Heidegger und ich (Skizze)

Heidegger habe ich meistens für ein wenig unbeholfen gehalten und für leicht unwichtig; von wegen, da habe man hauptsächlich Trivialitäten u. dergl. Aber wenn ich versuche, Antonioni nachzuvollziehen, glaube ich zu erkennen: In den Filmen von Antonioni geht es  um die Ausleuchtung des In-der-Welt-seins, um einen durchaus Heideggerschen Gestus! Es ist gut, wenn man auf was Neues draufkommt! Bei mir geht es, wenn ich mir das recht überlege, ja auch um die Ausleuchtung des In-der-Welt-seins: Also kann ich, anzunehmenderweise, doch recht gut mit Heidegger ins Einvernehmen kommen! Und man kann Heidegger vielleicht das eine und andere vorwerfen, und man kann von mir aus auch mir vieles vorwerfen, aber nicht, dass ich seinsvergessen sei! So verstehe ich auch nicht ganz, warum Heidegger ständig Probleme mit der Eigentlichkeit und der Authentizität hat, denn ich bin ja ganz und gar eigentlich und authentisch, und wenn man seinsbewusst ist, ist man ja ganz eigentlich und authentisch. Meine Philosophie ist: man soll sich selber so ganz wie möglich vergessen, um so ganz als möglich im Sein aufzugehen. Das Sein ist weder besser noch schlechter und weder gescheiter noch dümmer als das Ich, aber das so ganz wie möglich im Sein aufgegangene Ich, und das so ganz als möglich im Selbst aktualisierte Sein: dieses Arrangement, dieses Dispositiv, ermöglicht die Herrschaft über das Geviert. Wenn man Herrschaft über das Geviert hat, ist man ganz schön eigentlich und authentisch, bzw. man ist sogar mehr als das Geviert, eine höhere Seinskategorie. Im Ich allein ist diese Lösung klarerweise ganz und gar nicht zu finden, im „Ich selbst“ sein wollen liegt letztendlich keine Eigentlichkeit und keine Authentizität ich will auch nicht ich selbst sein, es ergeht glücklicherweise kein existenzialistischer Gewissensruf an mich, dass ich „ich selbst“ sein solle. Ich will eher immer nur weg von mir, und meinen Geist und meine Seele erweitern. Ich gehe in der und mit der Fremdheit auf; und in sich selbst und gleichzeitig in der Fremdheit aufgehen, heißt eben: im Sein aufgehen. Wenn man das perfektioniert, ist der ständige, hektische Möglichkeits- und Entwurfscharakter der individuellen menschlichen Existenz überwunden, das Werden ist gleichzeitig das Sein, der Zustand des „Noch-nicht“ liegt für mich längst in der Vergangenheit, ist verwunden (indem er einen anderen Qualitätszustand eingenommen hat). Heidegger empfindet das Dasein bzw. die Umwelt als unheimlich und fremd, er ist besorgt über die menschliche Schuld und er hat Angst. Ich empfinde das Sein als nicht sonderlich unheimlich und nicht sonderlich fremd, genauer gesagt, ist mir das Unheimliche und das Fremde durchaus willkommen, ich nehme es gerne in mich auf. Ich nehme auch gerne die Schuld und die Erbschuld in mir auf. Die Erbschuld bedeutet: der Mensch begründet sich einerseits selbst, er wird aber auch vom Sein begründet, und steht daher in der Schuld des Seins; vor allem, wenn er durch sein Handeln das Sein verändert. Indem man aber eben selbst Ich und Um- und Mitwelt ist, bzw. dazu wird, indem man das Fremde in sich aufnimmt, das Eigene und das Fremde gleichzeitig ist, so überwindet man die Schuld, so überwindet man die Zeitlichkeit, so überwindet man das Sein zum Tode (und man erlangt eben Herrschaft über das Geviert). (Heidegger und der Zen-Buddhismus haben sich berührt und) wenn man das Koan verstanden und die Paradoxien und Aporien der Existenz verdaut hat, also im Satori, ist man jenseits von Leben und Tod und ist ewig. Bei Heidegger hingegen ist ein mächtiges Existenzial die Angst; Heidegger hat Angst, daher auch Angst vor den Juden, vor der Technik, vor der Welt außerhalb des Schwarzwaldes, weswegen er sich in den Nationalsozialismus flüchtet, nicht diskutiert, vor der Wissenschaft Angst hat etc. Ich kann nun nicht sagen, dass ich eine großartige Angst hätte. Mein Existenzial ist es, dass ich einfach nur da bin und das Sein studiere. Es ist einfach nur mein Wesen, in