Abschließende Bemerkungen zu Hegel

Phänomenologie des Hegelschen Geistes

Leicht beieinander wohnen die Gedanken,

Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.

Schiller, Wallenstein

In der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, die aus neun Sätzen/Thesen und deren Begründung besteht, konstatiert Kant: Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemeinen das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft…. d.i. eine vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung… (Fünfter Satz, S.39) Und fügt sogleich hinzu: Dieses Problem ist zugleich das schwerste, und das, welches von der Menschengattung am spätesten aufgelöset wird. (Sechster Satz, S.40) Dass er das konstatiert, passiert in ideeller, in geschichtsphilosophischer Absicht. In der empirischen Welt scheint in erster Linie das Chaos zu regieren, und die Geschichte scheint keinem vernünftigen Plan zu folgen. Aufgabe der Philosophin kann es aber nicht sein, davor zu kapitulieren. Die Voraussetzungen in jenem Jahr 1784 sind so schlecht für ein solches Unterfangen nicht. Die menschliche Vernunft war als bedeutende Macht erkannt, welche Wissenschaft generiert, neue Rechtsauffassungen, neue Politik, welche in die Welt eingreift und sie zu verbessern imstande ist. Der Mensch wurde autonom, die Geschichte veränderbar. Das Leitziel des menschlichen Geschlechts konnte dadurch ein anderes werden: Nicht mehr, dass es sich, im Rahmen einer göttlichen, festgefügten Ordnung, bloß reproduziere, sondern, dass es sich auf einer höheren Ebene, einem höheren Qualitätsniveau der geschaffenen und zu schaffenden Lebenswelt fortpflanze. Die Anlagen dafür lägen im Menschen – qua seiner Vernunft – selbst, und: Die Natur hat gewollt: daß der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe, und keiner anderen Glückseligkeit, oder Vollkommenheit, teilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinkt, durch eigene Vernunft verschafft hat. (Dritter Satz, S. 36) Jetzt aber kommt`s: Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwicklung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism derselben der Gesellschaft, so fern dieser doch am Ende die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung bringen wird. (Vierter Satz, S.37) Nicht die Harmonie, sondern der Antagonismus, der Krieg ist der Vater aller Dinge und der Entwicklung aller inneren Anlagen. Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit des Menschen… (ebenda): Dass der Mensch also ein Wesen der Gesellschaft ist und ihrer bedarf, wie gleichzeitig ein Einzelwesen, das seine Vernunft und Kreativität, seine Waghalsigkeit und sein Abenteurertum nur dann richtig entfalten kann, wenn es sich vereinzelt und aus der Gesellschaft ausbricht. Diese Ungeselligkeit sei, was Erfindungen, Kunst, Technologie etc. ermögliche, mithilfe derer sich die Gesellschaft weiterzuentwickeln imstande ist. Die zwischenmenschliche Konkurrenz und die Rivalitäten, das hartnäckige Ringen mit der Natur und um Kultur – und (eventuell) weniger die Beschaulichkeit – seien dafür die eigentlichen Triebfedern. Der Konflikt sei der Motor der Geschichte. Der Mensch will Eintracht, aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht. (S.38f.) …. Die natürlichen Triebfedern dazu, die Quellen der Ungeselligkeit und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel entspringen, die aber doch auch wieder zur neuen Anspannung der Kräfte, mithin zu mehrerer Entwicklung der Naturanlange antreiben, verraten also wohl die Anordnung eines weisen Schöpfers; und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischer Weise verderbt habe. (S.39) Die Natur selbst sei, wenn man so will, vernünftig, beziehungsweise schaffe eine Basis für einen vernünftigen menschheitsgeschichtlichen Verlauf, eine allgemeine Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Entwickeln könne der vernunftbegabte Mensch seine guten, vernünftigen Anlagen am Besten dann, wenn er ausreichend „ungesellig“ und frei sein kann, d.h. keiner niederdrückenden Autorität unterworfen. Damit die Gesellschaft keiner niederdrückenden Autorität eines Leviathans unterworfen sei, sei eben die Erreichung einer allgemeinen das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft…. d.i. eine vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung notwendig. Eine vernünftige Ausformulierung und Begrenzung der Rechte und Pflichten des einzelnen Menschen seitens der Gesellschaft, eine vernünftige sittliche Verinnerlichung der gesellschaftlichen Prinzipien seitens des Individuums. Eine vernünftige und ethisch nachvollziehbare Mediation von Konflikten zwischen und für vor dem Gesetz gleichen Rechtssubjekten; eine produktive Instrumentalisierung des „Antagonisms“ zum Zwecke der allgemeinen Glückseligkeit und des Fortschrittes. Die Schaffung eines solchen Menschentypus und die Schaffung eines solchen Gesellschaftstypus sei Sinn und Verwirklichung der allgemeinen (universalen) Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Gleichsam folge dieses nur dem Plan der Natur und sei die Verwirklichung der durch die Natur gegebenen Anlagen. Kants Schrift ist kurz und skizzenhaft und mit: Wir wollen sehen, ob es uns gelingen werde, einen Leitfaden zu einer solchen Geschichte zu finden, und wollen es dann der Natur überlassen, den Mann hervorzubringen, der im Stande ist, sie danach abzufassen, beendet Kant bescheiden seine Einleitung zu seiner Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Offensichtlich war dieser Mann aber dann Hegel. – Zwei Jahrhunderte später (1970) wird Michel Foucault in seiner berühmten Inauguralvorlesung am Collège de France (veröffentlicht als Die Ordnung des Diskurses) dann konstatieren: Aber um Hegel wirklich zu entrinnen, muss man ermessen, was es kostet, sich von ihm loszusagen; muss man wissen, wie weit uns Hegel insgeheim vielleicht nachgeschlichen ist; und was in unserem Denken gegen Hegel vielleicht noch von Hegel stammt; man muss ermessen, inwieweit auch noch unser Anrennen gegen ihn seine List ist, hinter der er uns auflauert: unbeweglich und anderswo (Foucault S.45) – und es ist bemerkenswert, dass Foucault hier Hegel so prominent, gar gleichsam zentral erwähnt: da sich Foucault in seiner eigenen Philosophie mit Hegel kaum explizit beschäftigt (er erwähnt Hegel in Bezug auf seinen geschätzten Lehrer Hyppolite, der Hegel-Exeget war: aber das, was er meint, ist von viel größerem Umfang und betrifft die moderne Philosophie selbst). In einer anderen Hinsicht allerdings scheint sein gesamtes geistiges Ringen als eines mit Hegel: dem Wahnsinn/der Unvernunft als Gegenstück zur Vernunft eine Stimme zu verschaffen; gegen „Einschließungssysteme“ zu rebellieren; Aufklärung nicht nur als Entwicklung zur Freiheit hin zu fassen sondern zu neuen Formen der Unterdrückung, die tief ins Subjekt hineinreichen; die Wissenschaft vom Menschen und den Humanismus selbst fragwürdig erscheinen zu lassen (und am Ende dann doch erst wieder „das Subjekt“ und die Notwendigkeit zu seiner Selbstpflege zu entdecken). Und dieses Ringen mit Hegel – direkt oder indirekt – ist vielleicht eines (wenn eben nicht sogar das), das die neuere Philosophie – und noch viel mehr als das: die menschlichen Hoffnungen auf eine Befreiung des Individuums und einer zur Vernunft und zur Harmonie bestimmten Wirklichkeit – an sich kennzeichnet. Das, was man in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht hat, und das, was man bei Hegel hat, ist im Wesentlichen das Programm der Moderne. Die Epoche eines vernunftbegabten, vernunftfähigen, durch Bildung zur Vernunft geführten Subjekts, das in einen vernünftigen, progressiven geschichtlichen Verlauf eingelassen ist, bzw. fähig ist, diesen zu als solchen zu gestalten – oder zu verunstalten —: und das aus viel komplexeren Motiven als aus bloßer „Unvernunft“ oder „menschlicher Triebnatur“: sondern aus der womöglich zweifelhaften Natur der „Vernunft“ selbst… – ist nicht vielleicht sogar die ewige Verunstaltung das eigentliche Thema der Menschheitsgeschichte? Kant selbst hat mit Skeptizismus gegenüber dem empirischen geschichtlichen Verlauf als realen Kontrast zu seiner Idee von einem nicht gespart: Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht bloß instinctmäßig wie Thiere und doch auch nicht wie vernünftige Weltbürger nach einem verabredeten Plane im Ganzen verfahren: so scheint auch keine planmäßige Geschichte (wie etwa von den Bienen oder den Bibern) von ihnen möglich zu sein. Man kann sich eines gewissen Unwillens nicht erwehren, wenn man ihr Thun und Lassen auf der großen Weltbühne aufgestellt sieht und bei hin und wieder anscheinender Weisheit im Einzelnen doch endlich alles im Großen aus Thorheit, kindischer Eitelkeit, oft auch aus kindischer Bosheit und Zerstörungssucht zusammengewebt findet: wobei man am Ende nicht weiß, was man sich von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen Begriff machen soll, steht da am Anfang, und: Denn was hilft´s, die Herrlichkeit und Weisheit der Schöpfung im vernunftlosen Naturreiche zu preisen und der Betrachtung zu empfehlen: wenn der Teil des großen Schauplatzes der obersten Weisheit, der von allem diesen den Zweck enthält. – die Geschichte des menschlichen Geschlechts – ein unaufhörlicher Entwurf dagegen bleiben soll, dessen Anblick uns nötigt, unsere Augen von ihm mit Unwillen wegzuwenden, und, indem wir verzweifeln, jemals darin eine vollendete vernünftige Absicht anzutreffen, uns dahin bringt, sie nur in einer anderen Welt zu hoffen? steht da am Ende(S.49) (nur solche Gesellschaften aber würden noch Jahrhunderte später bewundert, studiert und zu Rate gezogen werden, die sich in weltbürgerlicher Absicht zu verwirklichen vermochten, lautet dann das finale Verdikt). Und auch Hegel selbst war ein Luftikus und bloßer Optimist nicht: Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr, denn sie sind Perioden der Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.42) – Noch im selben Jahrhundert Hegels wurden wirkungsmächtige philosophische Zweifel an der Vernünftigkeit der Welt formuliert, oder aber Individualitäten und Partikularitäten artikuliert, die sich schwer unter ein Allgemeines oder eben eine allgemeine Idee subsumieren lassen (am Bekanntesten durch Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche). Marx stellt – noch wirkungsmächtiger, wie sich erweisen sollte – Hegel „vom Kopf auf die Füße“ und formuliert den dialektischen Materialismus. In der Hochmoderne treten – als Schatten zum Fortschrittsglauben – Pessimismen auf, angesichts eines scheinbaren Übermächtigwerdens des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts und einer scheinbar daraus folgenden „Entfremdung“ des Menschen: einer Aufklärung, einer Vernunft und eines allgemeinen geschichtlichen Verlaufs, die heteronome Logiken und Geister produzieren, die man nicht mehr los wird. Heidegger ruft inmitten dessen zu einem „besinnlichen Denken“ auf; Adorno und die Frankfurter Schule zu einer „Negativen Dialektik“ (der Aufklärung). Foucault selbst gilt, mit seiner Liebe für von der Geschichte und von „der Macht“ unterdrückten „Diskursen“, die er sichtbar machen will, und anhand derer er Gegenentwürfe zur „Macht“ entwickeln zu gedenkt, als exemplarischer Vertreter der Postmoderne. Der scheinbar totalitäre Systemdenker Hegel fungiert der „Postmoderne“ als Feindbild; die „Postmoderne“ selbst sieht sich als Versuch, solch totalisierendem und systematisierendem Denken zu entkommen – wobei Foucault zumindest intelligent (oder „dialektisch“) genug ist, zu erkennen, welche Schwierigkeiten da lauern: Kann man noch philosophieren, wo Hegel nicht mehr möglich ist? Kann es noch eine Philosophie geben, die nicht mehr hegelianisch ist? Ist das, was in unserem Denken nicht hegelianisch ist, notwendigerweise auch nicht philosophisch etc. bohrt er weiter (Foucault S.46) Oh ja! – ist Hegel denn nicht die Achse, entlang nicht nur die neuere Philosophie verläuft, sondern das (zumindest westliche) Denken und Hoffen insgesamt? Hegel: der archetypische Philosoph – mit der archetypischen Philosophie – der jüngeren (industrialisierungszeitalterlichen) Moderne. Ist also unser industrialisierungszeitalterliches Denken – und unsere Politik – etwas, das bei Hegel vorgezeichnet wird? Foucault suggeriert in seiner Inauguralvorlesung: Hegel sei ein Erfahrungsschema der Modernität. Sogar ich selbst habe damals (daran anknüpfend) meine Diplomarbeit Der Bildungsbegriff als Erfahrungsschema der Modernität genannt. Es ging darin eben um das Konzept eines vernunftfähigen, durch Bildung zu Vernunft und Humanität gebrachten Subjekts, das in einen als progressiv vernünftig angenommenen bzw. erhofften modernen geschichtlichen Verlauf eingelassen sei, als eine Art Leitbild, über die sich die Geschichte der modernen Philosophie eventuell nachzeichnen ließe. Nichts, von dem was in meiner Diplomarbeit drinnen steht, ist dabei wichtig. Es ist eine akademische Arbeit, und das Thema akademisch zu verstehen und dessen letzte Ausläufer in der postmodernen Philosophie zu verstehen, ist ja auch gleichsam eine Kinderjause. – Die Mysterien der Philosophie Hegels zu verstehen, die tiefsinnigen, hochgradig ahnungsvollen Mysterien des absoluten Geistes: das ist etwas – wenn er sehr viel Glück hat – für den reifen Mann. Es ist sehr viel schwieriger und benötigt Jahrhunderte. Die postmoderne Philosophie z.B. erscheint knallig, ein wenig schwer verständlich in ihrer Paradoxie, und sie ist anziehend und sehr charismatisch. Und sie ist relatives und relativierendes Wissen; ein Wissen eben für junge, unvollständige und relative Leute. Hegel ist überhaupt nicht charismatisch; er ist ein Opa und einer der furchtbarsten Schriftsteller der Philosophiegeschichte. Aber seine Weisheit ist eben tatsächlich gleichzeitig uralt – und älteste Weisheit – wie sie zukünftig ist. Es ist eine Sache, in das Zeitalter einzudringen und eine neue Lösung, eine neue Darstellung, Heuristik, Handlungsempfehlung etc. für es zu finden (so eben z.B. bei der Postmoderne). Eine andere ist, durch sein Zeitalter hindurch alle Zeitalter zu durchdringen und seinen Geist dagegen in Stellung zu bringen – wie man diese Bewegung eben bei Hegel hat. Versuchen wir also diese Bewegung Hegels nachzuvollziehen, versuchen wir ihn einzuholen und ihn – ein verwegenes Unterfangen! – eventuell zu überholen.

Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form, schreibt Marx 1843 an Ruge; damals zutiefst verstrickt in kritische Auseinandersetzung mit Hegel. Tatsächlich ist ziemlich viel von dem, was der Mensch je gemacht hat, vernünftig, auch wenn es nicht so scheint. Irrationale Rituale, Etiketten, Vorschriften, Ahnenkulte, Traumdeutungen, Versuche, die Natur zu beherrschen oder die Zukunft vorherzusagen sind Ausflüsse von Vernunft in traditionellen, geschlossenen Gesellschaften, in denen der Mensch wenig Macht über die Natur hat und auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und hierarchische Arbeits/Geschlechterteilung angewiesen ist, um überleben zu können. Eine Furcht vor Innovation und Veränderung, die das fragile, stets an der Kippe stehende Gleichgewicht stören und als scheiternde Versuche womöglich ganz zusammenbrechen lassen. Das ist freilich recht idealtypisch. Je besser eine Gesellschaft aber darin wird, die Natur zu beherrschen – durch neuzeitliche Technologie – desto eher bestehen Chancen, dass sie von einer geschlossenen zu einer offenen (vernunftorientierten) Gesellschaft übergeht. Inwieweit diese Möglichkeiten ergriffen werden, scheint nicht zuletzt aber auch vom Denken abzuhängen. China war  bekanntlich mit etlichen Innovationen früher dran als Europa, hat diese Innovationen aber nicht in Technologie umgesetzt. Bis dass sich China an der westlichen (technologischen) Vernunft ein Beispiel nahm, vergingen Jahrhunderte einer eigentümlichen, resistenten nationalen Lethargie. Abgesehen von anderen Faktoren für diese Lethargie und mangelnde Innovationsfähigkeit scheint die chinesische Form der Vernunft zwar eindrucksvoll, aber nicht als das, was wir heute im Westen als Vernunft, im Sinne von rationalem, logischem, wissenschaftlich orientiertem Denken verstehen, und daher auch nicht unmittelbar anschlussfähig an eine solche. Eine (traditionelle) chinesische Vernunft denkt (wenn ich mich nicht allzu stark irre) vorwiegend in Analogien, Vergleichen, Nuancen, macht Schlussfolgerungen von Zusammenhängen abhängig und hat einen Fimmel mit der Ritualistik. Die Moral ist undurchsichtig und zweideutig. (Eben vielleicht auch wegen dieser Opazität des Denkens und des moralischen Empfindens wird seit jeher von der Regierung auf striktes Obrigkeitsprinzip und Überwachungsstaatlichkeit gesetzt.) Es ist kein Reich des logischen Schlussfolgerns und auch keines des innovativen Denkens. China ist ein riesiges Reich, das auf (kollektivistischen) Reisbau setzt und das eine ganz andere Gesellschaftsstruktur hat, als z.B. Europa es jemals hatte. Es war – aufgrund der Bedrohung durch innere und äußere Unruhen, und eben aufgrund seiner unübersichtlichen Größe – stets bemüht, sich eine hochgradig statische Form zu geben. Es ist, insgesamt, etwas, was ziemlich anders ist als das, was wir im Westen gewohnt sind. Hegel übrigens hat China als die älteste und auch weit in der Vergangenheit bereits ausformulierte und nicht mehr entwicklungsfähige Zivilisation betrachtet. In jenen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte sagt er dann, eben ähnlich wie Marx: Die Vernunft, von der gesagt worden, daß sie die Welt regiere, ist ein ebenso unbestimmtes Wort als die Vorsehung – man spricht immer von der Vernunft, ohne eben angeben zu können, was denn ihre Bestimmung, ihr Inhalt ist, wonach wir beurteilen können, ob etwas vernünftig ist, ob unvernünftig. (S.28) Dies angeben zu können: darum dreht sich nun die gesamte Philosophie Hegels. – Dass die Vernunft, dass der Geist die Welt regiere, ist tatsächlich die philosophische Erzählung Hegels. Die Welt (zumindest, soweit sie uns was angeht: also als unsere Lebenswelt) sei identisch mit dem Fortschreiten und dem sich Ausdifferenzieren des Geistes, also der geistigen Durchdringung der Natur/der Objektivität durch den Menschen und der spiegelbildlichen geistigen Selbstdurchdringung des Menschen selbst. Am Ende des Prozesses stehe eine große Herrlichkeit der Selbstrealisation des absoluten Geistes und des absoluten Wissens: in Form einer guten und gerechten und kompetenten Gesellschaft und Staatlichkeit, die von guten und gerechten und kompetenten Individuen getragen werden. Denn die Weltgeschichte ist die Darstellung des göttlichen, absoluten Prozesses des Geistes in seinen höchsten Gestalten, dieses Stufenganges, wodurch er seine Wahrheit, das Selbstbewußtsein über sich erlangt. (ebenda S.73) In den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte beschreibt Hegel die Weltgeschichte über die Kulturräume hinweg als einen solchen Stufengang einer Menschheit, die sich durch ihr Eingreifen in die Natur und ihre Entwicklung von Kultur fortwährend geistig ausdifferenziert. Ursprünglich (in Afrika) habe der Mensch durch seine mangelnden Manipulationsmöglichkeiten hinsichtlich der Natur auch wenig Wissen über sich selbst, daher wenig Subjektivität und wenig Sittlichkeit. Die ersten Hochkulturen und Zivilisationen bestehen darin, dass sich ein objektiver Geist (also ein gewisses Wissen über die Manipulation der Natur und eben eine Kultur) innerhalb ihrer realisiert hat, der jedoch noch primitiv ist. Dieser nimmt dabei die Form einer starren Ritualistik an (in der chinesischen Zivilisation) oder aber einer von Magie verzauberten Verträumtheit und eines Halluzinierens (in der indischen Zivilisation). Die Subjektivität bleibt dadurch inexistent bzw. inkompetent. In der antiken persischen Zivilisation erscheint mit dem Zoroastrismus zum ersten Mal eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse und damit für eine rationale Sittlichkeit (und damit auch für eine Rationalität des Denkens), jedoch fehlt noch die subjektive Innerlichkeit (an die später im Christentum appelliert wird). Im antiken Griechenland treten zum ersten Mal eine echte Subjektivität beim Menschen hervor und eine wissenschaftliche Herangehensweise an die Welt. Es ist eine Kultur des Logos, die jedoch gleichsam noch von einer elementaren Unreife auf der Subjekt- und auf der Objektseite bestimmt ist und von einer mangelnden Durchsichtigkeit gegenüber sich selbst (der innere Daimon und das Orakel sind nach wie vor die bestimmenden Mächte). Das antike Griechenland gleiche einer Jugendzeit der Menschheit. Im antiken Rom dann gleichsam der Eintritt in das Erwachsenenalter: indem der subjektive Mensch wieder einer objektiven gesellschaftlichen Maschinerie unterworfen wird – dieses Mal allerdings als autonomes Rechtssubjekt. Was Rom an die Zukunft weitergibt, ist das Römische Recht. Im germanischen Volk der Neuzeit – seit alters her ein vergleichsweise freies Volk – schließlich realisiert sich eine freie, vernünftige und sittlich autonome Subjektivität, die einer vernünftigen und ausdifferenzierten Objektivität und Sittlichkeit gegenübersteht bzw. mit ihr gleichsam verschmilzt: Die Weltgeschichte stellt nun den Stufengang der Entwicklung des Prinzips, dessen Gehalt das Bewußtsein der Freiheit ist, dar. (ebenda S.77) Jetzt wirft man Hegel gerne vor: dass seine Philosophie und Geschichtsauslegung nichts anderes sei als eine des (zu seiner Zeit) triumphierenden Bürgertums und eine Legitimation seiner Herrschaft. Zum einen ist das freilich ein Vorgang, eine Transformation von größter Tragweite und das Aufstoßen eines Tors zu einer völlig anderen, von der Vergangenheit verschiedenen Zukunft. Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in die Arbeit seiner Umgestaltung. (Phänomenologie des Geistes S.18) Indem die Zukunft anders wird, ergibt die Vergangenheit und ergibt die Geschichte einen neuen Sinn, bzw. – so die Hoffnung – enthüllt sich endlich deren Sinn: Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen (Marx) bzw. die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug. (Grundlagen der Philosophie des Rechts S.28) Zum anderen könnte man geneigt sein, Hegel nichtsdestotrotz, oder eben gerade deswegen, die Relativität seines eigenen Standpunktes und Blickwinkels vorzuwerfen. Dessen ist er sich im Übrigen auch selbst im Klaren: Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.26)  (Woran man wieder sieht, dass Philosophien und philosophische Systeme bzw. die Artikulationen der Philosophinnen dann doch immer wieder komplexer sind reflektierter sind, als die Ideologien, die sich eventuell daraus ableiten lassen.) Allerdings gibt es nichts, was für sich genommen verhindern würde, dass Hegel nicht bloß aus einer relativen historischen Situation heraus philosophieren würde, sondern eben aus einer privilegierten, ja vielleicht sogar aus einer absoluten historischen Situation heraus. Einige historische Situationen haben wohl mehr Wahrheit als andere (mit Kant gesprochen wären das eben historische Situationen, in denen sich die allgemeine Geschichte in weltbürgerlicher Absicht manifestiere). In einigen historischen Situationen komme die Idee, also die Übereinstimmung des vernünftigen Begriffs mit der Wirklichkeit zum Vorschein: und das sind die einzigen historischen Situationen, die geschichtsphilosophisch Sinn machen, und die Epiphanien der (geschichtlichen) Wahrheit sind. Und die Wahrheit habe eine höhere Qualität und sei von einer höheren Ordnung als die Unwahrheit, oder die Abweichung von der Wahrheit: Aber die Philosophie soll keine Erzählung dessen sein, was geschieht, sondern eine Erkenntnis dessen, was wahr darin ist, und aus dem Wahren soll sie ferner das begreifen, was in der Erzählung als bloßes Geschehen erscheint. (Wissenschaft der Logik II S.260) – Die Idee ist der adäquate Begriff, das objektiv Wahre oder das Wahre als solches. (ebenda S.462) – Sein hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht, indem die Idee die Einheit des Begriffes und der Realität ist; es ist also nunmehr nur das, was Idee ist. (ebenda S.465) – Alles Übrige ist Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist Sein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit. Sie ist der einzige Gegenstand und Inhalt der Philosophie. (ebenda S.549) Die Geschichte sei ein Prozess, in dem sich einzeln aufblitzende Wahrheitsmomente ins Verhältnis setzen – der Rest ist das übliche Chaos und daher (geschichtsphilosophisches) Schweigen. Ein langwieriger, allerdings geradezu notwendig langwieriger Vorgang: Dies Werden stellt eine träge Bewegung und Aufeinanderfolge von Geistern dar, eine Galerie von Bildern, deren jedes, mit dem vollständigen Reichtume des Geistes ausgestattet, eben darum sich so träge bewegt, weil das Selbst diesen ganzen Reichtum seiner Substanz zu durchdringen und zu verdauen hat. Indem seine Vollendung darin besteht, das, was er ist, seine Substanz, vollkommen zu wissen, so ist dies Wissen sein Insichgehen, in welchem er sein Dasein verläßt und seine Gestalt der Erinnerung übergibt. In seinem Insichgehen ist er in der Nacht seines Selbstbewußtseins versunken, sein verschwundenes Dasein aber ist in ihr aufbewahrt; und dies aufgehobene Dasein – das vorige, aber aus dem Wissen neugeborene – ist das neue Dasein, eine neue Welt und Geistesgestalt. (Phänomenologie des Geistes S.591) Hegel-Exeget Alexandre Kojève sah in der bürgerlichen Gesellschaft und der liberalen Demokratie die endgültige neue Welt und Geistesgestalt; Francis Fukuyama hat nach dem Ende des Kalten Krieges dasselbe getan – unter Berufung auf Hegel, den (Quasi-)Propheten. Einstweilen steht das auf dem Prüfstand. Aber so wie es aussieht, sind die Chancen dafür nach wie vor gut. – Eine unkritische Haltung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft kann man Hegel freilich vorwerfen; eine Ausblendung dessen, dass sie eine Klassengesellschaft ist/war. Hegel geißelte zwar die Exzesse der bürgerlichen Gesellschaft (dass sie übermäßigen Reichtum und übermäßige Armut produziere und die Menschen dadurch gleichermaßen verrohe), weiter ging er aber nicht. Er propagierte die Freiheit innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft, philosophierte aber weniger darüber, inwieweit die Freiheit der einen sich nicht auf der Unfreiheit der anderen erhebe (Kein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit der anderen – so Marx) Und dann eben Hegel  als „preußischer Staatsphilosoph“ von der Obrigkeit Gnaden – was man ihm immer wieder vorgeworfen hat. Eine Staatsgläubigkeit, ein unterwürfiges Duckmäusertum gegenüber der Obrigkeit hat man Hegel immer wieder unterstellt, dessen Philosophie in nichts anderem bestehe, als dieses Duckmäusertum gegenüber der staatlichen Obrigkeit zu rationalisieren und zu spiritualisieren. Dann wiederum gilt Hegel als Philosoph der Aufklärung, des (Neu)Humanismus und der Freiheit. Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee – sagt er(Grundlinien der Philosophie des Rechts S.398) Der Staat an und für sich ist das sittliche Ganze, die Verwirklichung der Freiheit, und es ist absoluter Zweck der Vernunft, daß die Freiheit wirklich sei – sagt er aber eben – und vor allem – auch(ebenda S.403) Das Zentrum dieser (scheinbaren) Dichotomie findet sich bei Hegel selbst, der sowohl konservativ und bewahrend (genauer gesagt – denn das ist dann wieder was anderes –: auf Harmonie bedacht) war, als auch eben dezidiert progressiv, liberal und eben auch revolutionär. Und so sollte sich der Hegelianismus schnell in einen (progressiven) Links- und einen (konservativ-reaktionären) Rechtshegelianismus verzweigen. Vielleicht ist das auch ein Indiz dafür, wie universal Hegel war, und wie sehr darauf bedacht, alles und jeden zu seinem Recht kommen zu lassen, und eben auf eine ganzheitliche Perspektive. Und sicherlich hatte er Recht! Denn, wahrlich ich sage euch: Die beste gesellschaftliche Ordnung ist die einer liberalen demokratischen, vernünftigen und rechtsstaatlichen Gesellschaft, in der die freien Individuen hinreichend Gemeinsinn und Disziplin verinnerlicht haben um sich als Teil eines gesellschaftlichen Ganzen zu begreifen und dessen Wohlergehen und Fortschritt von sich aus zu befördern gedenken (am idealtypischsten hat man das in Westeuropa, und vor allem in der Schweiz). Ich glaube nicht, dass es innerhalb des Bekannten und des Vorstellbaren eine bessere Lösung geben kann dafür, wie Menschen und Gesellschaften ihre Probleme lösen. – Hegel ist letztendlich Verkünder einer vernünftigen offenen Gesellschaft (in der das Subjekt das Gesetz in sich trägt: den Spirit der Vernunft und der Rechtsstaatlichkeit verinnerlicht hat). Bemerkenswerterweise ist es gerade Popper – und eben gerade in seiner Schrift von der Offenen Gesellschaft und ihrer Feinde, der Hegel delegitimiert und der gegen ihn polemisiert, wie es in der Philosophiegeschichte – bei aller anderen Kritik an Hegel – nur Schopenhauer getan hat (dessen irrationale und paranoide Injurien gegen Hegel er im Übrigen auch breit und genüsslich zitiert und gegen Hegel in Stellung bringt). Bestenfalls einen Vordenker des Faschismus kann Popper in Hegel erblicken – eher aber noch, und in erster Linie, einen Scharlatan, der als Philosoph „völlig unbegabt“ gewesen sei. Viel Feind, viel Ehr´. (Der rationale Kern der Popperschen Polemik bezieht sich allerdings auf Hegels Historizismus und Geschichtsdeterminismus. Philosophien und Ideologien, die geschichtsdeterministisch sind, sind tatsächlich, zumindest implizit, anmaßend, irrational, fremdenfeindlich und totalitär: Weil sie behaupten, den zukünftigen geschichtlichen Verlauf zu kennen und was in der Geschichte siegen werde und was auf deren Misthaufen lande (im Zusammenhang womit sie dann wohl ungute Präferenzen ausprägen werden gegenüber diesem und ungute und vorurteilsmäßige Ablehnung gegenüber jenem). Irrational ist das deswegen, weil zukünftige Entwicklungen nicht gewusst werden können. Das scheint jedoch eher Marx auf den Kopf zu fallen als Hegel.)

