Cogito und Satori (Descartes vs der Zen-Buddhismus)

Vor langer Zeit sagte Descartes: „Ich denke, also bin ich“. Das ist der Beginn der Philosophie. Aber was, wenn du nicht denkst? Das ist der Beginn der Zen-Übung.

Seung Sahn

… Im Osten haben die Menschen sehr, sehr fragmentarische Egos, und sie halten es für leicht, sich hinzugeben … Ein Fingerschnippen, und sie sind bereit, sich hinzugeben – aber ihre Hingabe geht nie sehr tief … Genau das Gegenteil ist im Westen der Fall. Die Leute, die aus dem Westen kommen, haben sehr starke und entwickelte Egos … Der bloße Gedanke an Hingabe wirkt abstoßend, erniedrigend auf sie. Aber das Paradox ist, dass wenn sich ein westlicher Mensch, Mann oder Frau, hingibt, die Hingabe wirklich tief geht …

Bhagwan

Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form, schreibt Karl Marx 1843 an Arnold Ruge, tief verstrickt in die Auseinandersetzung mit Hegel. Wenn wir aber davon ausgehen, dass auch die Vernunft sich im Lauf der Zeit verändern oder gar verbessern mag, so müsste auch die heutige Vernunft revidierbar sein. Wenn wir mit Hegel und Marx annehmen, dass sich die Vernunft dialektisch entwickelt, bedeutet das, dass sie sich fortwährend ausdifferenziert, also im Wesentlichen umfangreicher wird und gleichzeitig filigraner. Wenn wir mit Marx und Hegel annehmen, dass verschiedene historische Formationen und Epochen, oder aber Kulturräume, die von Geographie, Flora, Fauna, Klima, Nachbarschaftsverhältnissen, Produktionsverhältnissen und Wirtschaftsformen usw. – also einer materialistischen Basis – geprägt werden und die Menschen unterschiedliche Zugänge zu Ressourcen ermöglichen, unterschiedliche Vernunfttypen ausprägen, so finden wir grundsätzlich verschiedene Pfade, die die Entwicklung der Vernunft in der Welt überhaupt nehmen kann. All diese verschiedenen Vernunfttypen können sich gegenseitig befruchten und sich aneinander erweitern, breitere Horizonte eröffnen. Und das ist es, was alle wollen. Dauernd werde ich angesprochen: Yorick, dein Geist ist allmächtig, und deine Vernunft herrscht über die vier Himmelsrichtungen. Wie ist, nach all den Jahren der Dürre, eine solche philosophische Haltung möglich, die beherrscht? Du sprichst vom „totalen Denken“ und vom „absoluten Geist in der absoluten Form“. Du behauptest, dein Geist bringe „östliches“ und „westliches“ Denken zusammen. Sag uns, wie mag das sein? Als der Buddha gebeten wurde, seine Lehre darzutun, hat er gemeint: Ich würde lieber die Wahrheit nicht erklären, sondern direkt ins Nirwana eingehen. Da der Buddha aber auch Bodhisattva ist, sprich einer, der Erleuchtung erlangt hat und ins Nirwana eingegangen ist, der aber trotzdem noch auf der Erde wandelt, um auch andere Menschen näher an die Erleuchtung zu führen und ihnen den Weg dorthin zu erläutern, hat er sich eben doch umfangreich dazu geäußert. So will auch ich versuchen zu erklären: Was ist das Denken, das über alle vier Himmelsrichtungen herrscht und in den Kosmos hinausreicht; und warum scheint es gleichsam das „westliche“ als auch das „östliche“ Denken zu einer höheren Einheit zusammenzuführen?

*

Während als Begründer des Zen-Buddhismus eine mythische Figur namens Bodhidharma gilt, von der nicht vollständig klar ist, ob sie der Legende nach im 6. Jahrhundert n. Chr. überhaupt existiert hat, gilt als Begründer der modernen westlichen Philosophie Descartes, der in der frühen Neuzeit tatsächlich gelebt hat. Von ihm stammt der Ausspruch Cogito, ergo sumIch denke, also bin ich – von dem z.B. Lichtenberg meint, es sei der größte Gedanke, den je ein Mensch gehabt habe. Descartes war Mathematiker und Wissenschaftler, also ein um Exaktheit und Wahrheit ringender Mensch. Ich hatte eben stets eine außerordentlich große Begierde, das Wahre vom Falschen unterscheiden zu lernen, um in meinen Handlungen klar zu sehen, und in meinem Leben sicher zu gehen, berichtet er über sich in seiner essenziellen Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs. Vom Status her eine Art Kavalier, also ein gesellschaftlich weitgehend ungebundener Mann, war er auch Soldat und weitgereist: ein europäischer Kosmopolit. Da zu seiner Zeit noch keine vergleichbare Einheitskultur herrschte wie heute, konnte er erleben, wie teilweise bloß von Stadt zu Stadt sich Ansichten, Sitten, Gebräuche usw. radikal voneinander unterschieden und sich schroff voneinander abzugrenzen vermochten. Und überall schienen sie nicht weniger begründet und zumindest in sich konsistent als anderswo. Auch in seiner umfassenden Ausbildung in den Wissenschaften – die ebenfalls damals viel chaotischer waren als heute – glaubte er zu erleben, wie er sich darin nicht der Wahrheit und Klarheit annähere, sondern sich mehr und mehr von ihr entferne, je tiefer er darin eindringe. Ich bin von Kindheit an für die Wissenschaften erzogen worden, und da man mich glauben machte, dass durch sie eine klare und sichere Erkenntnis alles dessen, was dem Leben frommt, zu erreichen sei, so hatte ich eine außerordentlich große Begierde, sie mir anzueignen. Doch wie ich den ganzen Studiengang durchlaufen hatte, an dessen Ende man gewöhnlich in die Reihe der Gelehrten aufgenommen wird, änderte ich vollständig meine Ansicht. Denn ich befand mich in einem Gedränge so vieler Zweifel und Irrtümer, dass ich von meiner Lernbegierde keinen anderen Nutzen gehabt zu haben schien, als dass ich mehr und mehr meine Unwissenheit einsah (…) Aber ich hatte schon auf der Schule erfahren, dass man sich nichts zu Sonderbares und Unglaubliches ersinnen könnte, das nicht irgendein Philosoph behauptet hätte; dann hatte ich auf meinen Reisen wiederholt eingesehen, dass die Leute, die eine der unsrigen ganz entgegengesetzten Gesinnungsweise haben, darum nicht alle Barbaren oder Wilde sind; sondern dass viele ebenso sehr oder mehr noch als wir die Vernunft gebrauchen; ich hatte beachtet, wie ein und derselbe Mensch mit demselben Geist, von Kindheit an unter Franzosen oder Deutschen erzogen, ein ganz anderer wird, als er sein würde, wenn er stets unter Chinesen oder Kannibalen gelebt hätte… (ebenda) So stellte sich für ihn die Frage: Wie kann man ermitteln, welche dieser Ansichten denn nun tatsächlich wahr seien? Kann man dafür eine Methode angeben, ein Verfahren? Denn dass zumindest irgendwas wahr sein müsse, setzte Descartes voraus; er war kein Nihilist, sondern ein gleichzeitig vom Christentum als auch von den Wissenschaften und der Mathematik geprägter Mensch. Und ich werde euch hierin nicht allzu eitel erscheinen, wenn ihr bedenkt, dass es von jeder Sache nur eine Wahrheit gibt und dass, wer diese Wahrheit auch findet, von der Sache so viel weiß als man überhaupt wissen kann, wie zum Beispiel ein Kind, welches Arithmetik gelernt hat, wenn es regelrecht eine Addition macht, sicher sein kann, in betreff der gesuchten Summe alles gefunden zu haben, was der menschliche Geist nur finden kann; denn die Methode, welche uns die wahre Ordnung befolgen und alles, was in Frage kommt, genau aufzählen lässt, begreift zuletzt alles in sich, was den Regeln der Arithmetik Sicherheit gibt. (ebenda) Wenn diverse Instanzen die Wahrheit verkünden, diese Wahrheiten sich aber noch dazu voneinander unterscheiden oder sich widersprechen, sollte man zunächst einmal bezweifeln, ob ihre Postulate tatsächlich wahr sind oder wahr sein können. Das festzustellen ist über empirische Überprüfung möglich (oder, in weiterer Folge, auch über das wissenschaftliche Experiment), oder über logisches Schlussfolgern. Eventuell stehen beide Methoden nicht zur Verfügung, oder sie konfligieren miteinander: was dann? Descartes`große Innovation war es, das Zweifeln so weit zu treiben, bis dass man auf irgendeine Gewissheit mit absolut sicherer Grundlage stoßen musste. In seinen Gedankenexperimenten ist Descartes dabei sehr radikal. Er räumt zum Beispiel ein, dass alle Empirie eine Täuschung sein könnte (und wir ja auch in einem solipsistischen Traum oder, zeitgenössisch ausgedrückt, in einer Matrix oder einer Simulation leben könnten, oder aber in einer Welt, die von einem uns täuschenden und betrügenden Gott gelenkt wird), oder dass auch die Gesetze der Logik von Gott willkürlich geschaffen und geändert werden könnten; vor allem aber, dass man mit logischen Kniffen alles Mögliche beweisen könne, wenn man nur findig genug sei, und dass logische Wahrheiten abstrakte Wahrheiten seien, die deswegen noch nicht empirische Wahrheiten sein müssen; denn … obwohl die Logik wirklich sehr viele wahre und gute Vorschriften enthält, so sind doch so viele andere schädliche und überflüssige damit vermischt, dass es fast ebenso schwierig ist, jene davon abzusondern, wie eine Diana oder Minerva aus einem noch ganz formlosen Marmorblock hervorgehen zu lassen. (ebenda) Dermaßen grübelnd und nachdenkend, scheinbar hoffnungslos, kommt Descartes darauf, dass: zumindest nicht bezweifelt werden könne, dass er (nach)denke. Auch kein satanischer Täuschergott könne ihn darin täuschen. Alsbald aber machte ich die Beobachtung, dass, während ich so denken wollte, alles sei falsch, doch notwendigerweise ich, der das dachte, irgendetwas sein müsse, und da ich bemerke, dass diese Wahrheit „ich denke, also bin ich“ … so fest und sicher wäre, dass auch die überspanntesten Annahmen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so konnte ich sie meinem Dafürhalten nach als das erste Prinzip der Philosophie, die ich suchte, anschauen. (ebenda) Das ist dann sein Heureka! vom Cogito, ergo sum – Ich denke, also bin ich. Weil er sich als denkend erlebe, müsse er auch existieren: und so viel ist gewiss. Descartes`revolutionäre Geste in der Philosophie war, dass er nicht bei bequemen Gewissheiten stehen geblieben ist, oder aber Gewissheiten postuliert hat, die inhaltlich nicht klar waren (Platon zum Beispiel nahm die „Ideen“ als Transzendentalien an, gab aber selber zu, nicht zu wissen, was diese Ideen denn eigentlich seien), sondern dass sein Ringen – nicht um Moral, Schönheit, „Wahrheit“ oder Geschlossenheit, sondern – um Gewissheit so intensiv war, dass er zu einer unumstößlichen Gewissheit tatsächlich vorgestoßen ist, und damit ein Ideal angegeben hat, wie man, mit den Mitteln der Vernunft, zu sicheren Grundlagen kommen kann, auf deren Basis man dann weitere Annahmen treffen kann, beziehungsweise, dass so etwas, mit den Mitteln der Vernunft, tatsächlich möglich sei. Zwar hat das Cogito, ergo sum im Lauf der Zeit einiges an Kritik und an „Dekonstruktion“ einstecken müssen, die aber insgesamt überspitzt erscheint und weniger plausibel als das, was sie kritisiert. Einigermaßen statuarisch steht das Cogito nach wie vor da und triumphiert, zumindest relativ zu seinen Rivalen. Als positive Methoden, wie man zu gesicherten bzw. absicherbaren Erkenntnissen kommen könne, gibt Descartes weiter die Deduktion und die Intuition an. Unter „Deduktion“ kann analytisches Denken und Beweisführung gesehen werden: das Zerlegen von Problemen in handhabbare Teilprobleme, die lösen und sich Klarheit und Gewissheit darüber verschaffen, soweit es möglich ist, und dann die nächste Schlussfolgerung wagen; falls auf diesem Weg keine Klarheit möglich sei, müsse das Problem unbeantwortet stehengelassen werden (Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen – auch davon abgesehen war Descartes mit seinem Gestus vom intensiven, ikonoklastischen Skeptizismus Wittgenstein an und für sich recht verwandt). Deduktion stellt fest, dass aus etwas Gegebenen etwas anderes notwendigerweise folgt. Descartes gab als Vorbild für die deduktive Methode die Beweisführung in der Geometrie an, die er nicht nur auf Fragen der Philosophie, sondern auf alle Wissenschaften übertragen wollte. Dann die Intuition: Unter Intuition verstehe ich nicht das schwankende Zeugnis der sinnlichen Wahrnehmung oder das trügerische Urteil der verkehrt verbindenden Einbildungskraft, sondern ein so müheloses und deutlich bestimmtes Begreifen des reinen und aufmerksamen Geistes, dass über das, was wir erkennen, gar kein Zweifel zurückbleibt, oder, was dasselbe ist: eines reinen und aufmerksamen Geistes unbezweifelbares Begreifen, welches allein dem Lichte der Vernunft entspringt, und das, weil einfacher, deshalb zuverlässiger ist als selbst die Deduktion, die doch auch, wie oben angemerkt, vom Menschen nicht verkehrt gemacht werden kann. So kann jeder intuitiv mit dem Verstande sehen, dass er existiert, dass er denkt, dass ein Dreieck von nur drei Linien, dass die Kugel von einer einzigen Oberfläche begrenzt ist und Ähnliches, weit mehr als die meisten gewahr werden, weil sie es verschmähen, ihr Denken so leichten Sachen zuzuwenden. (Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft 3.5) Von der revolutionären Erkenntnis Ich denke, also bin ich aus, scheint sich Descartes aber, so mühevoll endlich dorthin gelangt, dann aber bei dem, was er daraus folgert, auf Abwege zu begeben, und sein eigenes Ideal nach absoluter Gewissheit bzw. deduktiver Folgerichtigkeit zu hintergehen. Descartes postuliert bzw. deduziert dann, dass es einen Gott gehen müsse, dass dieser Gott vollkommen, daher allgütig, daher kein „Täuschergott“ sein könne (nichts folgt, genau genommen, aus dem Vorhergehenden); er postuliert/deduziert, dass Körper und Geist unterschiedliche „Substanzen“ seien und begründet daher einen Dualismus zwischen ihnen (auch wenn er sich in seiner letzten Schrift über Die Leidenschaften der Seele davon dann wieder zu entfernen scheint), Tiere sind für ihn vernunftlos und daher „Automaten“. Ein witziger Franzose hat zu all dem gemeint: Descartes hat zuerst alles bezweifelt, um dann alles zu glauben. Tatsächlich sind Descartes´vielfältige Behauptungen keine bloßen Glaubensartikel, sondern theorieimmanent (er muss zum Beispiel einen gütigen Gott, der uns wahre Erkenntnisse ermöglicht annehmen, denn sonst ist es tatsächlich nicht gewiss, dass wir nicht auch in einer Täuschung leben; um die Einheit des Cogito zu wahren, muss Denken für ihn zu einer (unteilbaren) Substanz werden u. dergl.). Allerdings sind sie zudem ersichtlich auch Glaubensartikel, und viel mehr noch ein Hinweis, dass auch die „Deduktion“ keine sichere Methode ist, sondern man alles Mögliche deduzieren kann, wenn man will, was das Deduzieren dann zum Spekulieren werden lässt (ohne es sich einzugestehen). So betrachtet, erscheinen auch viele logische Beweise – wie eben zum Beispiel die diversen (in der Regel auf Logik beruhenden) Gottesbeweise (die eben auch Descartes führen will) – als mit den Mitteln der Logik dann wieder angreifbar: so dass sie zu logischen Argumenten herabsinken, die einem subjektiv annehmbar erscheinen mögen, oder auch nicht, aber eben keine – tatsächliche Gewissheit verschaffende – Beweise mehr zu sein für sich in Anspruch nehmen können. Sowohl Descartes als auch Spinoza gehen davon aus – oder erhoffen sich als Ideal – dass sich die more geometrico, die Methode der Geometrie, auf die Philosophie (und die Wissenschaften im Allgemeinen) übertragen lässt. In der Geometrie und Mathematik werden quantitative Größen zueinander ins Verhältnis gesetzt, die für sich eindeutig bestimmbar und voneinander abgrenzbar sind. Daher lassen sich dann auch eindeutige Ergebnisse erzielen oder Beweise erstellen. Denken, Gott, Vernunft, Vollkommenheit, Seele usw., mit denen schon Descartes als Philosoph operiert, sind aber Qualitäten, und daher nicht eindeutig bestimmbar, und daher ist auch nichts eindeutig aus ihnen ableitbar. Nichtsdestotrotz lässt sich verallgemeinern, dass Descartes den Imperativ aufstellt nach größtmöglicher Skepsis, Analyse und Exaktheit nicht allein in Philosophie und Wissenschaft, sondern in der Weltbewältigung an sich. Es ist also ein Ideal der Rationalität. Damit grenzt sich Descartes ab von der Mythologie und vom (religiösen) Glauben, von denen die Philosophie bis dahin durchtränkt, bisweilen ununterscheidbar dazu war. Descartes stellt nicht mehr die Frage Was ist das Sein?, die die Philosophie vor ihm dominierte, und streng genommen auch nicht die Frage Was ist wahr? Descartes nimmt das Sein zunächst als gegeben an, und er nimmt es als erkennbar und entschlüsselbar an. Die letzte „Wahrheit“ über das Sein könne unerreichbar sein; wichtig ist aber, dass wir uns gesicherte Erkenntnis über das Sein verschaffen können (auch wenn diese partiell bleibt). Sein Fluchtpunkt ist also nicht Wahrheit, sondern Gewissheit. Die Wahrheit möge „da draußen“ in der Welt liegen, die Gewissheit liegt aber im Subjekt. Und das ist eben die große Verschiebung, die Descartes vollzieht – und mit der er die moderne westliche Philosophie einleitet. Das Zentrum des Philosophierens ist nicht mehr das Sein, sondern das Subjekt, dass sich Gewissheit über das Sein – und über sich selbst – verschaffen will. Das Tor dazu, dass Philosophie nicht nur Ontologie, sondern auch Epistemologie zu sein hat, wird damit aufgestoßen. Descartes ist Rationalist, er nimmt an, dass die Formen, mit den wir die Welt vernünftig erkennen können, in der Vernunft selbst liegen (im Gegensatz zu den philosophischen Empiristen, die meinen, alles beruhe zunächst auf sinnlicher Erkenntnis, aus der sich dann irgendwie so was wie Vernunft entwickle). Trotz seines scheinbar nagenden Skeptizismus ist Descartes optimistisch und vernunft- und fortschrittsgläubig, darin den Geist des Aufklärungszeitalters vorwegnehmend. Wie auch die Aufklärer glaubt Descartes, dass das Fortschreiten der Vernunft auch das Fortschreiten der Moral befördert. Was bei Descartes implizit angelegt ist, wird dann von Kant in seiner „Kopernikanischen Wende“ explizit vollzogen: die Inthronisation des (vernunftbegabten) Subjekts als Zentrum, von dem das Philosophieren ausgeht (und das über die spezifischen Formen seiner Vernunft die Philosophie prägt), inklusive aller aufklärerischen und anti-religiösen Konnotationen (deren letztere allerdings auch Kant in seiner Philosophie von der praktischen Vernunft erheblich und über Gebühr abmildert – auch Kant setzt Gott wieder ein, wo er ihn eigentlich zuvor bereits theoretisch ausgetrieben hatte). Alle Fortsetzung, die da folgt, scheint darin bis heute darin schon enthalten. Die Geschichte der Moderne erscheint als die Geschichte eines zur Vernunft begabten Subjekts in einer zur Vernunft bestimmten Wirklichkeit. Es ist die Geschichte einer Entfaltung, einer progressiven Dynamik, mit allen zahllosen Verästelungen, Verkettungen – und auch gewaltigen Irrungen – in die wir bis heute eingelassen sind. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit diesem Denken erlangte der Westen im Laufe der Moderne die Hegemonie über die Welt.

