Die chinesische Religion, deren große »gotische" Zeit um 1300 — 1000 liegt und den Aufstieg der Dschoudynastie umfaßt, will mit äußerster Vorsicht behandelt sein. Angesichts der flachen Tiefe und pedantischen Schwärmerei der chinesischen Denker vom Schlage des Konfuzius und Laotse, die alle im ancien regime dieser Staatenwelt geboren waren, scheint es sehr gewagt, auf eine Mystik und Legende großen Stils am Anfang überhaupt schließen zu wollen, aber sie muß einmal dagewesen sein...
Wir wissen jetzt, daß es entgegen der allgemeinen Annahme ein mächtiges altchinesisches Priestertum gab.i) Wir wissen, daß im Texte des Schuking Reste der alten Heldensänge und Götter- mythen rationalistisch verarbeitet und so erhalten geblieben sind; ebenso würden das Chouli, Ngili und Schiking noch sehr vieles offenbaren, sobald man sie mit der Überzeugung prüft, daß hier viel Tieferes vorliegen muß, als Konfuzius und seinesgleichen begreifen konnten. Wir hören von chthonischen und phallischen Kulten der frühen Dschouzeit, von einem heiligen Orgiasmus, wobei der Götterdienst von ekstatischen Massentänzen begleitet war, von mimischen Darstellungen und Wechselreden zwischen dem Gott und der Priesterin, woraus sich vielleicht ganz wie in Griechenland das chinesische Drama entwickelt hat.
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Band 2, S. 350f.