Das ontologische Problem … welches Hegel aufwirft: Wie ist Metaphysik möglich? Wie kann die zeitliche Realität an der ewigen Ordnung teilhaben? Wie kann diese Ordnung in ihr erscheinen beziehungsweise sich ereignen? (Zizek, S.57) Hegel ist ein tiefsinniger Philosoph und das bedeutet, dass er ein Metaphysiker ist. „Metaphysik“ ist ein ein wenig seltsamer Begriff. Eine Verlegenheitslösung für unser Unwissen und unsere mangelnde Orientiertheit – was sinnigerweise schon darin seinen Ursprung hat, als er auf ein einfaches Editionsproblem zurückgeht: Insofern sie nicht wussten, unter welchem Titel sie die entsprechenden Schriften von Aristoteles herausgeben sollten, die „nach“ seinen physikalischen Schriften kamen, editierten seine Schüler sie also als „Metaphysik“ („nach/hinter der Physik“). Eine sinnige Lösung, in all ihrer Vieldeutigkeit (inklusive derer, dass sich „dahinter“ vielleicht nichts als eine bloße Trivialität verberge). „Metaphysik“ bezeichnet aber ein grundlegendes Streben des Menschen, „hinter“ die Dinge blicken zu wollen, zu den „letzten Dingen“ gelangen zu wollen, den Vorhang zurückziehen zu wollen, der die Welt der Erscheinungen vermuteterweise bloß ist, um die „wahre“ Realität freizulegen u. dergl. Sie ist, oder verweist auf, durchaus nichts Banales, und ist, hoffentlich, ein Streben in edler Absicht. Metaphysik – wollen wir das also so fassen – ist dabei zunächst Ontologie: Sie befasst sich mit der Frage nach dem „wahren“ Charakter des Seins. Im Zuge der gewaltigen Fortschritte in der Philosophie im Laufe der Jahrhunderte, Jahrtausende stellt sich spätestens seit Kant außerdem die Frage, inwieweit unser Erkenntnisapparat überhaupt hinreichend sein kann dafür, dass wir dieses „wahre“ Sein überhaupt erkennen können, beziehungsweise inwieweit unsere Erkenntnisse über das Sein nicht immer, zumindest irgendwie, durch unseren Erkenntnisapparat präformiert und deformiert bleiben. Metaphysik ist somit also auch Epistemologie: die Durchleuchtung und Überprüfung unseres Erkenntnisapparates. Eine Komponente der Deontologie hat die Metaphysik noch dazu. Insofern sie die Frage stellt: Was ist der richtige Umgang, den ich als Erkennender (oder Unwissender) mit dem Sein herzustellen habe? Inwieweit verpflichtet mich das Sein (und mein Mensch-sein) zu diesem und jenem Verhalten gegenüber dem Sein (und dem Menschen)? Schließlich noch die Eschatologie: Welchen „letzten“ „Sinn“ machen die Dinge, macht das Sein (in Bezug auf uns)? Mithilfe der Naturwissenschaften – mithilfe der „Physik“ – konnte man im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende tolle Fortschritte erzielen im Hinblick auf die „ontologische“ Fragestellung (weswegen dann hier und da postuliert wird, Metaphysik sei nunmehr überflüssig oder ein Relikt). Aber Metaphysik involviert eben mehr als die bloße Erhellung der objektiven Existenz, sondern fächert sich eben in mehrere Problemstellungen auf. Sie ist – wenn man sie vom Organisationsprinzip der Wissenschaften betrachtet – „multidisziplinär“. Sie befasst sich weniger mit der Feststellung der letzten objektiven Existenz sondern – vor allem – mit der subjektiven Eingelassenheit des Menschen in die objektive Realität und wird daher, in ihrem Drang „objektiv“ haltbare und definitive Erkenntnis über das „wahre Wesen“ des Seins zu produzieren auch immer wieder auf das subjektive Element zurückgeworfen. Somit hat die Metaphysik immer auch ein wenig einen Schleifencharakter, und entzieht sich dem Ideal einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis – obwohl sie dieses eben auch und vor allem verfolgt: Sie will zu einer definitiven Feststellung der „tiefsten“ (Lebens)Wirklichkeit kommen. – Metaphysik ist spekulativ. So wie Hegels Philosophie. Sie hat was Reflexives. So wie Hegels Philosophie. Sie versucht ihre (Selbst)Referenzialitäten und inneren Abhängigkeiten irgendwie zu überkommen und aus dem Relativen zu Absolutem zu gelangen bzw. die absolute Struktur dieser Referenzialitäten und Abhängigkeiten freizulegen. Sie ist ein transzendentes Bestreben … das letztendlich im Transzendentalen, Unhintergehbaren, nicht mehr Transzendierbaren ankommen will, dieses bestimmen will. Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie … in den Teilen verloren treibt es den Verstand zu seiner unendlichen Entwicklung von Mannigfaltigkeit, der, indem er sich zum Absoluten zu erweitern strebt, aber endlos nur sich selbst produziert, seiner selbst spottet. Die Vernunft erreicht das Absolute nur, indem sie aus diesem mannigfaltigen Teilwesen heraustritt. (Jenaer Schriften S.13) In der Philosophie (und darüber hinaus) geht es darum, vernünftige Unterscheidungen zu treffen zwischen den unterschiedenen, unterscheidbaren Charakteristika in der Welt. Ein Paradigma der allumfassenden Verbundenheit von allem hat man bestenfalls in einer atavistischen, animistischen (Geistes)Welt, in der es keine Philosophie gibt. Genauso ist es aber Intention der Philosophie, verborgene Zusammenhänge zwischen dem (scheinbar oder tatsächlich) Getrennten zu entdecken, verbunden mit der (ebenfalls gleichsam atavistischen) Hoffnung, zu einer Art „Absolutem“ vorzustoßen, das (voraussetzungsloser) Ursprung jener Getrenntheiten ist, oder aber entelechische/teleologische Zusammenführung und Überwindung ihrer, oder eben etwas von den Getrenntheiten und Relativitäten Abgelöstes und Eigenständiges. Letztendlich ist „das Absolute“ ein weiterer Verlegenheitsbegriff für etwas, wo unser Denken etc. nicht mehr tatsächlich hingelangen kann, eine Projektion – allerdings keine, die ein Irrlicht wäre, sondern ein tatsächlicher Fluchtpunkt unseres Denkens und unseres Empfindens. Wenn man so will, ist es ja genau die analytische „Entzweiung“, der Widerspruch, der Gegensatz, die Negation, der Antagonismus – also eben das, was in der Hegelschen Philosophie das zentrale Movens ist – der das Bedürfnis nach (vernünftiger) Versöhnung – wenn möglich im „Absoluten“ – erst recht mit sich bringt —- will man nicht in eine agonale oder irrationale Weltsicht und Geschichtsauffassung (wie Schopenhauer oder Nietzsche) verfallen. Das war aber Hegels Absicht eben nicht. Hegels Philosophie ist eine gleichsam metaphysisch grundierte (also ins tiefste Sein eingeschriebene bzw. aus ihr heraus wirksame) Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Über den real existierenden (oder als solchen empfundenen) Gegensatz strebt er dessen Vereinigung in einer – dann eben – höheren Ordnung des Seins an: die sich – bei Hegel – mit ebenjener Vereinigung aber eben erst errichtet. In der Philosophie wird gezeigt, daß die Idee zum unendlichen Gegensatze fortgeht … Den absoluten Zusammenhang dieses Gegensatzes zu fassen, ist die tiefe Aufgabe der Metaphysik. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.41) Metaphysik ist, wie erwähnt, eine (letztendlich) subjektive Feststellung der (letztgültigen) objektiven Wirklichkeit. Sie hat daher den Charakter einer subjektiven Interpretation der objektiven Wirklichkeit (ist, genau gesagt, darin eben auch gefangen) – was sie aber möglichst aufheben und unter sich lassen will: Sie will von einer (wackeligen) Interpretation zu einer (robusten, unumstößlichen) Feststellung gelangen. Hegel versucht in seiner ersten ernsthaften philosophischen Arbeit, der so genannten „Differenzschrift“ (Die Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie von 1801), die Trennung von Subjekt und Objekt hinter sich zu lassen. Die verbindende Instanz sei der Geist, in dem „Subjekt und Objekt eins“ sind. Dazu ist es notwendig, dass das Subjekt eine korrekte Anschauung bzw. einen korrekten Begriff vom Objekt entwickelt. Zur Inangriffnahme dieser Tätigkeit wird es durch die herausfordernde Präsenz des (von ihm getrennten) Objekts motiviert, welches es verstehen und beherrschen will. So arbeiten Subjekt und Objekt gleichermaßen zusammen, um sich im „Geist“ zu treffen und sich kollegial zu vereinigen. Über das Verstehen und Beherrschen des Objektes wird der subjektive Geist des Subjektes auf eine höhere Ebene gehoben und manifestiert sich nicht zuletzt als „objektiver Geist“ (der Wissenschaft, Rechtsvorschriften, Kultur etc.), der wiederum dem Subjekt mit einer gewissen Übermacht, als etwas historisch ihm Vorgelagertes gegenübertritt und es präformiert. Der „objektive Geist“ ist ein Hybrid zwischen Subjekt und Objekt und begründet Eigenlogiken und eine relativ autonome Sphäre. Über den selbstreflexiven „absoluten Geist“ durchdingt das kompetente Subjekt dann auch den objektiven Geist und stellt – über Philosophie, Kunst und Religion – neue Inhalte des objektiven Geistes her. Bei Hegel ist die Weltgeschichte (genauer gesagt die Welt an sich) eine Dynamik der Entfaltung von Geist, absolutem Wissen und Weltgeist. Das ist ihre letztendliche – und damit auch „metaphysische“ – Struktur. Die Metaphysik wird zur Logik (im Hegelschen Sinne: als Selbstentfaltung eines Logos über seine innere Dialektik), Logik wird zur „spekulativen Metaphysik“: für Hegel fallen Logik und Metaphysik zusammen, und so wird gleichsam das „dunkle“ und rätselhafte Wesen der Metaphysik ins Helle geborgen, und zu etwas, was nicht allein ein lösbares Rätsel ist, sondern sich gleichsam selbst löst. Das Geistige allein ist das Wirkliche; es ist das Wesen oder Ansichseiende,.. (Phänomenologie des Geistes S.28) Der subjektive und der objektive Pol lösen sich so in eine allumfassende „Geistigkeit“ auf; und Geist und Vernunft begründen (im Hinblick auf die deontologische Dimension der Metaphysik, und wie wir noch sehen werden) die Sittlichkeit und die Moral. Die Eschatologie liegt darin, dass der Geist sich selbst begreift und sich selbst durchdringt und sich in seinem totalen Wissen und seiner totalen Ausleuchtung von sowohl der Subjektivität als auch der Objektivität selbst realisiert und zur Geltung bringt. Das Ziel ist die Einsicht des Geistes in das, was das Wissen ist. (ebenda S.33) Und das ist dann eben: das absolute Wissen, und die Realisierung der Welt als Weltgeist. Bei Hegel bleibt nichts dunkel. Die Kantsche Idee vom „Ding an sich“ (also eines „realen“ „Kerns der Dinge“, der sich – oder von dem man zumindest nicht angeben kann inwieweit er sich – unseren Erkenntnismöglichkeiten entziehe) lehnt er ab: Stattdessen werde durch die Arbeit des Geistes das Wirkliche und das Wahre der Objekte (wie der Subjekte) progressiv enthüllt und zur Erscheinung gebracht. Ein altertümliches, überholtes Wissen – fern davon, das „Ding an sich“ im Gegenstande zu treffen – verweist auf einen altertümlichen, überholten Weltzustand: in dem dieses Wissen allerdings Sinn gemacht hat, und in dem Wissen eben nicht über ein solches Wissen hinausgelangen könne. – Hegel lehnt dann auch die Vorstellung ab, dass man durch „bloßes Nachdenken“ zu (metaphysischen) Erkenntnissen gelangen könne. Das sei nur über die Dialektik bzw. über die Abarbeitung am Gegensatz möglich. Weiters lehnt er die Kategorien der traditionellen Metaphysik ab (wie Seele, Welt, Gott…) im Sinne von etwas tatsächlich bereits Gegebenem: tatsächlich müssten sie dialektisch entwickelt werden. Weder „Geist“/“Wissen“ noch „die Welt“ sind für ihn das „Wahre“: die Idee sei nur vermittelst des Seins, das Sein nur vermittelst der Idee „das Wahre“: Und dieses Wahre entwickle sich eben ständig, dialektisch und logisch – und mit scheinbar eiserner Konsequenz. Nicht der Mensch erzeuge die Philosophie und das Wahre, die Philosophie und das Wahre erzeuge sich via des Menschen. Nicht der Mensch entwickle, in der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt, den Geist, sondern der Geist entwickle sich via des Menschen. Jetzt kann man Hegel also vorwerfen – und tut es gemeinhin –, dass er den „Geist“ über alle Maßen substantialisiert, der dadurch gleichsam zu einem Lebewesen, etwas Organischem wird: wenn nicht sogar zum „eigentlichen“ Lebewesen und Organismus (von dem Mensch und Welt also gleichsam nur dessen Organe sind). Der Geist wird so zu einer Garantiemacht des weltgeschichtlichen Verlaufs bzw. der Seinsentfaltung bzw. zu einer Garantiemacht seiner selbst. (Man hat also scheinbar einen Zirkelschluss: indem der Geist zugestandenermaßen Qualtäten schafft und entwickeln muss, die aber gleichsam die Voraussetzung eben dafür sind, dass er das tut – und zu solchen (scheinbaren) Zirkelschlüssen führt die Philosophie Hegels dauernd.) Der Geist regiert und entwickelt sich bei Hegel mit unbezwingbarer Logik: Allerdings nutzen die unbezwingbarsten und intelligentesten logischen Schlussfolgerungen nichts und gehen ins Leere, wenn denn die Annahmen, auf denen sie basieren, nicht korrekt sind. Inwieweit stimmt z.B. die Annahme, dass sich Wahrheit „dialektisch“ (und nicht (auch) über andere Modi) entfalte? Gerade der Geist scheint irgendwie mehr zu sein und mehr zu können als „Dialektik“ zu machen. Indem der Geist zu etwas wird, was sowohl Subjekt und auch Objekt übergeordnet ist, verlieren beide scheinbar an Eigenmächtigkeit und es wird unterschlagen, dass der Geist sich nur über einen „Überschuss“ von sowohl Subjekt als auch Objekt gegenüber ihm überhaupt entfalten kann. Der Geist kann sich nur über das Subjekt entwickeln. Er hat dort seinen eigentlichen Sitz. Das Objekt, das Sein, verliert sich bei Hegel gleichsam in etwas rein vom Geist Angeschautes: wobei gleichsam unterschlagen werde, welche Chaos-Einwirkung das Sein auf die Ruhe des Geistes immer wieder ausübt und in dessen Kristallpalast einbricht. Außerdem sind Subjekt und Objekt im Geist nicht „identisch“: Sie stehen in einem bestenfalls kollaborativen Verhältnis – oder eben auch das nicht. Denken kann keine Position erobern, in der jene Trennung von Subjekt und Objekt unmittelbar verschwände, die in jeglichem Gedanken, in Denken selbst liegt. (Adorno, Negative Dialektik S.92) Mit seiner Betonung, dass Geist und Sittlichkeit eins seien, scheint Hegel zu unterschlagen, dass Sitte immer wieder irrational, störend, bis eben auch sittlich empörend und tatsächlich unmoralisch ist/sein kann. Hegel selbst verlässt sich dann praktisch eben nicht auf „die Vernunft“, sondern auf den Staat – und genau gesagt den monarchischen Souverän – als Garantiemacht von Vernunft und Sitte: was vom Blickwinkel des heutigen (und auch damaligen) Weltgeistes als furchtbar reaktionär erscheinen will. Solcherlei Widersprüche oder zumindest Widrigkeiten hat man, wenn man Hegels Verabsolutierung des Geistes ganz ernst nimmt. Wie wir sehen werden, sind all diese Widrigkeiten entweder viel weniger bedeutend, als man meinen würde – oder aber noch viel schlimmer. Man kann Hegels Philosophie als eine erstaunlich gute Annäherung an die Wirklichkeit betrachten – oder das genaue Gegenteil tun. Ein bisschen zu sehr scheint Hegel halt von seiner eigenen Philosophie und der Anziehungskraft seiner Systematik fasziniert zu sein; in seinem Bestreben, sie umso universaler und verbindlicher und ausformulierter zu machen, versteigt er sich in Generalisierungen, die sie in Wirklichkeit auf den Status eines waghalsigeren Unterfangens zurückwerfen. Mit seiner Substantialisierung des Geistes und der Logik, die die Metaphysik ablöst, greift Hegel auf Voraussetzungen zurück, die selbst nicht notwendigerweise logisch sind, und die metaphysisch sind im Sinne einer subjektiven Interpretation der objektiven Wirklichkeit. Damit reduziert sich Hegels Logik dann eben wieder auf Metaphysik und auf eine Logik, die logische Argumente bietet, aber keine unumstößlichen logischen Notwendigkeiten. Hegel will die (dunkle) Metaphysik zu einer (klaren) Logik erheben, schafft dadurch aber neues Dunkel und neues Rätsel (in Verbindung noch dazu mit einem, für metaphysische Unternehmungen charakteristischem „Ahnen“). Dadurch hat Hegels Philosophie dann aber eben auch wieder das Charisma des Metaphysischen: Sie hat etwas Flimmerndes, Irreal-Reales; in der Welt, die gegeben ist, scheint noch eine andere Welt durchzuscheinen, und beide scheinen sich gegenseitig zu durchdringen; die höhere Welt/Sphäre gibt es da, die der erdgebundenen Welt gegenübersteht (und die im Rahmen dieser Metaphysik dann über sie triumphiert) — Metaphysik ist meistens ein wenig seltsam und unentscheidbar. Hegels Philosophie ist das auch. Hegel gehört zu den wahrhaft tiefsinnigen Philosophen. Und so ist Hegel notwendigerweise Metaphysiker. Mit all der darin liegenden Konsequenz dann eben.

Bartolomè Esteban Murillo war ein von Hegel geschätzter Maler – der heute nicht mehr so bekannt ist, der aber mit einem guten Geist ausgestattet war. Das Genie spiritualisiert alles, so Salvador Dali, und so mischt sich bei Murillo die Anschauung von irdischer und himmlischer Realität immer wieder mit einem mystischen Erleben: Es ist eine spiritualisierte Wirklichkeit, die er anschaut und empfindet. Diesem Menschen ist Alles zugänglich: sowohl die tiefste, verborgenste Mystik der Seele als auch das einfache, alltägliche Leben…; alles stellt er in erstaunlicher Wahrheit und Realität dar … urteilte Wassili Botkin im 19. Jahrhundert über Murillo.

Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie … in den Teilen verloren treibt es den Verstand zu seiner unendlichen Entwicklung von Mannigfaltigkeit, der, indem er sich zum Absoluten zu erweitern strebt, aber endlos nur sich selbst produziert, seiner selbst spottet. Die Vernunft erreicht das Absolute nur, indem sie aus diesem mannigfaltigen Teilwesen heraustritt. (Jenaer Schriften S.13)…. Für den jungen Hegel ist – wie für seinen Studienfreund Hölderlin – Harmonie und wie Harmonie möglich sei das zentrale Thema seines Denkens und Empfindens. Vielleicht ist ihm deswegen – so wie eben Hölderlin – die Disharmonie, das Entzweitsein, in der realen Welt wie in der Philosophie, nur umso bewusster, und rückt daher nicht weniger ins Zentrum. Hegel wie Hölderlin waren beide „Schwärmer“, gleichzeitig aber eben analytisch und realistisch genug um zu sehen, dass die Wirklichkeit nur teilweise zum Schwärmen provoziert, und das gleichsam ganz strukturell … denn dem Sehnen steht in seiner höchsten Schwärmerei … immer das Individuum, ein Objektives, Persönliches gegenüber, nach der Vereinigung mit welchem alle Tiefen ihrer schönen Gefühle schmachteten, welche Vereinigung aber, weil es ein Individuum ist, ewig unmöglich (ist), da es ihnen immer gegenüber, ewig in ihrem Bewußtsein bleibt, und die Religion nie zum vollständigen Leben werden läßt. (Frühe Schriften S.417) In der Tat sind die (einheitsstiftende, ideale) Religion und das (einheitsstiftende, ideale) religiöse Empfinden wesentlichster Ausgangspunkt für alle Überlegungen Hegels zu jener Zeit; dass Religion und religiöses Empfinden gleichzeitig ein umso deutlicheres von Disharmonie sind, ist ihm dabei ebenso umso klarer: In allen Formen der christlichen Religion … ruht dieser Grundcharakter der Entgegensetzung in dem Göttlichen, das allein im Bewußtsein, nie im Leben vorhanden sein soll … es ist gegen ihren wesentlichen Charakter, in einer unpersönlichen lebendigen Schönheit Ruhe zu finden; und es ist ihr Schicksal, daß Kirche und Staat, Gottesdienst und Leben, Frömmigkeit und Tugend, geistliches und weltliches Tun nie in Eins zusammenschmelzen können. (ebenda S.418) Indem der Mensch Vernunft und Verstand hat, indem er Bewusstsein hat – ohne eben göttlich und allmächtig zu sein – , ist er in der Lage, seine Entzweitheit und Getrenntheit, seine disharmonische Situation zu erkennen. Denn das Tier ist mit Gott eins, aber nur an sich. Nur der Mensch ist Geist, d.h. für sich selbst. Dieses Fürsichsein, dieses Bewußtsein ist aber zugleich die Trennung von dem allgemeinen göttlichen Geist. Halte ich mich in meiner abstrakten Freiheit gegen das Gute, so ist dies eben der Standpunkt des Bösen. Der Sündenfall ist daher der ewige Mythus des Menschen, wodurch er eben Mensch wird. Das Bleiben auf diesem Standpunkte ist jedoch das Böse…. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.389) Gleichzeitig stellt sich, indem der Mensch – im Gegensatz zum Tier – fähig ist, seine Umwelt bewusst zu manipulieren und Kultur und „objektiven Geist“ zu schaffen, eben das Problem der Moral und der moralischen Ausgestaltung der Lebenswelt. Moral und Sittlichkeit, wie Kultur und objektiver Geist überhaupt, sind Versuche, Entzweiung zu überwinden. Religion ist ein Versuch, mit der (spiritualisierten) Natur bzw. mit dem Göttlichen in ein Vertrauensverhältnis zu treten – oder sich, im Falle entwickelterer Religion – selbst zum Göttlichen zu erheben. Das Tier ist in Wirklichkeit kaum mit Gott eins; es lebt ein stumpfsinniges Leben, wird gejagt, ist dauernd auf Nahrungssuche, und der Gefahr schrecklicher Krankheiten ausgesetzt. Man kann als Mensch die Tiere beneiden – wird es aber dann meistens doch nicht tun. Der Mensch kann in einem unglücklichen Bewusstsein leben, aber auch in der Vorstellung, dass das Unglück, und die Grundlagen für das Unglück, dereinst überwunden sein werden; und das aufgrund der Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten, und des menschlichen Geistes, der sich in und über die Getrenntheit, über die Entzweitheit, entwickelt. In der Entzweitheit und der Disharmonie liegt daher, begriffen und empfunden durch den menschlichen Geist, eine Vorwärtsdynamik; ein Sog, den die Zukunft auf das Jetzt ausübt. Die Aufgabe der Philosophie besteht aber darin, diese Voraussetzungen zu vereinen, das Sein in das Nichtsein als Werden; die Entzweiung in das Absolute als dessen Erscheinung; das Endliche in das Unendliche als Leben zu setzen. (Jenaer Schriften S.17) – Jetzt kann ich mich mit dieser Aufgabe der Philosophie gut identifizieren. Aber muss schon sagen, dass akzentuierter Widerspruch, Gegensatz, Streit, Getrenntheit (und auch (primitive) Dialektik) u. dergl. gar keine Kategorien meines eigenen Philosophierens sind. Auch die postmoderne Differenz ist das nicht. Ich empfinde dergleichen nicht wirklich, bzw. empfinde nicht wirklich, dass es draußen in der Welt allzu viel von alldem gibt. Was ich sehe und innerlich wahrnehme ist ein Sympathiefeld, das in den Kosmos hineinreicht, und in dem alles, zumindest virtuell, miteinander verbunden ist. Natürlich sind innerhalb dieses Sympathiefeldes Unterscheidungen möglich; von wegen: dieses da verdient, nach reiflicher Prüfung, weniger Sympathie und ist weniger sympathisch als jenes. Es kann auch sein, dass zwischen Entitäten nicht das Gemeinsame, sondern das Trennende überwiegt. Beides muss qualitativ dann so oder so behandelt werden. Aber trotzdem ist alles in meinem Geist und alles im Sympathiefeld. Es ist ein so großes Sympathiefeld, dass mein Geist gerade gleichzeitig in Neufundland ist, in Transsylvanien und auf Hügel 364. Hegel kommt mit einem Paradigma daher, mit dem man die Welt begreifen und vereinigen kann – aber ich tue das auch: und meine Hoffnung ist dabei, dass man mit meinem Paradigma Vielfalt (in Einheit) begreifen kann; dass es eine zeitgenössische angemessene Fassung einer solchen Heuristik ist, der eine Menschheitshoffnung zugrunde liegt. Auch mit der Entzweiung und der Negation kann ich nicht so viel anfangen, denn sonderlich entzweit fühle ich mich von alldem, was mich umgibt, nicht. Ja, ich denke, es ist sogar das allgemeine menschliche Empfinden, sich nicht schrecklich entzweit von seiner Umgebung zu fühlen! Ich sehe also: das bin ich, und das da ist wer anderer oder was anderes (oder auch das nicht, denn meine Ichgrenzen sind, wie angedeutet, unklar und eher osmotisch). Weil ich mit Verstand und gewissen Emotionen begabt bin, schaffe ich als Mensch mentale Repräsentationen von den Gegenständen meines Denkens, von den Gegenständen in der Welt. Diese sind mit „mir“ nicht eins, sondern eben mentale Repräsentationen. Sie sind eher Erweiterungen meines Ich. Der Mensch lebt allgemein in diversen, unterschiedlichen Sphären, und er ist von Erweiterungen seiner selbst umgeben, und von vom ihm Getrennten. Einige Dinge sind uns eben näher, andere ferner. Dass Ich und Nicht-Ich aber grundsätzlich voneinander getrennt und entzweit seien, scheint einer Verarmtheit der Perspektive Hegels geschuldet. – Worauf Hegel aber grundsätzlich hinaus will, ist dass Ich (bzw. jeglicher Gegenstand) nur in seinen Grenzen und Qualitäten bestimmt werden kann, wenn man versucht festzustellen, was eben nicht Ich ist. Was außerhalb des Ich liegt (was also das Ich „negiert“). Das Nicht-Ich fungiert also als negativer Spiegel für das Ich – mithilfe dessen aber eben Ich und Nicht-Ich gegenüber und gegeneinander erkannt werden können. Ich und Nicht-Ich sind in einen Zusammenhang eingelassen, in dem sie sich so negativ gegeneinander spiegeln, bzw. stellt sich durch dieses Gegeneinanderspiegeln von Ich und Nicht-Ich ein solcher Zusammenhang her: der Geist (hier hat man wieder einen gleichsamen Widerspruch bei Hegel: indem er das, was er als Resultat begreift, wiederum als Voraussetzung begreift, dafür dass sich dieses Resultat einstellt). (Dieser schöne Zusammenhang, wo sich alles in allem (allerdings eben negativ) spiegelt, kommt herkömmlichen Erlebnissen der Erleuchtung schon recht nahe: oder geht eben über sie hinaus. Da es in herkömmlichen Perspektiven der Erleuchtung keinen Wiederspruch und keine Dialektik (sondern nur einen herrlichen, synthetischen All-Zusammenhang) gibt – und daher auch keine Bewegung und Fortentwicklung, keine Wissenschaft und keine Philosophie. Ich fände es bekanntlich gut, wenn man diesen synthetischen Zustand der Erleuchtung mit dem analytischen Prozess der Logik zusammenbringen könnte – und Hegel kann man, so wie Heidegger, da, wie ich sehe, gut einbringen.) Jedes Sein ist bei Hegel ein Sein an sich und ein Sein für Anderes —- genau gesagt ist bei ihm jedes Sein ein Sein an sich und ein Sein für sich: zum Sein für sich wird jedes Sein an sich aber eben, indem es sich über sein Sein für Anderes selbst tatsächlich begreift und letztendlich selbst ergreifen kann. Nur durch den negativen Spiegel, den es sich vermittels des Nicht-Ich vorhält, kann es seine eigenen Konturen schließlich erkennen. Ich habe die Gewißheit durch ein Anderes, nämlich die Sache; und diese ist ebenso in der Gewißheit durch ein Anderes, nämlich durch Ich. (Phänomenologie des Geistes S.83) Das Ding ist hiernach für sich und auch ein Anderes, ein gedoppeltes verschiedenes Sein, aber es ist auch Eins …. Das Ding ist also wohl an und für sich, sich selbst gleich, aber diese Einheit mit sich selbst wird durch andere Dinge gestört; so ist die Einheit des Dings erhalten und zugleich das Anderssein außer ihm sowie außer dem Bewußtsein. (ebenda S.102) – Ja, das mit dem Anderen! Auch das kenne ich sehr gut! Meine eigene Philosophie kommt bekanntlich aus dem Heavy Metal – der gegenüber der Normalität ein Anderes darstellt, etwas Seltsames, eine surrealistische Übertreibung; eine Musik, die scheinbar von einem anderen Planeten kommt. Ich setzte mich zeitlebens gerne mit „dem Anderen“ auseinander. Und darum bin ich jetzt, so scheint es, so vielfältig, so groß und so dick; gewaltig im Umfang: der jedoch eben gar nicht feststellbar ist, aufgrund meiner diffusen, genau gesagt, immer erweiterbaren Begrenzungen. Die eben wiederum deswegen so sind, weil sie für das Andere offen sind und ihm gegenüber einladend. Ich kann gar nicht genug Anderes, gar nicht genug Nicht-Ich in mich aufnehmen, in meinen Kreis ziehen, der gleichzeitig ein Kreis um die Welt ist, ein Kreis ist, in dem ich mich in die Welt hinein auflöse und als Ego zu existieren aufhöre. Hegel scheint was Ähnliches zu sagen bzw. zum Prinzip zu erheben: Das Begreifen eines Gegenstandes besteht in der Tat in nichts anderem, als daß Ich denselben sich zu eigen macht, ihn durchdringt und ihn in seine eigene Form, d.i. in die Allgemeinheit, welche unmittelbar Bestimmtheit, oder Bestimmtheit, welche unmittelbar Allgemeinheit ist, bringt. Der Gegenstand in der Anschauung oder auch in der Vorstellung ist noch ein Äußerliches, Fremdes. Durch das Begreifen wird das Anundfürsichsein, das er im Anschauen und Vorstellen hat, in ein Gesetztsein verwandelt; das Ich durchdringt ihn denkend. (Wissenschaft der Logik II S.255) Wenn ich mir das recht überlege, scheine den Gegenstand dabei ganzheitlicher durchdringen zu wollen, empfindender, empathisch-sympathetischer … aber eben auch, und vor allen Dingen: denkend. Es geht mir ja darum, dass ich das Andere begreife – und vor allem, dass die anderen es begreifen. Ich will richtige Verständnisse herstellen, bzw. durch meine Art des Denkens und Empfindens helfen, wie man zu richtigen Verständnissen hoffentlich selbst gelangen kann. Das ist meine Innerlichkeit, und das ist meine Äußerlichkeit. Also: die letzte Spitze der Innerlichkeit ist das Denken. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.521) Hegel hingegen wird immer wieder für das, was hier z.B. durchscheint, angegriffen: Das Begreifen eines Gegenstandes besteht in der Tat in nichts anderem, als daß Ich denselben sich zu eigen macht … (wobei da freilich weiter steht: und ihn durchdringt und ihn in seine eigene Form, d.i. in die Allgemeinheit, welche unmittelbar Bestimmtheit, oder Bestimmtheit, welche unmittelbar Allgemeinheit ist, bringt.) Aufgrund des possessiven Charakters der meisten Menschen besteht die Gefahr, dass sie sich das Andere zu eigen machen, indem sie dies tatsächlich genau so tun: also sich das Andere unterordnen; das andere unter sich subsumieren; dem Anderen die eigene Form überstülpen etc. (und es auch in seiner allgemeinen Bestimmheit dann eben in einer solchen Weise allgemein bestimmen). Hegels System selbst wird immer wieder gern der Vorwurf gemacht, dass es so verfährt: dass es – undialektisch – etwas als Allgemeines bestimmt, und das andere mehr oder weniger nur als Aberration auffasst; dass es das Subjektive/Andere zugunsten einer allumfassenden „Logik“ negiere; dass es totalitär sei… das ist vielleicht nicht ganz gerecht – hat aber gleichermaßen Interessantes in der Philosophie hervorgebracht. Allgemein wäre es wahrscheinlich gut, wenn man sich als Mensch bei der Betrachtung einer Sache nicht fragen würde: was bringt das mir bzw. wie lässt sich hier eine Kontinuität zu meinem bisherigen Denken herstellen, sondern: was ist der allgemeine Schaden und Nutzen von einer Sache? Wie gut ist die Sache empirisch und logisch begründet? Es gibt da Menschen, die alles vorwiegend aus einem objektiven Gesichtspunkt heraus betrachten, sich selbst in diese Objektivität hinein auflösen. Ich selber will – wie Duchamp – von mir selbst weg: daher vielleicht mein natürliches Verhältnis zum „Anderen“. Meine Identität ist, hegelsch gesprochen, eine Identität von Identität und Nicht-Identität. Mein „Ich ist ein Anderer“. In meiner Entwicklung werde ich aber gerade deswegen immer mehr zu mir selbst (was auch das Ziel der Hegelschen Entwicklung ist); es ist weniger eine Entwicklung als eine Vertiefung und eine innere Auffächerung und Ausdifferenzierung. Paradoxerweise genau deswegen, weil es mich immer schon zum Anderen zieht, und zur Objektivität, bleibe ich gleichermaßen, in meiner Entwicklung, vergleichsweise statisch und unbewegt. – Bei Hegel ist aber eben nichts statisch und unbewegt. Überall sieht er den Widerspruch, den er gleichsam zu einer transzendentalen Kategorie erhebt. Etwas ist also lebendig, nur insofern es den Widerspruch in sich enthält, und zwar diese Kraft ist, den Widerspruch in sich zu fassen und auszuhalten. Was aber ein Existierendes nicht in seiner positiven Bestimmung zugleich über seine negative überzugreifen und eine in der anderen festzuhalten, den Widerspruch nicht in ihm selbst zu haben vermag, so ist es nicht die lebendige Einheit selbst, nicht Grund, sondern geht in dem Widerspruche zugrunde. – Das spekulative Denken besteht nur darin, daß das Denken den Widerspruch und in ihm sich selbst festhält, nicht aber, daß es sich, wie es dem Vorstellen geht, von ihm beherrschen und durch ihn sich seine Bestimmungen nur in andere oder in nichts auflösen läßt. (Wissenschaft der Logik II S.76) Den Widerspruch hier überall sehen zu wollen, ist aber weniger etwas, was sich zwingenderweise und notwendig aus empirischen und/oder logischen Gründen ergibt, sondern eher eine Annahme, eine Vorentscheidung, eine willkürliche Setzung seitens Hegel: über die er dann all seine Pracht entfaltet – und über die allein es ihm gelingt, all seine Pracht zu entfalten. Empirisch z.B. stellt es sich eher so da, dass nur weniges, von dem, was lebendig ist, sich großartig für den Widerspruch interessiert. Es will vielmehr bleiben, wie es ist, und sich darin wohlfühlen. In seinen Beobachtungen und Kommentaren zu den Verhandlungen in der Versammlung der Landstände des Königreichs Württemberg im Jahre 1815 und 1816 bemerkt Hegel, dass es Menschen politisch vorwiegend um sie selbst und ihr eigenes Wohl geht, und um nichts Objektives, und dass sie zur Arbeit am Widerspruch hauptsächlich über die Adressierung an ihre eigene Gestaltungsmacht und an ihre Eitelkeit gebracht werden können: … denn es liegt tief in der menschlichen Natur, sich nur für das zu interessieren, wofür man handeln, wofür man mitbeschließen und mitwirken, wobei der Wille sein kann. Es müßte den Ländern eine Art der Mitwirkung fürs Allgemeine verschafft werden. (Politische Schriften S.135) Natürlich kann man sagen, dass das nicht die lebendige Einheit selbst, nicht Grund darstellt, sondern in dem Widerspruche zugrunde geht, in der (unbequemen und widersprüchlichen) Nische zugrunde geht, in dem es immer lebt: anstatt dass es die Welt erobert und befreit hat. Es ist dann ein gleichsam vegetatives Leben. – Logisch hat das mit dem Widerspruch allerdings schon mehr für sich. Die Entwicklung von Einheit, Schlussfolgerung aus Gegensätzlichem heraus, verlangt, dass das Gegensätzliche auch als solches erkannt und ernst genommen werden muss. Und es gibt Gegensätze und Antithesen in der Welt, die sich nicht im Rahmen einer postmodernen Buntheit organisieren (lassen). Bei Schelling entwickelt sich alles aus einer „Potenz“ heraus (also aus einem singulären Agens heraus). Das scheint nicht schlecht. Aber es gibt Bereiche, da eignet sich die dialektische Logik von Hegel einfach besser, um was fortzutreiben, um was zu begreifen.

Die Gemälde von Murillo werden für ihre Authentizität und Wahrhaftigkeit und für die (innere und äußere) Schönheit der Figuren gelobt. Schönheit, kann man mit Hegel sagen, ist die Idee, in der sich das Wahre, Gute, Echte etc. ausdrückt; in der das Gute, Wahre, Echte mit der Wirklichkeit zusammenfallen. Sie ist das Wirklichwerden und Zum Ausdruck Kommen von innerer Schönheit und Harmonie. Mit seiner spezifischen Darstellung von Schönheit nahm Murillo damit gleichsam den Rokoko vorweg – ohne allerdings in dessen Formalismen zu verfallen.

Eine der großen Innovationen der Hegelschen Philosophie ist der dynamische, sich in der Zeit entwickelnde Begriff. Von alters her werden Begriffe eher als etwas Statisches gedacht, bzw. versucht eben die Philosophie zu allgemeinen, vom Zeitlichen und Zufälligen gereinigten und entschlackten (idealen) Begriffen zu kommen. Bei Hegel entwickelt sich der Begriff aber in und mit der Zeit. Es heißt bei Hegel sogar: Die Zeit ist der da-seiende Begriff und Geist ist Zeit (vgl. Kojève S.96ff.) Der Begriff ist etwas ganz Wesentliches in der Philosophie Hegels. Leider ist aber gar nicht einmal erschöpfend klar, was mit dem Begriff bei Hegel eigentlich gemeint ist. Mit Kojéve könnte man vermuten: Begriff (oder „das Wahre“) stehen für nichts endgültig Wahres und Begriffenes, sondern für eine einstweilen begriffene Wirklichkeit (ebenda S.113). Deswegen entfaltet sich der Begriff (und das Wahre) dann eben auch in und über die Zeit. Mithilfe von Begriffen, die einen gewissen Wahrheitsgehalt haben, prägt der Geist differenziertere Verständnisse vom Begriff aus bzw. entwickelt neue Begriffe. Man könnte hier also die Frage, warum wir nicht mit dem Höchsten, das heißt mit dem konkret Wahren beginnen. Die Antwort wird sein, weil wir eben das Wahre in Form eines Resultates sehen wollen und dazu wesentlich gehört, zuerst den abstrakten Begriff selbst zu begreifen. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.86/87)Der Begriff ist deswegen eine so zentrale (bzw. emphatisch betonte) Kategorie bei Hegel, weil er damit ausdrücken will, dass sich unsere Verständnisse von der Welt gemäß seiner Philosophie nicht – wie bei seinem damaligen Freund/Kollegen/Rivalen Schelling – über Anschauungen herstellen, sondern eben über Begriffe. Anschauungen bleiben letztendlich obskur und können sich selbst nicht analytisch durchdringen und begreifen; sie sind zwar immersiv und scheinen auf tiefere, eindringlichere Verständnisse bzw. Verständnismöglichkeiten hinzuweisen, aber sie sind eher und vorwiegend Erkenntnismodi von Künstlerinnen bzw. stehen in einem Zusammenhang mit einem mystischem Verständnis. Sie verweisen auf was Genialisches: Und so bleibt als höchste Form von Erkenntnis bei Schelling dann, zu einer Anschauung vom Absoluten zu kommen – was dann aber mehr oder weniger Privileg des künstlerischen Genies sei (das dabei aber über seine Kunst seine Anschauungen vom Absoluten für die Allgemeinheit übersetzt). Hegel ist da demokratischer: bei ihm vollzieht sich Erkenntnis über die (dialektische, rationale, logische) Entwicklung eines (analytischen) Begriffs, die für „jeden“/“jede“ möglich sei. (Schopenhauer betont dann wieder, dass das anschauende Denken und Vorstellen das Charakteristikum des Genies sei, das (bloß) begriffliche hingegen das der Alltagsköpfe.) Die Anschauung kann sich selbst nicht analytisch durchdringen und Klarheit über sich gewinnen, der Begriff aber schon. Bei Hegel hat die Welt selbst (anders als bei eben dann auch Schopenhauer und Schelling) eine rationale, logische Struktur, in die der Mensch über die (dialektische) Entwicklung von (rationalen, analytischen, logischen) Begriffen Einsicht gewinnt, und mithilfe derer er dann in der Lage ist, die Welt umso rationaler und logischer auszugestalten: das ist dann eben die Essenz des (philosophischen) Idealismus. Diese Substanz aber, die der Geist ist, ist das Werden seiner zu dem, was er an sich ist; und erst als dies sich in sich reflektierende Werden ist er an sich in Wahrheit der Geist. Er ist an sich die Bewegung, die das Erkennen ist, – die Verwandlung jenes Ansich in das Fürsich, der Substanz in das Subjekt, des Gegenstandes des Bewußtseins in Gegenstand des Selbstbewußtseins, d.h in ebensosehr augehobenen Gegenstand oder in den Begriff. Sie ist der in sich zurückgehende Kreis, der seinen Anfang voraussetzt und ihn nur am Ende erreicht. (Phänomenologie des Geistes S.585) Wiederum wird der Begriff zu etwas dem Menschen und der Welt Enthobenen, zu einer eigenständigen – und zur eigentlichen – Macht. So wie gleichsam nicht der Mensch die Philosophie und den Geist entwickelt, sondern sich der Geist und die Philosophie via des Menschen entwickeln, entfaltet nicht der Mensch den Begriff, sondern entfaltet sich der Begriff via des Menschen (weswegen bei Hegel auch der Begriff dann wiederum dazu tendiert, von etwas Nüchternem und Greifbarem zu etwas Entrückt-Metaphysischem zu werden). Dabei ist der Begriff aber bei Hegel nicht die höchste Kategorie: der (im und über den Geist) entwickelte Begriff will auf die Wirklichkeit wirken, mit der Wirklichkeit zur Deckung kommen, die Wirklichkeit umgestalten. Das Kongruentwerden des Begriffs mit der Wirklichkeit ist bei Hegel dann die Idee: Es muß nun allerdings zugegeben werden, daß der Begriff als solcher noch nicht vollständig ist, sondern in die Idee sich erheben muß, welche erst die Einheit des Begriffs und der Realität ist… (Wissenschaft der Logik II S.258) All diese Entwicklung – die vollständige Durchdringung der Welt durch den Geist – kommt schließlich im „Wahren“ und „Ganzen“, im Absoluten an. Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein. So widersprechend es scheinen mag, daß das Absolute wesentlich als Resultat zu begreifen sei, so stellt doch eine geringe Überlegung diesen Schein von Widerspruch zurecht. (Phänomenologie des Geistes S.24) Bei Schelling bleibt das Absolute etwas Ur-Anfängliches und Undifferenziertes, vom Menschen Getrenntes, das vom Menschen letztendlich nicht begriffen werden kann und das ihm fremd, ihm gegenüber eine andere Ordnung bleibt; von dem er sich höchstens eine Anschauung bilden kann. Bei Hegel hingegen kann es ein Undifferenziertes gar nicht geben, da sich aus ihm nichts entwickeln kann. Das Absolute ist bei ihm etwas, das sich über fortwährende Ausdifferenzierung erst entwickelt – und das vom Menschen dann eben auch begriffen und nachvollzogen werden kann, an dem Teilhabe möglich ist, bzw. das als letzte Möglichkeit und Finalität in der Entwicklung des Geistes (über den Begriff) selbst liegt – und nicht in einem Außerhalb. Aber das Absolute kann nicht ein Erstes, Unmittelbares sein, sondern das Absolute ist wesentlich sein Resultat. (Wissenschaft der Logik II S.196) – Hegels spezifische Logik (von der Entfaltung des Begriffs als einer dynamischen Kategorie) wollte ein neues Verständnis von Logik eröffnen: Seit Aristoteles habe es keine neue philosophische Logik gegeben. Die aristotelische Logik operiert aber in starren Begriffen und sei deswegen der modernen Entwicklungsstufe, auf der der Weltgeist sich befindet, nicht mehr angemessen. Diese verlange vielmehr ein dynamisches Verständnis vom Begriff. (Ironischerweise fungiert Aristoteles aber nicht nur als Gegenpol zu Hegel, sondern auch als Vorläufer: Gegenüber dem von seinem Zeitalter irritierten und abgestoßenen Ordnungsfanatiker Platon, dem es zum Ursprünglichen und Ewigen und zu den (ursprünglichen und ewigen) „Ideen“ zieht, ist Aristoteles, aus seinem naturwissenschaftlichen Interesse am Organischen, Biologischen und Lebendigen, vielmehr an Entelechie und Teleologie, an Entwicklung und Entfaltung und am Dynamischen – also an Ähnlichem wie Hegel – interessiert.) Großen Einfluss auf die philosophische Logik hatte die Hegelsche dann aber nicht. Die philosophische Logik wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert von Frege und Russell entscheidend entwickelt – und operierte wiederum mit „starren“ Begriffen und Eindeutigkeiten (weswegen, kann man vielleicht auch sagen, sie dann auch gegen die Wand des Russellschen Paradoxons gefahren ist; unter anderem). Sie fuhr dann auch gegen die Wand, die Wittgenstein im Tractatus angedeutet hat: dass Logik nur beschränkt und selbstreferenziell/tautologisch Aussagen über die Welt machen kann; nicht aber über die „eigentlichen“ Daseinsqualitäten, das „Mystische“ der menschlichen Lebenswelt; dass sich logische Sätze nicht in ethische Sätze überführen lassen etc. Schweigend hat Wittgenstein dabei noch sein Unbehagen allein zu formulieren gewusst, da er damals noch keine Einsicht in dessen Grund hatte. In seiner Spätphilosophie verabschiedet sich Wittgenstein dann von der Idee einer Idealsprache, mit der die Logik operiere, zugunsten von einer Alltagssprache, die sich sozial, in Abstimmung der Sprechenden untereinander und über den Gebrauch entwickle – und der es einer definitiven Eindeutigkeit und Folgerichtigkeit vielfach ermangle. „Begriffe“ werden so wieder zu was Dynamischen. Sellars und Findlay kritisieren an der Russellschen Logik, dass sie in einer „Objektsprache“ spreche, die aber einer „Metasprache“ bedarf, um sich selbst zu begreifen. Der metasprachliche Diskurs diskutiere, kommentiere, analysiere, konkretisiere und entwickle, was die Begriffe innerhalb der logischen Sprache überhaupt bedeuten würden, die aus sich selbst heraus letztendlich nicht (widerspruchsfrei) entwickelt und begründet werden können. Hier hat man wieder eine Anlehnung an die „dynamische“ Logik Hegels, wenn man so will. Der analytische Philosoph Robert Brandom hat jetzt auch ein 800-Seiten-Buch zu Hegel veröffentlicht. Ich hoffe, ich kann es mal lesen; und auch verstehen: denn zeitlebens waren mir Brandoms Schriften und Gedankengänge mindestens ebenso unverständlich wie die Hegels.