*

Als Beginn der Neuzeit gilt die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492. Kolumbus wollte einen neuen Seeweg nach Indien finden, um die islamische Welt, die bis dahin weitgehend den Welthandel beherrscht hatte, darin auszustechen. Es dauerte, bis er schließlich bei der spanischen Krone einen Geldgeber für dieses waghalsige Unterfangen fand – bei vielen anderen europäischen Fürsten hatte er zuvor kein Glück gehabt. Darin zeigt sich bereits eine Qualität, die auch für das „westliche Denken“ konstitutiv ist bzw. werden sollte. Inmitten der europäischen Kleinstaaterei und ihrer Rivalitäten standen ihm mehr Freiheiten zur Verfügung. Wenn einem Denker, Erfinder, Unternehmer u. dergl. an einem Ort in Europa kein Glück beschieden war oder er auf kein Verständnis stieß, konnte er es an einem anderen versuchen. In der islamischen Welt oder in China hingegen herrschten die Fürsten absolut. Auch gab es in Europa eine Trennung zwischen Kirche und Staat, und damit auch der Lebenssphären. Wissenschaft, Philosophie, Wirtschaft, Politik waren abgesonderte, „weltliche“ Lebensbereiche, in die die Religion nur teilweise hineinreichte. In der islamischen Welt oder in China gab es etwas Vergleichbares nicht, und der Islam sowie das Gottkaisertum Chinas sehen sich als Denkrahmen, die alles umfassen und in sich integrieren. Für eine tatsächliche Unabhängigkeit der Lebensbereiche bleibt daher kein Platz. Auch in der islamischen Welt gab es ein goldenes Zeitalter der Wissenschaften, und viele Erfindungen Europas wurden bekanntlich schon vorher in China gemacht. Auch hatte China zeitweilig eine riesige Flotte, die ihm eine weltumspannende maritime Expansion ermöglicht hätte. Allerdings stand China immer vor dem Problem, sein riesiges Reich im Inneren zusammenzuhalten und setzte daher immer wieder auf einen autoritären Konservatismus, der das Denken wieder lahmlegte und eine Entwicklung der Produktivkräfte verhinderte. Die kulturelle Hochblüte in der arabischen Welt fand durch die Stürme zunächst der Mongolen und dann durch Tamerlan ein Ende, aber auch dadurch, dass sich die Wissenschaften nicht als eigenständige Sphäre etablieren konnten. Es fanden sich keine Zwerge, die sich auf die Schultern von Riesen wie Avicenna oder Averroes setzen, und ihr Denken weiterentwickelten. In Europa hingegen kam es in den Jahrhunderten des Übergangs zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit zur fruchtbaren Epoche der Renaissance, in der die Antike wiederentdeckt wurde: hauptsächlich in der Kunst, aber auch darin, dass in der griechischen Antike die Fundamente für die Philosophie, die Wissenschaften, die Medizin oder die Mathematik gelegt wurden – sowie außerdem für eine welthistorisch beispiellose Freiheit und Ungebundenheit im Denken, die die antiken Denker auszeichnete. Bereits im 11. und 12. Jahrhundert wurden in Europa Grundlage für eine Etablierung der Wissenschaften als eigenständiger Lebenssphäre gelegt – und für ihre Institutionalisierung in den Universitäten, als deren erste Ende des 11. Jahrhunderts die Universität von Bologna gegründet wurde (es folgten die Universitäten von Paris und von Oxford, und dann – als Konkurrenzunternehmen zu Bologna – von Padua). Als überdimensionale, symbolhafte Gestalt der damaligen Zeit gilt das Universalgenie Peter Abaelard. Das Zeitalter der Scholastik setzte ein. Das Erkenntnisideal der Scholastik bestand darin, eine Sache von möglichst allen Seiten, „dialektisch“ zu betrachten; auch im tatsächlichen Sinn von Rede und Gegenrede (die damalige Praxis sah auch vor, dass der Gegen-Redner zunächst einmal die Argumente seines Kontrahenten zusammenfassen und wiederholen musste, um zu demonstrieren, dass er sie überhaupt verstanden hatte und so im weiteren Verlauf nicht am Gegenstand vorbeigeredet wurde). Allerdings ist ein solcher „dialektischer“ Erkenntnisprozess fortwährend offen. Wenn sich im Aussortieren das beste (und/oder gelehrteste) Argument durchsetzt, besteht trotzdem die Möglichkeit, dass ein noch besseres Argument daherkommt. Die „innerste Wahrheit“ einer Sache hat man dadurch nicht erfasst, und man hat auch keine schlussendliche Gewissheit über den Gegenstand. Descartes will nun aber eine eindeutige Methode angeben, wie man sich Gewissheit über einen Gegenstand verschaffen könnte. Gelehrtem Wissen gegenüber, das nicht anhand einer solche Methode ermittelt wurde, ist er skeptisch. Und so bringt Descartes auch in seinem ganzen Habitus, und der Art sich auszudrücken, frischen Wind in den Wissenschafts- und Philosophiebetrieb seiner Zeit. Seine Abhandlungen sind kurz, und ohne viel gelehrten Ballast. Er drückt sich in der galanten Art des Gentleman-Amateurs aus. Mit diesen knappen Schriften jedoch löst er die ganze Scholastik ab und stellt das Denken auf eine neue Grundlage. Sein Ziel ist, überhaupt eine Methode zu finden, von der alle Wissenschaft auszugehen habe, um auf sicherer Grundlage zu ruhen – ähnlich, wie es auch Francis Bacon versuchte, der jedoch nicht dieselbe geistige Intensität der skeptischen Grundhaltung wie Descartes vorbringt. Das ist natürlich nicht gelungen, denn die Wissenschaften haben sich im weiteren Verlauf ausdifferenziert. (Was heute so vermessen erscheint, war es zu Descartes`Zeiten noch nicht: Damals erschien er tatsächlich, zumindest theoretisch, noch möglich, dass ein Mensch allein eine Grundlage und ein einheitliches Prinzip für alle Wissenschaften ermitteln könnte.) Die Entwicklung der Wissenschaften verlief jedoch notwendigerweise nah an der Cartesischen Methode und ihrem Erkenntnisideal. Galilei und Newton etablierten die Sichtweise, dass die Natur Gesetzen gehorche, die sich mathematisch beschreiben lassen (gleichzeitig stieß Newton das mechanistische Weltbild von Descartes u.a. vom Thron, indem er nachwies, das Dinge nicht mechanisch aufeinander wirkten, sondern über rätselhafte „Kräfte“, wie eben die Schwerkraft – das aber berührt nicht den Kern von Descartes`Innovation). Die neuzeitliche Wissenschaft und Physik beruht auf der Metaphysik, dass die Welt erkennbar sei, dass ein Verfahren zur Ermittlung gesicherter Erkenntnis angebbar sei, und dass die Wahrheit über eine Sache eine eindeutige sei. Damit wird das vernunftbegabte Subjekt, dass sich solcherart seiner Vernunft bedient, zu einem bedeutenden Akteur in der Welt, während ein Gott in dem Hintergrund tritt. Mehr und mehr wird das Subjekt zum Zentrum der Welt und – dann eben endgültig bei Kant – zum Zentrum der Philosophie. Indem das Subjekt Dinge und Zusammenhänge eindeutig erkennen kann, kann es Dinge und Zusammenhänge schließlich auch konstruieren und manipulieren, beherrschend in die Welt eingreifen. Während das Barockzeitalter ein heroisches Zeitalter der Wissenschaften war, hat sich, im Zusammenhang auch damit, über Jahrhunderte hinweg der Kapitalismus entwickelt, und im Zusammenhang mit ihm der Industriekapitalismus. Die gleichsam statische feudale Welt wurde durch eine tatsächlich dynamische Neuzeit abgelöst. Mithilfe der Maschine, ihrer industriellen Herstellung und ihrem Zweck, sie als umfassendes Produktionsmittel einzusetzen, wird das menschliche Subjekt zu einem gottähnlichen Manipulator. Was der Mensch nachbauen, konstruieren kann, das versteht er (wenn auch nicht notwendigerweise bis in dessen „innerste Wahrheit“ hinein), über das hat er sich Gewissheit verschafft. Diese Maschinenbauer-, Konstrukteurs- und Ingenieursintelligenz der Neuzeit geht recht deutlich auf Descartes zurück. Damit ist die Brücke zwischen der unmittelbaren Moderne, und einem einsamen Denker am Anbeginn der Neuzeit, zu Descartes eindeutig geschlagen.

*

Kein Triumph aber ohne Niederlagen. Auf Karl Marx geht die Sichtweise zurück, dass der Kapitalismus, bzw. Produktionsverhältnisse im Allgemeinen, keine Mächte sind, die das (vernünftige) Subjekt beherrscht; eher ist es umgekehrt: Und die Produktionsverhältnisse sind es, die nicht nur die menschlichen Verhältnisse, sondern auch die Entwicklung der Vernunft selbst determinieren. Schon bei Hegel ist die Entwicklung der Vernunft bzw. des vernünftigen Subjekts dialektisch in einen welthistorischen Verlauf eingebunden; an die Stelle des Subjekts tritt bei Hegel genau genommen der „Geist“ (in seinen Erscheinungsformen subjektiver, objektiver und absoluter Geist). Die Aufklärung hätte – wie bereits Descartes – in etwa angenommen, Vernunft sei etwas Eindeutiges – gemäß Descartes ein „natürliches Licht“ im Menschen – das es freizulegen und zu emanzipieren gelte, so gesehen wird die Vernunft nun aber selbst zu etwas Mehrdeutigerem und Differenzierterem (wenngleich solche Verständnisse, zumindest aus heutiger Sicht, immer noch innerhalb der Aufklärung liegen, und ihren Rahmen eher erweitern als sprengen). Im 20. Jahrhundert kommt eine nachdenklichere Haltung über die Technik hinzu. Sie scheint zu einer Macht geworden zu sein, die der Mensch nicht mehr kontrollieren kann; sogar in dem Sinn, dass sie dem Menschen eine Vernunft aufoktroyiert, die nicht notwendigerweise die „seine“ ist. Die Maschinenbauer-Vernunft von Descartes scheint sich gegen Descartes bzw. gegen das vernünftige Subjekt selbst zu richten, oder aber ihm gegenüber als eine verdunkelnde Macht entgegenzutreten, von der sich der Mensch mithilfe dieser Vernunft eigentlich befreien wollte. Die Weltkriege und vor allem die Nazi-Herrschaft und der Holocaust werden zu schrecklichen Illustrationen, wie Archaisches, längst überwunden Geglaubtes, gemeinsam mit neuzeitlicher Technik und Rationalität nicht nur wiederkehren kann, sondern vielmehr in seiner Destruktivität noch potenziert werden kann, oder aber: vielleicht gerade dadurch begünstigt werden kann. Mit der Atombombe verliert die Wissenschaft symbolträchtig „ihre Unschuld“. Die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernkraft werden deutlich, ebenso wie die Übernutzung der Umwelt und die „Grenzen des Wachstums“. So scheint die einstmals so hoffnungsfrohe Cartesische Vernunft, von der all das scheinbar seinen Ausgang nahm, nicht nur an ihre Grenzen zu stoßen, sondern auch an dunkle Wiedergänger und unheimliche Doppelgänger. Horkheimer spricht von ihr als einer „instrumentellen Vernunft“, die zu einem Herrschaftsinstrument geworden sei; die „Dialektik der Aufklärung“ versucht, die emanzipatorischen Potenziale der Aufklärung mit ihren unterdrückenden oder gar destruktiven ins Verhältnis zu setzen, bleibt aber – zumindest im Gestus der „Kritischen Theorie“ – gleichsam in einer depressiven dialektischen Endlosschleife hängen (aus der heraus nur mehr eine „Negative Dialektik“ helfen würde, die aber prekär und unspezifisch und gleichsam nur punktuell wirksam scheint). Heidegger sieht in all dem ein verhängnisvolles „Seinsgeschick“ (setzt mit seiner Kritik an der „Seinsvergessenheit“ der westlichen Philosophie aber bereits bei Platon an). Umgekehrt machen sich im Kalten Krieg, und vor allem der McCarthy-Zeit, die Geisteswissenschaften und die Philosophie (linker) politischer und subversiver Konnotationen verdächtig. Entnervt von all dem politischen und bildungsmäßigen Ballast, den die Philosophie wiederum auf sich geladen zu haben schien, machte sich vor allem in der angloamerikanischen Welt eine Neuorientierung in der Philosophie breit, die durchaus an den Cartesianischen Gestus anklingt: die Wende zur analytischen Philosophie. Diese Denktradition geht wiederum auf Kontinentaleuropa zurück, konkret vornehmlich auf den „Wiener Kreis“ der Zwischenkriegszeit. Dessen Vertreter wollte die Philosophie abermals von allem „scholastischen“ Ballast reinigen, und in der Philosophie nur Begriffe und Methoden zulassen, die denen der strengen Wissenschaften und der Logik entsprachen. Auch kam es zu einem „linguistic turn“ in der Philosophie. Untersuchungsgegenstand der Philosophie wurden nicht mehr „die Vernunft“ oder „die Erkenntnis“, sondern das Medium, in dem sich Vernunft und Erkenntnis und deren Mitteilung äußern: die Sprache. Wittgenstein, als das symbolkräftige Genie dieser Bewegung(en), hat mit seinem Tractatus die Grenzen dieses neuen Terrains abgesteckt, wie auch über sie hinausgedacht. Er erkannte die Gefahr eines Substanzverlustes einer Philosophie, die die großen Fragen nach Gott, Gut und Böse, Sinn des Lebens u. dergl. der Mystik zurechnete, um sich stattdessen als „reine Wissenschaft“ und Logik zu betreiben. Da analytische Philosophie aber auch Sinn macht, wird sie bis heute betrieben. Sie feiert Erfolge in der Klärung vieler philosophischer Fragen, die jedoch die Aura nicht vermeiden können, zu bloßen „technischen“ Problemen herabzusinken. Der „linguistic turn“ seinerseits führte schließlich dazu, die Sprache so zu verabsolutieren, wie seine Proponenten es ursprünglich bei philosophischen Kategorien wie „Erkenntnis“ kritisiert hatten. Wittgenstein entwickelte in der Einsamkeit eine Spätphilosophie, die Sprache nicht mehr als eine Art ideale Struktur sah, sondern als eine Art Wildwuchs, der sich aus der sozialen Praxis ergibt und der Notwendigkeit der (spontanen) zwischenmenschlichen Verständigung. Er schaffte ein neues Verständnis von Kategorien, um deren eindeutige Bestimmung man stets erfolgslos gerungen hatte (in dem Glauben, es ginge nicht anders) als Begriffsfelder, deren Aspekte über bloße „Familienähnlichkeiten“ (lose) zusammengehalten werden; und er transformierte die Sichtweise auf einen (einheitlichen und einheitlich sinnstiftenden) Diskurs der Vernunft hin in „Sprachspiele“. Unabhängig davon begann auch der Strukturalismus soziale Praxen als über „Strukturen“  geregelt zu begreifen: deren innerste Logik also nicht eine „Vernunft“ sei, sondern eine (über differentielle Elemente bestimmte) „Struktur“, aus der die Vernunft eher als ein kontingentes Epiphänomen emporsteige, als dass es umgekehrt der Fall sei. Auch wenn der Poststrukturalismus keine so rigide Sichtweise mehr pflegte, feierte der dann die Vielfalt von Vernunfttypen, die sich aus vielfältigen historischen Praxen heraus ergäben. Anstelle von Subjekt, Vernunft oder Geist werden nunmehr überhaupt „Strukturen“, „Dispositive“ oder Diskursformationen zu den dynamischen und/oder bestimmenden Elementen in Geschichte und Philosophie. Eine „Dialektik der Aufklärung“ ist gar nicht mehr möglich, wenn die Geschichte und die Geschichte der Vernunft mehr oder weniger als eine Abfolge von Kontingenzen betrachtet wird; vielmehr wird dadurch (bei dem bekanntesten Vertreter dieser Denke, Michel Foucault) das Tor zum Nihilismus aufgestoßen. Diese Art von Denken wurde schließlich als „postmodern“ bezeichnet. Obwohl die Proponenten der Postmoderne vorwiegend Franzosen waren (es gab aber auch ausländische Ableger, wie den US-Amerikaner Richard Rorty), hatten sie für ihren Landsmann Descartes nicht so viel übrig. Der vielleicht integralste Denker der „Postmoderne“, Gilles Deleuze, war auch kein Rationalist, sondern hatte immer eine Vorliebe für empiristische Philosophen. Die Postmoderne ist ein – ei! – farbenprächtiges und charismatisches Phänomen. Allerdings erscheint sie auch als instabil und schwach, als nichts, was auf eigenen Beinen stehen könnte, ein wenig parasitär. Wie subversiv ihre Absichten aber auch immer gewesen sein mögen: Heute begreift man sie vielleicht eher als eine notwendige Ausdifferenzierung der aufklärerischen Vernunft, inklusive ihrer fortlaufenden Selbstbefragung. Der neueste Schrei scheint, nach dem Abdanken der Postmoderne, eine „Metamoderne“ zu sein. Aber am Anfang der philosophischen Moderne steht ja eben der Meta-Philosoph Descartes! Ist er das Alpha und das Omega des modernen Zeitalters? Kann das moderne Zeitalter überhaupt noch ein Ende haben, oder hat es die letzten Dinge eben angestoßen, über die eigentlich nichts mehr hinausgehen kann? Wie auch immer; Cartesius mag sich ob all dem schon eine Flasche Wein aufmachen und sich zuprosten: Mit einem Worte: wenn es in der Welt ein Werk gibt, das von keinem anderen so gut vollendet werden kann als von dem, der es begonnen hat, so ist es das Werk, an welchem ich arbeite. (Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs)

