt. Mit dieser Zufälligkeit ist die Möglichkeit einer jenes unvordenkliche Sein aufhebenden Potenz gesetzt. (ebenda) Hegel will das Sein anreichern, Schelling auch. Während Hegel allerdings auf einen dialektischen Prozess setzt, drängt es Schelling gleichsam zu einer eruptiven, vulkanischen Freisetzung von Potenzialen. Es verlangt dies das höchste Gesetz alles Seins, welches will, dass nichts unversucht, Alles offen, klar und entschieden sei. (ebenda) Er entwickelt eine „negative Philosophie“ bzw. eine Philosophie nicht mehr des Seins, sondern des Seinkönnens. Hier kehren sich die Begriffe um; das blinde Sein zeigt sich nunmehr als das Impotente, Negative, das Seinkönnende, dem jenes Sein vorausging, als das Positive. In diesem Seinkönnen ist die Stärke Gottes … Damit fängt seine Gottheit an. In seinem Seinkönnen ist er schon das Überseiende, schon Gott. Das principium divinitatis ist das Seinkönnen. Ein Wesen, das in seinem Ursein, worin es von selbst ist, beharren müsste, könnte nur starr und unbeweglich, tot und unfrei sein. Selbst der Mensch muss von seinem Sein sich losreißen, um ein freies Sein anzufangen. Je höher die Macht dieser Selbstentschlagung und Entäußerung … desto produktiver, unabhängiger, göttlicher erscheint der Mensch. Sich von sich selbst zu befreien, ist die Aufgabe aller Bildung. Die Menschen, welche nicht von sich hinwegkommen, bleiben unvermögend. (ebenda) Das hört sich gut an – allerdings auch sehr rauschhaft. Auch wenn es Sinn macht, dem philosophischen Wirklichkeitssinn auch einen poetischen Möglichkeitssinn hinzuzutun, um das Sein tiefer zu erfassen, stellt sich die Frage, was ein orgiastisch gewordener Möglichkeitssinn eigentlich produzieren sollte. Was hat das dann eben noch mit der Wirklichkeit zu tun, um die es ja eigentlich geht? Wenn man so will, hat das Leben Aspekte von einem Traum, aber es ist kein Traum. Was sollte also der Wirkungskreis einer „Philosophie des Seinkönnens“ sein? (Freilich könnte man Schelling als philosophischen Propheten des Multiversums ansehen, einer zeitgenössischen Weltanschauung in der Physik, die auf einer bestimmten (nicht notwendigerweise korrekten) Interpretation der Quantenmechanik beruht.) Hegel wiederum hat sich zu Lebzeiten despektierlich über die Schellingsche Identitätsphilosophie geäußert. Dessen selbstidentisches Absolutes sei eine Nacht … worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind. Hegel hingegen war ja der Denker des dialektischen Scheidens und Differenzierens – bei dem beginne eigentlich die Welt. Schelling wird für Hegel zu gar keinem eigentlichen Denker mehr, er erkennt bei Schelling nur mehr roheste Empirie (und) Formalismus von Stoffen und Polen, verbrämt mit vernunftlosen Analogien und besoffenen Gedankenblitzen. Zwar ist nicht alle Welt dialektisch. Aber die Dialektik ist ein probates Verfahren, um Wahrheiten herauszufinden und -filtern, sich der Wahrheit anzunähern, ein stufenweises, progressives Verfahren. Schelling kann kein eigentlich progressives Verfahren angeben, auf dem die Entwicklung der Dinge doch beruhen muss. Opposition und Kampf gibt es tatsächlich in der Welt. Und für dergleichen ist die Dialektik eine angemessenere Methode, sie zu fassen. Schellings Welt erscheint zwar friedlicher und weniger totalitär als die Hegels, weil es in ihr keine dialektische Opposition gibt (deswegen hat sie auch immer wieder ihre Konjunkturen). Aber sie erscheint auch chaotischer, formloser und richtungsloser – und auch das kann feindselig sein. Schelling gilt als Vordenker der (nicht unbedingt dialektischen) Selbstorganisationsprozesse. In der Natur gibt es viele Selbstorganisationsprozesse – die aber sind sehr verschieden voneinander und gehorchen keinem einheitlichen Muster. Und offenbar auch keiner, ihnen inhärenten Intelligenz. Sie benötigen auch kein Absolutes, aus dem sie stammen, sondern vielmehr konkrete endliche Settings mit bestimmten Parametern: Und wenn diese nicht vorhanden sind, kommen diese Selbstorganisationsprozesse nicht in Gang. Bei Schelling wird, im Gegensatz zu Hegel und seiner Dialektik, versucht, das Besondere im Allgemeinen zu erblicken und so zu Bestimmungen zu geraten, deswegen werden bei ihm im Absoluten auch ideelle Bestimmungen (Urbilder, Ideen) konstruiert, als Ermöglichungsgrund von Einzeldingen. Er ist damit ein Platoniker. Wie Platon kann Schelling aber nicht erklären, was die Urbilder und Ideen eigentlich tatsächlich sind und woher sie kommen. Er geht auch in seiner Kunstphilosophie aus, dass wahre Kunst und ihr Agent, das Genie, eben diese Urbilder der Dinge darzustellen vermögen. Das Absolute ist bei Schelling nichts, was tatsächlich gedacht werden kann. Es ermöglicht sich nur eine Anschauung des Absoluten: in der (genialen) Kunst. Bei Hegel hingegen hat man kein Absolutes am Anfang – sondern es steht am Ende eines Selbstdurchdringungsprozesses der Vernunft, die sich, absoluter Geist geworden, selbst endlich durchleuchtet und ausleuchtet. Also so ähnlich, wie Schelling meint, dass Gott und das Absolute sich selbst anschauen und durch sich selbst durchsehen würden. Was eben eine unglückliche Analogie erscheint. Denn woher soll diese Fähigkeit kommen? Eine Selbstdurchdringung des Geistes und dessen Mimesis gegenüber dem Absoluten, wie Hegel es vorschlägt: Das hingegen sollte schon möglich sein.