In neueren Zeiten ist das Bewußtsein entstanden, daß es eine Schwierigkeit sei, einen Anfang in der Philosophie zu finden, und der Grund dieser Schwierigkeit sowie die Möglichkeit, sie zu lösen, ist vielfältig besprochen worden. Der Anfang der Philosophie muß entweder ein Vermitteltes oder Unmittelbares sein, und es ist leicht zu zeigen, daß er weder das eine noch das andere sein könne; somit findet die eine oder die andere Weise des Anfangens ihre Widerlegung. (Wissenschaft der Logik I S.65) Wenn ein Anfang (durch was anderes) vermittelt ist: wie kann er dann echter Anfang sein? Und wenn er unmittelbar ist: wer oder was hat ihn dann trotzdem hervorgebracht? All das führt die Logik dabei aber nicht an ihre Grenzen: denn ein Anfang muss kein echter, primordialer Anfang sein; vielmehr wird er das Erscheinen einer Qualität sein, die durch etwas anderes, eventuell einer Vielzahl von Faktoren, die diese Qualität noch nicht besitzen, angestoßen wird. Das Universum entstammt eventuell einer Transformation eines Energiefeldes; höherwertiges eukaryotisches Leben hat sich offenbar aus einer (extrem unwahrscheinlichen und daher wohl extrem selten stattfindenden) Kreuzung eines prokaryotischen Bakteriums und eines Archaeons entwickelt etc. Ein Anfang ist das Erscheinen einer Qualität, der andere Qualitäten vorgelagert sind, die für uns nicht mehr unmittelbar ersichtlich und für uns möglicherweise auch nicht mehr analysierbar sind. Was tatsächlich, empirisch der Anfang ist, ist nur auf empirischem, wissenschaftlichem Wege feststellbar. Die Logik hilft uns da weniger weit, als man vielleicht glaubt. Mithilfe der Logik lassen sich alle möglichen Schlussfolgerungen und auch Rückschlüsse ziehen, die aber empirisch verifiziert werden müssen. Hegel standen solche wissenschaftlichen Erkenntnisse größtenteils noch nicht zur Verfügung; und Aufgabe der Philosophie ist es ohnehin, ideale, abstrakte Vorstellungen von konkreten Prozessen in der Welt zu geben. Auch Hegel wollte gerne wissen, von welchem Anfange die dialektische Entwicklung des Weltprozesses ausgehe. Es scheint (irrtümlicherweise?) auf der Hand zu liegen, dass man, um zum Anfang zu gelangen, die Qualitäten, die sich im dialektischen Prozess ergeben (als etwas Gemachtes) wegrechnen und man reinen Tisch machen müsse, bis dass man an nichts mehr gelange, was nicht doch noch auf einen weiteren Ursprung zurückgeführt werden könne: Was den Anfang macht, der Anfang selbst, ist daher als ein Nichtanalysierbares, in seiner einfachen unerfüllten Unmittelbarkeit, also als Sein, als das ganz Leere zu nehmen. (ebenda S.75) Das ganz Leere kann aber nicht Anfang sein, da es kein dialektisches Potenzial enthält: aus der reinen Leere kann nichts entstehen. Daher setzt Hegel also das reine Sein an den Anfang: Der Anfang ist also das reine Sein. (ebenda S.69) Hegel wäre aber nicht Hegel, wenn bei ihm nicht das „reine Sein“ selbst etwas Unreines, von Dialektik Durchzogenes wäre: in diesem Fall von der Dialektik zwischen Sein und Nichts. Es ist noch Nichts, und es soll Etwas werden. Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem Etwas ausgehen soll: das Sein ist also auch schon im Anfang enthalten. Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts, – oder ist Nichtsein, das zugleich Sein, und Sein, das zugleich Nichtsein ist. (ebenda S.73) Damit scheint sich Hegel mit fernöstlicher Weisheit zu treffen, denn auch z.B. das Tao wird als ein Sein gedacht, das auch ein Nichts ist bzw. ein Nichts, das auch ein Sein ist (genau gesagt: als ein Nichts, dem ein Potenzial zum Ontischen innewohnt). Hegel denkt dabei aber nicht aus dem Mystischen, sondern dem Dialektischen heraus: wonach jede dialektische Einheit aus einem Ding und dessen Negation besteht. Indem da Sein ist und Nichts ergebe sich die Möglichkeit zum Werden; Werden liege in der dialektischen Vermittlung zwischen Sein und Nichts. – Dabei erscheint, genau betrachtet, Werden aber nicht als Vermittlung zwischen Sein und Nichts, sondern höchstens zwischen einem Sein und einem Noch-Nicht; einem Zustand, den es noch nicht erreicht hat. Das ist dann eher die Vorstellung von Werden wie man sie bei Schelling hat: innerhalb derer sich das Sein nicht in eine bestimmte Richtung hin entwickelt (wie bei Hegel) und nicht in eine bestimmte (antithetische, dann synthetische) Richtung hin gezogen wird, sondern Freisetzung eines innewohnenden Potenzials ist. Alleine schon einmal indem man Werden als eine „Vermittlung“ zwischen was begreift, räumt man dem zukünftigen Zustand eine gleichwertige Macht wie dem gegenwärtigen und rückwirkende Gestaltungskraft diesem gegenüber ein, die er aber so nicht besitzt. In seiner Vorstellung vom Werden erscheint Hegel als zu zukunftsorientiert. – Hegel kommt darüber hinaus dann auch noch mit seinem berüchtigten Diktum, wonach reines Sein und reines Nichts dasselbe seien: Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare ist in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts … Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe. (ebenda S.83) Tatsächlich haben weder das reine Sein noch das reine Nichts irgendwelche Qualitäten (weswegen sie also ineinander fielen). Das aber erscheint als eine Verwirrung der Begriffe: da das Sein sich eben zumindest über die Qualität des Seins auszeichnet, und das Nichts über die Qualität des Nicht-seins; sie also zumindest darüber eindeutig voneinander geschieden sind. Warum ist Seiendes und nicht vielmehr Nichts? als Grundfrage der Philosophie würde dann wegfallen, wenn reines Sein und reines Nichts dasselbe wären – genau gesagt: unsere gesamte Existenz. Wenn das reine Sein und das reine Nichts überhaupt dasselbe seien, hat man ja keine dialektische Einheit von einem Ding und dessen Negation mehr, sondern eine reine Identität, aus der sich dialektisch nichts entwickeln kann. Und wenn Sein und Nicht-sein ineinander fielen, wäre jede Aussage und ihr Gegenteil war, die Struktur der Welt damit unlogisch und daher die Welt auch unmöglich. – Im Denken so radikal zu sein, dass man – alles sonstige hinterfragend – zum reinen Sein, zum nicht mehr hintergehbaren Grund vorstoßen will, um von dort aus dann erneut aufzusteigen, ist eine gute, eine ehrliche Sache. Eine Sache der wahren Philosophie. Auf so eine Idee kommen viele nicht, stattdessen nehmen sie irgendein Lieblingsobjekt als Ausgangspunkt ihres Räsonierens (zu dem das Denken dann eben in der Regel auch wieder zurückführt). Zum reinen Sein vorzustoßen gelingt auch kaum jemand. Von Zehntausenden, die sich da auf den Weg machen, gelangen vielleicht zwei oder drei tatsächlich durch das Tor. Und auch die wissen niemals genau, ob sie nicht vielleicht einem Schelmenstreich zum Opfer gefallen sind. Das reine Sein ist wissenschaftlich womöglich nicht erfassbar, und daher auch letztendlich auch keine handhabbare Kategorie. Das reine Sein und das reine Nichts wären so was wie reine Präsenzen. Mit Derrida kann man aber vielleicht sagen, dass es reine Präsenzen nicht gibt: es gibt nur Verweisungszusammenhänge und Spuren von Verweisungszusammenhängen (wobei diese Verweisungszusammenhänge aber eben auch für eine höhere Stabilität der Verflechtungen, in die die Dinge eingelassen sind, sorgen, als Derrida mit seiner vielleicht zu leichtfertig (und selbstzweckhaft) betriebenen Dekonstruktion uns das gemeinhin glauben machen will). Dialektisches Schließen, die Logik des Weltprozesses stoßen sich nicht vom „reinen Sein/Nichts“ ab, sondern von Gegebenheiten und Verweisungszusammenhängen, die bis zu einem gewissen Grad zufällig und kontingent sind. Daher bringen sie, in erheblichem Grad, weitere Zufälligkeiten und Kontingenzen hervor. Das ist dann aber nur bedingt eine Hervorbringung von „Geist“ oder einer Logik. Der Frage nach dem Ursprung und warum da ist Sein und nicht vielmehr Nichts versucht die Menschheit von alters her auf den Grund zu gehen: und entwickelte so die meiste Zeit über Schöpfungsmythen und Religionen – die in ihrer jeweiligen Form den Geist unterschiedlicher Kulturräume bis heute unterschiedlich prägen und ihn auch jeweils unterschiedlich gefangen halten. Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden (Marx) – und so scheint die große Frage von wegen woher wir kommen und wohin wir gehen nicht so einfach beantwortbar und der Versuch ihrer Beantwortung findet kaum in einem Reich der reinen Ideen und Begriffe statt, sondern inmitten von Verweisungszusammenhängen. Das Problem sind dabei nicht die vielen Absonderlichkeiten und Sackgassen, die der Weltprozess hervorgebracht hat (oder die wieder mehr oder weniger spurlos in ihm verschwunden sind), sondern ist dass wir nicht genau wissen, inwieweit unser derzeitiger Weltzustand und Zustand des Weltgeistes nicht auch hauptsächlich eine Kontingenz oder Zufälligkeit – oder Sackgasse – ist, und Hegels Geschichtsidealismus somit nicht eventuell bloß einen charmanter Irrtum darstellt.  Aber vor dieser Schwierigkeit zu kapitulieren kann ja nicht Sache der Wissenschaft und der Philosophie sein! Wissenschaft und Philosophie sind dazu da, den Dingen auf den Grund zu gehen, und ihre Erklärungen im Lichte neuer Erkenntnisse gegebenenfalls zu revidieren. Die Philosophie soll ihre Erklärungen dabei so allgemein halten wie möglich und in idealen Begriffen und Anschauungen, die (hoffentlich korrekt) vom Empirischen abstrahieren. Wenn Hegel sein Programm formuliert als: Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist – die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird –, daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt und in der Tat hervorgebracht wird (…) Das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sei, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird. (ebenda S.70) – so kann man darin heißestes Bemühen identifizieren, zum korrekten Urgrund der Welt vorzustoßen, deren Anfang und Ende festzustellen und das Unwandelbare, das unter dem Chaos des Weltprozesses verborgen liegt, dessen innere Wahrheit als solches freizulegen. Man kann aber ein weiteres Mal die Einladung zu einem Zirkelschluss, innerhalb dessen alles in Harmlosigkeit und Trivialität aufgeht darin erblicken. (Im Hinblick auf die Emanation des Geistes kann man vielleicht von einer Art kindlichem, unschuldigem, unbelastetem Urzustand des Geistes ausgehen, in dem der Geist einem reinen Perzeptionsvermögen und reiner Aufnahmefähigkeit zu gleichen scheint, und der Geist dann idealerweise, durch gewaltige Bildung, Introspektion und Ich-Kasteiung schließlich in einen erneuten, erleuchteten Zustand der reinen Perzeption gelangt – allerdings auf einem viel höheren Level der Kompetenz. Eine solche Introspektionsleistung des Geistes ist aber was anderes als der Gang der Weltgeschichte.) Louis Althusser zum Beispiel stößt sich in marxistischer Manier daran, dass Hegel innerhalb seiner Philosophie von einem einfachen Ausgangspunkt zu einem einfachen Endpunkt gelange, und alles in Harmonie und Einfachheit aufgehen lasse: aufgrund seiner immer schon harmonisierenden (herrschaftsunkritischen) Annahmen und den entsprechenden Folgerungen, die er dann daraus ziehe … und deshalb ist bei Hegel auch niemals ein bestimmter Widerspruch dominant. Das heißt, dass das Hegelsche Ganze eine Einheit „geistigen“ Typs besitzt, in der alle Differenzen nur gesetzt werden, um negiert zu werden, also indifferent bleiben. Und in der sie also niemals für sich selbst existieren, sondern nur den Anschein einer unabhängigen Existenz haben, und in der sie, da sie immer nur die Einheit des inneren, einfachen Prinzips manifestieren, das sich ihnen entfremdet, praktisch untereinander, als entfremdete Erscheinung dieses Prinzips, ganz gleich bleiben. Das heißt also auch zu behaupten, dass die Hegelsche Totalität 1. nicht wirklich, sondern nur dem Anschein nach in „Sphären“ gegliedert ist, 2. als  Einheit nicht ihre Komplexität als solche besitzt, das heißt nicht die Struktur dieser Komplexität aufweist, und 3. also ganz ohne diese „Struktur mit Dominante“ bleibt, die die absolute Bedingung dafür bildet, dass es einer wirklichen Komplexität überhaupt erst möglich macht, Einheit zu sein und wirklich Gegenstand einer Praxis zu werden, die es sich vornimmt, diese Struktur zu verändern, nämlich als politische Praxis. Es ist daher auch kein Zufall, dass die Hegelsche Theorie der gesellschaftlichen Totalität niemals eine Politik begründet hat, dass es keine Hegelsche Politik gibt und es sie auch nicht geben kann. (Althusser S.258f.) Das könnte man, vor allem vom Standpunkt einer marxistischen Kritik, an Hegel durchaus monieren. Kritisch zurückschlagen kann man dagegen dann aber auch: Ein gewisses Unwohlsein löst Althussers Charakterisierung Hegels als „unpolitisch“ nämlich hoffentlich schon aus. Das scheint einem eminent politischen Denker wie Hegel Unrecht zu tun. Allerdings: was ist überhaupt Politik? Vielleicht haben ja der eine und die andere grundsätzlich andere Vorstellungen schon einmal davon. Politik bedeutet, ganz allgemein, die Regelung der Angelegenheiten des Gemeinwesens. Nach Hannah Arendt ist Politik das Management von menschlicher Diversität. Politik wird von Einzelnen, Gruppierungen, Institutionen und Parteien betrieben in dem Anliegen, Interessen durchzusetzen; entweder die eigenen oder Interessen, mit denen man sich identifiziert oder deren Durchsetzung man als wünschenswert erachtet; und dem Ziel, das Gemeinwesen auf die Garantie der damit verbundenen Ansprüche auszurichten. Parteien vertreten bestimmte, in der Gesellschaft bestehende Interessen oder bestimmte Interessensgruppen, und tun das hoffentlich auch im Hinblick auf den Ausgleich mit den Interessen anderer Gruppen. Wenn Parteien Interessenspolitik und Interessensausgleich betreiben, hat man ein gutes Gemeinwesen. Wenn Parteien ganz vorrangig ihre eigenen Interessen verfolgen und hauptsächlich darauf aus sind, in der Gesellschaft vorhandene Pfründe in ihrem Sinn (neu) zu verteilen, hat man ein schlechtes Gemeinwesen. Hegels gesamtes Denken kreist darum, wie es möglich sei, das Einzelne mit dem Allgemeinen zu versöhnen und beides ineinander aufgehen zu lassen. Er ist also Denker und Advokat eines, in dem Sinn, guten Gemeinwesens, das von einem guten, die Einzelinteressen austarierenden Staat (als nicht nur empirischer Realität sondern auch (bei Hegel gleichsam mystisch-philosophischer und leidenschaftlich erhöhter) höchster Idee des Gemeinwesens) in (seine endgültige) Form gebracht wird. – Jetzt kann man das als naiv und unkritisch betrachten, wenn nicht als schleimerisch und unterwürfig gegenüber real bestehender Macht, die man damit auch noch idealisiere; und Marxisten wie Althusser werden Hegel gegenüber geneigt sein, genau das zu tun. Im Allgemeinen ist es letztendlich eine Entscheidung, die man trifft, ob man die Politik, das Gemeinwesen, den Staat, das Wirtschaftssystem als eine rationale Einrichtung betrachtet, oder als eine irrationale; ob es sich dabei um funktionale und (pro)soziale Zusammenhänge handle, oder aber um antisoziale Zusammenhänge der Macht und der Herrschaft; ob die Gesellschaft durch Konflikt bestimmt sei oder durch Harmonie etc. All diese Zusammenhänge können tatsächlich mal eher das eine sein, und dann wieder vorwiegend das andere und damit durch die eine Heuristik besser erfasst und dann wieder durch die andere. Was speziell die Marxisten anlangt, so haben die eine deutlich agonalere Auffassung von Politik (genau gesagt: der derzeit bestehenden Politik) als Hegel. Für sie gibt es eine gesellschaftliche Dominante, und einen dominanten (Haupt)Widerspruch innerhalb von Gesellschaft und Politik: und das ist der Klassenkampf. Marxisten betrachten das Gemeinwesen an sich dabei als etwas durchaus (penetrant) Harmonisches, das in seiner Idylle aber durch ein Wirtschaftssystem nachhaltig gestört und pervertiert werde: was einen Klassenkampf provoziere, bei dem nur der revolutionäre Endsieg des Proletariats gesamtgesellschaftliche Harmonie (wieder) herstellen könne (und durch sonst nichts). Die Geschichte ist bei Marx eine Geschichte von Klassenkämpfen. So mag für einen geeichten Marxisten dann auch alles, was nicht Klassenkampf ist, tatsächlich nicht wirklich als Politik erscheinen, sondern als bloßer Wurmfortsatz von Politik, wenn nicht als Täuschungsmanöver, als Lulu-Angelegenheit oder als „was für Überbauwichteln“. Der Staat ist im marxistischen Verständnis keine „höchste Idee“ sondern ein Repressionsapparat im Dienste der herrschenden Klasse. Schreibt Lenin in Staat und Revolution: Der Staat ist das Produkt und die Äußerung der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze. Der Staat entsteht dort, dann und insofern, wo, wann und insofern die Klassengegensätze objektiv nicht versöhnt werden können. Und umgekehrt: Das Bestehen des Staates beweist, dass die Klassengegensätze unversöhnlich sind. (Lenin S.10) Der Kommunismus hingegen wird als geradezu/schlechthin unpolitische Utopie gefasst: Als Endziel setzen wir uns die Abschaffung des Staates, d.h. jeder organisierten und systematischen Gewalt, jeder Gewaltanwendung gegen Menschen überhaupt. (ebenda S.63) – Jetzt sind aber Klassenkämpfe wohl dann doch nicht die Dominante innerhalb der Geschichte, sondern eher ein Moment unter auch noch anderen; außerdem sind Klassenkämpfe dermaßen weitläufig und komplex und treten in zu vielen verschiedenen Kontexten auf als dass man irgendeinen empirischen geschichtlichen Verlauf daraus ableiten könnte. In der Geschichte gibt es möglicherweise keine Dominante (was dann natürlich eben auch Hegel auf den Kopf fällt, der in ihr ja die Entfaltung einer Logik erkennt). (Und die Menschen, und mit ihnen der geschichtliche Verlauf, sind ja auch nicht so politisch, wie die Marxisten immer wieder gerne glauben.) Die Ursprünge des Staates liegen möglicherweise darin, dass urzeitliche Ansiedelungen bzw. Urstädte sich gegen räuberische Nomaden sichern wollten, für die sie aufgrund ihres relativen Reichtums ein beliebtes Angriffsziel waren – eventuell indem sie den Nomaden, als Kriegerkaste, selbst die Regierungsgewalt (oder Teile davon) übertrugen, damit sie das Gemeinwesen vor anderen Nomaden schützten (die Konfliktlinie zwischen Sesshaften und Nomaden ist dabei eine sich weit durch die Geschichte ziehende und die Geschichte formende – und das, was die Verständnisse und mentalen Gefängnisse vieler Kulturräume anlangt – und ziemlich unmarxistisch –, bis heute). Den Schrecken, den der Staat bei Lenin hatte, hat er, im weiteren geschichtlichen Verlauf als liberale Demokratie – zumindest bei nüchterner Betrachtung – weitgehend verloren. Seine Entwicklung war (in unserem Teil der Welt) eher die, die Hegel vorgezeichnet hat, und nicht die, die Marx prophezeit hat. Hegel seinerseits war kein blinder Apologet des Kapitalismus, sondern erkannte an, dass das Wirtschaftssystem seiner Zeit zu Spitzen und Ausläufern von exzessiver Armut und exzessivem Reichtum führt. Beides sei gleichermaßen schädlich und beides führe gleichermaßen – beim „Lumpenproletatiat“ wie bei den Steinreichen – zu seelischer Verwahrlosung und einem Verlust an Gemeinsinn: zu Asozialität. Ein Sozial- und Transferstaat biete sich aber als Versuch einer Lösung an, Besteuerung und rechtliche Regulierung. Also eine Kompromisslösung innerhalb des staatlichen Rahmens. Das westliche Staatswesen hat sich seit der Zeit Hegels stark verändert; seine Entwicklung könnte man jedoch begreifen als innerhalb der Hegelschen Philosophie vorgezeichnet. Eine Abschaffung des Staates, d.h. jeder organisierten und systematischen Gewalt, jeder Gewaltanwendung gegen Menschen überhaupt hat es unter Lenin gerade nicht gegeben, und überhaupt utopisch auf eine solche zu hoffen dünkt bemerkenswert wenig durchdacht. Hinsichtlich des Kommunismus scheint es schwer vorstellbar, wie eine klassenlose Gesellschaft anders aufrechterhalten bzw. wie Individuen und Gruppen davon abgehalten werden können, Macht und Assets zu akkumulieren wenn da keine repressive Staatsgewalt sei. Überhaupt sind solche politischen Utopien gleichsam eminent unpolitisch – indem sie die Grundlage für Politik: die Verschiedenheit unter den Menschen, das menschliche Wollen und die Verschiedenheit des menschlichen Wollens verkennen. Die Idee des Platonischen Staates enthält das Unrecht, gegen die Person, des Privateigentums unfähig zu sein, als allgemeines Prinzip. Die Vorstellung von einer frommen oder freundschaftlichen und selbst erzwungenen Verbrüderung der Menschen mit Gemeinschaft der Güter und der Verbannung des privateigentümlichen Prinzips kann sich der Gesinnung leicht darbieten, welche die Natur der Freiheit des Geistes und des Rechts verkennt und sie nicht in ihren bestimmten Momenten erfaßt. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.108) Bei Hegel ist nicht die Abschaffung des Eigentums der Weg zum rechten (Individual- und) Gemeinwohl, sondern dessen Anerkennung und dessen Beschützung durch den Staat. Marx setzt dem dann (unter anderem) seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie entgegen; genauer gesagt, arbeiten sich seine Frühschriften an Hegel ziemlich durchgehend ab. Lenin hat gemeint, ohne ein Verständnis der Hegelschen Philosophie man könne Marx gar nicht begreifen. Und tatsächlich kann man Hegel nicht ohne Marx diskutieren, und Marx nicht ohne Hegel.  Einer erscheint gleichsam als die Nemesis des anderen, oder aber der eine als These, der andere als Antithese, die beide einer glorreichen, triumphalen Synthese entgegenstreben. Wie viel Hegel steckt dabei allerdings tatsächlich in Marx? Gerade z.B. Althusser will in Hegel nur einen scheinbaren Verwandten von Marx erblicken: das Trennende zwischen Marx und Hegel überwiege in Wahrheit und bei genauerer Betrachtung. Und so machte Althusser sich seinerseits daran, einen strukturalistischen Marxismus, einen auf strukturalistischer Basis ruhenden Marxismus zu entwickeln. – Damit nähern wir uns dann schon wieder dem Poststrukturalismus und der Postmoderne – die dem Marxismus eher feindlich gegenüberstehen: und vor allem umgekehrt. Noch feindlicher gegenüber stehen sie freilich Hegel. Wobei sie dabei aber dann doch nach einem Hegel und der Geschlossenheit eines Hegel verlangen. Du siehst, Scheherezade, ein endlos geflochtenes Band, das alles. Wer ist der Held, der es weiter flechtet?