die Existenz einzudringen und intellektuelle Probleme zu bearbeiten, das ist meine Existenz, meine Jemeinigkeit. Das mit der Sorge kenne ich, denn ich bin um alles, also um das Sein, höchst besorgt: aber das ist gut so. R. meinte einmal, was ich anzustreben scheine, scheint (vor lauter Sorge um das Sein) eine Art „kosmisches Verantwortungsbewusstsein“ zu sein. Schuld und Verantwortung stehen sich gegenüber und kosmische Schuld wird durch kosmisches Vetantwortungsbewusstsein ausgeglichen, und so bin auch ich – wegen des kosmischen Verantwortungsbewusstseins – ausgeglichen und daher eigentlich und authentisch, und real besinnlich. Heidegger hatte ein solches Verantwortungsbewusstsein – trotz allem Gerede vom Menschen als Hüter des Seins – eventuell nicht ganz (und dass er niemals vom „kosmischen Verantwortungsbewusstsein“ gesprochen hat, bedeutet ja eben, dass er´s nicht kannte); es gibt keine Moralphilosophie bei ihm und auch keinen Versuch danach und überhaupt ist seine ganze Besinnlichkeit ziemlich egozentrisch. (Es ist zwar unter anderem auch sympathisch, wenn Heidegger nicht diskutieren will, und sich nicht in das Gerede der Zeit einmischen will, aber nicht, wenn das seiner Philosophie inhärent ist, seine Philosophie eine ist, die nicht verhandelt und nicht diskutiert, daher wissenschaftsfeindlich und eventuell undemokratisch ist, vor lauter Besinnlichkeit eine Grube gräbt, aber keine Bezüge herstellt. Weil Heidegger keine Moralphilosophie hat, begreift er den wahren Charakter des Seins auch nicht (bzw. umgekehrt): Denn das Sein ist eine moralische Sache, und das In-der-Welt-sein eine moralische Angelegenheit, was (von Grunde auf) Ethisches. Heidegger begreift sich als in der Nachfolge von Kant, aber er bleibt hinter Kant zurück, indem er als Monist in einem vulgären, phänomenalen, zeitlichen Seinsverständnis verhaftet bleibt; Kant hingegen, als Dualist, neben der phänomenalen Welt, das Reich der Sittlichkeit und des Noumenalen als eigenständige, und der phänomenalen und zeitlichen Welt gegenüber transzendente Sphäre anerkennt. Heidegger sieht dieses Reich der Sittlichkeit nicht, und damit auch die Eigentlichkeit nicht, und damit auch die Ewigkeit nicht, und damit auch den wahren Charakter der Seinsvergessenheit nicht. Ich bin, wenn man so will, wiederum Monist, da das In-der-Welt-sein für mich so zutiefst von ethischen Erwägungen durchzogen ist, dass man sagen kann, dass Ethik im Sein real existiert und die noumenale Sphäre der Sittlichkeit ganz real ist. Wenn man in dieser Sphäre sein Haus des Seins errichtet, ist man eigentlich und der Zeitlichkeit und dem Sein-zum-Tode nicht mehr verfallen.) Die Schwierigkeiten, die man haben mag, Heidegger zu verstehen und nachvollziehen zu können, mögen auch darin liegen, dass Besinnlichkeit etwas Unterbestimmtes und Subjektives ist, und man, in der Besinnlichkeit gefangen, nie weiß, wie besinnlich man eigentlich ist: ob man immer erst am Anfang steht oder schon an jedem möglichen Ende. Ich verstehe das mit der Besinnlichkeit zwar, aber mein Gestus ist es, dass man einfach durch alles hindurch soll. Ich sehe mir etwas an, einen chinesischen Film oder aber die Philosophie Heideggers, ich sehe mir Gut und Böse an, und muss jeweils hindurch. Das geschieht durch den beiderseits penetrativen wie meditativen Blick. Der beiderseits penetrative wie meditative Blick bohrt sich durch seinen Gegenstand durch und bleibt gleichhzeitig, respektvoll und gelassen, davor und beschädigt nichts: er bewahrt. Wisse, das ist mein Gestus, der jemeinige. Ich möchte alles bewahren, alles ist, gewissermaßen, heilig, so bin ich Hüter des Seins. Hüter des Seins wird man, wenn man das Sein transzendiert, und auch wenn man die Besinnlichkeit transzendiert. Reine Besinnlichkeit finde ich unterkomplex, und sie wird dem Sein nicht ganz gerecht. Ja, ich bin ganz allein, und auf meine Besinnlichkeit zurückgeworfen, wenn ich nicht in der (zumindest heutzutage aufregend schimmernden) Vielfältigkeit des Man untergehen