Das Absolute ist Gegenstand großer Begehrlichkeiten. Jeder will, in diesem relativen Leben, zum Absoluten. Jene ewigen Urbilder aber der Dinge sind gleichsam die unmittelbaren Kinder und Söhne Gottes, daher auch in einer heiligen Schrift gesagt wird, dass die Kreatur sich sehne und verlange nach der Herrlichkeit der Kinder Gottes, welche die Vortrefflichkeit jener ewigen Urbilder ist. (Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge) Dabei ist das Absolute kein Gegenstand, der klar ist. Er scheint vielleicht überhaupt nur eine sprachliche Fiktion zu sein. Er scheint etwas zu bezeichnen, was sowieso zu abgehoben ist, als dass man es erreichen könnte oder verstehen. Vielleicht ist das Absolute nur das Transzendental zum ewigen Mehr-Habenwollen des Menschen. Im Deutschen Idealismus ergibt sich die Forderung nach der Anschauung des Absoluten aus der zentralen Setzung des Subjekts und seiner Anschauungsformen. Was aber ist dann die gegenständliche Welt, bzw. was ist das Subjekt in der gegenständlichen Welt? Die Totalität des Subjekts und der Außenwelt ist also das Absolute. Die Grundauffassung dieser Denker (des deutschen Idealismus) lässt sich in angemessener Entsprechung in folgender Bestimmung ausdrücken: Philosophie ist die intellektuelle Anschauung des Absoluten, schreibt Heidegger in seiner Abhandlung zu Schelling. Die absolute, totale Erkenntnis der Wirklichkeit war natürlich immer Ziel der Philosophie. In der platonischen Tradition sind es die „Ideen“, die die Transzendentalien der Wirklichkeit sind, in denen sich die schattenhaft und konfus erscheinende Wirklichkeit in Reinform darstellt. Das Reich der Ideen wäre da also wohl das Absolute. In der Religion ist es Gott; in der Mystik ist das Absolute, das der Mensch erreichen kann, die unio mystica mit Gott. Im Buddhismus liegt das Absolute in der Erkenntnis, dass Nirwana und Samsara nicht voneinander geschieden sind (wobei das Absolute hier weniger in diesem Sachverhalt besteht, sondern in der Erkenntnis dessen. Und diese Erkenntnis ist eine triviale, wie absolut raffinierte zugleich). Das Absolute bedeutet lateinisch „das Losgelöste“. Also etwas, welches von allen Bedingungen unabhängig ist. Das kann dann auch bedeuten: Das, wovon alles abhängig ist (das aber selbst von nichts abhängt). Absolut kann bedeuten: das Nicht-Kontingente, das sein muss. Unter „absolut“ versteht man auch das vollständige Vorhandensein einer Qualität, in einem Maße, das es nicht mehr überschreitbar ist (also „Vollendung“). „Absolut gültig“ bedeutet, dass etwas jenseits aller Verhandlung und Verhandlungsmächtigkeit gültig ist (außer vielleicht der eines divinatorischen Absoluten). Wenn man den Begriff des Absoluten sehr ernst nimmt, weiß man nicht, ob man jeweils etwas tatsächlich Absolutes in der Welt gesehen hat, oder ob es immer nur sprachliche Annäherungen sind. Freilich konnotiert der Begriff des Absoluten ja auch, dass es nicht innerhalb der Welt zu finden sei, sondern wohl eher außerhalb (oder innerhalb dieser Welt, dem profanen Blick aber trotzdem verborgen). Dieses Außerhalb kann sich innerhalb der Welt eventuell durch seine Zeichen mitteilen. Aber das Problem ist, dass wir von einem solchen Außerhalb nur ein bestenfalls relatives Wissen haben können, absolut bleibt es für uns unzugänglich. Absolut würde auch bedeuten: die letzte Erkenntnis der Welt. Aber man kann nie wissen, wann man tatsächlich endlich bei so was angelangt ist. Das sind also die Verwirrungen, die das Absolute mit sich bringt. Dennoch liegen im Erreichen oder sich Annähern an das Absolute unsere unschuldigen Hoffnungen. Mit dem Absoluten verbindet man wohl „die sinnvolle Verbindung vom allem“. Die ungeheure Spannkraft des religiösen Existenzialismus von Kierkegaard rührt daher, dass er das Individuum gleichsam am Absoluten aufspannt, und nicht am „Nichts“, so wie es der profane Existenzialismus á la Sartre tut. Damit stellt sich auch die Frage, ob man das Absolute überhaupt bewältigen kann. Vielleicht ist das Absolute ja nichts Großartiges aber Neutrales, sondern etwas, das strenge Forderungen erhebt. Mein persönliches Streben geht hin auf die möglichst vollständige und objektiv richtige Erkenntnis der Welt. Die verlangt einerseits nach sorgfältiger Analyse, wie aber auch nach dem Verstehen von zunehmend komplexeren Zusammenhängen und deren intellektueller Analyse und Integration in eine Art zusammenhängender Weltanschauung (die jedoch möglichst dynamisch bleiben sollte). Wenn man so will, verlangt es nach einer Transzendenz und Öffnung des Intellekts: Denn mit dem Alltagsverstand (auch mit dem wissenschaftlichen Alltagsverstand) lassen sich die entsprechenden Herausforderungen zunehmend nicht mehr bewältigen. Glücklich aber ist der Geist, der zu einem solchen Wachstum, zu einer solchen Transzendenz fähig ist. Nimm an, dein Glück ist wirklich sehr groß (oder aber vielleicht auch deine Illusion und Täuschung): Und du gelangst schließlich beim Transzendentalen an, dem Letztgültigen, was keine Transzendenz mehr überschreiten kann. Dann siehst du, sozusagen, das absolut Gültige: in der Tiefe. Wenn du jetzt gleichsam in die Breite gehst, siehst du zunehmend auch die virtuelle Totalität aller Gegenstände und Verhältnisse (natürlich nicht die tatsächliche Totalität aller Gegenstände, denn die ist ja – und das wahrscheinlich für jede vernünftige Instanz in der Welt – überabzählbar). Die virtuelle Totalität aller Gegenstände, die sich vor dir aufbaut, gleicht dann dem Absoluten. Wenn der Geist auf einer solchen Ebene denkt, wird er mit dem relativen, zerstückelten, partiellen Verstand, als welcher ihm der Alltagsverstand erscheinen muss, nicht mehr viel gemein haben. Nehmen wir an, der Geist hat auf einem solchen Niveau und in einer solchen Menge nicht allein Gegenstände angedacht, sondern durchdacht, sich poetisch an sie angenähert und sie poetisch intellektuell vernichtet und wieder neu geschaffen: Was wird ein solcher Geist dann tatsächlich mit anderem Geist noch gemein haben? Ein solcher Geist wird dann ein virtuell absoluter Geist sein, der eine solche Menge an Gegenständen betrachtet – und sie in der Betrachtung umschafft –, dass er sich gleichsam abnabeln wird vom Geist, der allgemein vorhanden ist, und von den ständigen Streitereien, die die relativen Geister anzetteln. Zu diesen relativen Geistern verglichen wird es ein absoluter Geist sein. Ein absoluter Geist, ein absoluter Geist! Alles betrachtend, und alles ständig frisch betrachtend und umbetrachtend, wird er in einem Zustand der permanenten Erleuchtung leben. Denn jener König und Vater aller Dinge lebt in ewiger Seligkeit außer allem Widerstreit, sicher unerreichbar in seiner Einheit, wie in einer unzugänglichen Burg. (Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge) Es kann freilich sein, dass ein solcher absoluter Geist – ein zum Absoluten mimetisch sich verhaltender Geist, ein virtuell absoluter Geist (denn anders kann er nicht sein) – viel zu selten erreicht wird und daher wirkungslos bleibt. Die Menschen mögen das Absolute. Aber in Wahrheit ist ihnen doch das Relative, und ihr Eigensinn, der nach nichts anderem strebt, als nach sich selbst, viel lieber. In seiner berühmtesten (und verstörendsten) Abhandlung, der über das Wesen der menschlichen Freiheit, hat Schelling darüber nachgedacht.

