Letztes Präludium zu einer Notiz über Kierkegaard

Da setze ich mich also hin, mit meinem gewaltigem Geist und meinem gewaltigen geistigen Hunger, um nunmehr den gesamten Kierkegaard zu verspeisen! So wie ich es mit dem gesamten Kafka gemacht habe und etlichen anderen, und wie ich es in weiterer Folge, was die richtig großen philosophischen Brocken anlangt, mit Nietzsche vorhabe und dann wohl mit Marx (irgendwann mittelfristig mit Goethe et al). Gewaltig ist mein geistiger Hunger, aber gewaltig ist auch mein Geist! Ich muss durch die Materie hindurch und alles abhandeln und ich muss mir den (gesamten) Kierkegaard vornehmen und ihn in mich aufnehmen, mir einverleiben, seinen Geist begreifen und mit meinem amalgamieren (und mit Nietzsche und mit Marx und mit Goethe et al auch). Ich muss die gesamte (Kierkegaard-) Materie zusammentun, in ein Paket verschnüren (das geschieht, indem ich möglichst vollständige Notizen über sie dann schreibe), und dann dieses Paket auf dem Meeresgrund meines Geistes versenken, wo es sicher ruht (und Ruhe gibt). Materie zusammentun, sie in ein Paket verschnüren und das dann sicher versenken und anketten, auf dem Grund meines Geistes! Das nicht aus Größenwahn oder Besitzdenken, nein, natürlich nicht!, sondern weil ich rastlos und getrieben bin. Rastlos, getrieben und unstet, aufgrund des pathologischen Dranges, intellektuelle Probleme lösen zu müssen. Das ist das Zentrum meiner Subjektivität. Eindrücke zu verarbeiten, die Welt zu scannen. Otto Weininger meint, das Genie steht dauernd unter Eindrücken, und das tue auch ich: alles übt einen gewaltigen Eindruck auf mich aus und diese Eindrücke besetzen mich, ich muss sie prozessieren, daher kann ich auch nicht viel sprechen. Aufgrund dieser Eindrücke lebe ich die meiste Zeit, und bevorzugt, in einer Art intellektuellen Trance. Das ist einerseits ein Ruhezustand und einer des Friedens, andererseits nicht, aufgrund der Rastlosigkeit und der Getriebenheit und der Unstetigkeit, mit der er urtümlich verbunden ist. Wie es scheint, gibt es mir eine gewisse Suspension von der Getriebenheit, wenn ich den Eindruck habe, ich kann Materie zusammentun, sie zu Paketen verschnüren und sie dann versenken, auf dem Meeresgrund meines Geistes. Mit Kafka oder Kierkegaard oder Bruegel werde ich mich in meinem Leben fürderhin nicht mehr grundsätzlich beschäftigen müssen, nachdem ich möglichst definitive Notizen über sie verfasst habe, nach eingehendem Studium: ich habe sie zu Paketen verschnürt und sie gelagert, auf dem Meeresgrund meines Geistes. Ich habe diese Massive bezwungen, ich habe das abgehakt, eine Station – die Kafka-Station, die Bruegel-Station und jetzt eben hoffentlich die Kierkegaard-Station – genommen und passiert – und das ist gut so (sogar sehr gut!). Das ist höchst notwendig, denn der Hochgeschwindigkeitszug meines Geistes keucht schon wieder vorwärts, rastlos und getrieben, und muss zu neuen Stationen. Daher mache ich das so! Es gibt mir eine gewisse kleine Sicherheit. Derweil muss ich vorrangig durch solche, den Geistes- und Humanwissenschaften zurechenbaren Materien hindurch – was mir ein gewisses Unbehagen bereitet, da ihr Nutzen für die Menschheit diffus und ungeklärt ist. Brücken sollte ich bauen oder Heilverfahren entwickeln! Ich bin ja rastlos und getrieben, für die Menschheit was zu tun, und weniger davon, mich selbst zu kultivieren. Für die Menschheit was zu tun, das ist mein eigentliches intellektuelles Problem, für das ich nach Lösungen suche! Und dann beschäftige ich mich mit Kafka und Kierkegaard und Goethe! Anstatt Brücken zu bauen oder Heilverfahren zu entwickeln! Aber gegen die temporäre Beschäftigung mit Kafka, Kierkegaard, Goethe gibt es ja keinen stichhaltigen Einwand, und derzeit bin ich halt davon besetzt, und mit diesen intellektuellen Problemen verschmolzen, mit ihnen verwachsen. Hänge an ihrem Firmament, wie in einer Larve, und kann mich nicht groß bewegen, bevor ich nicht, mittels eingehender Beschäftigung und dem Verschnüren und dem Versenken von Paketen, daraus ausbrechen kann und davonfliegen. Weiters ist humanwissenschaftliche Bildung gut, wenn man Brücken bauen will oder Heilverfahren entwickeln. Große Frage ist aber dabei auch, wie effektiv ich im Brückenbauen oder Heilverfahrenentwickeln eigentlich sein kann. In etlichen Belangen, wie zum Beispiel dem der statischen Berechnungen, dem Zeichnen oder dem Modellbau, bin ich nicht eben geschickt oder der Hellste. Medizin will grundlegend gelernt sein und ist vor allem eine empirische Wissenschaft, wo man als Theoretiker eher wenig ausrichten kann, wo der Theoretiker mit seinem wilden spekulativen Geist vielleicht sogar mehr Schaden anrichtet, als er Nutzen stiften kann! Wenn man sich in den Dienst der Menschheit und des Fortschrittes stellen will, soll man ja auch darauf achten, sich selbst zum bestmöglichen Nutzen und möglichst effizient einzusetzen. Wenn man einen singulären Geist hat, soll man sich auf den Gebieten bewegen, wo der Geist singuläre