*

Der Buddhismus wurde im 5. oder 6. Jahrhundert v.u.Z. in Indien entwickelt, als sein Begründer gilt der Prinz Siddharta Gautama. Bei seinen Ausfahrten aus seinem Palast sah er, wie in der realen Welt weitgehend Elend, Armut, Krankheit, Tod, Verwirrung herrscht. Und auch der eigene Reichtum und die eigene Stellung macht einem vor alldem nicht gefeit. Der Aristokrat wollte herausfinden, was eigentlich die Wurzel allen weltlichen Leidens sei, verließ seinen Palast und unterwarf sich jahrelang strenger Askese. Schließlich erlangte er Erleuchtung; genau gesagt, sein Wissen erwachte, dass hinter allem Leiden Wollen und Begehren stecke, das letztendlich unerfüllt bleiben muss. Wer aber nicht begehre, könne nicht leiden, da er in seinen Erwartungen ja nicht enttäuscht werden kann. Eine wohl praktische menschenunmögliche Aufgabe, das Begehren vollständig abzutöten. Wer diesen Zustand aber erreicht, geht ins Nirwana ein, eine Art Nichts (in dem es eben kein Begehren mehr gibt). Es handelt sich dann, in diesem Idealfall, um einen vollkommen transformierten Menschen, der dann das Ideal des Buddhismus ist. Ansonsten ist der Buddhismus, wie jede Religion oder Weisheitslehre, dazu da, eine Anschauung und Begrifflichkeiten zu bieten, Ideale aufzustellen, an denen sich Menschen orientieren können und zu denen sie sich mehr oder weniger mimetisch verhalten können, um sich und anderen das Leben zu erleichtern. Buddha bedeutet „der Erwachte“, und den Rest seines Lebens brachte „der höchste und heiligste Buddha“ Gautama damit zu, seine Lehre zu systematisieren und die Strukturen zu ihrer Weitergabe zu schaffen. Das umfasste die Stiftung von Mönchs- und, für die damalige Zeit ungewöhnlich, Nonnenklöstern. Der Buddhismus wurde zu einer Religion, auch wenn er die vielleicht ungewöhnlichste Religion ist. Er kennt keine Gottheiten. Nietzsche bezeichnete den Buddhismus als keine Religion, sondern als eine „Seelen-Diätetik“. Grundlegend ist der Buddhismus eine Weisheitslehre, und eine Weisheitslehre ist tolerant gegenüber den Menschen und verpflichtet sie zu nichts. Es obliegt der Weisheit jedes Einzelnen, ob er sie annimmt oder nicht. Allerdings geht der Buddhismus in seiner Lebensbewältigungs-Weisheit viel tiefer als bloße Weisheitslehren, denn er ist umfassend spirituell und zielt auf eine radikale spirituelle Transformation ab, eine vollkommene, nicht nur partielle und beliebige Lebensveränderung. Zudem ist der Buddhismus als Religion und Religionsgemeinschaft organisiert, mit Strukturen, Institutionen, diversen Regeln und Ritualen. Religion bedeutet: gehorsame Befolgung von Regeln, und in diesem ganz ursprünglichen Sinn ist der Buddhismus Religion. Gleichzeitig ist er auch ein philosophisches System, ein logisches System, und auch eine Metaphysik, und in all diesen Aspekten unabschließbar interpretierbar. Seine Wahrheit ist, gegenüber den theistischen Religionen, keine von einer transzendenten Instanz offenbarte Wahrheit, sondern eine Wahrheit, auf die der Mensch – der „erwachte“ Mensch –, wenngleich nach einer transzendenten Anstrengung, selber kommt. Im Zusammenhang mit all dem begannen schon bald nach dem Tod des historischen Buddha die üblichen Meinungsverschiedenheiten, wie seine Lehre richtig zu interpretieren sei. Um sich zu verbreiten, musste sie auch auf Lokalkolorite und Machtverhältnisse (wie z.B. dem Patriarchat) Rücksicht nehmen und Konzessionen an diese machen. Der Buddhismus spaltete sich in mehrere Richtungen (bzw. „Fahrzeuge“) auf. Sein hohes theoretisches Appeal produzierte theoretische Streitereien bis hin zu Haarspaltereien unter seinen Anhängern. All diese Divergenzen provozierten dann wieder Reformbewegungen. Aus einem solchen Reformgeist ging im 5. oder 6. Jahrhundert n. Chr., also beinahe ein Jahrtausend nach dem Erscheinen des historischen Buddha, dann der Zen-Buddhismus hervor. Als dessen Begründer gilt ein legendärer indischer Mönch namens Bodhidharma, der nach China übersetzte (daher die charakteristische Frage Was ist der Sinn, dass Bodhidharma aus dem Westen gekommen ist? als chiffrenhafte Frage nach dem Sinn und der Essenz des Zen-Buddhismus). Bodhidharma wollte zu einer reinen Ursprünglichkeit des Buddhismus zurückfinden. Er lehnte den ganzen Pomp, mit dem der Buddhismus betrieben wurde, ab, und versuchte auch Herrschergestalten von der Falschheit dessen zu überzeugen. Als ihm das nicht gelang, verbrachte er der Legende nach neun Jahre meditierend vor einer Wand, bis dass er seinerseits zu einer neuen Art von Erleuchtung durchgedrungen war. Seine Art von Buddhismus war allerdings eine viel vergeistigtere Art von Buddhismus, sein Ziel ist es, durch eine rein geistige Durchdringung das wahre Wesen der Welt zu erkennen, und die diesseitige Welt damit zu überwinden. Freilich hat auch die dafür als notwendig erachtete Meditation den Charakter einer Askese und auch der Lebensweg des wahren Zen-Suchenden ist streng und hart – ohne deswegen letztendlich Erfolg zu versprechen. Deswegen heißt es eben „Zen“-Buddhismus, denn Zen bedeutet (auf Japanisch) „Meditation“ oder „meditative Versenkung“. In China nahm dieser sich so entwickelnde Zweig auch Einflüsse des Taoismus auf, und die „Leere“ als zentrale Kategorie des Zen hat viel mit dem „Tao“ gemein. Um das Jahr 1000 gelangte diese Strömung auch nach Japan. In Japan hat der Zen-Buddhismus die Kultur am deutlichsten geprägt. Viele japanische Kunstformen wie das Haiku-Gedicht, das Tee-Zeremoniell, das No-Theater, die japanische Tuschezeichnung und Kalligraphie, die Gartenkunst, die Kunst der Bogenschießens und allgemein die japanische Tradition des hohen Niveaus und der Genauigkeit und Beachtung des Details in der japanischen Kunstfertigkeit haben ihre Wurzeln im Zen-Buddhismus. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Zen-Buddhismus, vorwiegend über seine japanische Tradition, auch im Westen (zunächst unter Gebildeten) bekannt, und im Zuge der „spirituellen Öffnung“ im Windschatten der Hippiezeit auch vergleichsweise populär. Seine Weisheiten haben auch Eingang gefunden in die Management-Literatur und allgemein ist die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema Zen-Buddhismus auf dem einen und anderen Niveau in der westlichen Welt kaum mehr überschaubar. Im Allgemeinen wird der Zen-Buddhismus vom westlichen Durchschnittsmenschen wohl als etwas sympathisch Rätselhaftes angesehen und als verbunden mit einer Friedlichkeit und Gelassenheit, von der der westliche Mensch vielleicht selber gerne mehr hätte. Gleichzeitig scheint er sich damit auch mit einer Paradoxie konfrontiert zu fühlen, auf die er sich eher nicht einlassen will und gegenüber der er sich machtlos fühlt.

*

Zen versucht zur „reinen“, „letzten“, „ursprünglichen“ Wirklichkeit vorzudringen. Wie kann man das tun? Indem man die Wahrnehmung schärft und sie subtiler macht und sie hinterfrägt. Indem man die Wahrnehmung und das Selbst-Welt-Verhältnis meditiert. Im Geiste der Lehre Buddhas betrachtet sind Subjekt und Objekt, Selbst und Welt, zunächst leidvoll miteinander verbunden. Das Subjekt hat ein Verlangen nach dem Objekt, das Objekt provoziert ein Verlangen im Subjekt und erscheint – auch innerhalb der Grenzen der herkömmlichen Wahrnehmung – dem Subjekt nicht rein, als „das, was es ist“ (sondern eben unter der Wahrnehmung des Subjekts). So gesehen üben sowohl das Subjekt und das Objekt der Wahrnehmung eine diskriminierende Wirkung aufeinander aus. Gleichzeitig wird in der Meditation erkannt, dass das Objekt ja nur erscheint, weil das Subjekt es anschaut, und dass weiters das Objekt in einer diskriminieren Weise erscheint, weil es der diskriminierenden Wahrnehmung des Subjekts unterworfen ist. Auch das Subjekt diskriminiert sich über seine Wahrnehmung selbst. Wenn es sich sagt: Ich denke, also bin ich, setzt es sich gleichzeitig als ein Objekt, das denkt, bzw. als ein Subjekt-als-Objekt. Genau genommen könnte man aber auch aus dem Descartesschen Gogito, ergo sum, also aus der Wahrnehmung, dass Denken stattfindet, eigentlich nur folgern: Es gibt Gedanken (und nicht: Es existiert ein Ich, dass diese Gedanken hat). In der meditativen Versenkung des Zen versucht das Ich seine Wahrnehmung so subtil zu machen, dass es sich als Ich, das wahrnimmt (und denkt) ausschaltet. Es nimmt sich dann selbst als reinen Geist wahr. In diesem Geist erscheinen dann alle Dinge. Alle Reiche der Existenz und alle Seinszustände sind nichts anderes als Manifestationen deines eigenen Geistes – haben der Mond, der sich im Wasser spiegelt, oder die Bilder, die der Spiegel reflektiert, einen Ursprung und ein Ende? (Shitou) Nicht nur werden alle Phänomene zu Erscheinungen im eigenen Geist, auch und vor allem wird diese Geist-Welt-Struktur überhaupt ontologisiert: der „Urgrund“ der Welt wird zu einem ursprünglichen Geist, in dem dann die Phänomene sich manifestieren. Der Meister sagt zu mir: Alle Buddhas und alle Lebewesen sind nichts als der Eine Geist, neben dem nichts anderes existiert. Dieser Geist, der ohne Anfang ist, ist ungeboren und unzerstörbar. Er ist weder grün noch gelb, hat weder Form noch Erscheinung. Er gehört nicht zu der Kategorie von Dingen, die existieren oder nicht existieren. Auch kann man nicht in Ausdrücken wie alt und neu von ihm denken. Er ist weder lang noch kurz, weder groß noch klein, denn er überschreitet alle Grenzen, Maße, Namen, Zeichen und Vergleiche. Du siehst ihn stets vor dir, doch sobald du über ihn nachdenkst, verfällst du dem Irrtum. Er gleicht der unbegrenzten Leere, die weder zu ergründen noch zu bemessen ist.  Der Eine Geist allein ist Buddha, und es gibt keinen Unterschied zwischen Buddha und den Lebewesen, nur dass diese an Formen festhalten und im Außen die Buddhaschaft suchen, setzen kraftvoll die legendären Aussprüche und Ansprachen des Zen-Meister Huang-po ein. Hinausgehend über das empirische Wahrnehmen (im Sinne der Weltvergewisserung im Geiste Descartes`), das Subjekt und Objekt trennt und gegeneinander feststellt, strebt der Zen-Buddhismus ein allgemeines, über-individuelles Wahrnehmen, Sehen an, eine Art transzendentale Subjektivität, die gleichzeitig die transzendentale Struktur der Welt ist. In der Perspektive von Zen erscheint die Welt dann als ein Netz von Beziehungen, in der Subjekt und Objekt und die Objekte untereinander aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig konstituieren: der Begriff für diese Weltsicht lautet pratityassmutpada. Ausgehend davon, dass Subjekt und Objekt sich spiegeln und in der Wahrnehmung aufeinander verweisen, begreift der Zen-Buddhismus alle Dinge als voneinander abhängig und als gegenseitig sich konstituierend. Sie erscheinen überhaupt nur als Kombination vergänglicher Faktoren. Zugrundeliegende Gesetze gibt es nicht, eine „Wirklichkeit an sich“ existiert nicht. Die Erscheinungen existieren einzig und allein in Abhängigkeit von anderen, ihrerseits abhängigen Erscheinungen. Anstelle der substantia tritt die relatio. Das bedeutet auch, dass an die Stelle einer Substanz (als einer grundlegenden Kategorie der abendländischen Philosophie), mit der man etwas Unveränderliches und Selbstständiges, positiv Seiendes assoziiert, die einer Abwesenheit einer solchen Substanz tritt: die einer „Leere“. Im Taoismus ist diese universelle „Leere“ eine Art schöpferische Leere, eine Art ontisches Potenzial, aus dem positives Sein hervorgeht. Das wäre im Zen dann der Eine Geist (der eben Buddha ist). Es gibt allerdings keine Regeln, warum und wieso etwas erscheint, eher ist es ein kontingentes Werden und Vergehen von Phänomenen, die sich zufällig wechselwirkend konstituieren und wieder vernichten. Ein Logos liegt dieser Welt nicht zugrunde. Insofern die Dinge auch allein im Geist erscheinen, könnte man meinen, es fehlt ihnen auch daher an eigentlicher Solidität. Zum einen können uns die Dinge, so betrachtet, nichts anhaben. Zum anderen könnte man sich fragen, was sie uns dann überhaupt angehen. Man würde nicht nur negative Bezugsmöglichkeiten verlieren, sondern auch positive. Zen aber versucht gleichsam, aus dem Negativen Positives, und aus dem Positiven Negatives zu machen. So dass sich dann gleichsam ergibt als Grundhaltung eine engagierte Indifferenz. Alle Dinge sind von Grund auf leer, es gibt nichts, woran man festhalten könnte. Sie sind wie dahinziehende Wolken, die nicht anders können, als sich irgendwann zu zerstreuen. Wenn du die grundlegende Leere der fundamentalen Existenz erkennst, dann ist es, als würde Feuer ausbrechen. Sprich darüber nicht mit Unwissenden – sie könnten deinen Körper in Stücke schlagen. (Baozhi) Zen bedeutet gleichsam eine Begeistertheit über diese Leere, die gleichzeitig in aller Gelassenheit sich vollzieht. Auch das Ich existiert aus der Satori-Perspektive nicht mehr, und auch kein eigentliches Selbst mehr: es gibt nur mehr ein überindividuelles SEHEN. Der Erleuchtete ist NIEMAND, der eben aus einer Leere heraus spricht, oder besser: schweigt. Im Inneren nichts, was zu erlangen wäre / Draußen nichts, wonach zu streben wäre.  (Zen Sand 8.41) Haben wir uns von unserer leeren Persönlichkeit und allen Dingen befreit, sind wir unabhängig und ohne Verhaftungen und verfolgen nur das eine Ziel, uns von allen Befleckungen zu reinigen und die Menschen zu erbauen, ohne dass sie es merken, dann bildet dies unsere eigene Praxis und kann gleichzeitig auch anderen helfen. Und es kann den Pfad der Erleuchtung schmücken. (Bodhidharma) Das ist alles keine Kleinigkeit. Kannst du das aushalten? Man kann es beinahe nicht aushalten: Das Verhalten der transzendenten Menschen ähnelt einem lodernden Feuer, einem wütenden Brand – du wirst dich ihm nicht nähern können. Es ist nicht erzwungen, es ist einfach von selbst so. (Lian An) „Von selbst“ und durch sich selbst ist etwas, wenn sich aus seiner eigenen Wirkfähigkeit konstituiert und sich in seiner eigenen Wirkfähigkeit erhält. Erleuchtete Wesen sind frei von allen Fesseln, und ihr Geist ist unendlich wirkfähig. (Baozhi) Der transzendentale Geist (und die transzendentale Subjektivität) wird überhaupt gleich mit seiner Wirkfähigkeit, wird zum reinen, unkontaminierten Potenzial. Der unermessliche Ozean lässt die Fische frei herumspringen, der grenzenlose Himmel lässt die Vögel frei fliegen. (Dasui) Diese Unermesslichkeit des Ozeans ist der Geist des Erleuchteten, der damit gleicht dem Geist und der Struktur der Welt. Erst in der Unermesslichkeit der Leere nämlich kann die Fülle des gesamten Seins in Erscheinung treten. Wenn du die universelle Leerheit erkannt hast, kannst du spontan alle Dinge durchdringen: Sie umfasst die ganze Welt und alles darüber hinaus und enthält in sich alle Seinszustände. (Fenyang) Begehren, welches auszulöschen der Buddhismus ja von Grund auf anstrebt, scheint dann kaum mehr noch nötig zu sein. Wenn man die Welt mehr als nur beherrscht, sondern mit ihr gleichsam zur Deckung gekommen ist, was sollte dann noch zu wünschen sein? Wenn du eines Tages erkennen wirst, dass der ursprüngliche Geist leer ist, dann wird die Fülle der Wirklichkeit, wie sie ist, nichts zu wünschen übriglassen. (Baozhi) Grundsätzlich versteht Zen die eigentliche Wirklichkeit als einen Urgrund der „uranfänglichen Geistes“ und als ein Gewebe von Dingen, die sich über diesem Urgrund entspannen. Diese Dinge sind einerseits voneinander abgegrenzt, andererseits gehen sie gleichsam ineinander über und haben keine klaren Grenzen. Die Dinge spiegeln sich ineinander, fließen ineinander, verweisen aufeinander und sind füreinander da. Die Wirklichkeit ist gleichsam ewig im Fluss, erscheint jedoch gleichzeitig auf der Stufe der höchsten Erleuchtung als „unendliches Juwelengeflecht, die einander erleuchten und widerspiegeln.“ Derartige Bilder und Empfindungen („unendliches Juwelengeflecht“) sind dabei in der mystischen Tradition allgemein und kommen kulturübergreifend vor. Wenn man mit gütigem, mildem Gesicht auf die Welt blickt, kann man auf das mit der Welt als unendlichem Juwelengeflecht schon kommen. Davon unterscheiden sich freilich Erlebnisse echter Mystiker(innen). Diese berichten von einem Zustand, so als wie wenn sie tatsächlich in eine jenseitige Welt, oder in das paradiesische Leben nach dem Tod geblickt hätten. Da dies einer diesseitigen Welt mit ihren Beschränkungen nicht entspricht, waren diese Erlebnisse auch einmalig und von kurzer Dauer. Solchermaßen erleuchtet, wandeln diese Mystiker(innen) dann als Heilige in dieser Welt, um ihre Anschauungen zu verkünden, hoffend, dass sie schließlich wieder eins werden mit der höheren Welt, die sie geschaut haben. Dem entspricht im Buddhismus die Figur des Bodhisattva. Der Bodhisattva hat die Erleuchtung erlebt, und lebt nunmehr eigentlich im Nirwana. Er wandelt auf der Erde, um anderen zu helfen, die Erleuchtung zu erlangen. Diese Erleuchtetheit jedoch ist ein dauerhafter Zustand. Diese Erleuchtetheit ist Satori.