Schelling behauptet nicht, dass das Absolute dem Denken tatsächlich zugänglich wäre. Der Mensch kann sich aber eine Anschauung vom Absoluten bilden: über die Kunst! Das Endliche nur aufgelöst im Unendlichen zu sehen, ist der Geist der Wissenschaft in ihrer Absonderung: das Unendliche in der ganzen Begreiflichkeit des Endlichen in diesem zu schauen ist der Geist der Kunst. (Aphorismen über die Naturphilosophie) Was ist das Unendliche, im Endlichen ausgedrückt? Wahrscheinlich das vollkommene Sein. Was ist die Anschauung vom vollkommenen Sein? Das ist wohl die Schönheit. Wie sollte aber etwas außer dem Wahren wirklich sein können, und was ist Schönheit, wenn sie nicht das volle mangellose Sein ist? Welche höhere Absicht könnte demnach auch die Kunst haben, als das in der Natur in der Tat Seiende darzustellen? oder wie sich vornehmen, die sogenannte wirkliche Natur zu übertreffen, da sie doch stets unter dieser zurückbleiben müsste? (Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur) Wahrheit ist, wenn etwas zur Deckung kommt mit dem, wie es sein muss; Schönheit, wenn etwas zur Deckung kommt, so wie man es ästhetisch gerne hätte. Wahrheit und Schönheit bezeichnen also eine Annäherung an das Maximale, an das Ideal, an das Absolute. Wie für die Philosophie das Absolute das Urbild der Wahrheit – so für die Kunst das Urbild der Schönheit. (Philosophie der Kunst) Im System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere haut Schelling die Schlussfolgerungen nur so raus: §321. Die absolute Identität des Unendlichen mit dem Endlichen, objektiv und gegenwärtig angeschaut, ist Schönheit. §322. Absolute Wahrheit und absolute Schönheit sind eins und dasselbe. §323. Die höchste Schönheit wird angeschaut in der Idee Gottes. Denn in Gott sind alle Dinge auf eine ewige Weise, oder in Gott sind nur die ewigen Begriffe aller Dinge … Die Urbilder aller Schönheit sind daher in Gott, und die objektive Schönheit selbst wird angeschaut in der Idee Gottes. §324. Die höchste Seligkeit aller Menschen liegt in der intellektuellen Anschauung der ursprünglichen Schönheit. Aus irgendeinem Grund geht Schelling davon aus, dass es, wie schon Platon vermutet hat, Urbilder und Ideen gäbe, die im göttlichen Absoluten schlummern, und von denen wir nur unvollkommene Abbilder wahrnehmen können. Die große und wahre Kunst jedoch schafft es, zu diesen Urbildern vorzudringen, und die reale Welt über diese Urbilder auszudrücken. Auch die Kunst schaut das Urschöne nur in Ideen als besonderen Formen an, deren jede aber für sich göttlich und absolut ist, und anstatt dass die Philosophie die Ideen wie sich an sich sind, anschaut, schaut sie die Kunst real an. (Philosophie der Kunst) Damit enthebt die Kunst die durch sie dargestellten Gegenstände ihrer Zeitlichkeit und ihrer Kontingenz und stellt sie auf eine Weise dar, dass sie überzeitliche Bedeutung und Sinn erlangen – das Kunstwerk erlangt dadurch ebenfalls Ewigkeitswert. Die Kunst, indem sie das Wesen in jenem Augenblick darstellt, hebt es aus der Zeit heraus; sie lässt es in seinem reinen Sein, in der Ewigkeit seines Lebens erscheinen. (Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur) Wenn wir das Überdauernde anschauen, fragen wir uns nicht mehr nach der Stellung des Menschen in der Welt: Sondern nach seiner Stellung im Universum. Jede echte Kunst will zum dermaßen Universalen und zu der Antwort auf die Frage nach seiner Bedeutung im Universum gelangen. Die Kunst konstruieren heißt, ihre Stellung im Universum bestimmen. Die Bestimmung dieser Stelle ist die einzige Erklärung, die es von ihr gibt. (Philosophie der Kunst) Das Universum ist die Gesamtheit der Dinge, und der Gesetze, nach denen sich die Dinge anordnen. Es ist damit eine Vorstufe zum Absoluten, oder das notwendige Material, um sich eine Vorstellung vom Absoluten zu bilden. Durch die Frage nach der Stellung von etwas zum oder im Universum aber stellen wir gleichsam die Frage nach dem Absoluten. Und darum geht es Schelling ja: Kunst als Ausdruck des Absoluten und Kunst als absolutes Verhältnis zum Absoluten. Jetzt könnte man meinen: Urbilder und Ideen sind aber etwas Statisches. Eine sehr klassische Kunst, könnte man vermuten, würde ein so statisches, statuarisches Ideal anvisieren. Kunst aber soll eben eine Anschauung der realen Welt bieten, und die reale Welt ist etwas hoch Dynamisches, was sich in zahlreichen, annähernd unendlichen, überabzählbaren subjektiven Formen manifestiert. Dementsprechend ist je gerade die Subjektivität und deren Dynamik Gegenstand der Kunst. Die Darstellung der wilden Subjektivität, bzw. die enthemmte Subjektivität in der künstlerischen Darstellung, ist dann der romantische Pol der Kunst. Und, trotz seiner scheinbar statuarisch-idealen Auffassung von Kunst war Schelling ein bestimmender Philosoph für die Romantik seiner Zeit. Was ist die Wahrheit von Kunst? Die Kunst wirkt ja umso wahrer, je subjektiver der Ausdruck ist und je besser der Ausdruck eines Individuums gelingt (so würden zumindest wir das heute sehen: für die Kunst aller Zeiten und Kulturen gilt das so nicht notwendigerweise). Seine (unverwechselbare) Subjektivität ist ja die höchste Wahrheit des Menschen. So stellt sich die Frage: Was ist das Urbild der Subjektivität, durch welche Idee wird die Subjektivität zu einer überzeitlichen Bedeutung erhoben? Durch ihre Schönheit nicht, die ist zwar