Ebensowenig, als von beständigen Verbesserungen, kann von „eigentümlichen Ansichten“ der Philosophie die Rede sein. Wie sollte das Vernünftige eigentümlich sein? … Wenn ein Eigentümliches wirklich das Wesen einer Philosophie ausmachte, so würde es keine Philosophie sein … Wer von einer Eigentümlichkeit befangen ist, sieht in anderen nichts als Eigentümlichkeiten. (Jenaer Schriften S.10) Hegel wird es gerne als Eigentümlichkeit vorgeworfen, dass er der Subjektivität und der Individualität zu wenig Raum gebe; vielmehr bestrebt sei, sie unter ein (heteronomes) Allgemeines zu subsumieren (und sie dadurch zum Staatsbürger zu degradieren, zu entmenschlichen etc.). Kierkegaard entwickelt seine (Art von) Philosophie aus sich einer daran abstoßenden Bewegung, Adorno setzt Hegel seine negative Dialektik (und mehr) entgegen. Popper, in einem Klimax von Eigentümlichkeit, die zwar eine rationale Grundlage hat, in ihrer Ausformung dann aber philosophisch nicht mehr tatsächlich nachvollziehbar ist, hält Hegel bestenfalls (sofern er, der vermeintliche Scharlatan, überhaupt was sei) für einen Faschisten. In einer Beleidigtheit darüber, dass bei Hegel die Subjektivität zu kurz komme und unter ein Allgemeines untergeordnet werde, wird so eine subjektive Einschätzung auf eine Spitze getrieben, die kaum mehr verallgemeinerbar ist: was nicht heißt, dass sie sich nicht, gerade deswegen, umso mehr selbst will – so tritt die ganze Zufälligkeit des Meinens, seine Unwissenheit und Verkehrung, falsche Kenntnis und Beurteilung ein. Indem es dabei um das Bewußtsein der Eigentümlichkeit der Ansicht und Kenntnis zu tun ist, so ist eine Meinung, je schlechter ihr Inhalt ist, desto eigentümlicher; denn das Schlechte ist das in seinem Inhalte ganz Besondere und Eigentümliche, das Vernünftige dagegen das an und für sich Allgemeine, und das Eigentümliche ist das, worauf das Meinen sich etwas einbildet. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.484) (Oder war Popper, der Propagandist der offenen, freien Gesellschaft, neidisch, weil Hegel das schon vor ihm – und philosophisch und geistesgeschichtlich noch viel gewaltiger – war? Der freie Mensch ist nicht neidisch, sondern anerkennt das gern, was groß und erhaben ist, und freut sich, daß es ist. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.47) Persönlich bekannt war Popper als schwieriger, autoritärer Mensch, der anderen (freilich auch berechtigterweise) nicht sonderlich viel Denkfreiheit gewährleistet hat.) Man hüte sich eventuell vor zu viel (querdenkerischer) Subjektivität, denn: Dies scheint zufälligen Meinungen Tür und Tor zu öffnen, wenn der Gedanke über das Recht kommen soll; aber der wahrhaftige Gedanke ist keine Meinung über eine Sache, sondern der Begriff der Sache selbst. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.17) Die recht prononcierten, mehr Subjektivität einfordernden Kritiker an Hegel, hatten, neben ihrer Brillanz, so dann auch recht deutliche Eigentümlichkeiten. Kierkegaard hat geradezu in einem (für seine Familie typischen) melancholischen religiösen Wahn gelebt; und war offensichtlich in erheblichem Maße selbstzentriert und unkollegial (was er (partiell) (über sich als vermeintlich hochkriminellen, diabolischen „Verführer“ von Regine Olsen) ebenso manisch schriftstellerisch aufgearbeitet hat wie das Thema der rechten Religiosität, und in einem grellen Mix aus übersteigerter fiktionaler Selbstbewunderung und Selbstbestrafung). Adorno (Im schroffen Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal bedarf die Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weniger sondern eines Mehr an Subjekt. Sonst verkümmert philosophische Erfahrung. Aber der positivistische Zeitgeist ist allergisch dagegen (Negative Dialektik S.50) … Subjektivität, die sich selbst verleugnet, schlägt um in Objektivismus (S.78) … Befreites Bewußtsein, das freilich im Unfreien keiner hat … (S.102) (und weiter: … eines, das seiner mächtig wäre, wirklich so autonom, wie es bisher immer nur sich aufspielte, müßte nicht immerzu fürchten, an ein Anderes – insgeheim, die Mächte, die es beherrschen – sich zu verlieren) … Identität ist eine Urform von Ideologie. Sie wird als Adäquanz an die darin unterdrückte Sache genossen … Identität wird zur Instanz einer Anpassungslehre, in welcher das Objekt, nach dem das Subjekt sich zu richten habe, diesem zurückzahlt, was das Subjekt ihm zugefügt hat (S.151) … Die Unmündigkeit, die das verursachte, ist nicht so, wie Kant dachte, von der Menschheit selbst verschuldet. Mittlerweile zumindest wird sie planvoll reproduziert von den Machthabern (S.204) … (Hegels) Philosophie hat kein Interesse daran, daß eigentlich Individualität sei (S.336) … Die einzelmenschlichen Spontaneitäten, mittlerweile auch weithin die vermeintlich oppositionellen, sind zur Pseudoaktivität, potentiell zum Schwachsinn verurteilt (S.341) hat den Fimmel, dauernd eine (gleichsam ziellose, eigentümliche) Spontaneität des Individuums zu beschwören, die er aber in allem nicht allein unterdrückt sondern geradezu zerquetscht und vernichtet vorfinden will (so dass es billig wäre, hinter diesem (Quasi-) Neurotikertum der frühen Kritischen Theorie sexuelle Verklemmtheit zu vermuten). In ihrer Mischung aus Rationalität und Neurose sind aber natürlich die Beiträge von Kierkegaard oder Adorno ihrerseits von größter Relevanz. Kierkegaard hat das Subjekt und hat seine Philosophie äußerst kraftvoll und für immer lebendig an das Absolute gespannt (anders als die tatsächlichen späteren Existenzialisten, die das, vergleichsweise schlaff und vorübergehend, an das „Nichts“ getan haben). Adorno et al. hat mit seiner Negativen Dialektik der Aufklärung, in all eben deren Hermetik, nebst aller wertvoller kritischen Einsichten, wie mit einer Saugglocke einen umso riesigeren Raum des befreiten gesellschaftlichen Imaginären geöffnet, was wichtig und notwendig ist/war. Von größter Relevanz also das, auch wenn es in seiner (allerdings eben nicht unberechtigten, sondern sich aus einen bestimmten Blickwinkel aus durchaus anbietenden) Kritik an Hegel eventuell am Kern der Sache vorbeigeht. Hegel will ja die Subjektivität gar nicht ins Zentrum stellen, sondern das Ganze betrachten, von dem die Subjektivität nur ein – wenngleich wesentliches – Element ist. Das Ganze (aber) ist die sich bewegende Durchdringung der Individualität und des Allgemeinen; … (Phänomenologie des Geistes S.308) Durch diese sich bewegende Durchdringung von Individualität und Allgemeinen stellt sich eben her der Geist. Das Ziel ist die Einsicht des Geistes in das, was das Wissen ist. (ebendaS.33) Wissen stellt sich aber nicht über bloße Subjektivität in ihrer Spontaneität her, sondern indem das Subjekt versucht, das Objekt zu begreifen, indem … der Geist aber nichts Einzelnes ist, sondern Einheit des Einzelnen und Allgemeinen. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.305) Dass das Subjekt nur dann Subjekt sein kann – und in seiner Subjektivität kompetent und autonom – wenn es Einsicht in das Objektive und Allgemeingültige hat; wenn es also ein vernünftiges Subjekt ist; ist wohl eine Binsenweisheit – die aber trotzdem gerne immer wieder unterschlagen wird. Bzw. tendieren besonders subjektzentrierte und (herrschafts)kritische DenkerInnen immer wieder dazu, im Objektiven und Allgemeinen ganz hauptsächlich eine Heteronomie zu erblicken; etwas, das der Subjektivität feindlich und unterdrückend – und eben angeblich übermächtig – gegenüberstehe. Man würde solchen KritikerInnen dann und wann mehr Einsicht wünschen, dass eine solche Gewichtung bis zu einem gewissen Grade tatsächlich offenbar zu subjektiv ist und wenig verallgemeinerbar – und dass sie den Terror, den sie der Objektivität zuschreiben, in Wirklichkeit selbst mit der Überbetonung und dem Verallgemeinerungsversuch ihrer subjektiven Idiosynkrasien implizit oder eben auch explizit (und beabsichtigterweise oder auch unbeabsichtigt) ausüben oder ausüben wollen. Vielleicht sollten sie Hegel und seine Versuche, das Ganze und das Allgemeine zu denken und zu berücksichtigen anstatt das Subjektive, Idiosynkratische etc. genauer untersuchen und verinnerlichen, anstatt ihn in erster Linie zu kritisieren, wenn nicht zu verabscheuen. Das Subjektive bewegt sich in einer objektiven Welt. Die menschliche Natur ist eine duale: indem der Mensch gleichermaßen ein Einzel- wie ein Kollektivwesen ist (das, mit Kant gesprochen, in ungeselliger Geselligkeit lebt und daher seine Lebenswelt dementsprechend auszugestalten hat). Genau das wirft dann eben das Problem der Moral auf und der moralischen Ausgestaltung der menschlichen Lebenswelt. Ob das Moralische bzw. dessen Impliziertheit/Implizierungen etwas vom Menschen gemachtes oder etwas tatsächlich in der Welt vorhandenes sind (also ob Moral etwas subjektiv oder objektiv Impliziertes ist), ist im Übrigen bis heute eine lebhaft diskutierte philosophische Streitfrage – da sie keineswegs leicht zu entscheiden ist. Womöglich auch gar nicht: da sich in ihr Subjektives und Objektives fast untrennbar miteinander vermengen (weswegen man vielleicht andere Verständnisse von beiden benötigt). Klar ist, dass moralische Systeme, sittliche Verständnisse u. dergl. innerhalb von jeweiligen (und insgesamt in allen) Zeiten und Kulturen dem Menschen als objektiver Geist gegenübertreten. Moral und Sitte nehmen auch klarerweise für sich in Anspruch, objektiv und allgemein gültig zu sein. Und ja: es ist schwierig bis unmöglich, sich das Moralische (die tiefer gehenden Inhalte und Implikationen seiner, nicht die einzelnen kulturrelativen sozialen Etiketten) als etwas anderes als etwas objektiv Verankertes, aus dem Objektiven kommendes und den Menschen dorthin wieder zurückführendes vorzustellen. Schon der junge Hegel hat sich, eben in seiner Harmoniesüchtigkeit, mit Fragen nach dem moralischen Charakter der Welt bzw. der moralischen Ausgestaltung der Welt beschäftigt. Wenngleich er stark aus einer religiösen Empfindung heraus denkt, und sich stark damit beschäftigt, wie sich der Einzelne in ein Allgemeines einordnen kann, sind ihm ein obstruktives Christentum bzw. eine übermächtig tradierte Sittlichkeit ein Gräuel: da sie dem Menschen die sittliche Autonomie, und überhaupt seine Individualität rauben. Ebenso wendet er sich gegen die (abstrakt bleibende) Pflichtethik Kants: Menschen seien keine Pflichtlinge oder ausführende Organe von abstrakten Prinzipien – sie seien in ihrer Ganzheit, und in der Ganzheit ihrer Bedürfnisse und in der Vielfalt ihrer Eigenschaften zu nehmen, der Mensch habe eine konkrete und leibliche Existenz. Indem die Moral sowohl objektiven wie subjektiven Ursprungs zu sein scheint, scheint sie, von Grund auf, als etwas Widersprüchliches: Die moralische Weltanschauung ist daher in der Tat nichts anderes als die Ausbildung  dieses zum Grunde liegenden Widerspruchs nach seinen verschiedenen Seiten; sie ist, um einen kantischen Ausdruck hier, wo er am passendsten ist, zu gebrauchen, ein ganzes Nest gedankenloser Widersprüche. (Phänomenologie des Geistes S.453) Widersprüchlich zunächst indem das „Reich“ der Moral als jenseitig und allgemein erscheint; als etwas, das objektiv vorhanden ist (bei Gott, oder aber in einem Reich der „Ideen“), aber gleichzeitig IN der Welt ist und in ihr wirksam wird (oder kraftlos bleibt). Wenn die Moral als etwas rein Objektives überbestimmt wird, als eine Vorschrift, an die sich der Mensch zu halten habe, bleibt dadurch der Mensch moralisch unterbestimmt: er muss sich dann nur an Regeln halten, hat aber selber keine sittliche Substanz und Autonomie; eine Vakanz, aus welcher in ihm dann wieder umso mehr das Bedürfnis nach einer objektiven moralischen Instanz entstehen möge: … das abstrakte Gute verflüchtigt sich zu einem vollkommenen Kraftlosen, in das ich allen Inhalt bringen kann, und die Subjektivität des Geistes wird nicht minder gehaltlos, indem ihr die objektive Bedeutung abgeht. Es kann daher die Sehnsucht nach einer Objektivität entstehen, in welcher der Mensch sich lieber zum Knechte und zur vollendeten Abhängigkeit erniedrigt, nur um der Qual der Leerheit und der Negativität zu entgehen. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.290) Umgekehrt sind Tugendhaftigkeit und Herzlichkeit gewisse Formen der moralischen Innerlichkeit; allerdings keine an sich vollendeten: die Tugendhaftigkeit kann auch innerlich relativ leer und unbeteiligt bleiben, und ein tugendhaftes Individuum ist allein noch kein schöpferisches und autonomes moralisches Subjekt; die Herzlichkeit ist zunächst ein subjektives (oder kulturell angelerntes) Temperament, das aber nicht notwendigerweise mit abstrakter Einsicht und der Fähigkeit, vernünftige moralische Unterscheidungen zu treffen, einhergeht. Die abstrakte, abstrahierende Vernunft ist ebenso Komponente der moralischen Existenz wie das moralische Empfinden. Tatsächlich beschäftigt sich die Vernunft mit demselben wie die Moral: Mit der Frage, was ist richtig und was ist falsch, was ist angemessen und was nicht, was ist wünschenswert und was nicht; bzw. was sind die Gradabstufungen und Wahrheitsgehalte innerhalb von Gegebenheiten und Zusammenhängen. Die unbestechliche und folgerichtige Vernunft wird dann, in der Regel, auch moralisch folgerichtig und unbestechlich sein. Bei Hegel liegt die Lösung des Nests von Widersprüchen innerhalb des Moralischen dann darin, dass das Sittliche dann eben aus dem (autonom) Vernünftigen folgt: eine sittliche Ausgestaltung der Welt basiert auf vernünftigen Unterscheidungen und auf Implikationen, die aus der Vernunft kommen. Die Gesetze der Sittlichkeit sind nicht zufällig, sondern das Vernünftige selbst. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.56) Die Gesetze der Sittlichkeit sind also abermals nicht eigentümlich. Und das autonome sittliche Subjekt ist also auch nichts Eigentümliches und keine exzentrisch herausragende Subjektivität, sondern eine geistige Entität, die Einsicht in das Allgemeine (und daher auch in das Wahre und Ganze) hat. Indem das einzelne Subjekt Einsicht in das objektiv Allgemeine erlangt und diese verinnerlicht und dynamisch ausprägt, wird es abermals zum Geist, der dann eben auch: Wahrheit, Ganzheit, Vernunft und Sittlichkeit ist. Der Geist fügt zusammen, der Geist trennt: das liegt im Geist und gleicht dem Sittlichen, das auf denselben Prinzipien beruht. Sein geistiges Wesen ist schon als sittliche Substanz bezeichnet worden; der Geist aber ist die sittliche Wirklichkeit … Der Geist ist hiermit das sich selbst tragende, absolut reale Wesen. (Phänomenologie des Geistes S.325) Dieses absolut reale Wesen ist dann gleichsam der Koordinatenursprung der dualen Existenz des Menschen als Einzel- wie Kollektivwesen. In diesem Koordinatenursprung, in den der vollkommene Mensch dann zurückkehrt und zur Ruhe kommt, wird die Subjektivität und die Einzelheit so allgemein, umfassend und transparent, dass sie eben eine das Objektive ausdrückende und befördernde Subjektivität wird. In seiner sittlichen Autonomie ist ein solches Subjekt dann zwar hochgradig beweglich und exzentrisch/eigentümlich, in seiner Einsicht in das Allgemeine ist es aber vielmehr hyper-normal. Es erlebt dann die Moral als etwas zwar Objektives, aber eben als nicht heteronom Objektives, sondern als etwas objektiv Richtiges, dem es dann natürlicherweise folgt, und das (das objektiv Richtige) auch immer wieder Veränderungen unterworfen ist (da es sich bei ihm um Qualitäten handelt, die eben als solche immer nur annährungsweise bestimmbar sind). Seine Moralität wird zur Gewissenhaftigkeit. Das Gewissen erkennt keinen Inhalt für es als absolut, denn es ist absolute Negativität alles Bestimmten. Es bestimmt aus sich selbst(ebenda S.473) Dieses Aus sich selbst passiert aber eben nicht aus etwas rein Subjektivem und Einzelnen heraus, sondern ist eines, das das Allgemeine und auch das Andere in sich zu tragen versucht;  das aus einer Gemeinschaft nicht allein mit dem Allgemeinen sondern auch mit dem Anderen heraus passiert. Denn … es ist die moralische Genialität, welche die innere Stimme ihres unmittelbaren Wissens als göttliche Stimme weiß, und indem sie an diesem Wissen ebenso unmittelbar das Dasein weiß, ist sie die göttliche Schöpferkraft, die in ihrem Begriffe die Lebendigkeit hat. Sie ist ebenso der Gottesdienst in sich selbst; denn ihr Handeln ist das Anschauen dieser ihr eigenen Göttlichkeit. Dieser einsame Gottesdienst ist zugleich wesentlich der Gottesdienst einer Gemeinde(ebenda S.481) Das autonome sittliche Subjekt trägt nicht allein die Einsicht in das Allgemeine (der vernünftigen Sittlichkeit) in sich: es trägt auch das Andere in sich. Das Andere, das sind dann aber die anderen Subjektivitäten – und die anderen Subjektivitäten (harmonisierend) zusammengefasst bilden dann: die Gemeinde. Das wahrhaft moralische Individuum, das im Koordinatenursprung der dualen Natur des Menschen als Einzel- wie als Kollektivwesen ruht, als das sich selbst tragende, absolut reale Wesen, ist ein Versammlungsort: in ihm versammelt sich die Menschheit – als Gemeinde. Das ist die Basis, auf der es operiert.

Bartolomé Esteban Murillo starb an den Folgen eines Sturzes von einem Gerüst während dem er in einer Kapuzinerkirche malte; in relativer Armut. Der Legende nach gab er viel für karitative Zwecke aus. Sein Biograph Palonimo beschrieb Murillo als einen Menschen, der … nicht nur vom Himmel begünstigt war durch die Erhabenheit seiner Kunst, sondern auch durch die Gaben seiner Natur, als ein guter Mensch, von liebenswürdigem Charakter, demütig und bescheiden.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel kommt am 27. August 1770 in Stuttgart als Spross einer Juristen- und Beamtenfamilie zur Welt. Er durchlebt eine relativ unbeschwerte Kindheit und Jugend und beginnt sich früh für die Wissenschaften, die Geschichte (insbesondere die Antike), die Mathematik und die Philosophie zu interessieren. Seiner Begabung gemäß studiert er am elitären Tübinger Stift und schließt dort mit einem Magister der Philosophie ab, es wurde ihm auch das theologische Lizenziat verliehen. Zwei seiner Kommilitonen und auch engsten Freunde dieser Zeit sind Hölderlin und Schelling, mit denen er ein geistiges Triumvirat bildet. Übertroffen sehen sich diese drei Geister höchsten Ranges dann im Übrigen trotzdem durch den Primus des Stifts: Carl Christoph Renz, einen Erzkantianer und oppositionellen Geist – aus dem später jedoch aus rätselhaften Gründen nichts weiter werden sollte als ein Landpfarrer. Hegel arbeitet zunächst als Hauslehrer, bevor er 1801 in Jena seine Universitätskarriere beginnt – die er dort mit der Veröffentlichung der Phänomenologie des Geistes 1807 beschließt, bevor er nach Bamberg übersiedelt. Darauf folgen Professuren in Nürnberg, Heidelberg und schließlich Berlin, wo er zum Star- (und Staats) Philosophen avanciert. 1811 heiratet Hegel Marie von Tucher, mit der er zwei Söhne zur Welt bringt (ein unehelicher Sohn, Ludwig, kam bereits 1807 zur Welt). Hegel ist von ausgeglichenem Charakter und gilt als lustig und umgänglich, nicht zuletzt gegenüber Kindern. Er liebt Brat- und Knackwürste und guten Wein, und wird in Gesellschaften als geistvoller Unterhalter gern gesehen. Er pflegt Freundschaften oder gute Beziehungen zu etlichen der hervorragendsten Geister seiner Zeit, nicht zuletzt zu Goethe. Trotz seiner mangelnden rhetorischen Begabung weiß er seine Zuhörerschaft über die Tiefe seiner ausgesprochenen Gedanken in seinen Bann zu ziehen. Zug seines nach außen hin täuschend einfachen Wesens, hinter dem sich große Tiefen verbergen, scheint auch eine gewisse „Bauernschläue“ zu sein, über die es ihm gelingt, vor den Mächtigen harmlos, wenn nicht kratzbuckelnd zu scheinen, obwohl er in Wirklichkeit subversiv gegenüber sie eingestellt ist (?) (vgl. Adorno, Drei Studien zu Hegel S.45f.) Ende 1831 stirbt Hegel nach kurzer (nicht einwandfrei geklärter) Krankheit, als in Berlin die Cholera wütet. Letzte Worte sind von ihm keine überliefert. Neben einem Bruder, Georg Ludwig, hat Hegel auch eine Schwester: die offenbar hochbegabte Christiane Luise Hegel hatte ein mittelprächtiges Leben. Vielleicht wäre es besser verlaufen, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Allzu viel ist über diese (eventuell) interessante Frau nicht bekannt, unter anderem, weil Hegels Hinterbliebene aufgrund eines kompromittierenden Konflikts zwischen den beiden Geschwistern deren Briefwechsel vernichtet haben. Einige Informationen lassen sich über Christiane Luise Hegel finden. Ich werde sie aber nicht dienstleisterisch hier servieren. Nach denen kannst du schon selbst ein wenig recherchieren, du Arschloch.

Sie (Die zweite Bestimmung, die negative oder vermittelte, welche ferner zugleich die vermittelnde ist, Anm.) ist also das Andere nicht als von einem, wogegen sie gleichgültig ist – so wäre sie kein Anderes, noch eine Beziehung oder Verhältnis … (Wissenschaft der Logik II S.562) Also, anders als offenbar Hegel und die meisten Dialektiker setze ich mich gerne in Verbindung zu Sachen, wogegen „ich“ gleichgültig sein könnte, und die den meisten Menschen gleichgültig sind. Ich habe, wie gesagt, Interesse am „Anderen“, und wenn man mit dem Anderen Kontakt herstellen will, muss man das – und vor allen Dingen auch – mit dem Gleichgültigen tun. Das ist gut, denn so ziehe ich meinen gewaltigen Kreis nicht allein um das Meinige und um das Andere, sondern auch um das Gleichgültige und beherrsche es geistig. Es ist ein loserer, aber totalerer Zusammenhang als der der Dialektik, der da gestiftet wird. Lose, aber demokratisch, ist mein Geist gerade überall: er ist gerade im hinteren Busch in Afrika, in der Ecke neben einem Herd in Bangladesch und entlang des dreißigsten Breitengrades am atlantischen Ozean. Das macht mir eventuell auch ein Hegel nicht so schnell nach. Sich mit dem Gleichgültigen auseinanderzusetzen, bedeutet auch, sich mit tatsächlich anderen Milieus, tatsächlich anderen Lebenswelten als der eigenen auseinanderzusetzen und versuchen, zu denen Kontakt herzustellen. Das passiert unter Menschen vielleicht eher selten. In dem Roman Nächtliche Wege von Gaito Gasdanow meint einer: Es komme kaum vor unter Menschen (vor allem auch nicht unter so genannten Gebildeten), dass sie sich tatsächlich mit anderen Milieus, anderen Lebenswelten als den eigenen auseinandersetzen würden – dass sie sich tatsächlich in sie hineinzuversetzen suchten (ohne welche eine Auseinandersetzung ja oberflächlich bleibt) – vielleicht tun das letztendlich nur die Schriftsteller. Und so sind die Schriftsteller vielleicht die einzigen, die die Gesellschaft tatsächlich verstehen. Die Poeten (womit ich alle Künstler meine) sind letztendlich die einzigen, die die Wahrheit über uns wissen. Soldaten wissen sie nicht. Staatsmänner wissen sie nicht. Priester wissen sie nicht. Gewerkschaftsführer wissen sie nicht. Nur die Poeten kennen sie. (James Baldwin) – Sterne war der ungewöhnlichste unter den Schriftstellern. Bei ihm hat man dauernd Auseinandersetzungen mit dem scheinbar Gleichgültigen und Abwegigen; dem, was eigentlich gar nicht entlang der Bahn liegt. Wie dürfte in einem Buche für freie Geister Lorenz Sterne ungenannt bleiben, er, den Goethe als den freiesten Geist seines Jahrhunderts geehrt hat, fragt Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches (Vermischte Meinungen und Sprüche 113: Der freieste Schriftsteller): Möge er hier mit der Ehre fürlieb nehmen, der freieste Schriftsteller aller Zeiten genannt zu werden … Sterne ist der große Meister der Zweideutigkeit … Der Leser ist verloren zu geben, der jederzeit genau wissen will, was Sterne eigentlich über eine Sache denkt, ob er bei ihr ein ernsthaftes oder ein lächelndes Gesicht macht: denn er versteht sich auf beides in einer Faltung seines Gesichts; er versteht es ebenfalls und will es sogar, zugleich recht und unrecht zu haben, den Tiefsinn und die Posse zu verknäueln. Seine Abschweifungen sind zugleich Forterzählungen und Weiterentwicklungen der Geschichte; seine Sentenzen enthalten zugleich eine Ironie auf alles Sentenziöse, sein Widerwille gegen das Ernsthafte ist einem Hange angeknüpft, keine Seite nur flach und äußerlich nehmen zu können. So bringt er bei dem rechten Leser ein Gefühl von Unsicherheit darüber hervor, ob man gehe, stehe oder liege: ein Gefühl, welches dem des Schwebens am verwandtesten ist. Das Wesen des Geistes ist, laut Hegel, Freiheit – und Sterne möge bei Nietzsche also gar mit der Ehre fürlieb nehmen, der freieste Schriftsteller aller Zeiten genannt zu werden. Hat man bei Sterne also den Geist der höchsten Stufe, das Ideal des Geistes? Und ist der Geist von Sterne überhaupt ein dialektischer Geist, oder halt einfach ein assoziationswütiger? Auch Hegel hat Sterne sehr geschätzt – wo aber Hegel dialektisch ist, da ist Sterne ultradialektisch. Der Kristallpalast seines Geistes ist ein beweglicher Kristallpalast, wo sich die lichten Räume, Keller oder Treppen ständig verschieben – in freilich harmloser Weise, ein Wunderland, das; während Sterne beziehungsweise der Träger des ultradialektischen Geistes knapp darunter sitzt und kindlich-lächelnd dieses eigene Spiel genießt. Der ultradialektische Geist von Sterne ist vielleicht nicht der göttliche Geist, aber eben wohl jener engelhafte Verstand, von dem Kojève spricht. Mit der Assoziationsfähigkeit, die den Künstler spezifisch ausmacht, ja: aber mit der Rationalität und dem dialektischen Vermögen des Philosophen ausgestattet gleichermaßen. Man könnte Sterne als einen radikalen Ausdruck dessen sehen, was Hegel als die „geniale göttliche Ironie“ bezeichnet und beschreibt als: Wer auf solchem Standpunkte göttlicher Genialität steht, blickt dann vornehm auf alle übrigen Menschen nieder, die für beschränkt und platt erklärt sind, insofern ihnen Recht, Sittlichkeit usf. noch als fest, verpflichtend und wesentlich gelten. So gibt sich denn das Individuum, das so als Künstler lebt, wohl Verhältnisse zu anderen, es lebt mit Freunden, Geliebten usf., aber als Genie ist ihm dies Verhältnis zu seiner bestimmten Wirklichkeit, seinen besonderen Handlungen wie zum an und für sich Allgemeinen zugleich ein Nichtiges, und es verhält sich ironisch dagegen. (Vorlesungen über Ästhetik 1 S.95) Tatsächlich ist ein solch, zumindest impliziter, Hochmut aber dann doch nicht das eigentliche Wesen des Sterneschen, des wahrhaft ultradialektischen Geistes (inwieweit Sterne tatsächlich ein wahrhaftiger Träger eines solchen Geistes war, sondern in der Praxis nicht einigermaßen unter dem Geist seines Werkes stand, bezweifelt zum Beispiel Lichtenberg (dem ich hierbei bekanntermaßen den wohl wichtigsten Anstoß in meinem Leben verdanke) – und auch Nietzsche scheint der Mann Sterne letztendlich eine komische Figur). Das Anrührende bei Sterne ist nämlich, wie sich die gleichsam chaotische Mannigfaltigkeit seines Charakters und Sensoriums aus einer starken, genuinen humanen und humanistischen Wurzel heraus entfaltet (was man z.B. bei seinem Epigonen Jean Paul – der auch viel unerträglicher zu lesen ist – so nicht empfindet), aufgrund derer er – in all seinem Sichverlieren – auch immer bei sich bleibt. Die Ironie bei Sterne ist auch eine sehr milde Ironie – und überhaupt eben ist sie Ironie; und nicht Sarkasmus oder Zynismus. Im Gegensatz zum Zynismus, der zwischen sich und dem Gegenstand, auf den er sich bezieht, die Verachtung schiebt, nimmt die Ironie ihren Gegenstand ernster, als sie vorgibt es zu tun. Der Ironiker kümmert sich um seinen Gegenstand und will ihn bilden – er will ihm sein eigenes Verfahren vorführen, ihm demonstrieren, wie man es anwendet, um ihm aus seiner Verstrickung zu helfen. Der Ironiker ist verbunden, die Ironikerin hat Kontakt. Und Verbundenheit ist gut und Kontakt ist gut. Es ist ein sinnvolles Verhältnis zur Welt. Ironie ist der vortrefflichste Zustand des Geistes und der Weisheit, wie auch Kierkegaard sagt – und Humor ist die letztendliche Weisheit der Lebensführung, wie Kierkegaard ebenfalls sagt. Bei Sterne hat man – so Nietzsche – einen Überhumor. Vielleicht keinen göttlichen Humor (denn dieser ist sowieso unbekannt), aber eben einen engelhaften Humor… Bei Sterne hat man ein ständiges Heben und Senken der Welt: denn das ist, wie der bewegliche und der ultradialektische – der gute Geist, der seinen Platz kennt – sich selbst und die Welt ansieht. Der gute Geist, der seinen Platz kennt, weiß, dass seine Subjektivität das Zentrum der Welt und was ungeheuer Wichtiges ist – als auch, dass er ein kleiner Punkt ist, der nur aufgrund von äußeren Kräften in der Welt haften bleiben darf und nicht ins ortlose Nirgendwo geschleudert wird, in seiner Masselosigkeit und ihrer Irrelevanz. Durch die Kunst wird das Gemüt also durch alle Gefühle hindurchgezogen, (dies ist) eine wesentliche Macht und Wirksamkeit der Kunst. Dieses wird im allgemeinen als Endzweck der Kunst angesehen. (Philosophie der Kunst S.56) Sterne wird nicht nur wegen seiner Gedankenexperimente gerühmt, sondern auch wegen seiner Empfindsamkeit. In seinen ultradialektischen Abschweifungen zieht er einen auch durch Gefühle hindurch. Was aber überhaupt sind eigentlich Gefühle? Unsublimierte Gedanken (bzw. spiegelbildlich dazu also Gedanken allein sublimierte Gefühle)? Oder sind Gedanken und Gefühle voneinander in erster Linie getrennt? Sind Gefühle etwas Eindeutiges und Beständiges – oder nicht etwa eher was Flatterhaftes und Unklares? Beim reifsten Menschen finden all diese Komplexitäten wohl ineinander verwoben und zu einem einzigen nicht-dichotomischen Innenleben integriert, wo man zwischen Eher-Gedanken und Eher-Gefühlen durch offene Räume herumwandern kann. So wie die höchsten Gedanken (ultra)dialektisch sind, sind auch die reifsten Gefühle fröhlich und traurig zugleich, und zeichnen sich durch die größte Komplexität aus. So zum Beispiel beschreibt han unter Koreanerinnen eine Akzeptanz des Schmerzes bei gleichzeitiger Hoffnung auf Besserung. Der Llongot Stamm auf den Philippinen versteht unter liget eine wütende Energie, die aber auch zu produktiver Arbeit motiviert. Awumbuk bezeichnet unter den Baining auf Papua-Neuguinea die gemischten/paradoxen Gefühle, die das Verlassen geliebter Gäste bei den Zurückgebliebenen hinterlässt. Bei Sterne hat man insgesamt: Empfindsamkeit. – Angesichts von einem solchen Bewusstsein/Denken etc. Wahrnehmung bleibt der Postmoderne da eventuell glatt die Spucke weg! Hier hat man in der Vielheit Einheit, im Relativen einen absoluten Zusammenhang. Das Absolute ist da der ultradialektische Geist, dem nichts fremd und gleichgültig bleibt – weil er eben aus einer genuinen humanen und humanistischen Wurzel heraus sich entfaltet. Das ist die Weltwährung, der Schlüssel, der Türen öffnet, der Schlüssel, der die Tür zum Gesetz öffnet. Ganz aktuell scheinen wir zu leben – an und für sich in einem Traumzeitalter für Marxisten: – in einem Zeitalter sich ständig zuspitzender Widersprüche. Wenngleich halt nur nicht ganz, wie die Marxisten das gemeint haben (also sich ständig zuspitzender objektiver ökonomischer Widersprüche): sondern eher im Sinne von Identitätspolitik und wie gut repräsentiert verschiedene gesellschaftliche Gruppen in Politik und Gesellschaft sind oder sich fühlen. Die fade Gleichgültigkeit und Gleichheit der Epoche des letzten Menschen (wie man den Eindruck hatte) scheint zu Ende. Widerstreit ist wieder angesagt. Die Gesellschaft scheint wieder in streitende Parteien zu zerfallen, die Kultur in lauter Einzelkulturen. Die Frage nach der Vermittlung zwischen diesen Parteien und zwischen diesen Kulturen stellt sich dadurch wieder. Gemäß Schiller ist es Aufgabe des Genies (und kann es allein sein), zwischen verschiedenen Kulturen, bzw. zwischen dem Klassischen und dem Profanen zu mediieren (dabei hatte er Goethe im Auge). Das kann schon sein, dass das Genie allein die entsprechende innere Flexibilität für so was hat. Aber dabei können wir es nicht bewenden lassen, denn wir wollen ja, dass ALLEN so eine Flexibilität und jubilierende innere Freiheit, die daraus folgt, zur Verfügung steht. Der Sternesche ultradialektische Geist erscheint somit in jeder Hinsicht als guter Geist für unser Zeitalter. Eines Tages werden diese Jahrhunderte vielleicht yorickianisch sein. Allerdings: … eine solche Freigeisterei … besaß vielleicht kein anderer Mensch, urteilt Nietzsche letztendlich über Sterne. Wenn aber eine solche Freigeisterei kein anderer Mensch besitzt, sondern diese singulär ist: wie kann es dann Modell werden? Naja, außer ständigen Erklärungen, Anleitungen und Anschauungen dazu kann ich auch nichts offerieren. Allerdings ist das schon eine ganze Menge. Dieser Hegeltext liefert schon wieder allerhand Erklärungen, Anleitungen und Anschauungen in diese Richtung.

