Opernerlebnisse 2023

Opern höre ich mir zuhause selten an, is mir irgendwie zu anstrengend. Ausgerechnet Le Grand Macabre ist eine Ausnahme, die höre ich mir immer wieder mal an. Le Grand Macabre ist eventuell das Opus Magnum von György Ligeti, fungiert zumindest am Ehesten als eine Art Zusammenfassung seines Könnens. Was darin passiert, ist stets frisch und scheinbar spontan, es verfällt nicht in die Abgeschmacktheit und Klischeehaftigkeit, die man bei moderner Musik leicht hat. Es entspricht eigentlich überhaupt keinem mir bekannten Idiom in der (modernen) Musik. Eigentlich ist Le Grand Macabre trotz seiner „Atonalität“ eine sehr musikalisch wirkende Angelegenheit, trotz dem scheinbar Fragmentarischen und Fetzenhaften, das seine Textur bildet, genauer gesagt, der Aneinanderreihung von scheinbar spontanen Einfällen, die schon wieder verschwinden, bevor sie richtig entwickelt werden, um dem nächsten Platz zu machen. Die Handlung – ein Weltuntergang, der dann doch nicht stattfindet, weil alle zu betrunken sind – ist erfreulich für Menschen mit einer ironischen Grundhaltung. Der Stoff stammt ursprünglich von Michel de Ghelderode, einem wenig bekannten Dichter. Ich habe mal das wenige, was bei uns verfügbar ist gelesen und es tatsächlich nicht so gut gefunden. Aber ich werde es noch einmal probieren. Le Grand Macabre habe ich schon einmal vor ca. 10 Jahren gesehen, im Museumsquartier. Damals hat mir das Bühnenbild besser gefallen, dafür wird jetzt besser getanzt, und sie haben herzige Einfälle, wie den mit dem Pferd. Auch wenn Scelsi das reinere Genie war, war Ligeti der raffiniertere Komponist. Schade ist, dass er aus Alice im Wunderland keine Oper mehr machen konnte. Vielleicht ist es ihm allerdings auch überflüssig erschienen. Denn wo Alice im Wunderland das Absurde und Groteske philosophisch und stilistisch erfolgreich integriert und verwindet, geht Le Grand Macabre als Oper eigentlich weiter, indem sie eine noch größere Antithese, nämlich das Idiotische, integriert und verwindet. So betrachtet ist Le Grand Macabre ein wirklich großes Kunstwerk, mit transzendenten Bedeutungen, und ein Gesamtkunstwerk des Musiktheaters. Und dann eben tatsächlich das Opus Magnum von Ligeti. Aufgrund all dessen könnte es eigentlich Eingang in den Mainstream finden. Hoffentlich bleibt es in den kommenden Saisonen im Programm.

17./18.11.2023

Heute habe ich zum ersten Mal die Netrebko erlebt. Die Rolle der Manon Lescaut passt ja gut zu ihr. Bei ihr gibt es ja auch immer nur Vergnügen und Geld ausgeben und niemals Krieg, in den Niederungen der Politik. Bei mir gibt es auch keinen Krieg und keine Niederungen der Politik, weil ich mich mit niemandem streite. Außerdem zieht sie sich gut an und sie präsentiert sich gut, teilweise sogar freakig auf Instagram, was sonst jeweils fast niemand macht.

8.11.2023

Thielemann habe zum ersten Mal vor etlichen Jahren an der Staatsoper erlebt, wie er Die Meistersinger von Nürnberg dirigiert hat. Hanslick, der zeitgenössisch führende Musikkritiker, der feindselig gegenüber Wagner eingestellt war – und der von Wagner eben in den Meistersingern in der Figur des Beckmesser karikiert wurde – war bei der Uraufführung schon mit der Ouvertüre unzufrieden und bezeichnete sie als eine Art ärgerlichen, chaotischen Tonorkan. Das ist schwer nachvollziehbar, denn die Meistersinger- Ouvertüre kommt ja durchaus harmonisiert und geglättet daher. Aber bei Thielemann hat sie sich damals tatsächlich so angehört. Man hat geglaubt, man hört jedes Instrument einzeln und die spielen alle gegeneinander.

17.10.2023

“Leierkasten – Blödsinn”

Nietzsche über Verdi

Vergleichsweise blass ist Verdi eher geworden, als er später im Leben versucht hat, Wagner zu adaptieren (Otello, Falstaff) und die unendliche Melodie zu komponieren anstelle der herben Gassenhauer – Arien (die, wie man wieder hören konnte, an und für sich die Unendlichkeit in kompakter Form sind).

12.10.2023

Wahrscheinlich ist keine Oper – außer vielleicht der Don Giovanni – perfekt. Aber der Barbier von Sevilla ist ein vollendetes komisches Meisterwerk bzw. ein Gesamtkunstwerk der Komik und ein Wunderwerk an Vitalität. Kaum etwas haut einem unweigerlich so nach vorne wie der Barbier. Verständlich, dass Schopenhauer in seiner Fake Grumpiness Rossini geliebt hat. Er ist eine von den besten Sachen in der Welt. Damit steht der Barbier von Sevilla zumindest im irregulären Sinn über allen anderen Opern.

26.09.2023

Nach etlichen Versuchen muss ich konstatieren, dass der Tristan einfach überbewertet ist, auch das Liebestod-Finale suboptimal, für sich genommen, oder im Vergleich zB zum Schluss von Lohengrin oder den Meistersingern (wobei es freilich in seiner dramatischen Zugespitztheit unerreicht ist).

Wobei die Frage bei Wagner immer bleibt: Wie sollte man das anders oder besser machen, und nur ein praktisch letztgültiges künstlerisches Talent kann in solchen Dimensionen was aufspannen und in solchen Dimensionen denken. Vielleicht ist das Phänomenale an Wagner, dass er trotz seiner häufigen Schwachstellen und Mängel, die seit jeher an ihm bemerkt werden, Sachen tut und Ringe schmiedet, mit denen er übergeordnet und unbesiegbar bleibt.

(Wie macht er das genau? Ich glaube, ich muss auch einen Fall Wagner eröffnen.)

20.09.2023

Netrebko: In 9.000-Euro-Stiefeln macht sie sich über Sparer lustig