individuell, aber auch objektiv bestimmt. Vor allen Dingen eben bedeutet Schönheit mangelloses, makelloses, vollkommenes Sein. Subjektivität ist in aller Regel aber eben nicht vollkommen. Sagen wir, das Ideal der Subjektivität liegt in der Anmut. Während Schönheit stark nach objektiven Kriterien funktioniert bzw. auf solche ausgerichtet ist, bleibt Anmut individuell, magisch und geheimnisvoll. Anmut ist damit das Magische, das in der Subjektivität liegt, und es ist die ultimative Würde der Subjektivität. Schelling bringt Anmut mit dem Seelenvollen in Verbindung: Leib ist die Form, Anmut ist die Seele, obgleich nicht Seele an sich, sondern die Seele der Form, oder die Naturseele. (Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur) Anmut ist das ideale Urbild der Subjektivität in der ästhetischen Anschauung, Seele ist die ideale Erhöhung der Subjektivität in ihrer mannigfachen Substanz, könnte man sagen. Die Seele ist also im Menschen nicht das Prinzip der Individualität, sondern das, wodurch er sich über alle Selbstheit erhebt, wodurch er der Aufopferung seiner selbst, uneigennütziger Liebe, und, was das Höchste ist, der Betrachtung und Erkenntnis des Wesens der Dinge, eben damit der Kunst fähig wird. Sie ist nicht mehr mit der Materie beschäftigt, noch verkehrt sie unmittelbar mit ihr, sondern nur mit dem Geist, als dem Leben der Dinge. (ebenda) So gesehen, ist die Seele – als Trägerin der Subjektivität und ihrer Wertigkeit –  eben ewig. Und wohnen tut die Seele bekanntlich bei Gott, im Absoluten. Es ist also Gott, inwiefern er sich durch eine Idee oder einen ewigen Begriff auf den Menschen bezieht, d.h. es ist der ewige Begriff des Menschen selbst, der in Gott ist, wodurch das Kunstwerk hervorgebracht wird. Die Idee des Menschen ist aber nichts anderes als das Wesen oder das An-sich des Menschen selbst, welches in der Seele und im Leib objektiv wird, und demnach der Seele unmittelbar vereinigt ist. (Philosophie der Kunst) Damit ist man also wieder beim Starren, beim Unveränderlichen, beim Ewigen angelangt. Wer aber schafft es, dieses Ewige und Unveränderliche und das Flüchtige, flatterhaft Subjektive und sein Entstehen und Vergehen in beengter Zeit so zusammenzudenken oder zu einer Anschauung zu bringen, dass beide zur Deckung kommen? Diese Instanz ist laut Schelling das Genie. Das Genie ist bei Schelling recht mysteriös; oder weniger mysteriös als gleichsam anonym und unpersönlich (warum auch nicht: sieht es ja schließlich das Objektive und Ewige. Das Höchste in allen Werken auch der Kunst und Wissenschaft entsteht eben dadurch, dass das Unpersönliche in ihnen wirkt. (Stuttgarter Privatvorlesungen)) Bei Schelling wird das Genie gleichsam zu einer Kraft der Natur selbst, einem Agenten des Absoluten, indem es die Urbilder schaut und sein Werk gleichsam aus einer Notwendigkeit daraus ableitet. Das Genie unterscheidet sich von allem, was bloß Talent, dadurch, dass dieses eine bloß empirische Notwendigkeit, die selbst wieder Zufälligkeit ist, hat, jenes absolute Notwendigkeit. Jedes wahre Kunstwerk ist ein absolut notwendiges, ein solches, das gleichermaßen sein und nicht sein konnte, verdient diesen Namen nicht … Für das Genie gibt es keine Wahl, weil es nur das Notwendige kennt und nur dieses will. (Philosophie der Kunst) Auf der anderen Seite kann das Genie gar nicht unpersönlich sein, stellt es doch die höchste Subjektivität dar, und die höchste Kompetenz, Subjektivität auszudrücken. Abgesehen davon ist Schellings Auffassung vom Genie eben reichlich mythisch. Was aber steckt hinter dem Genie tatsächlich? Das Genie funktioniert aus einer Begeisterung heraus. Die Kunst entspringt nur der lebhaftesten Bewegung der innersten Gemüts- und Geisteskräfte, die wir Begeisterung nennen. Alles, was von schweren und kleinen Anfängen zu großer Macht und Höhe herangewachsen, ist durch Begeisterung groß geworden. (Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur) Begeistert ist man gemeinhin von einer Sache, von der man meint, dass sie besonderen Wert und Dauer hat: Also einen objektiven Aspekt und einen Ewigkeitsaspekt. Das Genie lebt nun in einem Zustand ständiger Begeisterung, weil es alles unter diesem objektiven und Ewigkeitsaspekt sieht. Das Genie ist so auffällig subjektiv, weil es seine subjektiven Regungen mit dermaßen objektiver – außer ihm unmittelbar liegender – Bedeutung anreichert und seine Gedanken auf eine derartige Abstraktionsebene bringt, dass seine subjektiven Ausdrücke objektiv bedeutsam werden. Das ist deswegen so, weil das Genie unmittelbar so denkt und so empfindet. In ihm ist das Subjektive und das Objektive immer schon urwüchsig miteinander verbunden. Vielleicht wird man irgendwann einmal irgendwelche Hirnareale bzw. Verdrahtungsmuster im Gehirn ausfindig machen, die für eine solche Art zu denken und zu empfinden verantwortlich sind. Wahrscheinlich wird das alles nicht mysteriös sein. Mysteriös ist nur, warum ein solches Denken und Empfinden unter Menschen so selten ist. Eine weitere Bewegung, die das Genie vollzieht, ist dass es gleichzeitig rational wie auch scheinbar irrational denkt (in Wirklichkeit denkt es meta-rational). Deswegen meint man dann auch: Das Genie arbeitet mit dem Unbewussten, oder hat einen privilegierten Zugang zum Unbewussten. Tatsächlich war Schelling derjenige, der die Philosophie für das (sogenannte) Unbewusste geöffnet hat.

