Amazonen-Lilli

Montaigne lehrte mich einst, wenn man einer Frau in ihrem Kummer nicht helfen kann, sei es das Beste, sie abzulenken und zu zerstreuen, und so ging ich mit ihr in den Würstelprater. Das bereitete Amazonen-Lilli eine enorme Freude, allerdings hatte sie, wie ich feststellen musste, ihre Probleme damit, sich dort zurechtzufinden. Als ich ihr einen Spieß mit schokoladeüberzogenen Früchten kaufte, warf sie diese weg und verspeiste stattdessen den Spieß; als ich ihr einen Kartoffelpuffer kaufte, aß sie die Serviette; beim Autodromfahren hielt sie sich strikt an die Straßenverkehrsordnung und motzte die anderen an, warum diese das nicht täten und als wir beim Gassenverkauf vom Schweizerhaus angekommen waren, fragte sie dort nach, wie viel denn die Praterstraße koste, die gefalle ihr sehr gut, daher wolle sie sie kaufen. Erklärungen, dass es sich da um ein Missverständnis handeln würde, begegnete sie damit, sich „dann eben“ nach dem Preis der Taborstraße, der Oberen Augartenstraße und der schönen und breiten Heinestraße erkundigen zu wollen; der zweite Bezirk gefalle ihr, da wolle sie ein paar Straßen erwerben. Nach weiteren Erklärungen, dass es sich beim Gassenverkauf eines Restaurants um etwas anderes handeln würde, als sie sich das offenbar vorstelle, und dass hier keine Straßen verkauft werden würden, schwenkte sie dann in die Richtung, die Vereinsgasse, die Springergasse, die Lessinggasse und die Pazmanitengasse – also meine eigene kleine Heimat, wie ich stolz lauschte – kaufen und jetzt mal endlich ein Angebot rübergewachsen haben lassen zu wollen! Die entnervte Gassenverkäuferin rollte die Augen gen Firmament und nannte einen astronomischen Phantasiepreis, wohl in der Hoffnung, Amazonen-Lilli damit loszuwerden. Amazonen-Lilli fragte aber nur Und wie viel ist das in getrockneten Hundehäufchen? (ihrer eigenen Währung), und knallte einen Sack voll davon auf die Ablage. Als die Gassenverkäuferin da ärgerlich-hysterisch wurde, begann sich Amazonen-Lilli schließlich ihrerseits gefernst vorzukommen, spannte in der Folge ihren Körper an, beugte sich ein wenig nach vor, kniff ihr linkes Auge zusammen und fixierte die Gassenverkäuferin umso eindringlicher mit dem rechten, dabei streckte sie den Arm nach ihrem Bogen aus. Ich beschloss, Amazonen-Lilli aus dem Würstelprater, in dem sie sich offenbar schlecht orientieren konnte, hinauszuführen, und stattdessen auf der Praterallee mit ihr zu spazieren. Während wir in unser philosophisches Gespräch vertieft waren, schoss Lilli dort nebenbei ein paar Läufer, Radfahrer und Inline-Skater ab, sodass wir bald von der Hälfte der Einsatzkommandos der Stadtpolizei eingekreist waren, mit der weiteren unmittelbaren Konsequenz, dass die Einsatzkommandos der Stadtpolizei um die Hälfte dezimiert wurden. Was aber keinen Anstieg der Kriminalität zur Folge hatte, sondern das Gegenteil, da Amazonen-Lilli mit ihrem Geist selbstverständlich über die ganze Stadt schauen konnte und erkennen, wenn ein Unhold irgendwo eine Schurkentat anbahnen wollte. Dann brauchte Amazonen-Lilli während unseres Gesprächs nur einmal beiläufig ein drohendes He! auszurufen und finster in die Richtung des Störenfriedes zu blicken, und schon ließ der Strolch von seiner Dummheit und Gemeinheit ab und verkroch sich blitzschnell unter seinem Bett, wo er sich für die nächsten mindestens achtundvierzig Stunden nicht zu bewegen wagte. Das philosophische Gehen von Amazonen-Lilli begann dabei den stärksten aller Eindrücke auf mich zu machen. Die Arme hinten verschränkt, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, die Beine nach vorne schleudernd und mit konzentriertem, leicht verzwickten Gesichtsausdruck und mit starren Augen einen imaginären Punkt auf dem Boden in ca. eineinhalb Metern Entfernung vor sich fixierend, das war das Gangbild Lillis, während sie sich in philosophische und introspektive Erläuterungen in dialogischer und monologischer Form vertiefte. Etwas, das so sexy auf mich wirkte, hatte ich an einer Frau noch nie erlebt und ich schmolz wie Titanstahl in der Sonne, also, in der Nähe der Sonne.