Wirksamkeit entfalten kann, sonst ist der Geist relativ vertan. Und vielleicht kann ich diesen Nutzen so nur stiften und mich nicht relativ vertun, wenn ich mich eben der Kunst und den Geistes- und Humanwissenschaften widme – obwohl ich eben auch anderes gerne täte und zum Beispiel die Materialwissenschaften recht interessant finde! Gute neue Materialien entwickeln – das wäre schon recht nützlich! Naja, vielleicht kann ich mich in der Zukunft solchen Sachen widmen. Einstweilen muss ich vorrangig durch Kunst und geistes- und humanwissenschaftliche Materie hindurch. Gott stehe mir dabei bei. Die Kunst/geistes/humanwissenschaftliche Materie besetzt mich sehr stark, hält mich in eisernem Griff und übt ihre Eindrücke auf mich aus. Intensität ist das Kennzeichen des Genius und es geht mir darum, die Intensität zu steigern: die Intensität des geistigen Arbeitens, die Intensität der Eindrücke! Bei aller Intensität, mit der ich wahrnehme, habe ich nämlich doch den Eindruck, dass alles eher schwach ist. Wenn ich aus dem Fenster sehe, übt das einen Eindruck auf mich aus, aber eher keinen starken. Wenn ich meine drei Uhren an der Wand betrachte, übt das einen Eindruck auf mich aus, aber eher keinen starken. Mein Geist und mein Wahrnehmungsvermögen sind sehr speziell. Leute werfen Drogen ein, um so was zu erreichen, und erreichen das aber dann wohl gar nicht. Umgekehrt scheinen Drogen keinen starken Eindruck auf mich zu machen, da mein Geist sowieso stärker ist als ihre Wirkung das jemals hervorrufen könnte. Eingehende Erfahrungen mit Drogen habe ich aber nicht, also kann ich da nicht viel sagen und habe da keine Autorität. Mit den Menschen spreche ich nicht viel – allerdings tun sie das untereinander ja auch nicht, und wenn, dann hauptsächlich zum Schein – aber ich nehme sie vergleichsweise stark wahr, und wenn ich mich durch die Menschen bewege, bewege ich mich durch eine Art Feld, über das ich mit den Menschen verbunden bin – irgendwie (bei den meisten anderen Menschen ist das, glaube ich, nicht so). Allerdings: verschmolzen oder so was in die Richtung fühle ich mich mit ihnen wieder nicht, obwohl ich das eventuell gerne wäre. Aber es ist halt wohl ganz einfach so, dass es eben Grenzen der Intensität gibt, naturgemäß. Die großen spirituellen Lehrer sprechen davon, wie verschmolzen sie seien mit den Menschen; das würde ich auch gerne erreichen, aber ich frage mich, inwieweit das nicht ganz einfach eine Übertreibung oder Irreführung oder narzisstischer Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten geschuldet sein mag beziehungsweise einem mangelnden intellektuellen Differenzierungsvermögen was die Durchsicht durch die eigenen Gefühle und das eigene Selbst anlangt. So ist das wahrscheinlich. Oder halt aber eben auch einer ehrlichen inneren Energie und einem gutmütigen Wesen und großer Liebe für andere! Ich würde gerne einmal einen wirklichen Erleuchteten treffen, um sehen zu können, wie das wirklich ist. Es enerviert mich auch ein bisschen, dass ich jetzt wieder – und insgesamt so viel – über mich schreibe! Der Eindruck könnte entstehen, ich sei größenwahnsinnig oder von mir selbst besessen. Aber nach eingehender Prüfung bin ich das auch nicht mehr als der durchschnittliche andere. Ich schreibe ja nicht über mich selbst, sondern ich untersuche meinen eigenen Geist. Ich schreibe das nieder, was ich in meinem eigenen Geist lese. Natürlich ist es auch, vielleicht sogar vor allen Dingen so, dass das mit Selbstgenuss in Verbindung steht, aber wenn er anderen nicht schadet, ist Selbstgenuss ja vollständig in Ordnung, vor allem ist Selbstgenuss eher einmal der wesentlichste Teil eines erfüllten Lebens – und ein erfülltes Leben zu führen vielleicht sogar wichtiger als in einer Welt zu leben, wo es eine ganze Menge Brücken und Heilverfahren gibt – ja, vielleicht kann der Wert meiner Arbeit auch darin liegen, dass sie ein Bild des Selbstgenusses gibt und somit auch für alle anderen ermöglicht. Groß ist dann mein Ruhm, wenn ich, in Verbindung mit dem Selbstgenuss, der damit in Verbindung steht, meinen Geist und die spontanen Prozesse meines Geistes eingehend beschreibe! Mein Geist ist es höchst wert, beschrieben zu werden, er ist wissenschaftlich und menschheitsgeschichtlich relevant, denn er ist der Große Geist. Die Biographen werden dereinst alles möglichst genau wissen werden, wie sich das mit meinem Geist verhält, also versuche ich es ihnen schon jetzt möglichst genau zu sagen. Außerdem und vor allem spiegeln sich in meinem Geist erhebliche Teile der ganzen Welt, die ich damit eben beschreibe. Pessoa beschreibt auch in erster Linie seinen – depersonalisierten – Geist. Im „Buch der Unruhe“. Denn Pessoa wusste, wie es ist, rastlos und getrieben zu sein. Über seine Pseudonyme hat er gewisse Betrachtungswinkel auf die Welt zusammengefasst und in Pakete verschnürt und auf dem Boden seiner Manuskriptekiste versenkt. Hier der Bogen endlich wieder zu Vigilius Haufniesis: der hatte es ja auch mit den Pseudonymen.