Opernerlebnisse 2024

Während der Aufführung von Macbeth am 21.10. habe ich erfahren, dass der ehemalige Sänger von Iron Maiden, Paul Di´Anno, gestorben ist. Er hat auf den beiden ersten Iron Maiden-Alben – dem selbstbetitelten Debut und „Killers“ – gesungen. Die für manche die besten – wenn nicht die einzigen erträglichen – Alben der Band darstellen. Tatsächlich sind sie von dem, was nachher gekommen ist, verschieden; manche wollen sie sogar als Punkalben verstehen. Damit können Iron Maiden wenig anfangen, aber in ihrer Rauheit und in ihrem Gerumpel haben sie etwas von einer Punk-Sensibilität. Es ist gut, dass das erste Iron Maiden-Album so schlecht – im Sinn von unabgerundet – produziert ist. Es ist, vor allen Dingen, der Titelsong, eigentlich ein verdammt hartes Album, und da sieht man, es ist gut, dass nicht alles von Iron Maiden von Martin Birch fürderhin geglättet wurde, so wie das dann ab „Killers“ der Fall war. „Killers“ hat für mich tatsächlich etwas von einer Zeitkapsel und erinnert mich an das Jahr 1981, was in dem Fall eine sehr frühe Erinnerung wäre. An ein novemberliches, trübes Linz und an die Tragfähigkeit der Nibelungenbrücke; in der Unterführung zur Nibelungenbrücke (auf der Linzer Seite) könnte der Mord aus dem Titelsong stattgefunden haben. Irgendetwas leicht Elegisches, Nostalgisches, in seinem gleichzeitig galoppierenden, aber auch ein bisschen innehaltenden Vorbeirauschen und -rumpeln scheint im „Killers“-Album zum Ausdruck zu kommen. Vor allem im letzten Song, „Drifter“, der ja auch etwas von einem Festhalten und Sichvergegenwärtigen und einem Identitätsstiften im Verstreichen der Zeit, in dem man ziellos, als Drifter, mitverstreicht. Das ganze Soundgewand, für das dann eben Martin Birch verantwortlich war, hat etwas Nostalgisches und Elegisches. „Prodigal Son“ assoziiere ich immer mit einer Szene aus einer Columbofolge, wo ein Albtraum dargestellt wurde, denn auch „Prodigal Son“ hat etwas Verwehtes. „Purgatory“ – zwischen „Prodigal Son“ und „Drifter“ angesiedelt, ist hingegen ein unglaublicher Rumpler. „Twilight Zone“ gibt es nicht auf der europäischen Version von „Killers“, aber der Song hat mir damals so gut gefallen, dass ich mir eine Sonderversion besorgt habe. Auch im Refrain von „Twilight Zone“ hat man dieses Stürzen in den Abgrund der Zeit (und es ist auch ein Song über die Erinnerung bzw. über die Uneinholbarkeit). Paul Di`Anno hatte eine raue Stimme mit eingeschränkterem Umfang als Bruce Dickinson, der ihn nach „Killers“ ersetzte – und der Iron Maiden mit zu einer jener „Opern-Metal“ Bands machte, die sie bis heute sind. Tatsächlich wurden ihre Komposititionen auch teilweise recht komplex. Heute, schon seit vielen Jahren, hat man vor allen Dingen Komplexität, wo früher Rumpeln und Galoppieren herrschte. Das Verstreichen der Zeit gilt eben auch für die Band selbst. Glücklicherweise habe Iron Maiden dieses Jahr am 1. Dezember in Buenos Aires gesehen, auf ihrer „Future Past Tour“. Bei der wurde, neben dem aktuellen Album, vor allem das „Somewhere in Time“-Album von 1986 zelebriert, das eigentlich immer mein Lieblingsalbum war. Zum ersten Mal (zumindest soweit mir bekannt) haben sie dort den komplexen Übersong „Alexander the Great“ gespielt, obwohl der einer der größen Fan-Favorites ist. Wenig später, am 7. Dezember, hat der Schlagzeuger, Ncko McBrain, seinen Abschied vom Touren bekanntgegeben. So habe ich Nicko also noch einmal bei einem seiner letzten Auftritte erlebt. Nicko habe ich früher nicht so gut verstanden. Sein Schlagzeugspiel erschien mir wir ein großes Tingeltangel. Der Schlagzeuger auf den ersten drei Iron Maiden-Alben, also auch auf „Iron Maiden“ und „Killers“, war Clive Burr. Der auf eine einzigartige Weise draufhaute, einen großen Feel hatte, eine Punk-Sensibilität. Lauf Bruce Dickinson sei Clive Burr der beste Schlagzeuger gewesen, den Iron Maiden je gehabt hätte. Nicht wegen der technischen Fähigkeit – bei denen sei Nicko weit überlegen. Sondern wegen seinem Feel und seiner Attutude – die angeboren sei, die man nicht erlernen könne. Später erst habe ich eine Ahnung bekommen von der Komplexität von Nickos Schlagzeugspiel. Unglaublich, dass ich das so lange überhört habe! Aber man höre sich mal das Schlagzeugspiel auf „Where Eagles Dare“, dem Eröffner vom ersten Album, wo er mitgewirkt hat, „Piece of Mind“ an. Das zeugelt zwar nicht so viszeral, aber an allen Ecken und Enden. Paul hatte in seinem Leben nach Iron Maiden insgesamt nicht so viel Glück. Der beste Song nach Iron Maiden von ihm (obwohl ich viel davon gar nicht kenne, zugegebenermaßen), ist „Impaler“ auf dem Album „“Killers: Murder One“ von 1992. Obwohl eher ein Judas Priest-mäßiger Song, hat die Qualität vom alten Iron Maiden Material. Danke für alles, Paul.