*

Plötzlich verlieren die Hände ihren Halt, der Boden unter ihren Füßen schwankt, und sie sind verloren: Das ist die Krönung ihres lebenslangen Studiums. Zum ersten Mal in ihrem Leben nehmen sie unabhängig und frei wahr, wie eine einsame Lampe zum ersten Mal in ihrem Leben sind sie wahrhaft im Besitz all ihrer Kräfte. Sie sind wir die Berge, wie könnte Angst vor Leben und Tod sie jetzt noch erschüttern? (Ying`an) Das beschreibt den Durchbruch zum Satori, der Erleuchtung im Zen. Uns interessiert, wie man die Welt aus der Perspektive des Satori sieht; das ist das große Geheimnis, hinter das alle kommen wollen. Das „unendliche Juwelengeflecht“ auf jeden Fall ist nur eine Erscheinungsform, die die totale Wirklichkeit dann annehmen mag. Und im Allgemeinen wird von den Zen-Meisterinnen nicht auf dieses Bild zurückgegriffen, wenn sie das Satori zu erläutern versuchen. Satori bedeutet weniger eine konkrete, bildhafte Vorstellung, die man von der Wirklichkeit haben kann, als eine Möglichkeit, die Wirklichkeit zu betrachten, Satori ist epistemologisch. Sagen wir, Satori bedeutet eine Flexibilität des Geistes, eine mentale Flexibilität, die der so genannte alltägliche Geist nicht hat (da er von „Anhaftungen“ geprägt und beschwert ist, während der Satori-Geist diese hinter sich gelassen hat). Der Satori-Geist imitiert den Einen Geist, der die Welt durchdringt, und der Buddha ist. Immer wieder wird auf Metaphern des offenen oder leeren Raumes zurückgegriffen, um diesen Geist zu beschreiben: In letzter Konsequenz ist jedes Anhaften an Objekten leer und nichtig, suche nichts anderes als den klaren, offenen Raum des Geistes. Es gibt nicht ein einziges Ding, das erlangt werden könnte, in Heiterkeit und Spontaneität trittst du vor das Allerletzte. (Baozhi) Ebenso: Gib alles Anhaften an Körper und Geist auf, bis du einen Zustand großer Ruhe erlangst – so. als würdest du über einem zehn Meilen hohen Kliff alles loslassen – du bist wie der offene Raum. (Huaitang) Oder: Wenn du deinen Geist erkennst und bis an den Ursprung vordringst, ist es, als würde Raum mit Raum verschmelzen. (Dadu) Schließlich: Willst du wissen, was mein Körper ist? Mein Körper ist die ganze Erde. Willst du wissen, was mein Geist ist? Mein Geist ist der Raum selbst. Willst du wissen, was ich sehe? Ich sehe, dass es nichts zu sehen gibt. Willst du wissen, was ich höre? Ich höre das Ungehörte. (Sixin) Es ist sicherlich gut, wenn der Geist dem Raum selbst gleicht. Der Raum selbst ist offen und er ist reine Dimensionalität, in dem Dinge sinnvoll passieren können. Ansonsten legt der Raum nichts fest. Der Raum ist auch schmerzfrei und ist zu grundlegend, als dass er durch irgendwas kontaminiert werden könnte. Der Körper fühlender Wesen ist dem kosmischen Raum gleich, wo könnte da Leiden seinen Platz haben? (Baozhi) Was tut nun aber der Raum? Er ermöglicht den Phänomenen Erscheinung und Versammlung und Vereinigung, genauso wie er die Phänomene voneinander trennt bzw. getrennt voneinander in Erscheinung treten lässt.  Es ist eine grundlegende Tatsache, es ist die Grundstruktur der phänomenalen Welt, dass die Dinge einerseits aufeinander verweisen oder gar vereinigt sind, andererseits, und wesentlich, aber auch voneinander getrennt. In dieser Getrenntheit verwirklichen sie, jedes für sich, ihre Autonomie und ihre Würde, und es ist eine wahrhaftige Herrlichkeit, dass jedes Ding auch das Recht hat, von den anderen Dingen in Ruhe gelassen zu werden und ganz dort zu verweilen, wo es ihm beliebt. Blau ist nicht gelb, lang ist nicht kurz. Alle Dinge befinden sich jedes für sich an ihrem eigenen Platz. Mich betrifft das alles nicht. (Shobogenso Sambyakusoku 14) Wer aber ist stark genug, das auszuhalten, und allen Dingen ihre Würde zu lassen, anstatt sofort zu versuchen, in sie hineinzupfuschen? Eben nur der Erwachte, eben nur der Buddha. Der Buddhaverstand begreift auch, wie die Dinge – und zwar ganz buchstäblich – eins und dasselbe sind, da vom Standpunkt der absoluten Wirklichkeit gesehen aus kontingent sind. Wolken und Mond sind ein und dasselbe / Berge und Täler sind jeweils verschieden / Tausendfältiges Glück! Tausendfältiges Glück! / Dass sie eins sind und dass sie zwei sind! (Wu-men-guan) Das könnte zu einer Tat Tvam Asi – Ethik („Das bist du“-Ethik) einladen, von wegen, dass man in allen leidenden Kreaturen letztendlich selber steckt, man daher mit ihnen Mitleid haben muss. Tut es einerseits, tut es aber nicht ganz, oder verhindert, sich in so was zu verlieren: denn die Dinge sind ja auch voneinander getrennt (und: „Das hier bist nicht du, und auch nicht ich“). Aus der Perspektive des Satori wird das Leid (und daher die Notwendigkeit des Mitleids) aber sowieso überwunden, indem eben alle Phänomenalität – auch die eigene – als „leer“ betrachtet wird. Auch der Geist imitiert diese Leere, imitiert dieses Nichts. Das Nichts ist wohl die letzte und ursprünglichste aller Kategorien. Während das Seiende durch etwas bedingt und abgeleitet scheint, scheint das Nichts und die Leere durch nichts bedingt. Zwar kann man, wie eben in der Tradition des westlichen Denkens, von einer „Substanz“ ausgehen, die ebenfalls unhinterfragbar in dieser Welt positiv vorhanden ist. Aber eine solche positive Substanz wäre etwas gleichsam Herrschendes, ein herrschendes Prinzip. Das Nichts und die Leere hingegen erscheinen nicht herrschend. Die Leere ist es vielmehr, in der die Dinge Raum und Möglichkeit finden, sich frei zu entfalten. Die Haltung des Zen, und der Geist des Satori, erfreuen sich grundsätzlich an dieser Stille der Leere. Die Natur der Dinge ist grundlegende, immerwährende Stille; offen und klar, ohne Grenzen und Begrenzungen. (Baozhi) Sie erfreuen sich daran, wenn aus dieser Leere des Urgrundes die Dinge in Erscheinung treten: ursprünglich und offen. Satori ermöglicht vor allem das schöpferische Gewahrwerden der Dinge in diesem Augenblick und Zustand. Es ist ein delikater Augenblick und ein delikater Zustand. Die Zen-Wahrnehmung nimmt Dinge dauernd in diesem delikaten Augenblick und Zustand wahr. Damit ermöglicht sie eine Art Über-Phänomenologie, innerhalb derer die Dinge nicht durch den rationalen Verstand einseitig beleuchtet und diskriminiert in Erscheinung treten, sondern vom Standpunkt eines Meta-Verstandes aus aus allen möglichen Blickwinkeln heraus gleichzeitig gesehen werden. Zeit spielt tatsächlich wenig Rolle mehr in dieser transzendentalen Perspektive, da auch das zeitliche Fortschreiten und Sichentwickeln der Dinge in der Augenblickswahrnehmung des Satori kondensiert ist. Vergisst du Bewegung und Stille und verweilst du in gelassener Heiterkeit, dann verschmilzt du spontan mit der Wirklichkeit, wie sie ist. (Baozhi) Somit ist man also in einer transzendentalen Ewigkeit angelangt, genauer in einem Reich, in dem auch die Zeit flexibel und fluid ist, und in der es, wenn nötig, jeder Zeitpunkt des Tages gleichzeitig ist. In der Dämmerung verkündet der Hahn den Tagesanbruch / Um Mitternacht verbreitet die Sonne ihren hellen Schein. (Zen Sand 10.150) Wie erlangt man gleichzeitig eine solche Intimität wie auch einen solchen Abstand zu den Phänomenen? Indem man sie bejaht, oder indem man sie verneint? Oder indem man ihnen gegenüber indifferent ist? Nun ja, natürlich indem man sie bejaht und verneint gleichzeitig. Dies ist die grundsätzliche Haltung des Zen. Wo Verleugnung und Bejahung der Sinne unaufhaltsam sich durchdringen / Sogar Buddhas und Patriarchen flehen da um ihr Leben. (Wu-men-guan) Bejahung und Verneinung, die sich durchdringen, ermöglichen drittens Abstand und Indifferenz. Das Satori ist kein Zustand der Verzücktheit und Entrücktheit. Vielmehr ist es einer der Beruhigtheit. Satori wird oftmals beschrieben als eine erhöhte Anschauung der Wirklichkeit, so wie wenn man die Wirklichkeit aus einem leicht erhöhten Winkel gegenüber der Alltagswahrnehmung wahrnehmen würde. Was aber hat man davon? Man hat davon, dass man erkennt, dass „Samsara und Nirwana nicht verschieden sind.“ Der rechte Weg und der Irrweg sind eins. Wenn wir über vollkommenes Wissen verfügen, erkennen wir, dass sich das Gewöhnliche und das Weise auf demselben Weg befinden. Verblendung und Erleuchtung sind ursprünglich nicht verschieden; Nirwana und Samsara sind eine einzige Soheit. (Baozhi) Das Satori ist gleichzeitig transzendent und immanent. Es verweist nicht darauf, dass die Erleuchtung und die Erlösung von Leid in einer jenseitigen, transzendenten Welt liegen, sondern in der diesseitigen Welt, die aber aus einer transzendenten, genau gesagt transzendentalen Perspektive aus betrachtet wird. Die Möglichkeit dieser transzendentalen Perspektive des Satori liegt aber in der Welt des Samsara selbst. Sobald es so etwas wie „Nirwana“ gibt, gibt es auch „Geburt und Tod“. (Baizhang) Leiden ist nichts anderes als Erleuchtung. Ohne Denken gibt es keine Objekte. Samsara ist nicht verschieden von Nirwana. Begierde und Zorn sind wie Flammen, wie Schatten. (Baozhi) Die phänomenale Unruhe in der diesseitigen Welt der Erscheinung und die absolute Ruhe in der transzendentalen Welt des Geistes sind nur zwei Aspekte derselben Wirklichkeit, und  Verblendung und Erleuchtung existieren im Grunde nicht, die Buddhas haben diese Begriffe nur als heilsame Hilfsmittel eingeführt, nachdem sie die Erleuchtung verwirklicht hatten. (Pu´an) Damit ist Satori und ist die Zen-Übung tatsächlich „nichts weiter“ als eine extrem meditative Versenkung in den totalen Charakter der Wirklichkeit – und dessen Imitation. Deswegen lautet ein Running Gag unter den Zen-Meistern auch: Durch die Erleuchtung habe ich wahrlich nichts dazugewonnen. Sowie, dass das Satori sehr einfach zu verwirklichen ist. Und äußerst schwierig. In der Sprache von Heidegger wird im Satori sowohl die Getrenntheit als auch die Einheit von diesseitiger und jenseitiger Welt, von Samsara und Nirwana, verwunden, unter sich gelassen. Boddhisattvas, die sich im Anfangsstadium befinden, erkennen zuerst, dass alles leer ist. Danach erkennen sie, dass alles nicht leer ist … Die Praxis der Bodhisattvas verwirklicht sich in der Leere. Wenn Anfänger Leere sehen, dann ist es ein Sehen der Leere; es ist nicht wirkliche Leere. Die den Weg gehen und wirkliche Leere verwirklichen, sehen weder Leere noch Nichtleere, sie haben keine Ansichten. (Daoxin) Oder, wie man es in der Sprache des Westens ausdrücken könnte: Zuletzt wird der Geist wie ein Ozean bei ruhigem Wasser: Windstöße diskursiver Gedanken fahren gelegentlich über seine Oberfläche, doch in der Tiefe gerät er nie aus der Ruhe. So kann man einen Bewusstseinszustand erreichen, den man „klares Bewusstsein“ nennt. In ihm ist der Geist vollkommen luzide, ohne ständig in diskursive Gedanken verwickelt zu werden. (Revel/Ricard: Der Mönch und der Philosoph, Köln, Kiepenheuer und Witsch 1999, S.65)

*

Es gibt … zwei Luftströmungen in der Welt: den Ostwind und den Westwind. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Entweder der Ostwind übertrifft den Westwind, oder der Westwind übertrifft den Ostwind.“ Ich glaube, die Besonderheit der gegenwärtigen Lage besteht darin, dass der Ostwind über den Westwind die Oberhand gewonnen hat… vermutete Mao Zedong im Jahr 1957. Nun ja, die letzten Jahrhunderte zumindest hat der Westwind deutlich den Ostwind übertroffen. Das westliche Denken war erfolgreicher als das östliche. Warum sich also mit dem Zen-Buddhismus abgeben? Was er im Hinblick auf die menschliche Lebensbewältigung sagt und in Bezug auf Wahrheiten, die den Menschen subjektiv betreffen, ist sicher sehr sophisticated und wahrscheinlich nicht mehr überschreitbar. Da ist er wohl bei recht endgültigen Wahrheiten angelangt. Allerdings ontologisiert er diese Weisheiten, hält sie für die Welt selbst, und so wird seine Philosophie zweifelhaft. Vielleicht gibt es eine tiefere Wahrheit in der Physik, wonach alle Dinge, inklusive der Naturgesetze, emergente Phänomene sind, die aus einem rätselhaften Urgrund ursprünglich aufsteigen. Das wäre dann aber nur ein zufälliger Triumph für den Zen-Buddhismus, der zunächst einmal kein Weltbild offeriert, das mit den Wissenschaften in Verbindung steht, oder zum Betreiben der Wissenschaften (von sich aus, ohne äußeren Anstoß) einladen würde. Im Wesentlichen kennt der (Zen) Buddhismus (und das östliche Denken im Allgemeinen) eine chaotische Ontologie, in der er dann eine transzendente Harmonie hineininterpretieren will; er hat keine Vorstellung von einem Logos, der die Welt regiert, und den man anzapfen kann. In Japan begreift der Shintoismus die Ereignisse in der Welt als das jeweilige Ergebnis eines Ringens zwischen Göttern oder Geistern, also als etwas, im Wesentlichen, Zufälliges. Auch in diesem Weltbild gibt es keine eigentliche Stabilität, sondern nur „ewigen Wandel“, dem man sich fatalistisch unterwirft. Der Zen-Buddhismus versucht, auf eine tieferliegende Wahrheit draufzukommen, indem er seine Wahrnehmung subtiler macht, anstatt dass er dem Alltagsverstand, so wie Descartes, einfach vertraut. Er versucht, sich in eine „Verwandtschaft“ mit den Dingen zu setzen, anstatt dass er versucht, sie produktiv und zu seinem Zweck industriell zu manipulieren. Er ist eine kontemplative, passive Weltsicht. Er begreift die Dinge als wechselseitig voneinander abhängig, nicht aber über kausale Verhältnisse, oder eben Gesetzmäßigkeiten. Es herrscht im Osten eine Kreislauf-Zeitauffassung, oder aber, wie im (Zen) Buddhismus, gar keine wirkliche Zeitauffassung. Das Erbe der griechischen Antike, und mit ihm Logik, Dialektik, Beweisverfahren, kritische Methode, drang nicht in den Osten vor und blieb unbekannt. Chinesische Intellektuelle stellten zwar ähnliche Verfahren zur Wahrheitsermittlung an, wie die Intellektuellen im Westen, indem sie Für und Wider einer Sache betrachteten und gegeneinander abwogen, Vergleiche und Analogien anstellten und Vorgänger zitierten. Aber das Konzept der Beweisführung kannten sie nicht. Auch der Zen-Buddhismus beruht auf intuitiven Weisheiten, und nicht auf Beweisen. So wurden im Osten zwar Leistungen des Wissens erbracht, die aber voneinander isoliert blieben, und keine Wissenschaft an sich begründeten, inklusive wissenschaftlicher Methoden. Auch Erfindungen wurden, vor allem in China, gemacht, doch sie wurden nicht als Produktivkräfte nutzbar gemacht, und es entstand aus ihnen heraus kein abstraktes Verständnis für Technologie oder Industrie an sich. Übermäßig war vor allem in China und in Japan das Leben durch Riten und Zeremonien geregelt. Diese, gemeinsam mit einem ausgeprägten Ahnenkult, führten zu einer Überbewertung des Alten und des Althergebrachten. Sowohl China als auch Japan haben immer unter großem Druck gestanden, sich eine einheitliche Kultur zu schaffen und überzustülpen, um als politische Gebilde bestehen zu können. Den Konfuzianismus interessierten Familie, soziale Ordnung und (traditionelle) Erziehung als Bausteine eines wohlgeordneten Staats- und Gemeinwesens, nicht aber Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik. All das begünstigt einen oppressiven Konservatismus. Und die Vorstellungen von Harmonie und Einheit unterbinden den lebhaften Streit, und daher auch die produktive Auseinandersetzung zwischen Gelehrten, die für Europa typisch wurde, im Osten aber fremd blieb. Es heißt, Konservative seien glücklicher als progressive Menschen. Das halten sich die Buddhisten ja auch zugute. Erstaunlicherweise ist selbst heute, trotz all dem Habitus der Bescheidenheit und der Ich-losigkeit, bei Verfechtern der Weisheit aus dem Osten einiges an Hochmut und Selbstzufriedenheit im Spiel, wenn sie die Überlegenheit ihrer Weisheit darin sehen, dass sie „glücklicher“ und „weiser“ mache und eine integrale Weltsicht anbiete – während sich der „westliche Mensch“ unglücklich dauernd abhetze. Aus diesem Grund sind die meisten vom Verstand beherrschten Menschen neurotisch, Opfer von logischer Verwirrung und seelischer Spannung. (Suzuki: Leben aus Zen, Bern, Barth Verlag 1987, S.74) Ziel (des Buddhismus) war nie, die äußere Welt durch physikalische Einwirkung zu verändern, sondern durch die Schaffung besserer Menschen, indem man ihnen ermöglicht, ein inneres Wissen zu entfalten. (Revel/Ricard: Der Mönch und der Philosoph, Köln, Kiepenheuer und Witsch 1999, S.135) Dabei wird auch immer wieder so getan, als ob die „Physik“ des Buddhismus richtig oder zur „westlichen“ gleichwertig wäre, also so als ob die Welt tatsächlich ein Geflecht von Wechselwirkungen usw. wäre (anstatt etwas kausal und durch Naturgesetze verbundenes). Robert Pirsig kommen auch moralische Zweifel an einer Weltsicht, die behauptet, dass alle harte Wirklichkeit „illusorisch“ sei. Als er einen östlichen Philosophieprofessor fragte, ob auch die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki illusorisch gewesen seien, und dieser „ja“ sagte, begann er, Weisheit woanders zu suchen, wie er in Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten berichtet. Wenn Bodhidharma lehrt: Alles Existierende ist leer, es gibt nichts, worauf wir hoffen könnten. Segnungen und Flüche folgen einander auf dem Fuße. Das Leben in der Welt ist wie ein Haus, das in Flammen steht, jede körperliche Existenz bringt Schmerz mit sich – wer könnte da in Frieden leben? So kann man eben den Schluss daraus ziehen, dass auch das, was uns zu schmerzen scheint, keine eigentliche Realität und Beständigkeit hat. Wenn wir diesen Punkt verstehen, dann lösen wir uns von allem Sein, dann hören wir auf zu denken und suchen nichts mehr. Die Schrift sagt: „Suchen ist Schmerz, Nichtsuchen ist Heil“. Nicht zu suchen ist die Praxis des Weges, also spricht man von der Praxis des Nichtsuchens, so Bodhidharma weiter. Und so könnte man universell zufrieden sein. Überall reichen die Lebensverhältnisse aus, um mit seinem Los zufrieden zu sein / Keinen Groll hegen, wenn die eigenen Fertigkeiten nicht wie die anderer Leute sind. (Hong-shi) Was aber, wenn das in der Praxis dann weniger zu einer lebensweisen Abgeklärtheit führt, sondern eher in eine stupide intellektuelle, emotionale und moralische Indolenz, an der sich ja auch (nicht nur) Bhagwan stößt? Speziell der Zen-Buddhismus bildet sich was darauf ein, nicht diskursiv zu sein, und nicht in Begriffen zu operieren, vielmehr ihnen grundsätzlich zu misstrauen. Das ursprüngliche, reine, strahlende Weltall ist weder viereckig noch rund, weder groß noch klein. Es ist ohne Unterscheidungen wie lang und kurz, ist jenseits von Bindung und Bewegung, von Unwissenheit und Erleuchtung. Du musst ganz klar sehen, dass es da wirklich nichts gibt – keine Menschen, keine Buddhas. Die großen kosmischen Systeme, zahllos wie Sand, sie alle sind nur wie Luftblasen. Alle Weisheit und alle Heiligkeit sind nur wie ein Blitzstrahl. Sie alle haben nicht die Wirklichkeit des Geistes… (Huang-po) Zwar wurde der Zen-Buddhismus ins Leben gerufen aus einer Frustration heraus über die theoretisierenden Haarspaltereien unter den buddhistischen Gelehrten. Doch übersieht er dabei, dass Begriffe, Kategorien, Theorien usw. essenzielle Instrumente sind, um die Wirklichkeit zu bewältigen. Die Auflösung der Subjektivität ist nicht nur philosophisch problematisch (wieso sollte die Welt eine universelle Struktur des subjektlosen, überindividuellen „Sehens“ sein, wo Sehen doch so deutlich auf einen subjektiven, in Raum und Zeit verorteten Standpunkt hinweist, von dem aus gesehen wird; wenn sich Dinge wechselseitig konstituieren, muss ja doch irgendwo ein Ursprung dafür verortbar sein; kann man tatsächlich davon ausgehen, dass mit dem Beginn meiner Wahrnehmung bei der Geburt und ihrem Ende beim Tod die Welt beginnt und endet, so wie das der Zen-Buddhismus in etwa tut, oder aber zumindest den Subjektivismus der menschlichen Erfahrung in die Vorstellung, wie die Welt an sich funktioniert überträgt, usw.). Sie ist auch problematisch, weil sie den Menschen an und für sich herabsetzt, ihn als bloßes Element innerhalb der Natur sieht, und nicht als herausragendes. Das alles ist freilich dem geschuldet, dass der Zen-Buddhismus in einem weit vorwissenschaftlichen, vielfach von einer animistischen Religiosität geprägten Zeitalter und in dementsprechenden Kulturräumen entwickelt wurde. Aber so hat eben auch der Zen-Buddhismus, trotz seiner zahlreichen hervorragenden Eigenschaften, einen problematischen Ballast. Wie alle Systeme neigt er dazu, unter seinem eigenen Gewicht zusammenzusinken. Der Zen-Buddhismus ist ein sehr intelligenter Trick, um sich einen metaphysischen Lebensvollzug zu ermöglichen. Aber es kann sein, dass der Zen-Buddhismus, berauscht von seiner Intelligenz, auf seine eigenen Tricks reinfällt. Aber wie schwierig es ist, zur wahren Erleuchtung zu gelangen, wusste ja niemand besser als die Zen-Meister selbst. Oh, und sei gewissenhaft. Sei gewissenhaft! Von Tausenden oder Zehntausenden, die den Versuch machen, dieses Tor zu durchschreiten, gelingt es vielleicht vieren oder fünfen. Achtest du nicht auf meine Warnungen, dann wird mit Sicherheit ein Unglück folgen. (Huang-po)

*

Das Reine Land ist nur Geist; es gibt kein Land außerhalb des Geistes. In diesem Land, das nur Geist ist, gibt es keinen Osten im Osten und keinen Westen im Westen – alle Himmelsrichtungen sind darin eingeschlossen. (Weizi) Was nun ist das Denken, das alle vier Himmelsrichtungen beherrscht? Na, es ist das westliche Denken. Allerdings ist seine Herrschaft leger und lose, viele Dinge entgehen dem westlichen Denken in der Welt, was wir aber wollen ist eine entschlossene und totale Herrschaft, den Griff einer eisernen Hand. Sowohl das westliche Denken als auch das östliche Denken sind voll mit guten Eigenschaften. Daher wollen wir das westliche Denken mit dem östlichen Denken überkreuzen; mit dem westlichen Denken gehen wir in die Breite, mit dem östlichen Denken gehen wir in die Tiefe. Mit dem östlichen Denken begreifen wir den Raum, mit dem westlichen Denken meistern wir die Zeit und den Fortschritt in der Zeit. Das westliche Denken, könnte man meinen, ist flach. Es verlangt scheinbar nach keiner Kultivierung des „inneren“ Menschen, es bringt nicht notwendigerweise „Weisheit“ mit sich und „Seelenruhe“. Es ist effizient, da es ein eindeutiges Denken ist. Befreites Denken aber ist vieldeutig, und kann mit einer Vielzahl von beweglichen Objekten operieren. Natürlich sind diese Behauptungen („unkultiviert“, „weisheitslos“ etc.) ein wenig ungerechtfertigt gegenüber dem westlichen Denken. Wir machen das hier auch hauptsächlich, damit wir einfacher Unterscheidungen treffen können (abermals: die Buddhas haben diese Begriffe nur als heilsame Hilfsmittel eingeführt, nachdem sie die Erleuchtung verwirklicht hatten.)