Schellings vielleicht bekannteste Arbeit ist die Philosophische Untersuchung über das Wesen der menschlichen Freiheit. Es ist eine ein wenig beklemmende, eigentlich sogar ziemlich verstörende Arbeit. Obwohl sie innerlich klar ist, scheint sie dunkel und wirft Schatten. Sie scheint mehr zu sein als sie selbst, mehr zu implizieren als sich selbst, eine virtuelle Ewigkeit und Unendlichkeit. So sollen große Werke und Texte der Metaphysik ja auch sein (und mein Problem mit Schelling ist, dass ich dieses Charisma im Wesentlichen auch nur in seiner Freiheitsschrift aufleuchten sehen kann – ansonsten scheint mir seine Metaphysik, auch in ihrem Stil, einfallslos, wenig zwingend und platt. Vielleicht ist sie zu wenig akzentuiert? Oder sind mir die Gedanken zu schwach und zu willkürlich; außerdem wenig überzeugend und vor allem zu wenig originär? Was weiß ich. Vielleicht bin ich auch noch nicht reif genug für Schelling). Sie behandelt ultimativ das Verhältnis zwischen dem Absoluten und der (dazu relativen) Schöpfung: das zu formulieren Schelling stets erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat. Warum teilt sich das Absolute (oder was auch immer es dabei tut) in eine Schöpfung auf, wo es doch auch zufrieden in sich ruhen könnte? Warum, vor allem, ist die Schöpfung nicht perfekt? Warum gibt es das Böse, das Unvernünftige, das Ziellos-Triebhafte, das Unklare und Unbewusste in der Schöpfung? Das Problem der Theodizee, das noch niemand glaubhaft zu lösen vermochte. Schelling verneint, dass Unvernünftiges aus Vernünftigem entstanden sein könnte, und Böses aus Gutem, Dunkelheit aus Licht. Und wo kommt die Freiheit der Geschöpfe her, inklusive der Freiheit Gottes? Auch sie widerspricht an und für sich Idee der Zielgerichtetheit des Systems und der Vernunft (deswegen kann sich Spinozas pantheistischer Gott auch nur mit einer eisernen Notwendigkeit und aus einer solchen heraus entwickeln). All das – schlussfolgert Schelling endlich, und in einer Weise, in der es niemand vor ihm gewagt hat – könne nur dadurch entstanden und in die Welt gekommen sein, weil im göttlichen Urgrund selbst eine entsprechende Potenz vorhanden sei. Neben einer Vernunftnatur, neben einer Art Logos, und einer lichten Seite, hat der Urgrund selbst eine dunkle Seite, eine regellose Triebnatur, einen blinden Willen … und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden. Dieses ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt. Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinn der Verstand geboren. Ohne dieses vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Kreatur; Finsternis ist ihr notwendiges Erbteil. Gott allein – Er selbst der Existierende – wohnt im reinen Licht, denn er allein ist von sich selbst. (Philosophische Untersuchung über das Wesen der menschlichen Freiheit) Gott hat also eine Doppelnatur: eine lichte und eine dunkle Seite. Mit seiner lichten Seite, der des Logos, erhebt sich Gott aus dem differenzlosen Ungrund – nun die Bezeichnung für das Indifferente, das allem vorangeht. Im Ungrund sind die lichte und die dunkle Seite – oder auch, wenn man so will, Geist/Vernunft und Materie/Trieb – nicht voneinander geschieden. Das anfängliche Grundwesen kann nie an sich böse sein, da in ihm keine Zweiheit der Prinzipien ist und ohne Indifferenz, ohne einen Ungrund, gäbe es keine Zweiheit der Prinzipien. (ebenda) Die Dualität beginnt, wenn Gott seine lichte Seite entwickelt, in Form einer Schöpfung, die sich immer mehr vergeistigt. Denn trotz all ihrer Inspiriertheit ist die Schöpfung bzw. ihr Regelwerk vom Regellosen, vom Chaotischen und vom Verfall bedroht. Gleichzeitig kann man den dunklen Grund auch als Eigenwillen der Kreatur ansehen, ihrem Drang, sich zu individuieren und zu entfalten (weswegen Gott eben die Schöpfung anstößt: um sich zu entfalten. Denn auch Gott hat diesen Eigenwillen als dunklen Grund). Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommenen Einheit mit dem Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht fasst), bloße Sucht oder Begierde, d.h. blinder Wille ist. (ebenda) Bei Gott allerdings ist die lichte, die objektiv-konstruktive Seite und die Einsicht in deren Vernunft so stark, dass er – über dennoch dunklem Grund – in reinem Licht lebt. Das Problem des Menschen ist, dass seine Vernunft und Einsicht nicht der göttlichen gleicht. Deswegen ist der Mensch eigensinnig. Der Eigenwille und Eigensinn allein ist an und für sich nichts Böses. Auch Tiere haben einen Eigenwillen, sie sind aber nicht böse (dass sie aber zumindest offensichtlich, und mit Lust, boshaft sein können, weiß jeder, der Tiere hält). Aber das Tier ist kein geistiges Wesen und kann daher, anders als der Mensch, keine Einsicht in die lichte Vernunft, in die Vernünftigkeit des Universalwillens haben. Denn das lichte Prinzip hat nur im Sinn, alles seinem objektiven Sinn nach und zu einem objektiv richtigen Zweck zu ordnen und zu gebrauchen, während das dunkle Prinzip eben der Eigenwille, die Selbsterhaltung und -entfaltung ist. Gottes Willen ist, alles zu universalisieren, zur Einheit mit dem Licht zu erheben, oder darin zu erhalten; der Wille des Grundes aber, alles zu partikularisieren oder kreatürlich zu machen. Er will die Ungleichheit allein, damit die Gleichheit sich und ihm selbst empfindlich werde. (ebenda) Selbsterhaltung und -entfaltung ist nichts Böses – es sei denn, sie gehen übermäßig auf Kosten anderer, und verletzten damit den Universalwillen. Das Böse kommt nun in die Welt, wenn der Eigenwille übermächtig wird, und den Universalwillen ignoriert oder ihm sogar bewusst dem Krieg erklärt. Das ist dann eben eine bewusste Entscheidung über den Gebrauch des Eigenwillens, der Energie des dunklen Grundes, die der vernunftbegabte Mensch selbst trifft – in seiner Freiheit. Gerade indem der Mensch vergeistigter und freier als das Tier ist, hat er umso mehr die Wahl zum Bösen. Im Menschen ist die ganze Macht des finsteren Prinzips und in ebendemselben die ganze Kraft des Lichts (…) Dieser allgemeinen Notwendigkeit ohnerachtet bleibt das Böse immer die eigene Wahl des Menschen; das Böse, als solches, kann der Grund nicht machen, und jede Kreatur fällt durch ihre eigene Schuld. (ebenda) In seiner Freiheit hat der Mensch also die Fähigkeit, das Böse bewusst zu wählen. Wie bei keinem anderen Philosophen zuvor wird bei Schelling das Böse erstmals nicht zu einem negativen Schattenbild oder bleibt eine Art Wurmfortsatz: Sondern es wird zu einer positiven Qualität, einer bewussten Entscheidung, einer eigenen, durch sich selbst gespeisten Energie, die aus ihrer eigenen Quelle kommt, möglicherweise zu einer Leidenschaft. Aus einer Perversion des Eigenwillens kommt das Böse in die Welt. Durch den dunklen Grund aber kommt etwas Allgemeineres in die Welt als das Böse: das Negative, das Unzusammenhängende, das Trennende, das Schlechte. Der