30. Dezember 2024

Billy Budd, vertont von Benjamin Britten nach der Vorlage von Herman Melville, ist eine Parabel auf den Kampf zwischen Gut und Böse, mit den zahlreichen Abstufungen der Mittelmäßigkeit und der praktischen Beschränkungen der Existenz dazwischen. Frauen kommen in diesem substanziellen Ringen der Lebensmaechte im Übrigen gar nicht vor lol. Letzte Woche hat in einer amerikanischen Gruppe hier aber einer ausgeplaudert, dass toxische Männlichkeit unter Matrosen der Navy recht verbreitet sei, das habe er selber erlebt. Da habe ich aufgenickt, denn das kann ich mir dann schon vorstellen. Ansonsten habe ich, wenn ich mir das jetzt versuche recht zu vergegenwärtigen, toxische Männlichkeit und echte, verfestigte Frauenfeindlichkeit, so wie sie derzeit als omnipraesent postuliert werden, eigentlich nie wirklich wo erlebt. Beides erscheint mir auch als unnötig und unlogisch. Allerdings weiß ich als Großschriftsteller, so wie Melville, aber auch, dass man bei allen Dingen annehmen darf, dass da der Wurm drin sein kann (sein kann – aber nicht sein muss. Außerdem polstern die zahlreichen Abstufungen der Mittelmäßigkeit die Extreme normalerweise gut ab (daher triumphiert in Billy Budd dann auch keines der beiden tatsächlich)).

30.10.2024

Verdi-Opern ohne echte musikalische Höhepunkte: Otello, Falstaff, Macbeth (im Bild)

21.10.2024

In Entweder – Oder versucht Kierkegaard auf über 100 Seiten nachzuweisen, dass der Don Giovanni das erste Kunstwerk der Welt ist. Naja, wahrscheinlich hat er recht, so wie er ja auch mit seinem religiösen Wahn wahrscheinlich recht hat (und am rechtesten mit dem Erbaulichen, dass in dem Umstand liegt, dass wir gegen Gott immer unrecht haben).

07.10.2024