Das westliche Denken ist nicht unbedingt ein fühlendes Denken (es herrscht tatsächlich eine scheinbare Trennung von Körper und Geist wie bei Descartes). Damit gehen ihm gewisse Dimensionen und Zugänge vielleicht, wahrscheinlich ab. Das Denken des Zen ist im Vergleich dazu eher ein Weltgefühl. Descartes` Ausspruch “Cogito, ergo sum” hieße nach Bankei: “Sento (oder percipio), ergo sum”, und wenn dieses “sum” in seinem tiefsten Sinn erfasst wird, haben wir das Ungeborene. (Suzuki: Leben aus Zen, Bern, Barth Verlag 1987, S.145) Was allerdings ist Denken genau, und was Fühlen? Wo hört das eine auf, und beginnt das andere? Man weiß, das ist nicht klar, und wahrscheinlich gibt es auch kein universelles Modell, beides voneinander in jeder Person abzugrenzen. Mein eigenes Bedürfnis, in die Welt einzudringen und die „Tiefenstruktur der Wirklichkeit“ anzuschauen, geht auch mit einem Gefühl einher, die Wahrnehmung penetrierend zu machen und mich in was hineinzustürzen – es sind körperliche Sensationen, die da in mir (mit)arbeiten. Es zieht mit etwas in meinem Körper in die „Tiefenstruktur der Wirklichkeit“ hinein. Dass die Welt ganz einfach über gefühlloses analytisches Begriffszergliedern durchdringbar wäre, auf das komme ich zunächst einmal nicht.

Analog vielleicht dazu gilt das Wissen des Ostens als synthetisch und holistisch, das des Westens als analytisch; der Westen beachtet die Details, während der Osten das Ganze beachtet. Das könnte man auf einen Unterschied im Weltgefühl zurückführen. Im Osten sind die Gesellschaften kollektivistisch, im Westen sind sie individualistisch. Es ist sicher gut, wenn man sowohl analytisch als auch synthetisch denken kann. Wenn man sowohl das Ganze vor Augen hat, allerdings auch die Details dazu ausarbeiten kann, so dass das Ganze dann auch funktioniert. Es ist die grundsätzliche menschliche Verfasstheit, sowohl ein Individual- als auch ein Kollektivwesen zu sein. Und es ist die grundsätzliche Aufgabe im Leben, beide Aspekte sinnvoll zusammenzubringen: das ist die Moral von der Lebensgeschichte. Der Mensch sollte sowohl entlang seiner Achse als Individualwesen erfüllt aufgehen, als auch entlang der, wo er Kollektivwesen ist. „Gut zu sich selbst und zu anderen sein“, gilt allgemein als der Sinn der Existenz. So gesehen, gilt es also, im „Osten“ aufzugehen, als auch im „Westen“.

Allerdings ist der Zen-Buddhismus keine Gefühlsduselei oder Romantik. Er beruht eher auf intuitiven Einsichten, auf einem intuitiven Stürzen ins Dasein hinein. Stets betont der Zen-Buddhismus, er misstraue dem begrifflichen und rationalen Denken. Er fasst das als Hindernisse, um zur letzten Wirklichkeit vorzudringen – die für ihn ja nicht durch einen Logos bestimmt ist und eine Vernunft oder Gesetzmäßigkeiten, die vernünftig erfassbar sind. Vernunft und Begriffe sind daher für ihn Instrumente, die in der Welt von Menschen erzeugt werden, daher keine letztgültigen Wirklichkeiten. Die Methode des Koan ist im Zen-Buddhismus dazu da, um die Vertrautheiten des rationalen und begrifflichen Denkens aufzulösen. Das Koan ist ein Sinnspruch oder eine Anekdote, die mit rationalem Denken nicht aufzulösen ist. Neben der Meditation ist das Koan die zentrale Methode, um zum Satori zu gelangen, zur Erkenntnis der letzten Schicht der Wirklichkeit. Wenn man aber an den Enden der Welt anlangt, wird man nun tatsächlich (auch im westlichen Denken) auf Zustände und Zusammenhänge treffen, die nur mehr über Paradoxien oder als Aporien beschreibbar sind. Man trifft da auf eine Leere, die gleichzeitig eine Fülle ist; ein Leben, das gleichzeitig Tod ist; ein Nichts, das gleichzeitig Potenzial ist; ein Sein, das gleichzeitig ein Werden ist usw. Kurz: die Enden der Welt und die Grenzmarkierungen des Denkens lassen sich auf keine eindeutigen Begriffe bringen. Das westliche Denken hat das immer versucht und hat damit Begriffsfetischismen in die Welt gesetzt und sich im Abarbeiten dieser Begriffe (wie Substanz. Seele, Anfang und Ende, Gott usw.) möglicherweise (jahrhundertelang) auf (natürlich auch produktive) Abwege begeben. Begriffe sind eindeutig, aber Phänomene sind oft nicht eindeutig. Das Koan ermöglicht nun eine Art dynamisches Verständnis von der Welt, in dem auch die Gegenstände des Denkens ineinander übergehen. Weil Paradoxien und Aporien in der Welt sind, baut Satori das Paradox gleich in sich selber ein. Genau gesagt: es beherrscht das Paradox und die Aporie, indem es sie von einer Metaebene aus betrachtet. Dem bedeutenden Menschen ist, wie man sagt, nichts Menschliches fremd. Der Zen-Meister überbietet das dann noch einmal, indem er selber zusätzlich noch paradox wird, und daher unendlich dynamisch. So ist er gleichzeitig in ständiger Rotation als auch in ständiger Ruhe. Sein Verhalten ähnelt einem lodernden Feuer, einem wütenden Brand u. dergl.

Damit ist der Zen-Mensch komplex, er führt aber diese Komplexität in eine große Einfachheit über. Umgekehrt erfreut er sich an der Komplexität, die er auch im Einfachsten erblickt. Komplexität stiftet unter gewöhnlichen Menschen Verwirrung. Der Zen-Mensch stiftet (so wie auch der westliche Philosoph!) Verwirrung, um eine neue Einfachheit zu ermöglichen. Der alte Zhao-zhou! Der alte Zhao-zhou! / Unruhe in den Zen-Klöstern zu stiften – noch im hohen Alter hört er nicht damit auf! (Hong-zhi) Komplexitätsmanagement ist eine große Sache im Westen. Mit dem westlichen Denken kann man zunächst komplizierte Probleme lösen. Kompliziert, das heißt: etwas ist schwierig, aber (theoretisch) lösbar. Komplexität hingegen ist ein (quasi) dynamisches Zusammenspiel von Faktoren, die sich ständig gegeneinander verschieben und neu aufeinander ausrichten. Eine Komplexität ist nicht „lösbar“. Man kann versuchen, sie zu bemeistern, ihre Bemeisterung ist eine Art Management und eine Kunst. Das Problematischste beim Management von Komplexität sind immer wieder Verhärtungen des Denkens bzw. der persönlichen Haltung; die Vorstellung, ein komplexes System habe so oder so zu funktionieren, oder sich so oder so zu verhalten, wenn man auf eine bestimmte Weise in es eingreift. Starre Vorstellungen oder ein starres Ego sind aber nichts, was das östliche Denken begünstigt. Während die Intelligenz des Westens technisch und abstrakt ist, ist die des Ostens eine situative Intelligenz. Die richtige Haltung, um den Weg zu praktizieren, besteht im vollkommenen, spontanen Sichfügen. (Minghen) Die westliche Intelligenz betont heute selber immer wieder, dass sie der „Komplexität“ der heutigen Gesellschaft und Welt nicht mehr gewachsen sei, und sie nicht mehr total verstehe. Ich bin dafür, dass man einfach selber so komplex wird, dass die eigene Komplexität die der ganzen Welt übersteigt. Wie kann man das tun? Wohl indem man östliches Denken und westliches Denken überkreuzt. Nur wer vollkommen frei ist von Begriffen, kann einen Körper von unendlicher Ausdehnung haben. (Huang-po) Was aber ist die Komplexität gegen die Unendlichkeit? Nun ja, die Komplexität ist unabschließbar: also ist die Unendlichkeit der einzig adäquate geistige Raum, um Komplexität zu prozessieren.

Nicht-begrifflich ist das Zen-Denken auch, weil es durchaus irgendwie bildhaft ist und auf einer Art Anschauung (und nicht: Analyse) der Welt beruht (auch wenn es „keine Anschauungen mehr haben“ als letztes Ziel kennt). Damit ist man dann gleichsam beim Ästhetischen. „Satori“, ein Anschauen einer tieferen Wirklichkeit, wenn nicht sogar der „ultimativen“ Wirklichkeit, scheint sich auch in gelungener Kunst aufzutun: welche Anschauungen liefert, wofür die Philosophie Begriffe liefert. Die Dramen von Beckett, die Gemälde von Velazquez, Vermeer oder Mondrian, die Filme von Tarkowski oder Antonioni: Machen sie nicht den Eindruck, als blicke man mithilfe ihrer aus einer Art Satori-Perspektive auf die Welt? Sie scheinen das Ergebnis einer gewaltigen, gleichsam meditativ-intellektuellen Versenkungsleistung, jemand hat sich durch die Welt durchgetunnelt und schleudert Zeichen empor, die er am Urgrund gesehen. Und er kennt die Verbundenheit und den Sinn aller Zeichen. Ein durchdringendes, integrales Weltgefühl, eine totale Weltanschauung kommt darin zum Ausdruck.

Umgekehrt sind die Texte der Zen-Meister, die Erleuchtung erfahren haben, große Kunst und Literatur, eine wahrhaft poetische Literatur und Prosa. Zwar behauptet der Zen-Buddhismus stets, „nicht begrifflich“ und nicht diskursiv zu sein. Aber in Wahrheit ist er in seinen Lehren sehr beredt. Es ist allerdings tatsächlich eine Prosa und auch eine Lyrik, die fundamental von der uns bekannten verschieden ist. Keine überflüssigen Reden gibt es, die Bezeichnungen sind fest, gleichzeitig scheinen sie aber auch ewig dynamisch. Sie sind somit tatsächlich poetisch (das bedeutet: aus dem Nichts und ursprünglich hervorgebracht). Die Sprache des Zen-Buddhismus hat eine große, nicht mehr hintergehbare Gewalt über sich. Es ist aber keine angestrengte Gewalt, sondern gleicht eher einer Konsequenz, die in sich selbst liegt. Oder eben einer Satori-Sprache.

Überhaupt die Wahrnehmung des genuinen Poeten, des Genies: Das Genie sitzt vor der Wand, wo sich die Erscheinungen abspielen, kausal als auch akausal, verbindlich und unverbindlich, und erfreut sich an diesem halb zweckhaften, halb zwecklosen Spiel. Es hat dann Einsichten, die scheinbar „aus der Tiefe“ stammen. Mit bloßer „Kreativität“ oder „Originalität“ ist das nicht zu beschreiben, denn über dergleichen verfügen andere auch. Das Genie ist darüber hinaus profund und penetrierend. Auch das Genie scheint über Satori zu verfügen. Das Genie verfügt über eine außergewöhnliche Flexibilität und Fluidität des Geistes: so wie es eben das Satori bewirkt. Das Genie scheint in eine Art zusätzliche Dimension zu blicken: und daher in eine Über-Phänomalität. Die Phänomene werden in dieser Phänomenologie auch nicht diskriminiert wahrgenommen, sondern in ihrer Reinheit, Ganzheit, Ursprünglichkeit und Verwobenheit miteinander. Wie Schopenhauer sagt, verfügt das Genie über eine reine, objektive Anschauung der Dinge, die dabei nicht dem Willen unterworfen ist: so wie eben im Satori auch nicht. Auch das Genie ist der Gegenbegriff zu einem verdinglichenden, seinen Gegenstand vereinnahmenden Denken. (Freilich hängt am Genie auch noch ein Mensch dran, der vom Temperament dann dazu ganz verschieden sein mag, aber das betrifft nicht den Geist und die Grunddisposition des Genies.)

Das westliche Denken kann keine Sinnfragen lösen, sondern setzt, in seiner eigentlichen Konsequenz, das Subjekt auf den Thron der Welt. Das Subjekt braucht, so gesehen, keine rätselhaften Sinnfragen mehr beantworten, denn es selbst ist ja der höchste Sinn weit und breit. Aller anderer Sinn in der Welt ist bestenfalls gegenüber zu seinem eigenen ein minderwertiger, eigentlich ein Infra-Sinn. Trotzdem ist auch ein solches Subjekt in Zusammenhänge eingebettet, deren Sinn sich ihm kaum erschließt, die rätselhaft sind, die älter sind und überdauernder als das Subjekt. Die Basis für eine Metaphysik ist nach wie vor gegeben: also hinsichtlich der Frage, welchen „Sinn“ das Subjekt in Relation zum Objektiven hat, und gegenüber sich selbst bzw. umgekehrt. Und so scheint der westliche Mensch idealtypisch auf einer ständigen Sinnsuche, auch mit dem Mittel seiner westlichen Wissenschaft. Die Wissenschaft ist im Wesentlichen analytisch und hat daher die Neigung, sich in der unerschöpflichen Komplexität der Erscheinungen zu verlieren… während Zen Prinzipien formulieren will, die allem Wissen zugrunde liegen. (Revel/Ricard: Der Mönch und der Philosoph, Köln, Kiepenheuer und Witsch 1999, S.246) (wenngleich Descartes das ja auch wollte). Das Zen-Wissen hingegen ist ein vollständiges metaphysisches Wissen.

Das westliche Denken setzt, entlang seiner Denkbahn, das Subjekt in das Zentrum der Welt. Doch das östliche Denken und das Satori ergreift die transzendentale Subjektivität, in der Ursprünglichkeit seiner Wahrnehmung. Die transzendentale Subjektivität in der westlichen Philosophie bedeutet die Bedingung der Möglichkeit, das wahrnehmende Subjektivität sein kann; es ist eine Reflexion, ein Bewusstsein über das Bewusstsein.  

Mit dem westlichen Denken ermächtigt sich das Subjekt selbst, setzt Kräfte in die Welt und multipliziert und potenziert diese. Darauf kann es sich schon was einbilden (und sich mächtig fühlen). Aber über das Satori kommt man mit der ganzen Grundstruktur der Wirklichkeit zur Deckung: das ist dann jenseits von Machtgefühl, sogar von Freiheitsgefühl (man hat dann sowohl in Bezug auf ein Machtgefühl oder ein Freiheitsgefühl keine Ansichten mehr).

Mit dem westlichen Denken kann man kausale Ketten bilden und ein wenig, dafür effektiv in die Zukunft sehen. Allerdings reichen die kausalen Ketten nur über zwei, drei Ecken, dann ist ihre Kraft erschöpft bzw. diffundiert. Mit dem Satori hingegen sieht man nicht über zwei, drei Ecken, sondern man sieht den ganzen Schaltplan. Man kann zwar, über das Satori allein, keine Kausalketten bilden, aber es überrascht einen nichts mehr, was in der Zukunft oder um die nächste Ecke passiert. Über das Satori sieht man den Phasenraum, eine abstrakte Dimension, in der alle möglichen Zustände eines dynamischen Systems abgebildet sind. Mit dem westlichen Denken berechnet man. Aber mit der Flexibilität und Anhaftungslosigkeit des östlichen Denkens berechnet man den Zustand der Welt mit jedem Augenblick neu.

Die Zen-Wahrnehmung betrachtet die Wirklichkeit als ein „Feld“, in dem die Dinge miteinander verbunden sind. Gleichzeitig erfreut es sich über das ursprüngliche Aufsteigen der Phänomene aus dem Urgrund der Leere (diesem Moment, diese Augenblicksverfassheit festzuhalten und zum Ausdruck zu bringen ist das große Ziel vor allem in der japanischen Kunst: der Tuschezeichnung, dem Haiku-Gedicht, dem No-Theater). Die Grundstruktur der Welt ist: ein Motiv erscheint vor einem Hintergrund. Inwieweit verweist das Motiv und der Hintergrund aufeinander, inwieweit sind sie vielleicht auch recht verschieden? Artikuliert das Motiv den Hintergrund, oder umgekehrt? Vielleicht ist es so, dass das „westliche“, analytische Denken das Motiv in den Blick nimmt, während das „östliche“, synthetische Denken eher den Hintergrund betrachtet. Damit sind sowohl das östliche als auch das westliche Denken „diskriminierende“ Sichtweisen, denn sie diskriminieren entweder Motiv oder Hintergrund. Mit dem Satori könnte man lernen, sehr flexibel ständig zwischen Motiv und Hintergrund zu switchen und so eine große geistige (und persönliche) Flexibilität und Fluidität zu verwirklichen. Mit dem westlichen Denken könnte man begreifen, dass der Hintergrund keine „Leere“ oder ein kontingentes Geflecht von Phänomenen ist, sondern Sinn hat, ein rationaler Verweisungszusammenhang ist, der Ausdruck eines Logos. Ein solches Denken sollte dann fähig sein, die Unendlichkeit zu sehen. Diese Unendlichkeit wird dann keine zen-buddhistische Leere sein, sondern, im Geist der Wissenschaften und des Fortschreitens in der Zeit, eine Art fraktale Geometrie. Man blickt so gleichermaßen an Anfang und Ende der Zeit, fasziniert sich aber doch an den innerzeitlichen Prozessen und berechnet sie. Ist eine größere Vervollkommnung möglich? Kannst du das übertreffen, kann überhaupt der Buddha das übertreffen?

*

Gewaltige Wogen folgen aufeinander, gischtspeiende Brecher überfluten den Himmel. Wer ist im Besitz der strahlenden Perle, die die Ozeane zu beruhigen vermag? (Yijing) Wie sich mittlerweile auftut, haben die Menschen im Osten und die Menschen im Westen verschiedenen Hirnstrukturen. Diese Hirnstrukturen haben sich durch jahrhundertelange Enkulturation jeweils ausgebildet. Die Zen-Übung arbeitet schließlich auch auf eine Änderung der Hirnstruktur hin. Was gleichzeitig leicht sein mag, aber, und vor allem eben auch schwierig. Die Hirnströme bei Meditierenden laufen anders; die von Menschen, die in der Meditation sehr geübt sind, sogar ganz anders als die von herkömmlichen Menschen. Wollen wir nicht alle das Superhirn erreichen, die Superintelligenz? Wenn aber westliches und östliches Denken zusammenkommen, so entsteht sicherlich das totale Denken. An die Stelle des logischen oder des dialektischen Denkens, des rechnenden Denkens oder des kritischen Denkens oder des rhizomatischen oder des besinnlichen Denkens – anstelle des „westlichen“ und des „östlichen“ Denkens – will ich also das TOTALE DENKEN setzen, das all das zusammendenkt. Es ist überhaupt Denken, Sinnlichkeit und Fühlen gleichermaßen. Die Wirklichkeit ist eine Totalität, also muss auch das Denken total werden, um der Wirklichkeit angemessen begegnen zu können.

Das Bewusstsein dieses Denkens, die Wahrnehmung dieses Denkens, wird das Einheits-Bewusstsein sein, eine totale, dichte, halluzinatorisch-luzide Sicht auf die Wirklichkeit, eine demokratische, nicht-diskriminierende Sicht auf die Wirklichkeit, das auch das Paradox und die Aporie verwunden hat. Es ist Denken und Meta-Denken zugleich, und es ist eine Luzidität, die gleichzeitig in diese Welt blickt, als auch in alle möglichen anderen. Die Metaphysik und die Sphäre des Idealen reichen in diese physische und physikalische Welt sowieso herein. Warum also nicht so total denken, dass es real und ideal ist, physikalisch und metaphysikalisch? Das eine ist der Wirklichkeitssinn, das andere der Möglichkeitssinn. In einer platten Sprache ist das eine Intelligenz, das andere die Kreativität. Im totalen Denken treffen sie sich in einer einheitlichen Sphäre.