Verfall. Das Böse kommt durch eigene Entscheidung des Menschen in die Welt. Das göttliche Licht, der Universalwille, sollte ihn davon abhalten. Doch der dunkle Grund selbst garantiert nicht für eine solche Entscheidung. Der dunkle Grund ist indifferent dagegen, ob Vernunft und Moral in der Welt herrschen, oder nicht. Der dunkle Grund reißt Löcher in das Gewebe der Welt. O nicht jene Trümmer uralter menschlicher Herrlichkeit, wegen welcher der Neugierige die Wüsten Persiens und Indiens Einöden aufsucht, sind die eigentlichen Ruinen; die ganze Erde ist eine große Ruine, worin Tiere als Gespenster, Menschen als Geister hausen, und worin viele verborgene Kräfte und Schätze wie durch unsichtbare Mächte und wie durch den Bann eines Zauberers festgehalten sind. (Clara. Über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt) So könnte man aufheulen. Momente des Aufblitzens eines göttlichen Funkens sind rar, und selbst die Freiheit, aus der der Mensch das Gute oder das Böse erwählt, scheint eigentlich nur kurz und hin und wieder aus dem Dunkel zu treten (ansonsten sind es ja meistens Routinen, die das Handeln des Menschen bestimmen, und nicht die Freiheit). Auch zur Freiheit muss der Mensch erst erwachsen, auch sie erhebt sich in dieser Welt aus dem Dunkel der Notwendigkeit, und bricht nur mit ihrer letzten Erscheinung hervor als unerklärbar, göttlich, als ein Blitz der Ewigkeit, der die Finsternis dieser Welt zerteilt, aber auch in seiner Wirkung gleich wieder von ihr verschlungen wird. (ebenda) Ich rufe dir also zu aus Ruinen, Bruder – doch scheinen nicht Raum und Zeit selbst boshaft zu sein, ein dunkler Grund, die uns vom Vernünftigen, vom uns Wohltuenden trennen, zwischen uns Abgründe aufreißen? Verwandte Seelen werden hier durch Jahrhunderte oder durch weite Räume oder durch die Verwicklungen der Welt getrennt. Das Würdigste wird in eine unwürdige Umgebung gestellt, wie Gold mit schlechtem Kupfer oder Blei auf einer Lagerstätte bricht. Ein Herz voll Adel findet oft eine verwilderte und erniedrigte Welt um sich, die selbst das himmlisch Reine und Schöne zum Hässlichen und Gemeinen herabzieht. (ebenda) Die eigentliche Negativität von allem ist, dass kein Geschöpf den dunklen Grund, aus dem es kommt, letztendlich bezwingen kann. Das ist der Grund für die Melancholie, die in aller Schöpfung waltet, und von der selbst der höchste Schöpfer nicht frei ist. Der Zug von Schwermut, der sich auf Christi Antlitz malt, wenn er sich so nennt, widerspricht jener Erklärung, die in dem Namen eine Hoheit sieht. (Philosophie der Offenbarung) Da auch in Gott dieser dunkle Grund ist, ist auch in Gott Melancholie (und wahrscheinlich mehr, als Schelling es zugeben will). Dies ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit, der aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient. Daher der Schleier der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens. Freude muss Leid haben, Leid in Freude verklärt werden. (Philosophische Untersuchung über das Wesen der menschlichen Freiheit) Man könnte es auch als Fluch der Natur sehen: Um das Unendliche im Endlichen wiederzugeben, muss sie ständig zerstören, um erneut produzieren zu können. Mit dieser philosophischen Legitimation der Melancholie traf Schelling einen Nerv in der Romantik. Sie hat leider auch einen Nerv bei Schelling selbst getroffen: Den frühen Verlust der Frau seines Lebens, Caroline, hat er nie verwinden können. Mit seiner Introduktion eines dunklen, willenhaften Grundes als Weltprinzip scheint er Schopenhauer zu antizipieren in einem Ausmaß, dass Slavoj Zizek die Metaphysik Schopenhauers einmal als eine popularisierte Ausgabe der Metaphysik Schellings bezeichnete (Schopenhauer selbst hatte eine despektierliche Meinung von Schelling). Das Unbewusste, die Triebe, mit ihrer Dunkelheit und ihrer lauernden Gefährlichkeit: Nimmt Schelling damit nicht Freud und das Menschenbild der Psychoanalyse vorweg? Die dunkle Kunst, die dunkle Poesie, die die Nachtseite der Welt und der Seele beleuchtet, wie die von Baudelaire, Rimbaud – und von denen ausgehend die moderne Dichtung insgesamt – mag sie ihre philosophische Grundlage nicht auch in Schelling finden? Und meine kleine Idee und Metaphysik vom Chaosmos als Weltprinzip: Hat die, so betrachtet, nicht Schelling auch schon gehabt? Was aber wird aus dem, von dem der ganze Deutsche Idealismus eigentlich ausgeht: aus der Vernunft und dem durch Vernunft begründbaren Sittengesetz? Der Kantschen Vernunftmoral? Wenn die Vernunft nur mehr eine Seite in einem dualen Schöpfungsprinzip ist, dessen andere die Unvernunft ist, die nicht besiegt werden kann? Die Vernunft kann also nicht mehr das erlösende Prinzip sein. Tatsächlich scheint Schelling in seiner philosophischen Verortung von der Bahn der Aufklärung wieder abzuweichen und sich wieder der Religion anzunähern. Geborgenheit sei, wonach alle Kreatur strebe. Und diese Geborgenheit finde die Kreatur nicht in der Vernunft, sondern nur in Gott und in Jesus Christus. Wird Schelling vom Philosophen also wieder zum religiösen Obskuranten? Oder kann man ihn vielleicht als einen Fürsprecher einer höheren Vernunft, einer göttlichen Vernunft, einer Hyper-Vernunft begreifen?

Religion bedeutet auf lateinisch: Gewissenhafte Berücksichtigung von Regeln. Praktisch mag das letztendlich hinauslaufen auf: Blinden Gehorsam gegenüber einem (nicht vernunftmäßig abgeleiteten, sondern) offenbarten Willen, der von einer jenseitigen Instanz kommt. Das bedeutet eine Verminderung der Kompetenz des Menschen, wenngleich im Austausch gegen Gefühle der Geborgenheit durch die transzendente Instanz und der Hoffnung auf absolute Erlösung durch diese. Philosophie will hingegen die absolute Erhöhung der Eigenkompetenz des Menschen und strebt eine vollständige Durchdringung der Welt vermöge des rationalen Denkens an. Die Philosophie nun tritt in ihrer vollkommenen Erscheinung nur in der Totalität aller Potenzen hervor. Denn sie soll ein getreues Bild des Universums sein, dieses aber dem Absoluten, dargestellt in der Totalität aller ideellen Bestimmungen. Gott und das Universum sind eins, aber nur verschiedene Ansichten eines und desselben. Gott ist das Universum von der Seite der Identität betrachtet, er ist Alles, weil er das allein Reale, außer ihm alles nichts ist, das Universum ist Gott von Seiten der Totalität aufgefasst … Die vollkommene Erscheinung der Philosophie, sage ich, tritt nur in der Totalität aller Potenzen hervor. (Philosophie der Kunst) Ursprünglich, im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie, war für Schelling die Kunst die höchste menschliche Fakultät gewesen, denn nur die ermögliche eine Anschauung des Absoluten. Im Rahmen seiner (ein wenig) später entwickelten Identitätsphilosophie hingegen wird es die Philosophie: Denn nur die ermögliche ein Verständnis der Kunst, ein Verständnis davon, dass die