Die kleine Obsthändlerin von Bartolomé Esteban Murillo war ein Lieblingsgemälde Hegels.

Die Kunst gehört in das Gebiet des Absoluten, Hohen; in diesem Gebiete des absoluten Geistes ist ein Wissen von absoluten Geiste … Das Bewußtsein seiner selbst, diese Subjektivität ist der endliche Geist, der absolute Geist ist eben absoluter Geist, indem er sich als solcher bewußt wird. Die Religion, Wissenschaft, Philosophie ist auch die Beschäftigung des endlichen Geistes mit der absoluten Wahrheit … Das Verhältnis ist also in allen diesen drei Weisen dasselbe, sie sind nur der Form nach unterschieden … Die Kunst aber ist das anschauende Bewußtsein der Natur, so daß es das Bewußtsein auf eine sinnliche Weise sinnlich unmittelbarer Gestaltungen überhaupt hat… (Philosophie der Kunst S.72) Der absolute Geist ist der Geist, der sich selbst, reflektierend, durchdringt und ergreift und so vermag, die Welt geistig, über den Geist zu formen. Er ist der Geist, der sich selbst mit seinem Begriff kongruent macht. Und er fächert sich (bei Hegel) auf in Kunst, Philosophie und Religion: diese sind Modi, über die der Geist gestaltend in die Welt eingreift (und sie „vergeistigt“) und sich gleichzeitig selbst ausgestaltet und innerlich differenziert. Kunst ist die Selbstanschauung des Geistes in Werken der freien Produktion; deshalb gehört sie als unmittelbarer Selbstvollzug zu den Momenten des absoluten Geistes, steht im Hegel-Lexikon (S.295). Ungleich der Philosophie, die sich am Begriff abarbeitet, realisiert sich die Kunst in der Anschauung. Sie geht von der Anschauung aus und wieder in die Offerierung einer Anschauung (im höchsten Fall: vom Absoluten) zurück: das ist dann das Kunstwerk. Im Kunstwerk drückt sich – anschauungsmäßig – eine Wahrheit aus; wird eine Wahrheit – zwar nicht (begrifflich) erklärt, aber (anschauungsmäßig) – dargestellt: Hiergegen steht zu behaupten, daß die Kunst die Wahrheit in Form der sinnlichen Kunstgestaltung zu enthüllen, jenen versöhnten Gegensatz darzustellen berufen sei und damit ihren Endzweck in sich, in dieser Darstellung und Enthüllung selber habe. Denn andere Zwecke, wie Belehrung, Reinigung, Besserung, Gelderwerb, Streben nach Ruhm und Ehre, gehen das Kunstwerk als solches nichts an und bestimmen nicht den Begriff desselben. (Vorlesungen über Ästhetik 1 S.82) Insofern die Kunst aus der Anschauung kommt und in der Offerierung einer Anschauung ihren Ausdruck findet, hat sie gleichsam ein „irrationales“ Element, eine irrationale, außerlogische und daher auch außerzeitliche, außergeschichtliche (und außerbegriffliche) Komponente (wenngleich die Schaffung eines substantiellen Kunstwerks vox dex (genderfluiden) Künstler:in/X+ freilich sehr viel begriffliche Arbeit und ein solches Verständnis, viel rationale Denkarbeit erfordert: keinen verschwommenen sondern einen luziden Geist – der jedoch seine eigenen Luzidität so auf die Spitze treibt, dass sie zu verschwimmen scheint; genauer gesagt, in einer pulsierenden Farbenprächtigkeit aufgeht. Deswegen kann man vielleicht auch sagen: die Kunst bringe den Begriff zur Anschauung). Trotzdem entwickelt sich die Kunst in und mit der Geschichte. In der Kunst kommt, gemäß Hegel, ein Volksgeist, eine Volksseele zum Ausdruck. Von alters her in Form von einer typischen Symbolistik: altägyptische Kunst sei beispielsweise in erster Linie symbolisch. In der griechischen Antike hat man eine gewisse Verselbstständigung der Kunst und (gemäß Hegel) eine Kunst-Religion. Im Mittelalter stehe die Kunst im Dienste der Religion; in der Neuzeit findet eine weitere Verselbstständigung der Kunst (analog zu der der Vernunft) statt. Die „klassische“ Kunst erhebt den Anspruch, das Allgemeine vernünftig darzustellen (inklusive der ethischen Aspekte und hinsichtlich des Wahren, Guten, Schönen), die Romantik verlagert den Schwerpunkt in die subjektive Seite (das Irrationale, das Fragment, das Obskur-Nächtliche etc.). Hegel selbst vertritt das Ideal einer „klassischen“ Kunst, die die „Wahrheit“ des „Ganzen“ ausdrückt; das Subjektive, wie es in einen objektiven Zusammenhang eingelassen ist und in ihm aufgeht; die „höchste Wahrheit“ des Allgemeinen gegenüber dem Partikularen usw. Aufgabe der Kunst, insbesondere der Literatur, sei es, den „Charakter“ darzustellen: dieser wiederum ist, idealerweise, eine (facettenreiche) Vielheit (von Persönlichkeitsaspekten), die vom kompetenten Charakter eben vereinheitlicht und in sich harmonisiert wird. Das ist dann der starke und folgerichtige, einheitliche und „klassische“ Charakter (dessen Ausbildung Ziel der Philosophie Hegels ist). Die Romantik stößt sich bekanntlich daran ab, und arbeitet sich an der „Zerrissenheit“ des Charakters ab. Die Romantik mit ihren unauflöslichen, undialektischen Irrungen und Wirrungen – oder die Literatur von Kleist – sind so das Ideal Hegels nicht. Der pflegt, bekanntlich, eine weniger verstörende Sicht auf die Dinge. – Die kleine Obsthändlerin von Bartolomé Esteban Murillo war, zum Beispiel, ein Lieblingsgemälde Hegels. Natürlich trifft es auch mein kindliches Herz wie mit einem Pfeil, mit all der Anmutigkeit und der inneren Reinheit und Güte, die in der spezifischen Anschauung und der Kunst von Murillo zum Ausdruck kommen: So dass ich diese herrliche Gelegenheit doch nutzen will, um ein kleines Denkmal für diesen heute nicht mehr sehr bekannten Mann aufzurichten. Bartolomé Esteban Murillo (1617 – 1682), ein Vertreter des Goldenen Zeitalters Spaniens, malte hauptsächlich religiöse Motive, aber auch Genrebilder. Gleichermaßen werden beide für ihre Authentizität und Wahrhaftigkeit und für die (innere und äußere) Schönheit der Figuren gelobt. Schönheit, kann man mit Hegel sagen, ist die Idee, in der sich das Wahre, Gute, Echte etc. ausdrückt; in der das Gute, Wahre, Echte mit der Wirklichkeit zusammenfallen. Sie ist das Wirklichwerden und Zum Ausdruck Kommen von innerer Schönheit und Harmonie. Mit seiner spezifischen Darstellung von Schönheit nahm Murillo damit gleichsam den Rokoko vorweg – ohne allerdings in dessen Formalismen zu verfallen: da die Feinfühligkeit und Geziertheit Murillos nichts ihm Äußerliches, sondern Kern seines Wesens waren. Aus dieser gesunden Wurzel heraus war er wendig genug, das Allgemeine (die Schönheit, Wahrheit, Authentizität etc.) immer wieder in höchst individueller Weise darzustellen. Das Genie spiritualisiert alles, so Salvador Dali, und so mischt sich bei Murillo die Anschauung von irdischer und himmlischer Realität immer wieder mit einem mystischen Erleben: Es ist eine spiritualisierte Wirklichkeit, die er anschaut und empfindet. Diesem Menschen ist Alles zugänglich: sowohl die tiefste, verborgenste Mystik der Seele als auch das einfache, alltägliche Leben…; alles stellt er in erstaunlicher Wahrheit und Realität dar … urteilte Wassili Botkin im 19. Jahrhundert über Murillo. Mit der Heraufkunft der modernen Kunst beginnt der Stern von Murillo zu verblassen – dafür steigt der seines bis dato vergessenen Landsmannes El Greco auf. Bei Velazquez und El Greco scheint die metaphysische Aufgabe der Kunst, das innere Wesen einer Sache zum Ausdruck zu bringen, in modernerer Weise – und mit mehr Bezugnahme auf die Schrecken der Moderne und der modernen Hermeneutik des Verdachts hinsichtlich der Monstrosität des Menschlichen – gelöst. Obwohl auch Murillo eine jener metaphysischen Künstlerinnen war, in deren Darstellung der Welt auch noch eine (rätselhafte, verklärte) andere Welt zum Vorschein zu kommen scheint. Aufgrund der inneren Versautheit und Vergesslichkeit des Menschen scheinen dem Menschen in der modernen Ausprägung die Gefühlswelten von Murillo aber weniger zugänglich. Bartolomé Esteban Murillo starb an den Folgen eines Sturzes von einem Gerüst während dem er in einer Kapuzinerkirche malte; in relativer Armut. Der Legende nach gab er viel für karitative Zwecke aus. Sein Biograph Palonimo beschrieb Murillo als einen Menschen, der … nicht nur vom Himmel begünstigt war durch die Erhabenheit seiner Kunst, sondern auch durch die Gaben seiner Natur, als ein guter Mensch, von liebenswürdigem Charakter, demütig und bescheiden. – Um den Faden wieder aufzunehmen, ist allerdings das, was in der Romantik zum Ausdruck kommt – die undialektische Zerrissenheit des Daseins – etwas, was es in der Welt tatsächlich gibt. Und der Dialektik zufolge ist das Romantische, das Subjektive, Abgetrennte, Verlassene etwas, was danach schreit, in einer Geborgenheit anzukommen, in einer neuen Klassik (von der sie sich dereinst wieder abspalten und verselbstständigen wird). Streng genommen ist alle Kunst eine Dialektik zwischen Klassik und Romantik, Vereinzelung und Synthese. Zu Hegels Lebzeiten – im Zeitalter des deutschen Idealismus – findet diese Dialektik ihre wohl höchsten Ausdrücke. In der Kunst von Haydn oder Mozart hat man das Schöne, Gute, Wahre (wenngleich kurz vor dem frühen Ende und dem daher unterbrochenen Leben, der unterbrochenen künstlerischen Karriere von Mozart sich dann bekanntlich das Abgründige – beim Requiem, beim Don Giovanni – recht weit gähnend öffnet). In der Kunst von Beethoven tritt das Klassisch-Schöne und Harmonische im Tandem mit dem Romantisch-Erhabenen, Disharmonischen und Unergründlichen auf. Das Erhabene entzieht sich der Dialektik. Es ist was Transzendentes – das allerdings auf ein letztendiges, letztgültiges Transzendentales hinweist. Und zu diesem Transzendentalen, zum Absoluten, zieht es die Dialektik (oder zumindest die Philosophie Hegels) hin. (Genau gesagt, ist diese Vereinheitlichung von Klassik und Romantik dann auch nur im Transzendentalen möglich – genauso wie die endgültige dialektische Vereinigung der Gegensätze: der dialektische Prozess, die Logik, sind bei Hegel und so wie Hegel sie letztendlich fasst, idealisierte Wahrheiten seiner/ihrer selbst; sind, so wie Hegel das fasst, die geistige Wahrheit seiner/ihrer selbst: und Hegel tendiert dann dazu, die Wirklichkeit und ihren Gang mit dieser geistigen Wahrheit zu verwechseln.) Auf jeden Fall scheint es der Kunst inhärent zu sein, das Klassische und das Romantische immer wieder neu zu verhandeln, zu vergleichen, das Klassische und das Romantische in Kunst und Leben immer wieder neu einander gegenüberzustellen (zumindest, sofern sie Ausdruck des absoluten Geistes sein will). – Die Gegenwartskunst scheint dann schließlich weder klassisch noch romantisch zu sein. Wenn man mit einem besonders zersetzenden Wesen begabt ist, könnte man sagen: Weil die Gegenwartskunst auch keine wirkliche Kunst ist, sondern eher eine Simulation von Kunst! Ein Parasit am Fell der echten Kunst! etc. Tatsächlich wohnt ein selbstzerstörerisches Potenzial der modernen Kunst aber bereits von selbst inne: in ihrem analytischen Bedürfnis nach neuen Ausdrucksformen und deren ständiger Befragung und Neuevaluierung; ihrer Intellektualität; ihrem rational-theoretisierenden Selbstverständnis; vor allem aber in Hinblick auf ihre extreme Ausdifferenzierung und Relativierung, die freilich eine der modernen Lebenswelt selbst ist: da scheinen die Sphären eingestürzt. Und auch die Subjektivität scheint mittlerweile zu ausdifferenziert, als dass sie sich in etwas so Vereinfachendem wie der großen Synthese innerhalb einer „klassischen“ Kunst ausdrücken könnte. (Oder sie ist halt nicht gescheit genug; der Anspruch ist etwas, was sie überfordert.)  Ja, die heutige Subjektivität scheint so ausdifferenziert und voller Ironie, dass das Ideal des homo universalis als etwas – eben – Renaissancehaftes dazustehen scheint. Aber Renaissance bedeutet: Wiedergeburt. Wer kann die ausdifferenzierten Sphären wieder integrieren? (Die Antwort mit Hegel lautet natürlich: der Geist! Der Geist ist es, wo sich das Einzelne und das Allgemeine zu treffen und sich unauflöslich, in höchster Synthese, ineinander zu verschlingen, und sich gegenseitig zu bestimmen vermögen … die Originalität ist die wahrhafte Objektivität des Kunstwerks … Die wahrhafte Originalität zeigt sich darin, daß das Kunstwerk die Schöpfung eines Geistes ist. (Philosophie der Kunst  S.109)) Freilich ist auch die Verwalterin des Geistes, die Philosophie, heute vielleicht in keiner so guten Verfassung mehr. Habermas meint unlängst angesichts seines neuzigsten Geburtstages, dass generalisierende Intellektuelle wie er eine vom Aussterben begriffene Spezies seien; sich auch die Philosophie in ihre eigenen Ausdifferenzierungen und Spezialisierungen hinein verliere. Und die analytische, unpoetische Philosophie hat die Philosophie, meint man, sowieso fest und im eisernen Griff. Ein alter weißer Mann wie Hegel dachte da (zumindest in seiner Jugend) noch anders und programmatisierte: Der Philosoph muß ebensoviel ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich raisonieren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen – und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht (Frühe Schriften S.235) Das sagt man freilich so (und allem Zeitgeist trotzend dann auch wieder), und man sagt es leichtfertig und, vor allem, gerne. Es hat was Beruhigendes, so was zu sagen; wenn so was gesagt wird. Ist Hegel dabei übrigens selbst diese Aufgabe geglückt und konnte er diesem Anspruch beikommen? Hegel wird gemeinhin für einen der anti-ästhetischsten Stilisten der Philosophiegeschichte gehalten. Das, allerdings, ist er dann gar nicht. In Hegels Sprache durchdringt sich das Denken selbst, in ihr manifestiert sich eine genuine Introspektionsleistung (also etwas gleichsam „Künstlerisches“). Seine Sprache, sein Stil (der im Übrigen auch nicht allezeit hermetisch ist: hauptsächlich ist er das in der Phänomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik, die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte am anderen Ende des Spektrums hingegen sind leicht lesbar) sind hochgradig philosophisch und erheben sich ins Metaphysische. Wenn man sich so universale Geister – die auch in etwa dasselbe wollten wie Hegel – wie Auguste Comte oder John Stuart Mill ansieht, so drücken sich die viel prosaischer und deutlicher aus, als Hegel es tut. Eine gleichsam endlose Faszination geht von ihnen aber nicht aus, eine abgründige Sogwirkung, eine ständig aufrechterhalten bleibende metaphysische „Ahnung“. Ihre Schriften sind Niederlegungen von vernünftigen Gedanken. In Hegels Schriften kommt aber vielmehr das Denken selbst zum Ausdruck und zum Vorschein: in seiner ewigen Unabgeschlossenheit und Rätselhaftigkeit, im ständigen Werfen von Licht und Schatten, in seinem ständigen Kampf zwischen Licht und Schatten, in seinem Potenzial zum Metaphysischen also. Kunst ist die wahre metaphysische Tätigkeit, so Nietzsche (in Rekurs auf Schopenhauer): und die das Metaphysische ergreifende Sprache Hegels ist Kunst (allerdings – und ganz im Sinn davon, dass Hegel das dunkle Metaphysische ja auf das Niveau der hellen und rationalen Logik heben wollte – darin nicht rasend künstlerisch: denn das trocken Rationale überwiegt darin dann doch. Auch Hegels Kunstbetrachtungen und –vorträge sind weitläufiger und akademischer als die genialisch-intuitiv-plastischen von Schopenhauer.) – Oder nähern wir uns, nicht zuletzt über die vollständige Akademisierung der Philosophie, in Wahrheit schon dem Ende der Zeiten? Bricht dann vielleicht die eigentliche Epoche des Poetischen an? Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war – Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben, so eine verstörende Prophezeiung Hegels an derselben Stelle(ebenda) (freilich ist das eben nur eine, vielleicht launisch gemeinte Bemerkung in den allerfrühesten Schriften: so dass man sie für die überlegteste Sache von der Welt besser nicht hält). – Ich könnte nun nicht sagen, dass die Kunst so substantiell sei wie die Philosophie und diese übersteige. Ich habe drei Bücher gebraucht, um die Literatur in allen ihren Möglichkeiten zu durchleuchten und durchmessen. Und habe dadurch immerhin den Durchbruch  – endlich – zur Kunst im Allgemeinen und zur Philosophie geschafft. Und jetzt studiere ich die Philosophie und den Geist: und es scheint mir eine größere Aufgabe und ein weiteres Feld. Maler und Schriftsteller hat man schneller durchstudiert als Philosophinnen wie Hegel. Zwar hoffe ich, dass ich auch mit der Philosophie in einigen Jahren fertig sein werde, um mich dann der Ökonomie, der Entomologie, der Mineralogie oder auch der Geophysik widmen zu können. Wenngleich ich diesbezüglich pessimistischer bin (und außerdem nicht glaube, dass ich in der Molekularbiologie, der Geodäsie oder der Botanik irgendwelche relevanten Beiträge leisten könnte – so gescheit bin ich nämlich doch nicht). Die Durchmessung der Philosophie und der ihr zuzurechnenden Fragen ist aber offensichtlich eine viel größere Aufgabe als die Durchmessung der Kunst. Auch laut Schopenhauer steht der Philosoph am obersten Ende der Hierarchie, über dem Dichter. Dass aber die Kunst, die Poesie, am Ende der Zeiten, nach dem Ende der Geschichte, nach dem Ende der Philosophie allein übrig bleiben und allein wirksam bleiben könnte, könnte man der Hoffnung zurechnen, dass der Begriff, sein Zur Deckung Kommen mit der Wirklichkeit als Idee, die Entwicklung der Rationalität etc. zu einem eben rationalen Abschluss kommen sollten: die Anschauung, aus der die Kunst heraus tätig wird, aber eben etwas Ewiges und Außerzeitliches ist. Und Poesie bedeutet: Schöpfung/Entbergung. Das sollte immer möglich bleiben (allerdings wie, sofern sie sinnvoll sein soll: wenn es keine rationale Basis mehr für sie gibt?) Mit „absolutem“ Idealismus ist nicht die magische Fähigkeit des Geistes gemeint, jeden Inhalt hervorzubringen, sondern die völlige Passivität des Geistes. Indem es die Haltung des „absoluten Wissens“ übernimmt, fragt das Subjekt nicht, ob der Inhalt (…) apriorischen Standards (…) entspricht; es lässt den Inhalt sich selbst beurteilen, nach dessen eigenen immanenten Maßstäben, und ermächtigt sich somit selbst. (Zizek S.532) Das ist der Endzustand des Subjekts, das am absoluten Wissen teilhat, das absolutes Wissen generiert, laut Hegel. Es hat etwas Meditativ-Künstlerisches. Es hat etwas vollkommen Rationales und Luzides. Es hat die Dichotomie von Subjekt und Objekt unter sich gelassen. Es hat, trotz des oder gerade in dem Kontemplativ-Meditativen etwas Poetisch-Generierendes, bzw. ist so poetisch-generierend, dass es das Poetische und das Generieren gleichsam der Sache selbst überlässt. Es ist der Geist. Es ist das Künstlerische und das Philosophische, als Ausdrücke des absoluten Geistes. Im höchsten Stadium verschmelzen die Auffächerungen des absoluten Geistes – Kunst, Philosophie (Wissenschaft) und Religion – dann zum absoluten Geist in der absoluten Form.