Die Intelligenz nimmt Dinge ernst. Die Kreativität erlaubt ein Spiel, das ein wenig unernst ist. Das Geheimnis des totalen Denkens ist, dass es alle Dinge ernst nimmt. Und gleichzeitig kein Ding vollständig ernst nimmt. Es ermöglicht Statik und Dynamik gleichermaßen. Statik und Dynamik, statische und dynamische Zusammenhänge, sind die Grundstruktur, die Koordinatenachsen der Welt. Damit hat das totale Denken auch in der Hinsicht die Welt im Kopf.

Oh ja, ganze Universen entstehen vor dem geistigen Auge des totalen Denkens, und — aber das totale Denken weiß sich auch zu beschränken. Es ist nicht allein großer – und legitimer – Bombast, sondern gleichzeitig auch was sehr Kleines und Feines; ein Geheimnis. Während alle Welt lärmt und schreit – und vor allem: rasselt! – hockt das totale Denken bescheiden in einer Ecke; wie alles Denken vollzieht es sich zunächst heimlich und schweigend. Anstatt enervierend zu rasseln arbeitet das totale Denken sich selbst lieber genau und detailliert aus und präsentiert eine fein säuberliche Arbeit. Alle Dinge auf der Welt sind groß und klein zugleich, also ist auch das totale Denken groß und klein zugleich: damit imitiert es die Verhältnisse in der Welt.

In diesen Rätseln spreche ich es nun aus: die Botschaft vom totalen Denken, das alle vier Himmelsrichtungen beherrscht. Ich habe hier aber auch eine genaue Betriebsanleitung dafür endlich detailliert dargetan. Die ganze Sache ist so klar wie der Tag.

Lichtscheues Gesindel, das lieber auf seinen kriminellen, krummen Pfaden wandert, mag die Helle des Tages, und des totalen Denkens und des Einheits-Bewusstseins, wahrscheinlich meiden. Entkommen tut es ihm aber nicht.

*

Westen und Osten sind dabei übrigens nicht alle vier Himmelsrichtungen. Es erscheint mir notwendig, auch das „nördliche“ und das „südliche“ Denken zu reflektieren. Während aber das westliche Denken Philosophie und Physik ist und das östliche eine Metaphysik, scheint es mir entlang der anderen beiden Himmelsrichtungen ein mythologisches (oder religiöses) Denken zu sein. Mythologisches Denken ist, in der einen oder anderen Form, überall in der Welt vorhanden, auch in den so genannten aufgeklärten Vernunftgesellschaften. Mythologisches Denken ist allerdings weder philosophisch noch physikalisch noch metaphysikalisch und scheint als nicht in solche Sprachen übersetzbar. Es erscheint als Pathologie des Subjekts, das sich viel zu wichtig nimmt, und keine eigentlichen, verbindlichen, rationalen Objektivitätsansprüche neben sich gelten lassen will. Aber wir müssen es trotzdem beachten und ernst nehmen, vor allem in einer Zeit, wo auch die aufgeklärten Vernunftgesellschaften (angeblich) anfälliger werden für Irrationalismen und Mythologien. Ich freue mich, dass ich diese nunmehr jahrelange Arbeit am „westlichen“ Denken und „östlichen“ Denken und wie sich beides vereinigen lässt, mit diesem Stück jetzt scheinbar endlich fertig systematisiert habe. Die nächsten paar Jahre werde ich mich also unter anderem dem mythologischen Denken widmen, und vor allem, wie bestimmte Kulturräume bestimmte Vernunfttypen hervorbringen.

Jahresrückblick und Erläuterungen zum absoluten Geist in der absoluten Form

Ich habe mir dieses Jahr einverleibt vor allem: die Philosophie Kants und die Geschichte und Essenz der Sowjetunion, als eines Staatsgebildes, das auf Philosophie, oder zumindest etwas dazu Ähnlichem begründet werden sollte. Ich habe auch erledigt die Philosophien von Spinoza und Leibniz, was weniger Arbeit war, da diese Philosophien nicht so umfangreich sind. Ich will aber Leibniz mir noch intensiver anschauen, und habe mir im Roten Antiquariat auch den Doppelband mit seinen politischen Schriften gekauft, vor allem muss ich seine Schriften über China lesen. Ich bewundere die Intelligenz von Leibniz und ich mag ihn auch als Schriftsteller, auch wenn er kein poetischer Schriftsteller ist, sondern ein (sehr guter) rationaler. Ich habe mich in diesem Jahr hinsichtlich der Poeten und Schriftsteller zu Baudelaire und zu Ibsen geäußert, außerdem was gesagt zum Surrealismus und zur Pop Art, und zu den Poetes Maudites, zu denen neben Baudelaire auch die M.I.A. gehört. Außerdem habe ich endlich alles zum Thema Schönheit (und Gil Elvgren) gesagt.

Da mein Geist der Raum selbst ist, muss er alle geistigen Gebilde und alle Phänomene und alle Interpretationsmöglichkeiten der Phänomene umfassen, sie in sich einbauen und sich unterordnen. Das Ergebnis wird sich gut anfühlen. Und es wird sein der absolute Geist in der absoluten Form.

Während zB bei Hegel der absolute Geist sich auffächert in Kunst, Philosophie und Religion, sollen beim absoluten Geist in der absoluten Form solche Segragationen nicht mehr bestehen. Die Rede des absoluten Geistes in der absoluten Form soll Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Religion/Ethik in einem sein. So wie die Mathematik dazu da ist, quantitative Verhältnisse in der Welt exakt zu bestimmen, soll der absolute Geist in der absoluten Form dazu da sein, die Qualitäten und die qualitativen Verhältnisse in der Welt zu bestimmen; möglichst so exakt wie die Mathematik das tut. Dazu ist eine große Reinheit des Geistes notwendig.

Das Problem des absoluten Geistes (das auch Hegel nicht lösen konnte) ist, dass der absolute Geist mit der Tiefe der Welt konfrontiert ist. „Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht.“ Soll heißen: die Welt besteht aus einer für den Geist überabzählbaren Menge von Gegenständen, die sich in Raum und Zeit entfalten, und die niemals alle adäquat erfassbare Gegenstände der Erfahrung sein können, über die sich der absolute Geist konstituiert. Jetzt will zB Hegel das so lösen, indem der absolute Geist so durchreflektiert ist, dass er die Totalität aller möglichen Erfahrung simuliert und so das Dunkel der überabzählbaren Menge der Gegenstände, die die Welt bilden, behelfsmäßig ausleuchtet. Der Zen-Buddhismus versucht was Ähnliches und formuliert die Idee vom Satori. Trotzdem hat Hegel eine Vorstellung vom Ende der Geschichte notwendig, an dem allein letztendlich alles aussortiert werden sein kann. Der Zen-Buddhismus hingegen kennt keine Geschichte: und das Satori kennt nur sich selbst, aber nicht den absoluten Geist in Form von Kunst, Philosophie und Religion; es kennt auch keine Wissenschaft. Der Geist des Ostens ist, bezogen auf unser Verständnis, weder analytisch noch dialektisch; sondern er bemüht sich darum, mit den Aporien umzugehen, die unser Dasein letztendlich begrenzen, und die in unser Dasein hineinwirken, mal näher, mal ferner von der Alltagserfahrung. Das sind jeweils die Stärken als auch die Schwächen vom absoluten Geist in der westlichen wie in der östlichen Fassung.

Daher ist es notwendig, beides (also die „westliche“ und die „östliche“ Vorstellung vom Geist) hin zu überschreiten in die vom absoluten Geist in der absoluten Form. Indem der absolute Geist in der absoluten Form der Raum selbst ist, umfasst er sphärengleich auch die Zeit und konstituiert sich in einer sowieso höheren Dimensionalität, bzw., wenn man so will, als Metaebene gegenüber dem bloßen absoluten Geist. Ganz einfach gesagt, ist der absolute Geist in der absoluten Form halt noch mal ein Level drüber über dem bloßen absoluten Geist, weil er ultradialektisch ist und weil er die Abarbeitung am Koan, über die sich das Satori konstituiert, nicht mehr nötig hat, da sich in seiner Dimensionalität die Aporien, die an den Rändern des Seins lauern, zwar nicht auflösen, aber irrelevant werden, verwunden werden. Weil der absolute Geist in der absoluten Form ultradialektisch ist, prozessiert er theoretisch schneller als die Zeit, überholt damit theoretisch die Zeit und macht sich daher theoretisch auch die Tiefe der Zeit untertan. Der absolute Geist in der absoluten Form blickt auf die Dinge und ihren Verlauf gleichsam aus dem Phasenraum heraus, einem mathematischen Raum, der alle möglichen Zustände eines dynamischen Systems abbildet. Wenn sich der absolute Geist in der absoluten Form konstituiert hat, wird alles, was in der Zukunft passiert oder wo einem die Vergangenheit einholt, ein bloßes Addendum sein zu der Gestalt, die der absolute Geist in der absoluten Form schon vorher angenommen hat. Ein „Ende der Geschichte“ ist nicht mehr notwendig.  Der absolute Geist in der absoluten Form rotiert in der Zeitlichkeit und in der Ewigkeit und umfasst beide. Während bei Hegel die Eulen der Minerva zu ihrem Flug in der Dämmerung ansetzen, ist es auf der Uhr des absoluten Geistes in der absoluten Form alle Zeit des Tages gleichzeitig. Gleichzeitig weiß der absolute Geist in der absoluten Form im Sinn des Koan, dass die Eulen nie weggeflogen sind.

Was mich ständig angetrieben hat, war die Intelligenz und das Vorstellungsvermögen immer weiter und weiter zu radikalisieren, und zu sehen, wo man dann hinkommt, beziehungsweise um hoffentlich, so es diese überhaupt gibt, bei den letzten Dingen anzukommen. Dann sollte ich, eine getriebene Kreatur, endlich Ruhe finden. Der absolute Geist in der absoluten Form ist endlich das Transzendental dazu, und so agiert der absolute Geist in der absoluten Form in absoluter Geschwindigkeit in absoluter Ruhe (da er kein Ziel mehr außerhalb seiner selbst hat). Wie gesagt, der absolute Geist in der absoluten Form wird sich gut anfühlen.

Eine gute Methode, sich bei fast allen unbeliebt zu machen, ist die Entwicklung des absoluten Geistes in der absoluten Form. Insofern der absolute Geist in der absoluten Form auch eine poetische Komponente hat, gleicht er dem Weltgeist, der luzide träumt.

Bemerkungen zu Spinoza

Spinoza ist bislang nicht einmal ansatzweise begriffen worden, nicht von den anderen und nicht von mir.