will, aber ich habe die Existenz ja bei mir, da ich in-der-Welt-bin. Schwester, ich brauche nur aufzublicken und sehe vor meinem geistigen Auge ein virtuelles Gebäude, von virtuellen Verstrebungen, mit einem leicht ovalen Dach drauf, eine Art Bahnhofshalle, seine Linien sind offen und verlaufen sich weiter gegen den Horizont ins Unbestimmte (was aber nichts ausmacht, denn man ist einstweilen ja noch nicht dort): das ist die Philosophie, das ist das Haus des Seins, das ist das In-der-Welt-sein an sich. Ich stehe zwar, eventuell, nicht ganz drinnen, sondern draußen, in einer undefinierten weißen Leere, aber direkt vor mir bzw. in diesem Moment bereits bei mir beginnt schon diese Behausung, in der man ist und nicht ist, die vor einem liegt, in der man immer ankommt, am Ausgangspunkt steht – und das ist gut so, wie sollte es auch je anders sein? Vollends im Sein und in der Behausung gleichermaßen kann man niemals stehen; wie Sloterdijk anmerkt, ist der Mensch kein All-Sammler, der vollständig im Sein aufgehen kann, aber so vollständig als möglich geht man auf eben an jener Schwelle. Ich bin im Sein und habe die Zeit und die Zeitlichkeit überwunden, ich blicke auf und sehe vor mir eine abstrakte Bahnhofshalle, ovales Dach, die Ewigkeit…. Die Ewigkeit ist die Berechenbarkeit des Kosmos. Indem mein Leben/meine Existenz/Jemeinigkeit darin besteht, den Kosmos ständig neu zu berechnen, lebe ich jenseits der Zeitlichkeit in der Ewigkeit, und die Zeitlichkeit ist für mich insofern nur noch ein Problem, da sich innerhalb ihrer die Entfaltung des Kosmos/des Seins vollzieht, die berechnet und evaluiert werden muss. Heidegger selbst hatte zwar was gegen das „berechnende“ Denken der Moderne, aber „berechnen“ im vulgären Sinne bezieht sich auf das Ins-Verhältnis-setzen von Quantitäten, während der Philosoph Qualitäten berechnet, austariert, abwägt. Die Ausdeutung des Seins und des In-der-Welt-seins ist nichts anderes als das Berechnen der Seinsqualitäten. Die Ereignisse in Sein und Zeit mögen mächtig sein, aber sie sind auch dumm, daher beschränkt relevant. Wenn man in der Berechnung von Sein und Zeit lebt, existiert man dann tatsächlich und eigentlich. Die Existenz wird dadurch tatsächlich zur einzigen, eigentlichen Kategorie. Und als solche erfahren. Problem gelöst. Wenn Heidegger meint, nur ein Gott kann uns noch retten, so wird das schon stimmen, denn ich bin ja so was wie ein Gott, zumindest, und vor allem, in dessen Erscheinungsform des Heiligen Geistes: denn mein Geist ist der Heilige Geist. Ich habe extreme Anstrengungen unternommen, um das Menschliche hinter mir zu lassen, und das Menschliche zugleich extrem zu bewahren. Ich finde, das ist mir bislang ganz gut gelungen; damit es mir auch weiterhin so gut gelingt, will ich mich, nachdem ich mit Nietzsche fertig geworden sein bin, genauer mit Heidegger beschäftigen. Metal! Wie nun wirklich ein jeder weiß, kommt meine Philosophie aus der Auseinandersetzung mit dem Heavy Metal. Der Heavy Metal ist hohe Präsenz und Identität, und er ist surrealistische Übertreibung: er ist das Fremde, das Seltsame, das Andere, das es, gemäß meiner Philosophie, in sich aufzunehmen gilt. Damit erreicht man dann die Ganzheit, die Authentizität etc. und man geht im Sein auf. Heidegger hatte das Pech, dass es zu seiner Zeit noch keinen Heavy Metal gab, und so wanderte er, teilweise, auf Holzwegen, und außerhalb der Erlösung. Allerdings weiß ich auch nicht, ob er, wenn es den Heavy Metal zu seiner Zeit gegeben hätte, er ihn auch verstanden hätte. Heidegger ist somit ein Beispiel, dass auch Leute, die den Heavy Metal nicht kennen, und wohl auch nicht verstehen, trotzdem etwas zusammenbringen können und wichtige Vorarbeiten zur absoluten Erkenntnis liefern können, so unglaublich das klingen mag. Ich will mich daher genauer mit Heidegger beschäftigen. Das ist, einstweilen, die Geschichte von Heidegger und mir. Dann ist da noch der Idiot mit dem Windrad. Der erscheint auch, aber nur kurz. Schon ist er wieder weg.