Die Philosophie Hegels trägt ein Bild mit sich von einem ewigen, unabschließbaren Denk- und Weltprozess, vermittelt andererseits aber auch eines von einem glorreichen Abschluss allen Denkens und eines Zu sich Kommens des geschichtlichen Verlaufs, eines der finalen Vereinigung aller Gegensätze. Sie ist/begreift sich als eine späte Philosophie, als eine Eule der Minerva, die in der Dämmerung zum Flug ansetzt, kurz vor Tagesende, bei dem dann auf Gleich gemacht wird, wo dann aber überhaupt auch erst aus der Vergangenheit echter Sinn abgeleitet werden kann. Sie ist einerseits entelechisch, andererseits teleologisch; und entfaltet ihr Charisma in der Betonung des einen wie des anderen – und ihr Charisma des Rätsel- und Sphinxhaften eben über beides zugleich (bzw., da beides letztendlich inkompatibel erscheint (wie auch jedes für sich genommen zweifelhaft ist), verliert sie ihr Charisma für den einen oder anderen besonders kritischen Kritiker dann eben wieder). Das denkende Individuum erscheint bei Hegel zum einen auf beinahe verlorenem Posten: es ist im Rahmen seiner Philosophie dazu verdammt, immer weiter zu denken und nie zu einem Abschluss zu kommen. Die Vollendung ist darum nicht wirklich zu erreichen, sondern nur als eine absolute Aufgabe zu denken; d.h. als eine solche, welche schlechthin Aufgabe bleibt. (Phänomenologie des Geistes S.447) Andererseits besteht die Möglichkeit, Vollendung zu erreichen, dann eben darin, indem es mit dieser Aufgabe, indem es mit dem Imperativ, den es sich selbst setzt, identisch wird. Das denkende Individuum wird dann identisch mit seinem Potenzial zu denken, mit der Möglichkeit, jegliches Resultat zu denken, auch wenn das tatsächlich erst in ferner Zukunft, mit dem Fortschritt der Wissenschaften, dann auch wirklich erreicht werden kann. Dadurch kann das Resultat, das immer in der unendlichen Zukunft liegt, gleichsam schon ins Zeitliche, ins Jetzt gezogen werden. Und darüber wird das im Zeitlichen denkende Individuum dann gleichzeitig ins Ewige transferiert und denkt gleichzeitig (außerdem) im Ewigen – und ist dort zur Ruhe gekommen: rotierend, wirbelnd, rastlos und unruhig, aber im Auge des Tornados. Das so denkende Individuum ist somit Bewohnerin zweier Sphären: der Sphäre des Zeitlichen, wo Abschluss und Versöhnung angestrebt werden, aber erst in unendlicher Zukunft und im Rahmen eines ewigen Prozesses der Annäherung erreicht werden können (oder eben, und vor allem auch, nicht); und eine Sphäre des Ewigen, wo, in Vollendung, alle Gegensätze und endliche Qualitäten in eine transzendentale Qualität hinein überwunden werden, und die in einer gleichsam anderen Welt beheimatet ist als in der herkömmlichen raumzeitlichen Lebenswelt.  Die Welt des Geistes zerfällt in die gedoppelte: die erste ist die Welt der Wirklichkeit oder seiner Entfremdung selbst; die andere aber die, welche er, über die erste sich erhebend, im Äther des reinen Bewußtseins sich erbaut. (ebenda S.362) Das eine ist eine Sphäre des Immanenten und des Transzendierens und Transzendierenwollens über Dialektik und den Verlauf der Dialektik; das andere ist eine Sphäre des Transzendentalen, in dem die Dialektik identisch wird mit ihrem eigenen Ideal bzw. eine Art Phasenraum der Dialektik, der die Menge aller möglichen Zustände des dialektischen Prozesses beschreibt. Dass das Denken nie zu einem Abschluss kommen kann, ist im Übrigen ja auch nicht sein Elend, sondern vielmehr eben Ideal des Denkens, Idee des Denkens, transzendentale Bestimmung des Denkens. Das nie aufhörende Denken ist gleichsam identisch mit einer eigenen Transzendentalie. Indem es nie zu einem Abschluss kommt, aber bereit ist, stets weiter zu denken, und das durch Denken erworbene Wissen so ausgeprägt und kompetent ist, dass es in der Lage ist, jeden Abschluss bereits zu antizipieren, ist das Denken (bzw. die Trägerin des Denkens) zwar nicht zum Abschluss, aber zur Vollendung gelangt (Vollendung bedeutet auch nicht dasselbe wie Abschluss; sie bezieht sich vielmehr auf eine vollständige Entfaltung von inhärenten Qualitäten). Dieses vollendete denkende Individuum hat daher eine Art Feldcharakter: es ist ein Denk- und Wahrnehmungsfeld, das sich, zwar an seinen Rändern klarerweise schwächer werdend, ins potenziell Unendliche erstreckt.  Das Denken, so hat es von sich selbst den Eindruck, wird, obwohl es hochprozessiv ist, gleichsam zu einer ruhigen, mimetischen Anschauung der Dinge bzw. seiner Inhalte, die gleichsam im Geistigen aufgehen, geborgen werden, tatsächlich erkannt werden. Das ist dann gleichsam die transzendentale Anschauung: In der transzendentalen Anschauung ist alle Entgegensetzung aufgehoben, aller Unterschied der Konstruktion des Universums durch und für die Intelligenz und seiner als ein Objektives angeschauten, unabhängig erscheinenden Organisation vernichtet. Das Produzieren des Bewußtseins dieser Identität ist die Spekulation, und weil Idealität und Realität in ihr eins sind, ist sie Anschauung. (Jenaer Schriften S.34) Spekulierend und in Selbstgenuss bewegt sich das Denken hier durch sein eigenes, originäres Reich, in völliger Freiheit, da es in diesem Reich herrscht. Genau gesagt: da in diesem Reich niemand herrscht, sondern alles in einer freundlichen Kopräsenz aufgeht und existiert, selbst was Wirklichkeit und Möglichkeit anlangt. So … spricht (sich) die Idee der Vernunft, bestimmter als in dem vorigen Begriff eines harmonischen Spiels von Erkenntniskräften, nämlich in der Idee eines „anschauenden Verstandes“ aus, in welchen „Möglichkeit und Wirklichkeit Eins sind“, für welchen „Begriffe“ … und sinnliche Anschauungen … beide wegfallen (…) Die transzendentale Einbildungskraft ist also selbst anschauender Verstand. (ebenda S.161f.) Man bemerkt: diese transzendentale Einbildungskraft und transzendentale Subjektivität hat beklemmende Gemeinsamkeiten mit dem fernöstlichen Satori, eines ewigen, erleuchteten Zustandes, in dem der Geist sich selbst ansieht …. Obwohl als kindlicher, urtümlicher Zustand, als ein gleichsam embryonales Bewusstsein propagiert, kann auch dieses Satori nur durch einen langwierigen, gleichsam dialektischen Prozess erreicht werden, innerhalb dessen man Widersprüchlichkeiten durchdenkt (bzw. denkend empfindet) – dabei handelt es sich aber weniger um rational auflösbare und dialektisch vermittelte Widersprüchlichkeiten und Gegensätze, sondern eher um den Umgang mit harten Paradoxien und Aporien, auf die man an den Rändern unserer Existenz, unseres Denkens und Begreifens, eben tatsächlich trifft. Eine dialektische, logische, rationale Lösung dieser Paradoxien und Aporien ist dabei nicht möglich. Es geht in der Zen-Übung, in der Bearbeitung des paradoxen Koans auch vielmehr darum, diese harten Paradoxien sich geschmeidig zu machen bzw. eine Geschmeidigkeit des Geistes – und der ganzen Persönlichkeit –  im Umgang mit dem, was jenseits des Vermögens des rationalen Verstehens liegt, zu erreichen. Es geht um die Ausprägung einer Art Meta-Rationalität und Meta-Dialektik. Genau gesehen ist der Kern des Satori vielleicht der, dass man im Denken und Wahrnehmen ständig zwischen Motiv und Hintergrund switchen kann. Das Widerspiel zwischen Motiv und Hintergrund ist die wohl grundlegendste Struktur der Welt, ihr transzendentales Wesen bzw. transzendentale Erscheinung. Jedes Ding erscheint in einem Hintergrund und muss aus dem heraus begriffen werden; gleichzeitig stiftet es einen neuen Zusammenhang (erhöht also die Textur des Hintergrundes) und beleuchtet den Hintergrund in eigentümlicher Weise (neu). Eine um Transzendenz bemühte Wahrnehmung strebt gemeinhin eine größere Vollständigkeit, Reichhaltigkeit, Farbigkeit, Beweglichkeit u. dergl. an. Sie strebt, eventuell, eine Anschauung der „Unendlichkeit“ an, des Letztgültigen, Göttlichen, oder Absoluten. Eine solche Anschauung ist (rational) unmöglich (allerdings intuitiv möglich). Das Absolute, Letztgültige, Transzendentale und auch Göttliche ist aber das Erscheinen von einem Motiv in einem Hintergrund („Am Anfang war das Wort“). Und die Anschauung des Letztgültigen, Absoluten, Unendlichen, ist dann eine flackernde Anschauung von sich gegenseitig widerspiegelndem Motiv und Hintergrund. Das ist dann, hat man den fast untrüglichen Eindruck, die transzendentale Anschauung. Die Anschauung der Unendlichkeit ist dann die Anschauung einer quasi fraktalen Struktur, einer quasi fraktalen Gestaffeltheit von Motiven und Hintergründen. Wobei es dem traditionellen fernöstlichen Satori aber eher nicht einfallen würde, sich so zu erklären (tatsächlich hat es erhebliche Schwierigkeiten, sich zu erklären). Denn das traditionelle fernöstliche Satori bleibt gleichsam tatsächlich ein embryonales Vor-Bewusstsein vor dem rationalen Bewusstsein und Denken. Es bleibt intuitiv und irrational. Innerhalb seiner liegt das Verständnis von Erleuchtung darin, dass man alle Qualitäten der Welt als bloße Erscheinungen, genau gesagt (nutzlose) Illusionen erkennt (und als solche verwirft). Daher bleibt es also passiv und unwissenschaftlich: es will die Welt nicht umgestalten und verbessern. Westliches Denken aber will das, und eine Hegelsche Philosophie will das: und sie versucht das zu vollziehen, indem sie rational und dialektisch ist. Jetzt wirft man der Dialektik vor, dass sie ein vereinfachendes Modell des Denkens ist, in dem die Möglichkeiten der unnötigen Zuspitzung oder der Verarmung des Denkens liegen. Aber wie anschlussfähig die Hegelsche Philosophie an anderes Denken ist, zeigt sich an diesem kulturübergreifenden Beispiel. – Der Sinn von Erleuchtung und Satori ist Freiheit; und die Ermöglichung von Freiheit bzw. die Bestimmung des Geistes als sich in Freiheit entwickelnd ist Sinn der Philosophie Hegels. Wenn der Geist vollständig ausdifferenziert ist und wissend ist, indem er die die Begrenzungen der Theorien und Ideologien durchstoßen hat, indem er über die Reflexion der Reflexion (also als absoluter Geist) die materiale Hyle der Dinge gesprengt hat, gelangt der Geist schließlich tatsächlich in den Besitz von sich selbst. Er wird (vollkommen) vergeistigter Geist, spiritualisierter Geist und spürt seine ungeheure Schwere dann in seiner Federleichtigkeit. Er operiert dann tatsächlich in einer noumenalen Sphäre – und diese ist dann seine urtümliche urtümliche Heimat. In diesem inneren Wahren … schließt sich erst über der sinnlichen als der erscheinenden Welt nunmehr eine übersinnliche als die wahre Welt auf, über dem verschwindenden Diesseits das bleibende Jenseits; ein Ansich, welches die erste und darum selbst unvollkommene Erscheinung der Vernunft oder nur das reine Element ist, worin die Wahrheit ihr Wesen hat. (Phänomenologie des Geistes S.117) Diese noumenale Sphäre ist das REICH, dessen Zentrum die Sphäre der transzendentalen Einbildungskraft ist: dort haust der Imperator, eine gleichzeitig fast verschwindende, verschwimmende Person, einsiedlerisch und radiierend. Das REICH ist weniger eine Sphäre der Herrschaft als eine der Kopräsenz und des Gleitens. Seine Strukturen sind scharf, eindeutig und luzide, und gleichzeitig abfallend in einen Saum der mannigfachen, nie vollständig erschließbaren Qualitäten und Bedeutungen. Es ist ein Reich, in dem es laut ist und kracht, in dem geschrien wird und die Türen zuknallen; und eines, in dem der Lärm verhallt und halluzinatorische Qualitäten hat, vielleicht eine Täuschung ist. Man kann sich relativ beliebig in einen Lärm oder eine Stille dort reinzoomen und wieder raus. In seinem eigenen REICH hat der Geist volle Manövrierfähigkeit und bewegt sich dort in aller Freiheit; in Anerkennung der Gesetzmäßigkeiten: Die übersinnliche Welt ist hiermit ein ruhiges Reich von Gesetzen, zwar jenseits der wahrgenommenen Welt, denn diese stellt das Gesetz nur durch beständige Veränderung dar, aber in ihr ebenso gegenwärtig und ihr unmittelbares stilles Abbild. (ebenda S.120) Freiheit macht nur Sinn bezogen auf Gesetzmäßigkeiten, die da sind; ansonsten an so einem Ort nämlich herrscht Chaos und Unordnung, aus der nichts entstehen kann, auf Grundlage derer sich nichts errichten kann. Der Geist bei Hegel selber entwickelt sich ja einerseits in Freiheit, andererseits nur im Zusammenhang mit dem Gesetzmäßigen der Dialektik. Er ist einerseits Freiheit, andererseits Logos – beziehungsweise (und nur eben darin!) sowohl als auch: Die Freiheit liegt also weder in der Unbestimmtheit noch in der Bestimmtheit, sondern sie ist beides. (Grundlinien der Philosophie des Rechts S.57) Der Geist entwickelt sich nicht in sinnlos wuchernder Anarchie seiner selbst, sondern in zunehmender Einsicht darin, wo Freiheit ist und wo Gesetz (anders wäre er ja auch nicht Vernunft oder Intelligenz – also eben nicht Geist). Und das REICH ist ein Reich der luziden Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten, in die gleichsam Platonischen Ideen. Darin liegt Freiheit und Harmonie, Endzweck des Geistes, seine eigentliche Freiheit. Das REICH ist eine Sphäre, die mit sich selbst identisch ist; es gibt „dahinter“ (oder sonstwo) nichts mehr. Und, damit der Geist vollständig und seinem transzendentalen Bild entspricht, darf es nichts mehr geben: der Geist muss, durch Selbstdurchdringung, sich selbst in Besitz nehmen: Wie die Substanz der Materie die Schwere ist, so, müssen wir sagen, ist die Substanz, das Wesen des Geistes die Freiheit … Die Materie hat ihre Substanz außer ihr; der Geist ist das Bei-sich-selbst-Sein. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.30) Wenn der Geist oder wenn das REICH identisch sind mit sich selbst, bei-sich-selbst sind, sind sie in ihrer Erscheinung auch identisch mit ihrem Ding an sich. Indem sie erscheinen, sind sie dann reine Erscheinung. Das Übersinnliche ist das Sinnliche und Wahrgenommene, gesetzt, wie es in Wahrheit ist; die Wahrheit des Sinnlichen und Wahrgenommenen aber ist, Erscheinung zu sein. Das Übersinnliche ist also die Erscheinung als Erscheinung. (Phänomenologie des Geistes S.118) Das bedeutet dann auch, dass das „Absolute“ (das Hegel – und im wesentlichen die ganze prä-postmoderne Philosophie – zu fassen anstrebt) in seiner reinen Erscheinung aufgeht – oder, wenn man so will, sich auf eine „reine Erscheinung“ reduziert. Slavoj Zizek kreist in seinem Hegelbuch unter anderem um die Vorstellung, dass „das Absolute“ oder die Platonischen Ideen, das Letztgültige, Höchste etc. nichts seien, wohinter sich irgendetwas, irgendeine geheimnisvolle, ungeteilte Substanz oder eben ein finales Ding an sich verberge, sondern etwas, das über die Arbeit des Geistes bzw. der transzendentalen Einbildungskraft endlich „in Erscheinung trete“ – und dann auch „reine Erscheinung“ sei. Das einzige „Sein“ des Absoluten ist sein Erscheinen, und die Illusion ist zu glauben, dieses Erscheinen sei nur ein „Bild“, hinter dem es ein transzendentes wahres Sein gibt. … Das „Absolute“ jenseits der Erscheinungen deckt sich mit einer „absoluten Erscheinung“, einer Erscheinung, hinter der es kein substanzielles Sein gibt. (Zizek S.200) Schon Hegel selbst interessiert sich bekanntlich nicht für das Ding an sich. Was ihn interessiert ist die Erscheinung; bzw. für ihn tritt das Wesen einer Sache in seiner Erscheinung vollständig zutage. Allerdings tut es das eben auch nicht, da das Wesen sich fortwährend dialektisch entfaltet und nie vollständig gegeben ist, also auch bei Hegel „hinter“ der Erscheinung ein Sog, ein Malstrom des Unbekannten charismatisch sich verbirgt. Das Absolute muss dann aber eben sein, wo Erscheinung und Ding an sich in eins fallen bzw. wo die dialektische Entfaltung ihr Ende findet oder aufgehoben wird. Ja, es ist schon hilfreich, sich das Absolute als „reine Erscheinung“, „hinter der es kein substanzielles Sein gibt“ vorzustellen. Da es das substanzielle Sein eben auch selbst ist. Ich für meinen Teil habe reine Erscheinungen sehr gerne. Sie tragen scheinbar eine Menge Bedeutung in sich (und sind, so gesehen, daher auch keine reine Erscheinungen, sondern vielmehr Referenzen an andere Erscheinungen), versuchen aber, das zu vertuschen und sich hinsichtlich aller Referenzen unterbestimmt zu machen. Sie verschieben den Sinn, und scheinen gleichsam Monaden von reinem, selbstständigen Sinn zu sein. In ihnen scheint ein geheimnisvoller Sinn, genauer: in ihnen scheint der Sinn selbst zutage zu treten, eben: in Erscheinung zu treten (gemäß der Wittgensteinschen Weisheit, wonach sich der Sinn nicht sagen lässt – er zeige sich). Die reinen Erscheinungen treten uns entgegen und schauen uns augenlos an. Sie sind unheimlich und harmlos zugleich; geisterhaft und manifest präsent etc. Sie sind ein Ding an sich, das uns entgegentritt, mit dem wir unerwartet konfrontiert werden, und die uns an die Unerwartetheit unserer eigenen Präsenz und Existenz gemahnen. Der transzendentale Geist liebt die reinen Erscheinungen. Der Genius ist das als rein anschauend Vorgestellte: was schaut der Genius an? Die Wand der Erscheinungen, rein als Erscheinungen. Der Mensch, der Nicht-Genius, schaut die Erscheinung als Realität an oder wird so vorgestellt: die vorgestellte Realität – als das vorgestellte Seiende – übt eine ähnliche Kraft wie das absolute Sein: Schmerz und Widerspruch. (Nietzsche Nachlass Ende 1870 – April 1971, 7(172)) Kurz vor seinem geistigen Tod, in seinem höchstgradig luzid-entrückten Ecce Homo-Zustand, hat Nietzsche seine Dionysos-Dithyramben finalisiert. Bei denen ist die poetische Vermittlung von Form und Inhalt so sublimiert, so ausgereift, dass sie als reine Feuerzeichen in einer dreiviertel Höhe über uns zu stehen kommen und dort, als augenlose Augen, ewig verharren. Da hast du Beispiele für reine Erscheinungen.

Bartolomé Esteban Murillo (1617 – 1682), ein Vertreter des Goldenen Zeitalters Spaniens, malte hauptsächlich religiöse Motive, aber auch Genrebilder. Gleichermaßen werden beide für ihre Authentizität und Wahrhaftigkeit und für die (innere und äußere) Schönheit der Figuren gelobt.

Hegel geht aus von der Entfremdung (logisch: dem Unendlichen, abstrakt Allgemeinen), der Substanz, der absoluten und fixierten Abstraktion – d.h. populär ausgedrückt: er geht von der Religion und Theologie aus. / Zweitens: Er hebt das Unendliche auf, setzt das Wirkliche, Sinnliche, Reale, Endliche, Besondre (Philosophie, Aufhebung der Religion und Theologie.) / Drittens: Er hebt das Positive wieder auf, stellt die Abstraktion, das Unendliche wieder her. Wiederherstellung der Religion und Theologie, moniert Marx (in Bezug auf Feuerbachs Kritik an Hegel) in seinen Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten (Marx S.324), und glaubt dadurch ein weiteres Mal einen grundlegenden „Widerspruch“ bei Hegel entdeckt zu haben. Diese scheinbaren Zirkularitäten kennt man bei Hegel ja eben zur Genüge. Allerdings sind es ja keine Zirkularitäten, sondern Entwicklungen, wo etwas, was ursprünglich ist, durch progressive Anreicherung mit Realitätsaspekten (zunächst als objektiver Geist) sich entfaltet und durch Selbstreflexion (über den absoluten Geist) sich durchdringt und dadurch aufklärt, transparent macht. Sich rational und vernünftig macht. Etwas Dunkles wird ans Licht gehoben. Freilich hat Marx Recht, wenn er sich darüber irritiert und wundert, wie sehr Hegel in seiner eigenen Denke, seiner idealistischen Philosophie und Geschichtsauffassung gefangen bleibt – obwohl zu seiner Zeit den dialektischen Materialismus ja gleichsam die Spatzen von den Dächern pfeifen; zum Beispiel von den Dächern Berlins, Hegels letzter Wirkstätte, in der Glanz und Elend der damals zeitgenössischen Welt exemplarisch und schroff sich gegenüberstanden. Diese Irritation bildet gleichsam die philosophische Grundlage für das Frühwerk von Marx (einem großen geistigen Triumph seinerseits und, bei aller Massivität der Gedanken und Stringenz der Gedankenführung, viel leichter zu lesen und transparenter nachzuvollziehen als die Werke Hegels). Immer wieder stößt sich Marx daran, wie bei Hegel dessen ideale Kategorien – wie der Geist, der Staat, die Sitte, die Religion etc. – sich gleichsam aus sich selbst entwickeln, ja, die eigentlichen Entwicklungslogiken und Entwicklungsträger sind, obwohl sie über eine solche Potenz ja gar nicht verfügen: vielmehr werden sie vom Menschen in seinen Versuchen, die Welt zu ordnen entwickelt und weiterentwickelt. Allerdings scheint Marx dann doch irgendwie zu entgehen, was Hegel mit Religion und mit Religion als Ausdruck des absoluten Geistes eigentlich meint und worauf er hinaus will. Religion bedeutet ursprünglich: die gewissenhafte Beachtung der Vorschriften. Sie bindet sich also an ein(e Art) metaphysisches Gesetz. Dies sind die rätselhaften Gesetzmäßigkeiten der Natur, des menschlichen Zusammenlebens und der Möglichkeiten der Beherrschung der Natur durch den Menschen. Die ursprünglichen Religionen sind Naturreligionen, in denen der Mensch sich mit den rätselhaften Gesetzmäßigkeiten in der Welt mit ausgeklügelten eigenen Gesetzmäßigkeiten – in Form von Ritualen – in Verbindung setzt und sich diese gefügig machen will. Die komplizierten Gesetzmäßigkeiten der menschengemachten Rituale erscheinen so als eine Mimesis der undurchschaubaren Gesetzmäßigkeiten in der Natur. Mit dem Zoroastrismus erscheint zum ersten Mal in der Geschichte eine Religion, in der zwischen Gut und Böse im Sinn von abstrakten Prinzipien und Unterscheidungs- und Entscheidungsmöglichkeiten für den Menschen differenziert wird. Religionen der geistigen Individualität sind dann die jüdische Religion, die altgriechische und die römische. Dennoch bleibt in diesen Religionen das Göttliche dem Menschen relativ fremd und etwas, mit dem man nicht innerlich kommunizieren kann (und das Verhalten Jahves oder der griechisch-römischen Götter bleibt immer wieder einigermaßen unheilig; irrational, kindisch und impulsiv). Im Christentum steigt Gott als Christus zum Menschen herab, erscheint in Menschengestalt. Damit begründet sich im Christentum eine neue Form von Innerlichkeit und die Möglichkeit eines inneren Dialoges und einer Kommunion mit dem Göttlichen: schließlich die einer Annäherung des Menschen an Gott über Heiligkeit; einer Gottwerdung des Menschen des Menschen dann in der spezifischen Auffassung des Christentums bei Hegel. Gott ist bei Hegel: der Geist! Und je geistiger und einsichtiger in die wahren Gesetze der Welt der Mensch im geschichtlichen Verlauf wird, desto mehr nähert er sich dem Göttlichen an: und desto mehr erscheint das Göttliche in der Geschichte. Gott und das Erscheinen Gottes und die Gottwerdung des Menschen ist ein Prozess: und die Realisierung dieser mit dem Erscheinen Christi abstrakt ausgesprochenen Möglichkeit ist bei Hegel Aufgabe und Möglichkeit der freien germanischen Völker. Das sei ihr Auftrag in der Weltgeschichte. Deren ganzer Zustand gleicht daher der Geburtsstätte und ihr Schmerz den Geburtswehen von einem anderen höheren Geist, der mit der christlichen Religion geoffenbart worden. Dieser höhere Geist enthält die Versöhnung und die Befreiung des Geistes, indem der Mensch das Bewußtsein vom Geiste in seiner Allgemeinheit und Unendlichkeit erhält. Das absolute Objekt, die Wahrheit, ist der Geist, und weil der Mensch selbst Geist ist, so ist er sich in diesem Objekte gegenwärtig und hat so in seinem absoluten Gegenstande das Wesen und sein Wesen gefunden. (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte S.386) Der Mensch ist ein Einzelwesen und hat als solches die Möglichkeit zum Bösen: dem Beharren auf dem Einzelwillen und der Abspaltung vom Allgemeinen. Gott ist das absolute Antidot dazu, indem er der Geist des Allgemeinen, des Umfassenden und Umgreifenden ist. Indem der Mensch Geist in sich ausprägt, das Allgemeine in sich aufnimmt, erkennt er, dass darin die Möglichkeit der Einsicht in das Göttliche begründet liegt, und die Möglichkeit seiner eigenen Annäherung an das Göttliche. So ist der Mensch also selbst in dem Begriffe Gottes enthalten, und dies Enthaltensein kann so ausgedrückt werden, daß die Einheit des Menschen und Gottes in der christlichen Religion gesetzt sei. Diese Einheit darf nicht flach aufgefaßt werden, als ob Gott nur Mensch und der Mensch ebenso Gott sei, sondern der Mensch ist nur insofern Gott, als er die Natürlichkeit und Endlichkeit seines Geistes aufhebt und sich zu Gott erhebt. Für den Menschen nämlich, der der Wahrheit teilhaftig ist und das weiß, daß er selbst Moment der göttlichen Idee ist, ist zugleich das Aufgeben seiner Natürlichkeit gesetzt, denn das Natürliche ist das Unfreie und Ungeistige. In dieser Idee Gottes liegt nun auch die Versöhnung des Schmerzes und des Unglücks des Menschen in sich. Denn das Unglück ist selbst nunmehr als ein notwendiges gewußt, zur Vermittlung der Einheit des Menschen mit Gott. (ebenda S.392) Im Christentum tritt der Mensch und tritt auch Gott im geschichtlichen Verlauf progressiv hervor und beide gewinnen immer mehr an Substanz und Identität. Gott, bzw. das sittliche Gesetz, ist bei Hegel bekanntlich eine an sich heteronome und substanzarme, wenn nicht sogar lebensfeindliche, unmenschliche, allzu abstrakte Instanz. Erst indem der Mensch das Gesetz in sich aufnimmt und mit Leben erfüllt wird das Gesetz vermenschlicht und gleichzeitig der Mensch autonom und kompetent. Aber das Übersinnliche, Ewige, oder wie man es sonst nennen mag, ist selbstlos; es ist nur erst das Allgemeine, das noch weit entfernt ist, der sich als Geist wissende Geist zu sein. (Phänomenologie des Geistes S.495) Umgekehrt nimmt dann aber die Subjektivität, die das Gesetz ergreift – die am Ende absoluter Geist wird – Qualitäten des Ewigen und der Selbstlosigkeit an. Geist bedeutet, dass das kein Ich ist (kein so genanntes Ego, oder religiös gesprochen eine Triebseele), das den Geist in seinem Bestreben, die Welt und sich selbst zu durchdringen, mal hierhin, mal dorthin zieht und dadurch seine Wahrnehmung verzerrt, seine Arbeit im schlimmsten Fall zunichte macht und stattdessen, aus Egoismus, den Ungeist triumphieren lässt. Das Ich wird durch die korrekte Arbeit des Geistes progressiv abgebaut; es wird, indem es gegen sich selbst ständig das Negative, Andere, das Nicht-Ich stellt, gleichermaßen mit neuen Anteilen und Anteilen des vormaligen Nicht-Ich angereichert, wie es ebenso dialektisch zermalmt und zerbröselt wird, hinsichtlich der Egozentrik seiner Perspektive. Das Ich wird welthaltiger und Ich-ärmer; der Kreis, den es in der Welt zieht, wird immer umfangreicher, seine innere Härte verflüssigt sich und wird zuletzt gasförmig: indem sein Aufenthaltsort progressiv im Überall wird. Das Ich wird dann eben: zum Geist – und dadurch viel aussagekräftiger und nachhaltiger als ein bloßes Ich das überhaupt sein kann. So erlangt der Geist seine volle Handlungsfreiheit und wird identisch mit seinem eigenen Ideal – und damit transzendental und absolut. Er wird allgemein, obwohl von einem Individuum verkörpert (denn: das Sein des Geistes (ist) ein Knochen (Phänomenologie des Geistes S.260)). Der Geist ist schließlich ein Selbst, aber das selbstlose Selbst. Das Christentum ist die Versöhnung der Welt mit Gott, des Einzelnen mit dem Allgemeinen. Der christliche Gott ist (neben universellem Geist) Liebe, und beinhaltet daher die Möglichkeit einer universellen Versöhnung von Gegensätzen (und: nur Gott vermag es eben, alle Gegensätze zu vereinigen; das Göttliche ist eben die Vorstellung, die wir von einer effektiven Planierung der Gegensätze im Absoluten haben, und allein haben können: denn praktisch und im Diesseits ist das ja nicht möglich; nur in einem Jenseits, des Geistes und eines Reichs der Werte: aber dieses Jenseits ist im Diesseits auch immer vorhanden und prägt unser Denken). Religion bzw. das Christentum ist bei Hegel kein Opium, das man sich zur Beruhigung reinzieht, um auf eskapistisch und weltflüchtig zu machen. Es ist eine Überwindung der Welt durch die absolute Beschäftigung mit der Welt, eine rastlose Aktivität des Geistes – der dadurch freilich einen gleichzeitig unendlich beruhigten und seligen, tranceähnlichen Zustand einnimmt; denn im absoluten Geist/Wissen sind Verhärtungen und Starrsinnigkeiten aufgehoben (was zum Beispiel im Geist von Marx NICHT der Fall war). Und das ist der höchste Zweck und ist die höchste Vollendung des Geistes – dessen höchste Vollendung und Identischwerden (oder zumindest Mimetischwerden) mit dem göttlichen Geist dessen letzter und daher Selbstzweck ist.  Noch mehr aber ist der Mensch Zweck – das eine Mal als lebendiger, das andere Mal als Denken, denn eben Denken, alles was in demselben liegt und seine Wurzel darin hat, als in sich unendlicher Selbstzweck. Formell und objektiv auch dem Inhalt nach; der absolute Zweck seiner Subjektivität aber ist die absolute Objektivität des Selbstbewusstseins, UNENDLICHER, letzter Endzweck in sich selbst; wir mögen sie als sittliche Vollkommenheit, Religiosität, ewiges Leben, d.i. göttliches, seliges Leben bestimmen. / Dieser Zweck ist kein endlicher; er ist Zweck des absoluten Geistes – ihr sollt vollkommen sein wie Er –, denn es ist Leben in Gott, Ähnlichkeit mit ihm – die Weise, wie Gott selbst als Geist in seiner Gemeinde, dem subjektiven Selbstbewusstsein realisiert wird. (Vorlesungen über die Philosophie der Religion Teil 2 S.?) Die Bewegung innerhalb der Hegelschen Philosophie gilt der Versöhnung des Einzelnen mit dem Allgemeinen. Gott ist das lebendige, das beseelte Allgemein, mit dem man (im Gegensatz zum starren Gesetz) in einen Dialog treten kann. Und Gott ist das lebendige, das beseelte Unendliche. Bei Hegel können das Endliche und das Unendliche nur dialektisch, nur aufeinander bezogen auftreten. Im Christentum endlich wird der Mensch zu einem Endlichen, das einen unendlichen Inhalt repräsentiert. Wenn das jetzt zu als zu widersprüchlich erscheint, dann sollte die mal versuchen, das reine Unendliche (oder das reine Endliche) zu denken. Die wird schnell feststellen, dass das viel komplizierter ist; die wird sehen, dass das geradezu unmöglich ist.