Kunst das Absolute ausdrücke. Während die Kunst (ahnungsvoll, halb unbewusst, in genialer Intuition) ein Abbild des Absoluten liefere, beschäftige sich die Philosophie mit dem „Urbild“ des Absoluten, das eine verstandesmäßige Anschauung bzw. versprachlicht ist, ein (nicht literarischer, sondern logischer) Text. Das Universum ist im Absoluten als das vollkommene organische Wesen und als das vollkommene Kunstwerk gebildet: für die Vernunft, die es in ihm erkennt, in absoluter Wahrheit, für die Einbildungskraft, die es in ihm darstellt, in absoluter Schönheit. Jedes von diesen drückt nur dieselbe Einheit von verschiedenen Seiten aus, und beide fallen in den absoluten Indifferenzpunkt, in dessen Erkenntnis zugleich der Anfang und das Ziel der Wissenschaft ist. (Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie) Das Universum, so die philosophische Erkenntnis, gleiche also einem Kunstwerk. Im Absoluten aber fällt sowieso alles zusammen, und es ist nur eine Frage des Blickwinkels, unter welchem Aspekt einem das Absolute gerade erscheine. Absolut gesehen erscheint das Universum als göttlich: Das ist dann die geoffenbarte Wahrheit, die sich allerdings auf dem Wege und mittels der absoluten philosophischen Vernunft offenbart. Es gibt keine höhere Offenbarung weder in Wissenschaft, noch in Religion oder Kunst, als die Göttlichkeit des All: ja von dieser Offenbarung fangen jene erst an und haben Bedeutung nur durch sie. (Aphorismen über die Naturphilosophie) So eine Intuition von der Göttlichkeit des Universums mag einen schon befallen, das Universum mag einem schon einen Schauer des Absoluten über den Rücken jagen. Dieses so bekannte Gefühl aber kündigt nur an, was der rechtens philosophisch ausgeprägte Verstand mit seinen Mitteln zu fassen weiß. Heute, mit der Säkularisierung, traut sich keiner mehr zu fordern, dass die Vernunft das Göttliche und das Absolute schauen und fassen sollte, und ihm gleich werden sollte. Daher ist die Philosophie heute sehr unsicher und depressiv geworden – still melancholisch, so wie es ja auch Schelling für alle Lebewesen in der Zeit konstatiert, die dem Wesen der Zeit und dem dunklen Grund unterworfen. Daran ist die Philosophie und die Säkularisierung mit ihrer Kleinmütigkeit und intellektuellen Kleinteiligkeit selbst schuld. So wie Heidegger von der Seinsvergessenheit in der abendländischen Philosophie spricht und sie beklagt, könnte man auch das Aufgeben der Philosophie beklagen, ihr Potenzial auszuschöpfen, das Absolute zu erkennen und zum Absoluten und zum absoluten Verstand vorzustoßen. Die Philosophie von heute erteilt dem Vorstoß ins Metaphysische eine Absage und will sich lieber darauf beschränken, Streitigkeiten im Hier und Jetzt zu ordnen. Mit dem absoluten Verstand, dem Verstand, der in Richtung Absolutes schaut, verlieren Streitigkeiten im Hier und Jetzt aber ihren absoluten Stellenwert und werden relativ. Gleichzeitig wird dem Verstand, der das Absolute schaut, klar, dass auch Streitigkeiten absolut sind und in die Textur der Welt eingeschrieben: Aufgrund des dunklen Grundes, der in ihr waltet. Leute, deren Verstand das Absolute nicht schaut, glauben, ihre Streitigkeiten im Hier und Jetzt gälten der Lösung aller Probleme und Dinge, hin in eine lichte Zukunft, die der Ewigkeit gleicht. Der Verstand, der das Absolute schaut hingegen sieht, dass es keine ultimative Auflösung aller Streitigkeiten geben wird, denn Streitigkeiten werden in Ewigkeit fortdauern. Streitigkeiten und Uneinigkeiten sind ein Transzendental (das man jetzt, wie Schelling als „dunklen Grund“ bezeichnen mag oder sonstwie). Indem er das aber ersieht, ist er von den relativen Streitigkeiten der Zeit schon einmal entrückt und etabliert sich eine Distanz zu ihnen. Auch wenn die Streitigkeiten ewig sein werden, ist es schon allein einmal die Sicht auf die Ewigkeit, die den Streitigkeiten im Hier und Jetzt ihren Stachel nimmt. Das Absolute anschauen und sich seiner Ewigkeit gewahr werden, ist aber identisch: … diejenigen aber, welche schon in diesem Leben von dem Bleibenden, dem Ewigen und Göttlichen erfüllt gewesen, werden auch mit dem größten Teil ihres Wesens ewig sein. Die Ewigkeit fängt also hier schon an, und für den, der Zeit ewig ist, ist die Ewigkeit gegenwärtig, so wie sie dem, der in der Zeit nur zeitlich ist, notwendig nur zukünftig und zugleich der Gegenstand eines zweifelhaften Glaubens oder der Furcht ist. (System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere) Ewig werden bedeutet aber: Göttlich werden. Das Ziel für das menschliche Leben ist laut dem Identitätsphilosophen Schelling göttlich werden, mit dem Göttlichen identisch zu werden. Das höchste Ziel für alle Vernunftwesen ist die Identität mit Gott. – Denn das höchste Ziel alles wahren Handelns ist: Identität der Freiheit und der Notwendigkeit, und da diese nur in Gott ist, Gott durch sein Handeln auszudrücken, d.h. mit Gott identisch zu sein. (ebenda) Natürlich ist es keiner Kreatur möglich, mit Gott identisch zu werden. Doch durch die philosophische Anschauung des Absoluten, und eingedenk, dass man Teil des Absoluten sei, und von der Wurzel her gleich, ist eine Mimesis mit dem Göttlichen möglich, oder, wie man sagt, eine Aktivierung des göttlichen Funkens, der innerhalb der Kreatur wohnt. Ein göttliches Leben ist eben nur dadurch möglich, dass jener Begriff unseres Wesens in Gott … das An-sich der Seele und die wirkliche werde … Für den, dessen Seele selbst vom Göttlichen ergriffen ist, ist Gott kein Außer-ihm, noch eine Aufgabe in unendlicher Ferne, Gott ist in ihm und er ist Gott. (ebenda) Die philosophische Vernunft, die das Absolute sieht und auf ebenjener Ebene der intellektuellen Analyse und Integration arbeitet, wird dann ähnlich der göttlichen Vernunft. Sie hat dadurch Einsicht in den Universalwillen und kann den Partikularwillen, der aus dem dunklen Grund kommt, relativ (bzw. innerhalb der trotz allen beschränkten Möglichkeiten der menschlichen Vernunft gesehen sogar „absolut“) überwinden. Die göttliche Vernunft ist einfach eine höhere Vernunft, in deren Raum Gegenstände von allen möglichen Seiten betrachtet werden und in der Gegensätzlichkeiten ineinander gespiegelt werden bzw., auf einer Metaebene zumindest, vereint werden. Die absolute Vernunft triumphiert also über die Paradoxien und Gegensätze, die in der empirischen Welt vorhanden sind. Aus dieser gleichzeitig zusammenhängenden und amalgamierenden wie auch trennscharf-luziden Sichtweise ergibt sich dann eine Art „Weltfrömmigkeit“ und Achtsamkeit gegenüber den Gegenständen in der Welt. Nichts, überall nichts, ist daher an sich unvollkommen, sondern Alles was ist gehört, inwiefern es ist, zum Seyn der unendlichen Substanz, aus deren Natur es allen gehört, dass sie sey. Diess ist die Heiligkeit aller Dinge. Das Kleinste ist heilig wie das Grösste, sowohl durch die innere Unendlichkeit, als