Gilles Deleuze

Es gibt bei Spinoza nichts zu begreifen, denn nach allem, was wir wissen, gibt es keine Substanz. Substanz ist keine empirische Kategorie. Substanz ist bei Spinoza eigentlich überhaupt nur eine Definition. Ethik, Erster Teil, Definition 3: Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich vorgestellt wird, d.h. das, dessen Vorstellung nicht der Vorstellung eines anderen Gegenstandes bedarf, von welcher sie gebildet werden muss. Es gibt aber wohl nichts, für dessen Vorstellung es nicht auch die Vorstellung eines anderen Gegenstandes bedarf, auf dass man sie sich bilden könnte. Überhaupt beginnt die Ethik, Erster Teil, mit Definition 1: Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder das, dessen Natur nur als existierend vorgestellt werden kann. Es gibt, soweit wir wissen, aber nichts, was rein Ursache seiner selbst wäre (und es gibt auch, zumindest für mich, nichts, was ich mir nicht auch als nicht existierend vorstellen könnte). Die Kategorie von der Substanz ist für Spinoza ein Mittel, mit dem er sich das Sein als logisch zusammenhängend vorstellen kann. Aber etwas, was logisch zusammenhängt, muss nicht empirisch zusammenhängen. Logik sagt nicht unmittelbar oder zwingend was darüber aus, wie sich etwas empirisch verhält. Zur Zeit Spinzoas, allgemein vor hunderten oder tausenden von Jahren, war es um das empirische Wissen über das Sein noch nicht gut bestellt. Philosophie war daher – am berühmtesten in der Scholastik – ein sich Abarbeiten an begrifflichen Abstraktionen und der Analyse dieser begrifflichen Abstraktionen, über die man das Sein und die Qualitäten des Seins zu verstehen gedachte. „Substanz“ ist eine solche begriffliche Abstraktion. Derartige begriffliche Abstraktionen, die von den alten Griechen geschaffen wurden, sind ein besseres Instrument zur Erkenntnis und Analyse der Welt als (animistische) Gottesvorstellungen oder Mythologien. Die alten Griechen setzen damit also an die Stelle des mythologischen Denkens ein philosophisches Denken und ein rationales und ein wissenschaftliches Denken (oder zumindest Vorstufen davon). Begriffe sind etwas Notwendiges, mit dem sich der Mensch die Welt begreiflich macht. Gleichzeitig sind sie limitiert, da sie abbilden, wie sich der menschliche Verstand die Welt begreiflich macht: sie sind Instrumente unseres Verstandes. Unser Verstand ist begrenzt. Er muss durch (sehr viel) Wissen, welches über die Empirie gewonnen wird, erweitert werden. Wissen über Tatsachen kann nicht über logische Schlüsse gewonnen werden, sondern nur durch Beobachtung (und theoretisches Verständnis). Anstelle von Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz einschliesst, oder das, dessen Natur nur als existierend vorgestellt werden kann sollte der Ausgangpunkt des Philosophierens besser sein: Die Welt ist alles, was der Fall ist. (Vielleicht ist es noch angemessener, keinen definitiven Ausgangspunkt zum Philosophieren zu nehmen, da der dann praktisch immer einen pfadabhängigen Verlauf und, so wie bei Hegel oder bei der Tractatus-Philosophie von Wittgenstein, ein fragwürdiges Ende nach sich zieht.) Spinozas Philosophie ist der Versuch, aus anfänglichen Thesen (bzw. thetischen Setzungen), Definitionen und Axiomen durch Deduktion und durch die „geometrische Methode“ (nach dem Vorbild von Euklid) zu einem vollständigen philosophischen System zu kommen, oder zumindest zu allgemeingültigen philosophischen Aussagen. Die geometrische Methode – more geometrico – ist wohl ein angemessenes Verfahren für die Geometrie. Aus Begriffen, die in der Regel keine quantitativen Verhältnisse sondern Qualitäten – und damit etwas Unscharfes – bezeichnen, lässt sich jedoch auch nicht eindeutig was Deduzieren. Wahrscheinlich deswegen frägt man sich bei Spinozas Deduktionen immer wieder ob, angesichts der Zweifel, die sie aufwerfen, der Verstand von Spinoza nicht richtig funktioniert oder der eigene defekt ist. Das ist tatsächlich nicht leicht zu unterscheiden und würde erheblichen Aufwand an Klärung erfordern, der aber wahrscheinlich nicht lohnt (da es ja, wie gesagt, sowieso keine Substanz u. dergl. mehr gibt). Spinoza strebt unerschütterliche Klarheit und Folgerichtigkeit an, aber man fühlt sich kaum wo so sehr in einer Zone der Dämmerung wie in der Lektüre der Ethik. Die Ethik ist auch ein Buch über Gott; indem Spinoza Gott mit der Substanz gleichsetzt. Mit der logischen geometrischen Methode wird dann auch Existenz Gottes in der Ethik bewiesen. Gottesbeweise beruhen in aller Regel auf Logik. Allerdings lassen sich auch gegen alle Gottesbeweise rein logische Einwände erheben, was die Sache selbst – die Frage nach der Existenz Gottes – rein logisch unentscheidbar macht. Die Gottesbeweise oder auch Gegenbeweise reduzieren sich damit von logischen Beweisen zu logischen Argumenten, die also in Ansatz gebracht werden können, oder auch nicht. Nun ja. Bei Spinoza heißt es auf jeden Fall in Ethik, Erstes Buch, Definition 6: Unter Gott verstehe ich das unbedingt unendliche Wesen, d.h. die Substanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige oder unendliche Wesenheit ausdrückt. Schopenhauer meint,  – und so könnte man mit ihm meinen –, Substanz sei nichts als ein anderer Begriff für die Materie; mithin also auch für die Selbstorganisation der Materie. Aber Gott ist bei Spinoza ein intelligibles Wesen. Ethik, Zweiter Teil, Lehrsatz 1: Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Ding. Bei Spinoza hat man also die Ontologie eines sich selbst entfaltenden, intelligiblen Gottes, bzw. eines Seins, das Ausdruck dieser Selbstentfaltung Gottes ist (daher gilt Spinoza als „Pantheist“). Gilles Deleuze ist zwar Atheist, aber fasziniert – geradezu hypnotisiert – von Spinoza, da ihm Philosophien von einem immanenten, univoken Sein, das nicht von einem höheren Prinzip geleitet wird und nicht hierarchisch gestaffelt ist und das sich noch dazu gleichsam vitalistisch entwickelt, behagen – und eine solche Philosophie will er (unter anderem) bei Spinoza rauslesen. Bei Spinoza selbst entfaltet sich dieses göttliche Sein allerdings zunächst mit einer gar nicht so vitalistischen Konnotation, sondern mit einer eisernen Notwendigkeit. Gott muss sich notwendigerweise auf die richtige Weise entfalten (und von einer „richtigen“ Weise nimmt man an, dass es eine einzige Weise ist). Was Gott geschaffen hat, ist daher notwendig und notwendigerweise vollkommen. Ethik, Zweiter Teil, Definition 6: Unter Realität und Vollkommenheit verstehe ich ein und dasselbe. Das Verständnis von Spinoza von Vollkommenheit liegt dabei jenseits von Gut und Böse. Als gut und böse mögen wir allenfalls etwas empfinden, was uns innerhalb der viel größeren Entfaltung des göttlichen Seins zustößt. Ein Ziegelstein fällt uns auf den Kopf, weil wir zufällig drunter vorbeigehen, und wir empfinden es als böse. Wir gewinnen im Lotto, weil wir zufällig die richtigen Zahlen haben, und wir empfinden es als gut. Für die Entfaltung des Seins selbst ist das ohne Bedeutung. Das kann man als Verhöhnung empfinden. Oder aber auch als Hinweis, einen abstrakteren Standpunkt gegenüber sich selbst und gegenüber dem eigenen Schicksal einzunehmen. Nicht zuletzt deswegen lädt uns die Ethik von Spinoza ein, unsere Alltagsverständnisse und -empfindungen zu transzendieren und vielmehr das göttliche Wesen zu schauen. Entgegengesetzt zur Philosophie von der Notwendigkeit der Entfaltung des göttlichen Seins gibt es bei Spinoza nämlich auch eine Philosophie von der Freiheit des Menschen, über die er in der Lage ist, das, was ihm als aufoktroyiert erscheint, zu überschreiten und hinter sich zu lassen. Für Antonio Negri, der ein intensives Bedürfnis nach „Befreiung“ hat, ist Spinoza sogar der großen Referenzphilosoph und, neben Marx, der zentrale politische Philosoph. Das, was bei Spinoza in der Ethik als abstrakte Philosophie entgegentritt, war nämlich ursprünglich vielmehr eine politische Philosophie. Weil Spinoza zu frei und unbequem dachte, wurde er bekanntlich früh aus seiner (jüdischen) Religionsgemeinde verstoßen und musste sein Leben unbequem als Verfemter und Außenseiter fristen. Spinoza was also ein Opfer von Politik. Von daher ging es ihm urtümlich darum, eine Politik zu ermöglichen, in der so etwas nicht vorkommen kann. In seinem frühen Theologisch-Politischen Traktat formuliert er: Aus den oben dargelegten Grundlagen des Staates folgt ganz offenbar, dass der letzte Zweck des Staates nicht ist zu herrschen noch die Menschen in Furcht zu halten oder sie fremder Gewalt zu unterwerfen, sondern vielmehr den einzelnen von der Furcht zu befreien, damit er so sicher als möglich leben und sein natürliches Recht zu sein und zu wirken ohne Schaden für sich und andere vollkommen behaupten kann. Es ist nicht der Zweck des Staates, die Menschen aus vernünftigen Wesen zu Tieren oder Automaten zu machen, sondern vielmehr zu bewirken, dass ihr Geist und ihr Körper ungefährdet seine Kräfte entfalten kann, dass sie selbst frei ihre Vernunft gebrauchen und dass sie nicht mit Zorn, Hass und Hinterlist sich bekämpfen noch feindselig gegeneinander gesinnt sind. Der Zweck des Staates ist in Wahrheit die Freiheit. (20. Kapitel) Vernunft und eine Leitung durch Vernunft ist das, was Spinoza anstrebt, und im Theologisch-Politischen Traktat versucht er nachzuweisen, dass alle auf Religion beruhenden Gemeinschaften eigentlich auf vernünftigen Einsichten beruhen, und nicht auf Dogmen. Die Entrüstung, die Spinoza damit provozierte, war abermals groß, und der Theologisch-Politische Traktat wurde verboten (Spinoza hat daraufhin zu Lebzeiten nichts mehr veröffentlicht). Im späteren, posthum veröffentlichen Politischen Traktat formuliert Spinoza und bleibt dabei (Kapitel V §1): In §11 des Kapitels II haben wir gezeigt, dass ein Mensch dann in höchstem Maße unter eigenem Recht steht, wenn er sich in höchstem Maße von der Vernunft leiten lässt, und dass folglich (vgl. §7 des Kapitels III) dasjenige Gemeinwesen im höchsten Maße über Macht verfügt und unter eigenem Recht steht, das auf der Vernunft sich gründet und dadurch sich regiert. (Im Politischen Traktat untersucht Spinoza, wie verschiedene Regierungsformen (Monarchie, Aristokratie) wohl geordnet und funktional bleiben können, anstatt zu degenerieren; das letzte Kapitel, Einiges zur Demokratie, bricht leider nach ein paar Seiten ab: aufgrund des Todes von Spinoza blieb es unvollendet. Für diverse Spinoza-Enthusiasten hat es daher einen umso höheren, gleichsam mystischen Stellenwert auf der Suche nach einer großen Verheißung und einer großen Lösung, die das spinozistische Denken bereithielte.) Ja, Spinoza macht sich geradezu utopische Hoffnungen in Bezug auf eine durch Vernunft regierte Gemeinschaft! Ethik, Vierter Teil, Lehrsatz 35: So weit die Menschen nach der Leitung der Vernunft leben, insoweit allein stimmen sie von Natur notwendig immer überein. (Es ist eigenartig, wie Spinoza die Trivialität nicht (an)erkennt, dass sich auch aus der Vernunft allein Streitigkeiten ergeben können. Aber diesen eigenartigen Rigorismus hat man bei Spinoza und seiner streng geometrischen Methode, wie gesagt, überall.) Das große Unglück für Spinoza ist, dass die Menschen nicht gemäß ihrer Vernunft leben, sondern hauptsächlich ihren „Affekten“ unterworfen sind. Ethik, Vierter Teil, Lehrsatz 35, Erläuterung: Es geschieht jedoch selten, dass die Menschen nach der Vernunft leben, sondern es ist mit ihnen so bestellt, dass sie meist neidisch und einander lästig sind. Und nicht nur das: Sie werden von den Affekten der Liebe, des Hasses, der Furcht, der Ehrsucht, des Zorns u.v.m. hin- und hergeworfen. Am besten ist es zudem, man stelle sich diese Affekte nicht allein als etwas unmittelbar Präsentes, als Gefühlsäußerung vor. Affekte können auch neurotische Zentren und Knoten sein, oder überhaupt die innere Architektur eines Menschen bestimmen. Und aus dieser Affektlage heraus nimmt er dann zu einem tatsächlichen Teil die Welt wahr. Oder aber: es ist erstaunlich, wie Affekte darüber bestimmen, ob wir etwas tatsächlich für wahr oder für falsch halten oder aber so oder so handeln. Ich selber halte Affekte auch für was Primitives und Störendes. Zwar vielleicht nicht die Affekte an sich oder die Stimmungen in einem: sondern ihre Bindung an das Ego. Zorn, Stolz, Scham, Hass, Neid, Machtstreben, Dünkel oder Furcht sind zwar Stimmungen und Reaktionsmöglichkeiten auf Umwelteinflüsse, die im Verstand liegen (es ist zum Beispiel eine unmittelbare Eingebung des Verstandes, Ausgleich zu suchen für eine Imbalance, die einem widerfährt: das ist nicht unvernünftig, vielmehr wäre es unvernünftig, das nicht zu tun); zu Affekten werden sie aber erst, wenn sie einen allzusehr als Person, also über das eigene Ego betroffen machen. Dann mögen sie das Ego zur Unvernünftigkeit hinreissen. Ich selbst finde es vor allen Dingen auch gut, zum Feuerkern der Vernunft vorzudringen. Das ist dann die Weiße Hütte. Wenn man alle Traditionen, Ideologien, angelernte Erkenntnisse (hinter denen insgesamt oft Affektbesetzungen stecken) intensiv durchdacht und durchlebt und daher hinter sich gelassen hat, wird man schließlich in einem weißen Licht stehen, in dem Gegenstände als Kräuselungen und Wellen an einem vorbeiziehen. Das ist der Moment der Erleuchtung. Was verbirgt sich aber weiter drinnen, im Zentrum der Weißen Hütte? Das ist ein großes Geheimnis und ein Weg, den nur du selbst gehen kannst. Aber ist die Weiße Hütte erreicht und hat man die Weiße Hütte betreten und kennengelernt, ist das Geheimnis dieses: Man hat volle Manövrierfähigkeit des eigenen Geistes. Dieser ist nicht mehr an traumatische affektive Zentren gebunden. Laut Spinoza ist die höchste Erkenntnis die Erkenntnis Gottes. Ethik, Vierter Teil, Lehrsatz 28: Das höchste Gut der Seele ist die Erkenntnis Gottes, und die höchste Tugend der Seele Gott erkennen. Und Ethik, Vierter Teil, Anhang, Satz 4: Es ist deshalb im Leben das Nützlichste, den Verstand oder die Vernunft so viel als möglich zu vervollkommnen; darin allein besteht des Menschen höchstes Glück oder seine Seligkeit. Denn die Seligkeit ist die Seelenruhe, welche aus der anschaulichen Erkenntnis Gottes entspringt. Die Vervollkommnung unseres Verstandes besteht aber auch nur in der Erkenntnis Gottes, seiner Attribute und seiner Handlungen, welche aus seiner Natur mit Notwendigkeit folgen. Deshalb ist das höchste Ziel eines von der Vernunft geleiteten Menschen, d.h. sein stärkstes Begehren, wodurch es alle anderen zu mäßigen strebt, sich und alles, was seiner Erkenntnis erreichbar ist, zureichend zu begreifen. Die Weiße Hütte oder die Gotteserkenntnis Spinozas sind keine trivialen geistigen Verfassungen. Sie können nur durch Anstrengung (und Glück) erreicht werden und basieren auf einer höheren Art zu denken. Spinoza spricht von einer „dritten Art“ des Denkens. Ethik, Zweiter Teil, Lehrsatz 40, Erläuterung 2.3: Außer diesen beiden Arten von Kenntnis gibt es noch, wie ich demnächst zeigen werde, eine dritte Art, welche ich das anschauliche Wissen nennen werde. Diese Art der Erkenntnis schreitet von der zureichenden Vorstellung des wirklichen Wesens einiger Attribute Gottes zu zureichender Erkenntnis des Wesens der Dinge vor. Ich kann nur für das Hüttendenken sprechen, aber im Licht der Weißen Hütte erscheinen die Gegenstände luzider und die Unterscheidungen zwischen den Gegenständen deutlicher – sie scheinen überhaupt zum ersten Mal als tatsächliche Gegenstände wahrnehmbar. Das scheinbar synthetische Licht der Weißen Hütte stärkt das Analysevermögen. Das wiederum stärkt die Fähigkeit zu Syntheseleistungen. Ethik, Fünfter Teil, Lehrsatz 24: Je mehr man die einzelnen Dinge erkennt, desto mehr erkennt man Gott. Und im Beweis zum folgenden Lehrsatz 25 steht: Die dritte Art des Wissens schreitet von der zureichenden Vorstellung einiger Attribute Gottes zur zureichenden Erkenntnis der Dinge fort (II L.40 E.2). Je mehr man die Dinge erkennt, desto mehr erkennt man Gott (V L.24). Und schließlich Ethik, Fünfter Teil, Lehrsatz 30: Soweit unsere Seele sich und den Körper in der Form der Ewigkeit kennt, insoweit hat sie notwendig die Erkenntnis Gottes und weiß, dass sie in Gott ist und durch Gott vorgestellt ist. Die dritte Art der Erkenntnis führt bei Spinoza also zur Erkenntnis, dass man Teil der göttlichen Substanz ist, quod erad demonstrandum im Rahmen seiner Philosophie. Ich halte das für eine Fantastik, sich (tatsächlich, buchstäblich) für einen Teil einer göttlichen Substanz zu halten. Aber ähnliche Zustände sind mir schon bekannt – und sind einem allgemein im Leben bekannt. Das sind die guten Zustände (bei denen die Gefahr aber besteht, dass sie mit Affekten besetzt werden und dann verklärt werden). Im säkularisierten Spinozismus von Deleuze bedeutet die ominöse dritte Art des Denkens, dass man die Dinge so erkennt, wie Gott selbst sie erkennt. In der dritten Erkenntnisart bilden wir Ideen und aktive Affekte, die so in uns sind, wie sie unmittelbar und ewig in Gott sind. Wie denken, wie Gott denkt, wir empfinden selbst die Affekte Gottes. Wir bilden die Idee von uns selbst, so wie sie in Gott ist, und wenigstens zum Teil bilden wir die Idee Gottes, so wie sie in Gott selbst ist: die Ideen der dritten Art konstituieren also eine noch tiefere Dimension des Eingeborenen, und die Freuden der dritten Art sind die einzig wahren Affektationen des Wesens in uns selbst (Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie, Neunzehntes Kapitel). Im Inneren der Weißen Hütte ist man auf eine Art im Innenraum des Geistes und die Erkenntnisse werden so allgemein und tiefenscharf, dass sie des Zeitlichen enthoben werden, und abstrakt, dass sie also ewig und unsterblich werden. Diese abstrakte Unsterblichkeit des Verstandes, seine ewige Geborgenheit in Gott, hat man auch bei Spinoza als letztes menschenmögliches Ding. In diese abstrakte Unsterblichkeit ist auf jeden Fall der Geist von Spinoza eingegangen, der mit dem werdenden Gott des Weltprozesses mitzieht. Während des Lebens ist man, laut Spinoza, allerdings weniger abstrakt und vollkommen, sondern Affekten unterworfen. Für die Affekte hat sich Spinoza sehr interessiert, er betrachtete ihre Analyse und Würdigung als etwas, das zu wenig beleuchtet sei. Die Affekte, von denen wir mitgenommen werden, verstehen Philosophen als Fehler, in die die Menschen durch eigene Schuld verfallen. Deshalb pflegen sie sie zu belachen, zu beklagen, zu verspotten oder (sofern sie sich den Anschein besonderer Sittenreinheit geben wollen) zu verdammen. Sie glauben dergestalt etwas Erhabenens zu tun und den Gipfel der Weisheit zu erreichen …. Um das, was Gegenstand dieser Wissenschaft ist, mit derselben Unbefangenheit, mit der wir es bei der Mathematik zu tun pflegen, zu erforschen, habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. Deshalb habe ich die menschlichen Affekte, wie beispielsweise Liebe, Hass, Zorn, Neid, Ruhmsucht, Mitleid und die übrigen Gemütsbewegungen, nicht als Fehler der menschlichen Natur betrachtet, sondern als deren Eigenschaften, die zu ihr so gehören wie zu der Natur der Luft die Hitze, die Kälte, der Sturm, der Donner und anderes dieser Art… (Politischer Traktat, Kapitel I) Das Philosophieren über die Affekte nimmt bei Spinoza großen Raum ein. Der gesamte Dritte Teil der Ethik handelt von dem Ursprung und der Natur der Affekte. Es scheint gut, dass ein Philosoph so vieles über die Affekte sich überlegt und somit sich ein überzeugendes Bild von Menschen zu machen bereit scheint; bei Spinoza steht der Mensch wirklich als ganzer Mensch da. Irritierend ist allerdings, wie anämisch und klinisch kalt die Beschreibungen der Affekte bei Spinoza bleiben. Darüber hinaus scheint er der Affekte gleichsam Herr werden zu wollen, indem er sie definiert und etwas über sie deduziert und so die Betrachtung über sie jeweils abschließt. Irgendwie scheint er den Affekten damit ihre Würde und ihr Eigenleben zu nehmen. Dabei stellt Spinoza im besagten Dritten Teil der Ethik in der Vorrede auch in Aussicht: Ich werde daher über die Natur und Kraft der Affekte und die Macht der Seele über sie in derselben Weise die Untersuchung anstellen, wie ich bis hier über Gott und die Seele getan habe, und ich werde die menschlichen Handlungen und Begierden ebenso betrachten, als wenn es sich um Linien, Ebenen oder Körper handelte. Wer ist derjenige, der menschliche Handlungen und Begierden so betrachtet, als wie wenn es Linien, Ebenen und Körper wären? In der Kurzen, aber wahrhaftigen Lebensbeschreibung von Benedictus de Spinoza aus authentischen Stücken und mündlichem Zeugnis noch lebender Personen zusammengestellt von Johannes Colerus, deutschem Prediger der lutherischen Gemeinde in´s Gravenhage wird Spinoza eindrucksvoll beschrieben derart: Sein Verkehr und seine Lebensweise waren still und eingezogen. Seine Leidenschaften wusste er in bewundernswerter Weise wohl zu bändigen. Niemals sah man ihn allzu traurig noch fröhlich. Seinen Zorn und sein Missvergnügen konnte er sehr wohl bemeistern oder sich ihm verscbließen, indem er es mir durch ein Zeichen oder einige kurze Worte zu erkennen gab, oder aufstand und fortging, aus Furcht, seine Leidenschaften möchten überhandnehmen. Im Übrigen war er freundlich und umgänglich im täglichen Verkehr. Spinoza gilt heute gemeinhin als der beinahe sympathischste und liebenswerteste unter den Philosophen, mit einer Philosophie, die nirgendwo aneckt und auf die sich alle einigen können, vernünftig und menschenfreundlich wie sie ist. Ganz im Kontrast dazu, was Spinoza zu Lebzeiten widerfahren ist, und bis lange über seinen Tod hinaus. Da sah man in ihm etwas Satanisches. Diese Tragik erhöht jedoch auch sein Charisma. Spinozas unterdrücktes, verfolgtes, gefährliches Leben mag leicht zu seiner „eingezogenen“ Lebensweise geführt haben. Diese Eingezogenheit und Selbstunterdrückung wird jedoch in einer gewissen Weise zur höchsten Tugend in der Philosophie von Spinoza. Ethik, Vierter Teil, Vorrede: Die Ohnmacht des Menschen in Mäßigung oder Hemmung seiner Affekte nenne ich Knechtschaft; denn der von seinen Affekten abhängige Mensch ist nicht Herr seiner selbst, sondern dem Schicksal untertan. Er befindet sich in solchem Grad in dessen Hand, dass er oft gezwungen ist, dem Schlimmeren zu folgen, obwohl er das Bessere sieht. Spinoza, so könnte man meinen, verabscheut die Knechtschaft nicht nur philosophisch, sondern in einer viszeralen Weise. Um „Handeln“ und „Tätigwerden“ hingegen betreibt er gleichsam einen Kultus. Ethik, Fünfter Teil, Lehrsatz 40: Je mehr Vollkommenheit ein Ding besitzt, umso mehr handelt es und umso weniger leidet es, und umgekehrt, je mehr es handelt, desto vollkommener ist es. Leidenschaften sah Spinoza als etwas, dass einem widerfährt, dass man erleidet, dem man unterworfen ist. Allein der Verstand, der die Leidenschaft unterdrückt, sei eine aktive, daher positive Kraft. In der Praxis freilich gehören Leidenschaften, die uns widerfahren, immer wieder zu den besten Dingen im Leben, zu der Würze des Lebens. Von daher scheint auch der Gegensatz „Vernunft = gut versus Leidenschaft = schlecht“ ein wenig eine Konstruktion. In der sich der idiosynkratische „Wille zur Macht“ bei Spinoza ausdrückt, in einer freilich ein wenig hilflos erscheinenden Weise. Für Ben-Ami Scharfstein, in seinem beeindruckenden Werk über das Leben und die Marotten der großen Philosophen (The Philosophers. Their Lives and the Nature of their Thought), scheinen bei Spinoza die Affekte der Unlust und des Hasses zu überwiegen (weswegen er sie so gleichsam panisch zu unterdrücken scheint), die der Liebe hingegen bleiben im Wesentlichen abstrakt und diffus (eben „Gottesliebe“, die, so betrachtet, eine Liebe zur eigenen kultivierten Vernunft und ihrer überlegenen Einsichtsfähigkeit ist: als Machtinstrument; und als eine Art Amor fati zum Schicksal, das man durch einen eminent indifferenten Gott erleidet, durch das man aber, zumindest irgendwie, durch Einsicht triumphiert). Spinoza hatte wenig Beziehungen zu Menschen und noch weniger zu Frauen und könnte misogyn gewesen sein (im Politischen Traktat zumindest will er Frauen, Unmündige und Knechte von der politischen Partizipation und vom Stimmrecht in der ersehnten Demokratie ausschließen). Misogynie (und Misandrie) ist gemeinhin Ausdruck eines unglücklichen, griesgrämigen, neurotisch-nekrophilen, lebensabtötenden Temperaments. Wer sich etwas so Herrlichem wie dem anderen Geschlecht versagt, ist ja gleichsam lebendig eingesargt. (Im Politischen Traktat will er Frauen und Knechte dabei konkret deswegen vom Stimmrecht ausschließen, weil sie den Männern und ihren Herren „unterworfen“ seien, und damit keine selbstständigen Individuen. Und Spinoza eben hasst Unterworfenheit.) Schopenhauer ist indigniert, insofern Spinoza „Hunde ganz und gar nicht gekannt“ zu haben scheine (Spinoza behauptet an einer Stelle, nur der Mensch könne dem Menschen ein würdiger Gesell sein). Dafür hatte Spinoza ein Faible für Spinnen und Fliegen. Allerdings ein merkwürdiges und ein wenig irritierendes. Johannes Colerus berichtet: Außerdem bestand sein Vergnügen darin, eine Pfeife Tabak zu rauchen, oder wenn es ihm um irgendeinen anderen Zeitvertreib zu tun war, so suchte er einige Spinnen und ließ sie miteinander kämpfen, oder er fing einige Fliegen, warf sie in das Netz der Spinne und sah diesem Kampf mit großem Vergnügen, selbst mit Lachen zu.

Der gegenwärtige Zustand meines Geistes

Mein Geist versucht, eine so universale Perspektive zu entwickeln wie nur möglich. Das Universale ist konnotiert mit dem Ganzen, und das Ganze ist zum einen das Eigene und zum anderen das Andere. Es ist gut, dass ich das Andere so leicht zu erfassen und ergreifen imstande bin, denn so ergreife ich progressiv das Universale. Um das Universale tatsächlich zu erfassen und ergreifen, sollte es ein osmotisches Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen geben: so wird das Eigene, über die Osmose mit dem Anderen, progressiv universaler. Es ist gut, dass ich zu solchen osmotischen Verbindungen mit dem Anderen fähig bin. Und vielleicht wäre es gut, wenn auch andere Menschen in vergleichbarer Intensität und Ernsthaftigkeit zu solchen osmotischen Verbindungen mit dem Anderen fähig wären: Man sollte daher mein Hirn erforschen, wieso es diese spezifischen Qualitäten aufweist, und die Gehirne der anderen daran anpassen. Das Eigene und das ganze Andere ist schließlich das Ganze, und die Erfassung und Ergreifung des Ganzen ist das Universale. Die Sprache des Universalen kann schlecht eine reguläre Sprache sein, sein Ausdruck schlecht ein herkömmlicher Ausdruck. Das Eigene lernt man wesentlich über das Andere kennen. Das Andere ist einerseits beredt, andererseits schweigsam und drittens sendet es bisweilen rätselhafte Zeichen aus, und es steht vor demselben Problem hinsichtlich seiner Selbstvergegenwärtigung wie das Eigene. So ist die Sprache des Ganzen – das Universale – ein zum Teil verständlicher Text, zum Teil ein Fluss von Anekdoten, Sinnsprüchen, Witzen von unterschiedlicher Qualität, Abschweifungen, Ritualistiken und Höflichkeitsformeln, Beschwörungen etc., und zu einem weiteren Teil ist sie schwer verständlich, elliptisch, zerklüftet, inkommensurabel, stellt Blöcke gegeneinander auf, errichtet Mauern. Und so übernehme ich mittlerweile diese Sprache ganz natürlich, die Sprache des Universalen; in der es Helles – grell Helles – gibt; und absichtlich Dunkles. Die Welt ist Licht und Schatten. Diese Sprache sollte zum Mitdenken einladen, zur weiteren Errichtung und Fortschreibung des Universalen. Diese erfordert eine gewisse Anstrengung, denn das Universale ist nicht das unmittelbar Gegebene, sondern muss aufgespürt werden.