Am Ende dann die höchste Stufe des Geistes und das absolute Wissen: das Kongruentwerden des Geistes mit dem Absoluten. Diese Stufe wird erreicht, wenn das Subjekt und die Substanz zusammenfallen: Wenn das Subjekt Substanz wird, und die (stumme, namenlose) Substanz sich versubjektiviert. Oder Ich ist nicht nur das Selbst, sondern es ist die vollkommene und unmittelbare Einheit mit sich selbst, oder dies Subjekt ist ebenso die Substanz. (Phänomenologie des Geistes S.587)Die Substanz ist zunächst das Seyn in allem Seyn, stumme Primärmaterie. Die Substanz ist das, was sie ist, weil sie ist. Sie ist die Identität und das Ganze und die absolute Macht gegenüber den Akzidenzien, in die sie sich auffächert. Die Substanz ist keinesfalls Geist, sondern die primordiale Grundlage dafür, dass da überhaupt Geist sein kann. Gleichzeitig ist auch das Subjekt Substanz, da es immer schon unteilbar und  unhintergehbar ist. Es ist aber von sich aus nicht wissend. Wissend wird es erst, wenn es Träger von Geist wird. Sowohl das Subjekt als auch die Substanz haben was Absolutes an sich, aber es ist ein vergleichsweise leeres, inhaltsloses Absolutes – ohne den Geist. Der Geist ist an sich überhaupt nicht absolut, der Geist ist ursprünglich fragil. Aber er wird mehr und mehr zum Inhalt. Wenn der Geist das absolute Wissen erlangt hat, ist er dann eben gestättigster Inhalt. Das absolute Wissen erscheint, an und für sich, am Ende aller Zeiten – das jederzeit sein kann: und das absolute Wissen wäre dann eben gerade einmal das, was es zu jenem Zeitpunkt ist. Es – das absolute Wissen – ist daher in der Praxis kontingent. Daher ist das absolute Wissen jener geistige Zustand, wo das Wissen am Ende aller Zeiten bereits ins Jetzt gezogen wird, jener geistige Zustand, in dem das Wissen am Ende aller Zeiten bereits virtuell enthalten ist. Es ist, wie wir gesehen haben, der Geist, der identisch ist mit seiner eigenen Transzendentalie. Es ist ein Tätigkeitswissen, absolutes Wissen über den Gebrauch des Geistes. Als Trägerin dieses Tätigkeitswissens ist das Subjekt gleichsam identisch mit der stummen, absoluten Substanz der Welt, auf Grundlage derer die Akzidenzien erscheinen. Umgekehrt wird die Substanz, bzw. deren stumme, namen- und identitätslose Absolutheit über das Subjekt entborgen und ans Licht gebracht. Das Absolute, das zunächst in der Substanz liegt, legt sich durch seine Versubjektivierung zunehmend selbst aus und begreift sich selbst (wenn es von einem fremden Geist und einer fremden Subjektivität ausgelegt werden würde, würde es ja auch fremd bleiben und keine Teilhabe an sich ermöglichen). Da hat das Absolute bei Hegel das Charisma des einerseits Tätigen und Unabgeschlossenen, andererseits des Beruhigten und Abgeschlossenen. Wahlweise sorgt das bei Rezipientinnen für Ärger und Verwirrung. Jetzt kann man mit diesem Bild eines zur Ruhe gekommenen Geistes in der absoluten Idee, in der alle Widersprüche aufgehoben sind, seine Probleme haben, weil man damit – eben – ein eher religiöses Bild assoziiert als ein kritisch-philosophisches. Allerdings ist es ja die gesamte Essenz der Philosophie Hegels, dass man zu einer solchen quasireligiösen Pazifiziertheit im Absoluten nur komme durch eben kritisch-philosophisches Denken. Die höchste Stufe des Denkens und das Stadium der wahren Religion erreiche man allein durch dialektisches Denken. Die Philosophie steht vor der von Hegel selbst formulierten Aufgabe, mindestens 77-mal den logischen Gang der Denkbewegung vom reinen Sein bis hin zur absoluten Idee neu durchzuarbeiten und auf seine Konsistenz hin zu überprüfen. (vgl. Vieweg S.413) Es geht also darum, dermaßen kritisch-philosophisch zu denken, dass der Geist ausgefegt wird, von Dingen und Gerümpel gereinigt – und dadurch eben zu Wahrheiten zu gelangen, in denen man dann konsequenterweise eben, ganz von selbst, zur Ruhe kommt (und wer das beim siebenundsiebzigsten Mal immer noch nicht geschafft hat, dessen Sache ist es wohl überhaupt nicht, ein Bild vom funktionierenden Geist abzugeben). Durch die Reflexion über die Reflexion (über die Reflexion) – also über das Walten des absoluten Geistes – wird die begrenzende Hülle selbst des Geistes gesprengt und der Geist wird schließlich der offene Raum – in dem sich dann die Materie, frei flottierend, gleichzeitig gebunden an Gesetze, in die der Geist (zumindest virtuelle) Einsicht hat, bewegt und deren Bewegungen der Geist dann ruhig beobachtet. Der absolute Geist ruht überhaupt nicht, sondern ist höchst tätig. Er ruht allerdings in sich selbst und ist zur Ruhe gekommen seiner eigenen Kompetenz, die ein wissender Zustand, ein wissendes Wissen über das Wissen ist. Das absolute Wissen ist ein Tätigkeitswissen; kein faktisches Wissen, sondern eine Fähigkeit zum Prozessieren und Generieren von Wissen. Die absolute Fähigkeit zum Generieren und Prozessieren von Wissen liegt im Zusammenführen und im Trennen von geistigen Inhalten, im Anhäufen und Aussortieren. Wenn wir uns den vollkommenen Geist vorstellen, so erscheint da eventuell eine Scheibe, vertikal darauf eine schnell schwingende Art Feder. Der vollkommene, transzendentale Geist attrahiert alles, lädt alles ein auf seine Ebene, und differenziert dann zwischen allem, facettiert, unterscheidet, fächert auf. Das ist das endgültige Bild vom Innersten des transzendentalen Geistes, dessen Tätigkeit absolut ist. Der absolut gewordene Geist zieht alles – vor allem das Andere – an, verbindet alles Mögliche und trennt alles Weitere: und bewahrt alles gleichermaßen in seinem Speicher der Empathie und der Sympathie. Ähnlich wie (gemäß Whitehead) Gott: und wer dermaßen kritisch denkt und umfassend, macht im Übrigen auch ohne Weiteres religiöse Erfahrungen. Weswegen sein Denken und seine Rede dann mit religiösen Metaphern (genauer gesagt: mit eigentlichen religiösen Inhalten, Empfindungen und Bildern) durchtränkt sein wird: und so wie es eben bei Hegel der Fall ist. So wie der Geist immer absoluter wird, wird auch die Trägerin des Geistes, das subjektive Individuum, immer absoluter: indem es gleichzeitig immer subjektiver und immer objektiver gültig wird und an Schwere gewinnt. Bei Hegel ist das absolute Verhältnis das, dass Menschen keine starre, fixierte Identität haben – aber durch Arbeit an sich selbst mehr und mehr zu einer solchen kommen können: zu ihrem „wahren“ Selbst. Bei Hegel kommt das Individuum immer mehr in sich selbst zu ruhen und nähert sich seinem inneren Kern an. Ein „Perspektivenpluralismus“ oder ein „Ich bin vieles!“ im Sinne von Nietzsche oder der Postmoderne ist seine Sache nicht. Durch geistigen Fortschritt und vertiefte Selbstkenntnis fächert sich das Individuum einerseits auf, gelangt aber gleichzeitig zu einem inneren, unveränderlichen und wahren Kern. (Nietzsche gibt in seinen unveröffentlichten Schriften übrigens zu, nie viel über sich selbst nachgedacht zu haben, und wenig Selbsterkenntnis betrieben zu haben: mit der äußerlichen Begründung, wonach Dinge, die wir erkannt haben, aufhören uns etwas anzugehen; aus dem inneren Grund vielleicht, da der innerste Kern von Nietzsche neurotisch gespalten ist, und jeweils nicht so ist wie er scheint.) Durch und in Selbsterkenntnis ergreift der absolute Geist Besitz von sich selbst, und ergreift die Trägerin des absoluten Geistes von sich selbst Besitz. Die höchste, zugeschärfteste Spitze ist die reine Persönlichkeit, die allein durch die absolute Dialektik, die ihre Natur ist, ebensosehr alles in sich befaßt und hält, weil sie sich zum Freiesten macht – zur Einfachheit, welche die erste Unmittelbarkeit und Allgemeinheit ist. (Wissenschaft der Logik II S.570) – Das ist dann eigentlich das, was man seit tausenden von Jahren als Weisheit bezeichnet, und Hegel-Exeget Alexandre Kojève schreibt über den Menschen des absoluten Wissens: Der Weise hingegen ist mit allem, was ist, völlig und endgültig versöhnt: er vertraut sich rückhaltslos dem Sein an und öffnet sich gänzlich dem Wirklichen, ohne ihm Widerstand entgegenzusetzen. Seine Rolle ist die eines vollkommen ebenen und unendlich ausgedehnten Spiegels: er reflektiert nicht über das Wirkliche, sondern das Wirkliche reflektiert sich auf ihm, reflektiert sich in seinem Bewußtsein und offenbart sich in seiner eigenen dialektischen Struktur durch die Rede des Weisen, der es beschreibt, ohne es zu entstellen. (Kojève S.117) Freilich, ein „göttlicher“ Verstand ist für den Menschen unmöglich, aber Einsichtigkeiten in die höchsten Plateaus der Philosophie – von Platons Einsicht in die Ideen bis eben Hegels absoluter Idee – gleichen dann aber zumindest einem „engelhaften“ Verstand (ebenda S.91), und damit einer Art Reinheit bei gleichzeitiger Getrenntheit vom Göttlichen. Wenn man, wie Hegel, sagt, am Ende sei das Subjekt Substanz geworden, so bedeutet das auch umgekehrt, dass die Substanz auch wesentlich Subjekt ist: und dem Subjekt ist die absolute Erkenntnis verweigert. Es kann, durch sein Tätigkeitswissen und seine Weisheit, die Tätigkeitswissen ist, nur zu einer Mimesis der absoluten Erkenntnis kommen (nie zum „Ding an sich“ der absoluten Erkenntnis … wobei das „Ding an sich“ der absoluten Erkenntnis allerdings (gemäß Hegel) eher als ein Phantasma des Erkennenwollens fungiert und nichts, was tatsächlich vorhanden wäre). Wenn aber das Absolute praktisch sich auf eine Mimesis des Absoluten beschränkt: wie kann es dann das Absolute sein? Das mag dann wieder die kritischen Kritiker auf den Plan rufen. Slavoj Zizek hat ein gargantueskes, eineinhalbtausendseitiges Buch über Hegel verfasst (in dem es, wie immer, freilich in erster Linie um Lacan geht, und halt dann in zweiter Linie um Hegel). In seiner üblichen Fixiertheit auf Paradoxien und Rechnungen, die nicht aufgehen wandelt er in seinem Hegelbuch das Absolute dann um; bei Zizek wird das Absolute „die Differenz … die Unmöglichkeit für ein X, ganz „es selbst“ zu sein“ (Zizek S.522) Das Absolute wird dann eine erhabene Schranke, die den Geist vom (ultimativen) Absoluten trennt (ähnlich vielleicht wie Kierkegaards Erbaulichkeit, die in dem Gedanken liegt, dass wir gegen Gott immer Unrecht haben). Allerdings gibt wohl so einige X, für die es gar nicht unmöglich ist, „ganz es selbst“ zu – oder nehmen wir zumindest an, dass es solche X gibt. Vor allem der Geist der höchsten Stufe ist ja selbstlos – und sollte daher gar keine Probleme haben identisch mit sich selbst zu sein. Problematisch ist für ihn vielleicht eher, sich vorzustellen, was es überhaupt heißen könnte, „ganz es selbst“ oder „nicht ganz es selbst“ sein zu können. Wenn der Geist auf einer solchen Stufe operiert, dann verdunsten die drei Register des Realen, des Imaginären und des Symbolischen und fallen in eins zusammen, in eine Komplexität, die gleichzeitig ein begehbarer Raum und eine höchste Einfachheit ist. Das Fundamentalphantasma wird durchquert, die Täuschungen aufgehoben, das Subjekt wird sein eigener Ursprung. Das Menschenbild von Lacan – und dieses gleichsam performativ vollziehend, indem sich Zizek irritierenderweise nie davon lösen kann – betrachtet den Menschen, bis ins Unbewusste hinein, als im Wesentlichen von äußeren Kräften und Mächten bestimmt. Die Trägerin des absoluten Wissens/Geistes ist das aber eben nicht mehr: da der transzendentale Geist originär ist. Nehmen wir also an, es gibt zumindest ein X, das ganz „es selbst“ ist, und diese Trägerin des absoluten Wissens/Geistes sei dieses X. Sie sitzt in der Kommandozentrale des Wissens, in der Kommandozentrale der Philosophie. Es ist gut, in der Kommandozentrale der Philosophie zu sitzen! Da kaum eine in der Kommandozentrale des Wissens und der Philosophie sitzt, ist es außerdem gut, gleichsam für die Wissenschaften und die Philosophie notwendig, dass die dann von ihren Erfahrungen berichtet und versucht, den Zustand ihres Geistes zu beschreiben. In der Kommandozentrale der Philosophie zu sitzen ist dann auch die ultimative Verwirklichung der Freiheit des Geistes, die Hegel ja die ganze Zeit beschwört. Diese Freiheit ist dann die absolute Navigationsfähigkeit durch den Geist, und durch die geistige Welt. Er (der Geist, Anm.) ist (sich) seiner reinen Persönlichkeit und darin aller geistigen Realität bewußt, und alle Realität ist nur Geistiges; die Welt ist ihm schlechthin sein Wille, und dieser ist allgemeiner WilleDiese ungeteilte Substanz der absoluten Freiheit erhebt sich auf dem Thron der Welt, ohne daß irgendeine Macht ihr Widerstand zu leisten vermöchte. (Phänomenologie des Geistes S.432f.) Das Denken der Kommandozentralensitzerin ist kein relatives Denken mehr, sondern absolutes Denken. Dadurch bewegt sich die Kommandozentralensitzerin aber womöglich in einem Gegensatz zur Welt: denn das, was man in der Welt fast überall hat, ist relatives Denken (kein absolutes!). In der Welt sind die Menschen, so gut wie alle, in Tagesgeschäfte verstrickt, nicht zuletzt in Tagesgeschäfte des Denkens. Die Tagesgeschäfte sind aber das Relative. Die Kommandozentralensitzerin und die Welt finden sich (womöglich absoluterweise) in verschiedenen Sphären wieder, die eventuell kaum miteinander kommunizieren können, unterschiedliche Kommunikationssphären sind. Damit lebt die Kommandozentralensitzerin eventuell in abgetrennter Einsamkeit, und die Welt fortwährend in ihrem Dunkel. Das „bei uns sein“ gehört zur Absolutheit des Absoluten. Ohne dieses „bei uns“ wäre das Absolute das Einsame, das sich nicht erscheinen könnte im Erscheinenden. Es könnte nicht aufgehen in seine Unverborgenheit. (Heidegger S.187) Die Kommandozentralensitzerin aber ist „bei uns“, bei der Welt: ohne diese Präsenz in der Welt, ohne dieses geistige Bearbeiten der Welt und ohne die geistige Teilnahme an der Welt wäre die Kommandozentralensitzerin ja auch nicht die Kommandozentralensitzerin. Ihr Wissen aus der Verborgenheit ins Unverborgene zu bringen, es in der Welt erscheinen zu lassen, ist dann Sache der Welt. Damit ist die Kommandozentralensitzerin von der Welt abhängig und scheinbar nicht absolut. Ihr Geist mag es zwar, für sich genommen, absolut sein, aber nicht für andere genommen. Das alte Problem der Hegelphilosophie, das Problem … diese(s) Grundcharakter(s) der Entgegensetzung in dem Göttlichen, das allein im Bewußtsein, nie im Leben vorhanden sein soll(Frühe Schriften S. 418) hat man dann wieder. Es ist eben das Problem von Geist und Welt, Philosophie und profaner Realität. Die Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht, noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig; sie ist nur dadurch Philosophie, daß sie dem Verstande; und damit noch mehr dem gesunden Menschenverstande, worunter man die lokale und temporäre Beschränktheit eines Geschlechtes der Menschen versteht, gerade entgegengesetzt ist; im Verhältnis zu diesem ist an und für sich die Welt der Philosophie eine verkehrte Welt. (Jenaer Schriften S.275) Wenn die Philosophie und die Welt einander schon verkehrt sind: wie muss dann erst dieses Verhältnis von der Kommandozentrale der Philosophie aus betrachtet sich darstellen? Die Welt des Geistes ist eine der Einheit, wo sich Gedanken nur so aneinanderschmiegen, und die Ideen, wie man Einheit in der Welt herstellen könnte, sich wohltuend osmotisch vereinigen und in einem großen, herrlichen Ganzen aufgehen, das sich dann seinerseits wieder in lauter Interessantheiten im Einzelnen auffächert. Die Welt der Welt ist aber die Sphäre der tatsächlichen Vielheit und der hartnäckigen, bisweilen unerbittlichen Diversität und voneinander Getrenntheit, der mit keiner Philosophie beizukommen ist. Hegels Philosophie ist eine des Geistes, des Individuums, wie der Gesellschaft und der Geschichte. Gesellschaft und Geschichte aber sind verfluchte Rätsel, die niemand lösen kann. Sie sind zwar nicht, wie das absolute Denken, unendlich, aber endlos, und sie unterliegen der Chaos-Einwirkung. Daher wollen wir dazu – zur Verhältnis zwischen Philosophie und Gesellschaft und Geschichte – vielleicht am Besten nicht so viel sagen. Ein Schelm aber dann natürlich doch, wer nicht behaupten würde, dass die Welt im Lauf der Zeit nicht doch besser und philosophischer geworden sei. Getrennt von der Welt, oben als Kuppeldach, haust und wirkt die Philosophie, und zieht die Elemente der Welt langsam und unerbittlich zu sich hinauf. Langsames Mahlen der Mühle, unnachgiebig und unveränderbar dann aber zuletzt: die Erhabenheit von allem hörst du in diesem stummen Ächzen der nie ruhenden Bewegung. Welt und Philosophie werden einander ähnlich, bleiben aber auch voneinander getrennt. Aufgabe des Geistes, ist es (geistige) Einheit zu stiften im Anschauen und Begreifen der von ihm getrennt bleibenden Welt. Dieses ist die Funktionalität des Geistes, und dieses ist die Funktion der Philosophie. Sie aber – die (unerbittlichen, kritischen, männlichen) Philosophen (sicher aber nicht die wohltuenden, sanften, die große Einheit anvisierenden weiblichen Philosophinnen!) – mögen skeptisch sein, dass die Einheit des Absoluten je erreicht werden könne, die Geschlossenheit – sofern es sich dann nicht irgendwie religiös verschwurbelt oder faschistisch oder als eine linke Träumerei erweise – eine tatsächliche sein könne. Aber vielleicht ist es ja so, dass nicht das Absolute ein Problem hat, sondern eben die Philosophie. Wissen sie, Frau Schwester,  zur Zeit studiere ich zum Beispiel Haydn, da mir dessen heiliges Gemüt, seine große, zärtliche ethische Persönlichkeit in seiner Musik stets mitklingen will, dort vielleicht besser zum Ausdruck kommt als in der ausformulierteren, geschlosseneren, aber eben auch rokokohafteren und sich einschleimenden Mozarts, und ich deswegen alles darüber in Erfahrung bringen will. Außerdem werde ich heute zum Konzert von Nunslaughter gehen (bei dem die Vorband 3 Tog Nimma Gackn Gwesn es sogar auf einen noch beschisseneren und ekelhafteren – und eine noch größere Inkompetenz ausstrahlenden – Namen bringt). Nunslaughter sind dabei eine 1987 gegründete Underground Death Metal Band, die in dieser Zeit gerade einmal weniger als ein Dutzend Alben, dafür aber zwei Dutzend Livealben, drei Dutzend EPs und eine unüberschaubare Menge an Split-Veröffentlichungen herausgebracht hat. Das ist ihre Art, mit der Welt zu kommunizieren und sie tun das in Form einer Mischung aus rauem, primitiven, gewalttätigen (und nicht besonders guten) Death, Thrash und Black Metal. Dass die Band bis heute, in 35 Jahren kaum einen Bekanntheitsgrad erreicht hat, sei laut Bandchef Don of the Dead gewollt, da man nur „wahre“ Metaller im Publikum haben wolle und keine Opportunisten, die nach ein paar Jahren das Interesse an der Musik wieder verlieren. Jetzt kann ich mir schon vorstellen, dass einige Philosophen durchaus ein Konzert von einer im Vergleich dazu relativ kommerziellen Band wie, sagen wir, Napalm Death besuchen könnten – dass sie auch zu einem Konzert von Nunslaughter gehen, glaube ich dann aber eher nicht. Ob die innere Schönheit und ausgeglichene Harmonie von Joseph Haydn auf sie einen solch nachhaltigen Eindruck machen wie sie das auf mich tun, weiß ich auch nicht. So aber, Schwestern, fügt man die äußeren Enden, die Gegensätze und Thesen und Antithesen zusammen! Ohne dass sie wahrscheinlich als Gegensätze und Antithesen etc. empfunden werden. Denke man sich eine Entität – Yorick Wilhelmine Friedericke „Nunslaughter“ Haydn – so hat diese Entität einen Geist: und in dem laufen die Gegensätze zusammen; gibt es vielleicht keine echten Gegensätze; in seiner sphärischen Kugel wird halt einfach die Welt (inklusive der Hinterwelt) umrundet, und das beliebig. Er ist, wahrscheinlich, von größerem Umfang als die Welt, und passt nicht in die von ihr und in ihr vorgegebenen Formen. Wenn ein solcher Geist prozessiert, ist es vielleicht keine Philosophie, sondern wahrhaft absolutes Wissen als Resultat eines absoluten, radikalen Erkennens und Willens zum Erkennen; und dem Willen zum Erkennen ist es zu eigen, Formen zu sprengen. Wenn die Philosophie kein absolutes Wissen und keine Einheit der „Gegensätze“ garantiert, ist es vielleicht angebracht, den Rahmen der Philosophie zu sprengen. – Das eine ist das eine, und das andere ist das andere. Hegel wirft man vor, dass er das Andere nur denkt, um umso mehr das Eine (und Ursprüngliche) bestätigen zu können (und das Andere auszusortieren) (und also: dass Hegels Denken implizit totalitär sei).  Aber in dem hier vorgeschlagenen Denken ist das Denken primär vom Anderen angezogen um so zum Einen zu gelangen (und es dann wieder, wo notwendig, in das Eine und in das Andere hinein aufzulösen). Wenn Hegel setzt: das Absolute ist die Identität der Identität und der Nichtidentität, so setzen wir noch drauf: das Absolute sei die Identität und die Nichtidentität der Identität und der Nichtidentität (oh ja, so müsste das gehen!) – und haben so einen beträchtlichen philosophischen Fortschritt erzielt, wenn nicht sogar überhaupt die Philosophie unter uns gelassen: zumindest aber ein Außen gegenüber der herkömmlichen Philosophie erobert, die Grenzen weiter (wenn nicht sogar absolut) hinaus ins Unbekannte verschoben. Weil die reine Idee des Erkennens insofern in die Subjektivität eingeschlossen ist, ist sie Trieb, diese (Sphäre der Wissenschaft, Anm.) aufzuheben, und die reine Wahrheit wird als letztes Resultat auch der Anfang einer anderen Sphäre der Wissenschaft. (Wissenschaft der Logik II S.572f.) Diese andere Sphäre der Wissenschaft ist dann die des absoluten Geistes in der absoluten Form. Die Wissenschaften sind disziplinär organisiert und segmentiert. Selbst der absolute Geist fächert sich auf in Kunst, Philosophie, (Wissenschaft) und Religion. Das Universalgenie beherrscht mehrere Auffächerungen des absoluten Geistes gleichermaßen. Das heißt aber noch nicht, dass es osmotisch zwischen ihnen vermittelt. Denken wir uns einen höheren geistigen Zustand als den des Universalgenies: So gelangen wir zum hochgradig erleuchteten Einheits-Bewusstsein – in dem Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Religion/Ethik zu einer einzigen Rede und zu einer einzigen, demokratischen, halluzinatorischen Totalwahrnehmung der Welt – und aller möglichen Welten – im Geist verschmelzen. Möglichkeitssinn trifft auf Wirklichkeitssinn in gleichem Maße, und wird durch Sinn für das Ethische zusammengehalten und austariert. Das Einheits-Bewusstsein ist sich selbst Ursprung und Ende und ist wahrscheinlich umfangreicher als das physikalische Universum. Es gleicht dem tiefsten Prinzip der Welt, dem Chaosmos. So sollte das außerdem gehen: das mit dem authentischen, „interkulturellen“ Bewusstsein innerhalb des Globalisierungszeitalters. Das ist dann der absolute Geist in der absoluten Form. – Und damit schießt sich die Geschichte von Hegel und dem absoluten Geist, der absoluten Idee etc. ab und kommt, in ihrer Überwindung, zur Vollendung, und eine neue Ordnung beginnt: die vom absoluten Geist in der absoluten Form, und mit ihr eine glorreiche, magnifiziente Zukunft einer funkelnden, leuchtenden planetarischen Intelligenz, als einer neuen Stufe des Weltgeistes.

Angeführte Literatur

Von GFW Hegel:

Frühe Schriften, Frankfurt/Main, Suhrkamp 1971

Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin, Suhrkamp 2020

Jenaer Schriften, Berlin, Akademie Verlag 1972

Phänomenologie des Geistes, Berlin, Suhrkamp 2020

Philosophie der Kunst Vorlesung von 1826, Frankfurt/Main, Suhrkamp 2004

Politische Schriften, Berlin, Suhrkamp 2020

Vorlesungen über Ästhetik 1, Frankfurt/Main, Suhrkamp 1970

Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Berlin, Suhrkamp 2020

Vorlesungen über die Philosophie der Religion Teil 2 Die bestimmte Religion Hamburg, Felix Meiner Verlag 1985

Wissenschaft der Logik I + II, Berlin, Suhrkamp 2020

+

Adorno, Theodor W.: Drei Studien zu Hegel, Frankfurt/Main, Suhrkamp 1974

Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik, Frankfurt/Main, Suhrkamp 1975

Althusser, Louis: Für Marx, Berlin, Suhrkamp 2011

Cobben, Paul u.a. (Hrsg.): Hegel-Lexikon, Darmstadt, WBG 2006

Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt/Main, Fischer 1998

Heidegger, Martin: Holzwege, Frankfurt/Main, Klostermann 1972

Nietzsche, Friedrich:Nachlass Ende 1870 – April 1971, editiert von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, erschienen bei de Gruyter

Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches, Stuttgart, Alfred Gröner Verlag 1993

Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht in: Werke XI, Frankfurt/Main, Insel Verlag 1964

Kojève, Alexandre: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, Stuttgart, W. Kohlhammer Verlag 1958

Lenin, W.I.: Staat und Revolution, Wien, Eigenverlag 2014

Marx, Karl: Die Frühschriften, herausgegeben von Siegfried Landshut, Stuttgart, Alfred Gröner Verlag 2004

Vieweg, Klaus: Hegel. Der Philosoph der Freiheit, München, C.H. Beck 2020

Zizek, Slavoj: Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus, Berlin, Suhrkamp 2012