dadurch, dass es seinem ewigen Grund und Seyn im All nach nicht vernichtet werden könnte, ohne dass das unendliche Ganze selbst vernichtet würde. (Stuttgarter Privatvorlesungen) Gegenüber der bloßen Vernunftphilosophie und – wenn man so will – Vernunftreligion bei Kant und Fichte, und dem kategorischen Imperativ als dem transzendentalen moralischen Gesetz in mir, welches Kant und jene, die ihm folgen, mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen, hat man es bei der Vernunft, die das Schellingsche Absolute anschaut, mit einer höherdimensionalen, mit einer im Vergleich dazu ekstatischen Vernunft zu tun: Die nicht bloß in einen (irgendwie indifferenten und unbeseelten) bestirnten Himmel eingelassen ist bzw. unter diesem stattfindet, sondern eingelassen ist in das Absolute einer sittlichen Totalität. Und Philosophie … ist das, was Plato das ?? (griechisch, für mich unleserlich Anm.) nennt, das Leben mit und in einer sittlichen Totalität. (System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere) Man ist nicht gleichsam einsam mit seinen moralischen Entscheidungen unter sorgfältiger, Sorgen machender Berücksichtigung, wie sie sich wohl mit dem kategorischen Imperativ vertragen, unter nächtlichem Himmel, von dem, von ganz weit weg, ein paar Sterne funkeln, sondern eingelassen in eine schwingende Totalität des Absoluten. Wie oben erwähnt, ist das höchste, göttliche Ziel alles wahren Handelns „Identität der Freiheit und der Notwendigkeit“. Im Absoluten fallen beide, ohne größeres Überlegen, zusammen. Die Handlungen und Schicksale aller Menschen sind, aufs Absolute bezogen, weder frei noch notwendig, sondern Erscheinungen der absoluten Identität von Freiheit und Notwendigkeit. (ebenda) Kant spricht immer wieder von einem „guten Willen“ als höchstem sittlichen Motiv. Doch wenn eine wirklich gute Tat getan wurde, bekommt man als Antwort auf die Frage nach dem Warum sie getan ward: Weil es sich so gehört. Daran erkennt man einwandfrei (durch nichts anderes kontaminierte) gute Taten. Die betreffende Person tut sie aus dem Bewusstsein heraus, weil es sich so gehört. Das ist, platt empirisch betrachtet, jenes rätselhaft scheinende Zusammenfallen von Freiheit und Notwendigkeit. Und Handeln innerhalb einer sittlichen Totalität, und aus einer sittlichen Totalität heraus. Dieses Gefühl für die sittliche Totalität, in die wir eingelassen seien, ist nicht nur im raffinierten philosophischen Verstand vorhanden, sondern weitverbreitet. Das Absolute reicht eben tief in das rein Empirische hinein. Versuchen wir aber, dieses rein Empirische unter uns zu lassen und uns dem Absoluten anzunähern und mit unserer Vernunft das Absolute zu schauen. Jeder macht so seine Vorschläge, was man im Leben tun soll oder wie man das Leben leben soll, und, gemeinsam mit Schelling, mache diesen kleinen, bescheidenen Vorschlag halt ich. Du wirst also diese Enge, in der du dich zuvor festgehalten, indem du die höchste Einheit auf das Bewusstsein eingeschränkt hattest, verlassen, und dich mit mir in den freien Ozean des Absoluten begeben, wo wir uns sowohl lebendiger bewegen, als die unendliche Tiefe und Höhe der Vernunft unmittelbar erkennen werden. (Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge) Enthebe dich der Enge des Empirischen und gelange, durch die Meditation des Empirischen zur höchsten Anschauung, der des Absoluten! Überwinde eben selbst den Gegensatz zwischen Freiheit und Notwendigkeit, da diese im Absoluten in eins fallen, und verwinde selbst das Bedürfnis nach Freiheit oder, umgekehrt, nach Regeln, da du in die sittliche Totalität dann eingelassen dich findest. Ist das eine Ekstase? Oder ist es ein tiefer Frieden? Oder ist es beides, was so eine Sichtweise endlich beinhaltet? Die wahre Welt ist aber nicht die, welche das Einzelne im Reflex sich bildet, und wovon es die Idee aus dem nimmt, was über ihm ist, sondern der unbewegliche und harmonische Feuerhimmel, der über allen schwebt und alle umschließt. (ebenda) Der Feuerhimmel mag darauf referieren, wie van Gogh die Welt gesehen hat; ein hochstehender Künstler, der überall den Durchbruch des Absoluten in die sichtbare Welt wahrgenommen hat. Das ist ein sehr hoher Geisteszustand, das ist eine sehr gute Wahrnehmung. Aber van Gogh war auch übererregt. Deswegen ist eben von einem harmonischen Feuerhimmel die Rede, von dem es letztendlich noch besser ist, wenn man ihn sehen kann. Denn gleichwie der Blitz ausgehet von der finsteren Nacht und hervorbricht durch eigene Kraft, also auch die unendliche Selbstbejahung von Gott. Gott ist die gleich ewige Nacht und der gleich ewige Tag der Dinge, die ewige Einheit und die ewige Schöpfung ohne Handlung oder Bewegung, sondern als ein stetes ruhiges Wetterleuchten aus unendlicher Fülle. (Stuttgarter Privatvorlesungen) Das eine ist (der unbekannte) Gott, das andere sind wir. Enthebt uns die absolute Vernunft, die ästhetische, moralische und vernunftmäßige Anschauung des Absoluten unserer Endlichkeit und Kreatürlichkeit? Nein, natürlich nicht, in dem Aspekt bleiben wir so klein und schwach und so groß und stark wie immer. Die Möglichkeit aber, dass die empirische Welt, und wir mit ihr, auch als ein Absolutes angeschaut werden kann, sollte uns aber bekannt sein. Je mehr man in dieser Möglichkeit wohnt, desto besser ist es wahrscheinlich. Je mehr man in diesem Licht wohnt, desto mehr entfernt man sich vom dunklen Grund der Melancholie. Das, was dann hauptsächlich zählt, ist ein Blick auf die reine Konstruktivität. Vor allem: Die Welt ist mittlerweile sehr weit und breit geworden, und multikulturell. Die Möglichkeiten der Vernetzung nehmen also zu, wie aber auch die der Missverständnisse zwischen einzelnen Inseln in der Welt. Zweiteres sollte man vermeiden. Denn das entspricht nicht dem Geist der Konstruktivität. Im Absoluten fallen alle diese Weiten und Breiten und Kulturen zusammen; im Absoluten sind sie enthalten. Hegel ist der Philosoph der Ausprägung einer Weltvernunft. Doch Hegel ist, in seinem Vernunftverständnis, diktatorisch und totalitär. Vielleicht ist also Schelling mit seiner Intuition vom Absoluten der Prophet einer Weltvernunft in einem globalisierten Zeitalter. Probieren wir es aus. Was haben wir dabei schon zu verlieren, als das Absolute? Vor allem aber werden unsere Augen auf die oberen Götter gerichtet sein, und jenes seligen Seins Teilnahme durch Anschauung erlangend, werden wir wahrhaft, wie die Alten sich ausdrückten, vollendet werden, indem wir, nicht nur der Sterblichkeit Entflohene, sondern als solche, die die Weihe unsterblicher Güter empfangen haben, in dem herrlichen Kreise leben. Jedoch, o Freunde, schon mahnt uns die sinkende Nacht und das Licht einsam funkelnder Sterne. Lasset uns also von hinnen gehen. (Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge)

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