Der hingeschiedene Ex-Papst erinnert mich an das ehrwürdig Hierarchische, das teilweise Schroffe und Unzugängliche, das der Katholizismus verkörpert, und das ich teilweise gut finde. Das Universale ist tiefer im Sein, älter und übergeordnet. Die eigene Subjektivität ist kleiner und unwichtiger: kann sich jedoch an das Universale annähern. Das ist die Aufgabe, ist Imperativ für die Subjektivität. Das Universale ist das Göttliche. (Das Göttliche ist dabei noch nicht Gott, sondern imitiert ihn nur.) Das Sein hat Koordinaten. Da ist zum einen eben diese Achse der Ordnung, des Starren, Erhabenen, Ehrwürdigen. Zum anderen verläuft da die Achse des Chaos, der Revolution, letztendlich auch der Auflösung. Gemeinsam spannen sie den Raum der Freiheit und der sinnvollen Beschränkungen der Freiheit auf. Freiheit ist für mich, so stelle ich bei der Gelegenheit fest, im Übrigen aber keine allzu relevante Kategorie. Auch meine Philosophie handelt kaum von der Freiheit. Vielleicht, weil meine innere Freiheit so groß ist, dass ich sie nicht einmal als solche empfinde. Beziehungsweise, weil Freiheit und die Erlangung von Freiheit für mich keine Probleme sind. Vielleicht, weil ich weniger einem Impuls der Freiheit zu folgen empfinde, sondern einer Konsequenz und Folgerichtigkeit, die sich nicht unmittelbar am Eigenen orientiert: dem Impuls, das Universale zu erfassen, und damit das Gerade, Richtige, Unumstößliche und Unkaputtbare; das, was den höchsten Wahrheitswert hat.

Ebensowenig, wie ich weiß, was Freiheit genau ist, und was daran so wichtig sein sollte, weiß ich auch nicht so recht, was Macht ist. Folgerichtig weiß ich auch nicht so recht, was Angst ist. Folgerichtig auch nicht, was Unsicherheit ist; außerdem nicht Neid, Hass, oder Kränkungen. Kränkungen sind Spuren, die sich in das Eigene, in ein Ego einschreiben. Wo keine solche Schreibfläche vorhanden ist, kann sich also keine Kränkung einschreiben. Kränkungen sind ein lokales Ereignis, das Universale aber ist nicht-lokal. Daher empfehle ich auch deswegen, sich vom Eigenen und dem Egoischen abzuwenden, und eine universale Perspektive anzustreben: schon einmal allein aus Eigennutz.

Überhaupt scheint diese Konsequenz des Impulses, das Universale zu erfassen, als das vielleicht Befreiendste von allem: denn es befreit vom Gefängnis der eigenen Subjektivität, indem es eine transzendente Perspektive anpeilt. Es übersetzt das Eigene unmittelbar in das Andere, bzw. ins Allgemeine und Objektive. Das Eigene ist ein lokales Ereignis, das Universale aber ist nicht-lokal. Das Universale bezieht sich auf die geistige Erfassung des Ganzen.

Durch das Universale zieht sich eine eherne gerade Linie: der Maßstab der richtigen Kritik. Kritik, das heißt: Trennen und Unterscheidungen treffen um einzelne Qualitäten, und ihr Verhältnis zueinander, richtig zu bestimmen. Vieles, vielleicht das Meiste von dem, was in dieser Welt Kritik ist oder sein will, ist ein ziemlicher subjektiver Mischmasch. Daher scheint es mir notwendig, den ehernen Maßstab der richtigen Kritik zu ergreifen. Hin und wieder passiert das in der Welt, das eine:r das tut. Um diesen ehernen Maßstab der richtigen Kritik und des Treffens von richtigen Unterscheidungen zu ergreifen und zu schwingen, ist es wohl notwendig, möglichst viel zu verstehen: also das Universale. Um das Einzelne zu verstehen, muss man zuerst alles verstehen.

Um richtig zu kritisieren, ist es notwendig, das zu erreichen, was Adorno mit seiner Negativen Dialektik anstrebt: so sehr zu differenzieren, dass es an das Kleinste heranreicht und das Individuellste erfasst. Die postmoderne Differenz ist weder universal noch individuell. Sie ist allein durch Differenz bestimmt und dadurch keine Entität, ein Mängelwesen.

Die postmoderne Differenz sollte überholt werden von einem Denken und Empfinden, einem denkenden Empfinden, einem empfindenden Denken, das also ins Kleinste und Individuellste hineinreicht. Und gleichzeitig ins Allgemeinste und eben ins Universale. Es scheint mir glücklicherweise so zu sein, dass sich dieses Eine und jenes Andere sowieso gegenseitig bedingen, wenn es richtig vonstatten gehen will.

Der Geist will differenzieren und synthetisieren. Mit der Differenz allein kann er nicht leben, denn die Differenz allein ist ein Mängelwesen. Der Geist will sinnvolle Grenzen ziehen. Das Universale ist letztendlich auch eine sinnvolle Grenzziehung. Es handelt sich beim Universalen um eine paradoxe Grenzziehung, denn die universale Grenzziehung arrondiert einerseits, andererseits bleibt sie offen und öffnet den Raum. Es ist eben eine durchlässige Scheidewand, eine semipermeable Trennschicht.

Es ist gegenwärtig zu einer Sache einer mittelmäßigen Intelligenz herabgesunken, das Universale zu verwerfen und es als totalisierend, implizit oder explizit als totalitär zu begreifen. Früher habe ich das auch spannend gefunden, heute aber nicht mehr so. Sache des Geistes ist es ja nicht, partikular und different zu werden – oder ewig „dialektisch“ zu bleiben – sondern universal. Wenn der Geist eine durchlässige Scheidewand, eine semipermeable Trennschicht bleibt, ist alles gut. Er erfüllt damit seine eigentliche Bestimmung: die Entwicklung des Universalen, das sich über Osmose vollzieht.

Mein philosophisches System vom Chaosmos kann nicht totalitär sein, denn neben der herrlichen Ordnung des kosmischen Prinzipes wirkt das chaotische Prinzip Totalisierungen und primitiven Vereinfachungen ganz genau entgegen. Es handelt sich beim Chaosmos und dem Universalen außerdem um kein „Wertesystem“, das sich der Welt aufoktroyieren will. Sondern um einen richtigen Gebrauch des Geistes. Auch wenn sein Raum offen ist, hindert ihn das nicht, in sich logisch und einheitlich zu sein und zu wirken, ein großer Kritiker und ein großer Aufräumer zu sein. Ein großer Sichvergegenwärtiger des Ganzen, das er also als das Universale erfasst. Das Ganze liegt möglicherweise nicht einmal da draußen in der Welt: die Welt ist womöglich nicht „ganz“. Das Universale – als Anschauung und Vergegenwärtigung des Ganzen (oder seiner Imitation) – aber liegt im Geist. Ich will weiter daran arbeiten, diese Einheitlichkeit und Logik des Universalen mir zu vergegenwärtigen.

Das ist der gegenwärtige Zustand meines Geistes, über den ich nun also erneut Zeugnis abgelegt habe, um mir und anderen zu helfen, ihn genauer zu verstehen und nachzuvollziehen und damit mir und anderen, wie ich hoffe, zu helfen, den Geist an sich zu verstehen, nachzuvollziehen und richtig zu gebrauchen; aus einem fernen Land, Anfang des Jahres 2023.

Helmut Newton and the Beauty and the Objecthood of Women

I like subjectivities. When I look around, I actually only see subjectivities, that blossom, that vibrate, that shake. That are very alive. Like a five year old child live in a de facto animistic world. I have trouble identifying what an object is, since also objects appear to want to speak to me or try to establish a relation with me; which, by definition, objects don´t do. I stand permanently under impressions and I am permanently impressed. And impressions are subjective. They invoke the most subjective: your glorious mind. The mind does not want to possess. The mind wants to establish relations that make sense, it wants to establish communion of all things, subjects and objects alike. The mind is perfectly sentient, and sentience is the core of subjectivity. Since I strive to be mind, I only see subjectivities.

The perfect illustration for subjectivity and sentience is beauty. The perfect illustration for beauty is the feminine. The feminine blossoms, the feminine is always in bloom. The feminine always thrives and flourishes. I like to look at the feminine because it vitalises, it bubbingly springs from the below like the fountain of youth, like the source of life. I like to look, for example, at ads from the golden age of advertising (1940s-1970s) that depict women. Or pin ups from that time, notably by Gil Elvgren. The feminine is harmless and friendly. The feminine enjoys itself and wants everyone and everything else to enjoy itself alike. The feminine wants to create joyful and beautiful environments. Women are the better human beings, the superior sex. They embody dignity, grace, self-containedness. They enjoy themselves easier, they embody the pleasure principle. While men embody the sober reality principle, women embody the exuberant pleasure principle. They are not as raw and primitive as men: they are women. The elegance of their form; the elegance of their curves. Their bodies do not radiate the violence, the inadequancy and the threat potential male bodies do. While the male body has the surface qualities of wood or of plastic, the female body equals velvet or silk. There are people on Facebook with an eye for idiosyncracies and beauty, many of them women. Yet also these women prefer to post women over men when they try to post beautiful things. The feminine and the female form is the most universal signifier for beauty.

Sometimes – at present, most of the time – there are complaints about a male gaze, which is understood as an objectifying gaze. It is brought into the discourse mostly by women who are feminists and, most recently, also by men who undeniably beam with vanity and who want to show the feminists how progressive and how enlightened they are. I don´t know exactly what a male gaze is, because I am quite feminine, and I like it that way. Since I also only see subjectivity, I also have some difficulties depicting an objectifying gaze. The objectifying gaze is meant to turn something that is allegedly vividly subjective into an object, into something commodified, that is at your disposal. I don´t know how often such a thing happens, and how often men would look on women with such an objectifying gaze, or with such an attitude. Of course, stuff like this will pass, from time to time at least, in this sorry world – I should know this because I have studied sociology – ; but this has little to nothing to do with my personal environment, nor the people I know. It will happen somewhere in the shadow realm, or in the netherworld, etc. To me, it is something very vague. When people think they see some special kind of gaze everywhere, it is most likely so because it´s their own gaze with which they perceive the world and try to make sense out of it. So if someone complains about the omnipresence of an objectifying gaze it may be immiment that this person´s gaze is in itself the agency that abhorrs subjectivity, and instead turns everything into an object at one´s disposal all by itself. For instance, as it appears, the more some individuals care about gender, the less they seem to care about diversity (and the more the care about diversity, the less they seem to care about gender). This may be so because of their objectifying gaze.

In Helmut Newton´s photography, women seem neither objectified nor thriving in subjectivity. They give me a hard time. Because they seem to lack grace. These women seem to be free. They seem to be in possession of themselves. But they are highly unnatural. They are not enjoying themselves. They don´t seem to have any emotions. So, in a way, they are not even images, or icons. Neither way, they seem to function as a reflection on an image, some kind of meta stuff related to the image. (They form an imagery, idiosyncratic and distinct, though: a universe created by Helmut Newton.) They are neither present nor absent. Although Newton´s women are massive, they lack gravity. They are staged to be caught in an instant. Usually, an instant, a moment in art embodies eternity. Yet in Helmut Newton´s photography it is just something fleeting, instantly evaporating, a whiff, air. Helmut Newton´s photographies are not exactly memorable. Your memory will kind of throw them away in an instant as well. Because there also usually are no memorable shapes and forms in his photography. Although Newton is a master photographer, he does not display a language of someone who has systematically meditated about shapes and forms. His stuff is fresh and virgin all alike, yet it also seems that he drags his models into settings that lack any character. It always seems that his settings come ad hoc; such a spontaneity is likeable, admirable; yet finally it seems to lack fixation and being grounded. His models are staged in somehow tasty environments, sometimes elegant ones, sometimes in environments that are in some interesting and tasty way deserted. Your first impression would be that these women are in no way related to their environments, that they are not actually situated in their environments, that they are not rescued, that they do not thrive in their environments. The second impression is that they are perfectly related to these environments: in their mutual unrelatedness, in their mutual detachedness. Aliens in an alien world. So it all adds up to something tasty, something somehow interesting. And something somehow meaningless and senseless. The environments in Helmut Newton´s photography are meaningless and senseless. They´re indifferent; like the women who appear in them. Like the environments are senseless, the women are senseless. Since in Helmut Newton´s photography women seem neither objectified nor thriving in subjectivity, they finally seem senseless. Neither the women nor the environments tell any stories, or carry psychology. Newton says he does not give the models in his shots any psychology. Because the industry is not interested in psychology – as he hesitantly adds. Yet the industry is an omnivore that swallows up and devours anything. Maybe it is Newton who is not interested in giving a psychology to the models in his shots – and to anything in his shots. For one reason or another (maybe for this reason) Helmut Newton´s photography has provoked anger among feminists. That seems counterintuitive, since Helmut Newton´s women are obviously not powerless, rather powerful and determined, almost masculine ones, Tank Girls. They are not exactly objectified. Yet, in another way, due to their lack of psychology they are underdetermined as humans. They are not, and cannot be, exactly objectified since: how would you objectify a robot? That might be a bigger shame. Does Newton adore strong women, or is he actually some kind of necrophiliac? Helmut Newton says that he likes strong women; not necessarily in his life but in his art. When the leading German feminist, the abrasive Alice Schwarzer, accuses Newton (apart from being a fascist, a racist and a sexist) of deriving particular pleasure, an icing-of-the-cake pleasure, from subjugating explicitely powerful women you may find that ridiculous and as one of her usual antics, yet, upon reflection, after immersing a bit more into Newton, you may be more inclined to think twice about that possibility. Consistently, the Newton model´s eyes are unearthly. Their eyes seem to relate to the unearthly gaze that is inflicted on them. One does not know whether Newton´s models are alive or dead, in a world alive or dead. They are un/dead. Being un/dead however is not something that finally adds up. Between an insight into the purely subjective (or, if you may, the Platonic idea(l)s) and the objectifying fe/male gaze there lies the glorious ZWISCHENREICH, Mittelerde, the realm of normal, ordinary human perception. Yet Newton´s realm is so alien that it is not even located in the ZWISCHENREICH; rather, it is a shadow doppelgänger of the ZWISCHENREICH, that reveals itself when you crack open perceptions that manifest in the ZWISCHENREICH. I do not think they are the deeper truth of the ZWISCHENREICH, however. They are something alien to even that. They are situated in a limbo, in a state of suspended animation. Yet, to increase the irritation, they actually seem to be in a limbo of a limbo. Or so. Finally, Newton´s phtography seems to offer glimpses into another planet, with inhabitants even more inauthentic and detached from themselves than the ones that dwell on this planet (and in the ZWISCHENREICH). I like Woman Entering the Ennis-Brown House by Frank Lloyd Wright from 1990 though. It shows a very interesting women, who additionally appears to have perfect breasts. Helmut Newton says he enjoys being a fashion photographer since he likes to photograph women. And being a top fashion photographer gives him the opportunity to photograph the most beautiful and elegeant women of the world, in the most distinguished environments, most expensive clothes, best make-up, etc. And then he does not make out more of it than that! In a way: clever! A comment on the parallel universe of fashion industry and the zombie people who consume Elle, Vogue or Playboy. An unpersonal, an objectified beauty you have in the fashion industry. I usually cannot relate to the beauty of fashion models. My kind of beauty is when objective beauty standards are met by something that is highly personal and idiosyncratic. For this reason, I like, for instance, model Ryonen. Her beauty is very idiosyncratic. She has some 2000 fans worldwide after all. But they are very devoted to her. Ironically, like Helmut Newton´s models, Ryonen never smiles. So her fans call her the most beautiful robot in the world. (Also Billie Eilish hardly ever smiles; and her first compilation album is called Don´t Smile At Me.) The only occasion I ever saw Ryonen smile is when she was looking at a painting of Bouguereau (coincidentally, a master painter of female subjectivity).

Sexism, racism, homo/transphobia, objectification etc. are problems. But there also are other problems like ignorance, directionlessness, weak personalities, self-saturated mediocrity or inferiority. Given an amount of problems like this, ordinary human sanity in itself may be the problem. I therefore advocate hypersanity. Hypersanity means that you are able to see subjects and objects from many different viewpoints and to emotionally and morally relate to them in more complex ways. Likewise, the more you are able to let the outside world in, the less dominant your „ego“ will become and the less objectifying and the more rational your gaze. The supersane gaze, the all-seeing eye, that will also see all virtual aspects of things. With the transcendental gaze you will see a lot of images and virtualities popping up at any given moment; although there will be perfect calmness there will also be a lot of activity. There is one image that is the deepest image of all, the transcendental image that cannot be transgressed, that will pop up all alike in this ordered chaos, before it vanishes again to give way to something else again (but will reappear time and again); that will yet remain a ground, stable and unaffected. It will probably be a pin-up by Gil Elvgren.

Gil Elvgren’s Pin-Up Girls And Their Photo Reference | Amusing Planet

The Wokeness of Emily Dickinson

Emily Dickinson was the strangest poet who ever lived. If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite; says Blake, another poet. Emily Dickinson had the Master Perception. She raises her head and gazes, and permanently windows slam open, window after window, into the indefinite. Her perception is way faster than the stickiness and inflexibility of them processes in the world — devilshly fast thinker she was, incandescent — so it seems, her perception is experimental per se, as she establishes multiple perspectives on each and every thing, including her own perception, calculates them through – and possibly discards them: —- all that emanates from her —- occassionally very tiny —- poems.

I dwell in Possibility

A fairer House than Prose

So – if you look at her poetry, you seem to get offered a glimpse into what – Enlightenment, means —: the comparative to Wokeness. Wokeness means that you are able to deconstruct identities — in order to – possibly – get to the „real thing“ of stuff, the enigmatic core, the Ding an sich. And to naturally adress it, to establish authentic communion with it. It means to develop a Naturalness that adresses given identities in a natural way. The Authenticity thing. / Wokeness sees through identities and deconstructs them – them identities do not persist — or they get reaffirmed in a better way. In a more authentic way. You may finally reach the Platonic Ideas behind identities. You confront your own identity. Most lucidly, you transgress your identity and become intellect and perceptiveness. Finally, your intellect and perceptiveness encounters itself. That is, then, the transcendental place. That – nevertheless – necessitates a bumby ride: — Wokeness is – of course – something ironic: since we do not know what given identities – and what they possibly reveal and conceal – actually are. So, if we take Wokeness seriously, we dwell in possibilities (yet – usually – to establish a House of Prose: of the Possibility of final Belonging). Irony, in itself — and opposed to sarcasm of cynicism — means that you are willing that take things more seriously than you seem to do (with cynicism it is the other way round): Wokeness  means heightened Awareness :: Wokeness means taking stuff seriously. Irony means taking stuff seriously, and more serious than it appears. Both Wokeness and Irony mean a perception upon the World that includes the Possibility for Change, for Transformation, for Becoming. With maximium Wokeness – you finally dwell in Possibilities. This is the „experimental“ nature of Emily Dickinson´s poetry; and of the transcendental mind. How unquiet!

One need not be a Chamber – to be Haunted –

One need not be a House –

The Brain has Corridors – surpassing

Material Place –

That´s fucking spooky! It is true: Emily Dickinson and her poetry seem somehow uncanny, and like a Haunted place. (She/it radiates unpredictability, and people that appear unpredictable appear creepy. Apperaring unpredictable is characteristic No. 1 that makes individuals appear creepy to others! So, their unpredictability isolates them. Yet it also means that they are able t)o establish their own territory.

Best Things dwell out of Sight

The Pearl – the Just – Our Thought –

Most shun the Public Air

Legitimate, and Rare –

The Capsule of the Wind

The Capsule of the Mind

Exhibit here, as doth a Burr –

Germ´s Germ be where?

We said there above: The goal of the Wokeride would actually be considered establishing a final House of Prose: a House of final Belonging. The goal and the meaning of life seems not identical with Dwelling in Possbilities all the time – you finally will want to settle the score and move into a pacified House of Prose. Einzug der Götter in Walhall. / Yet: Germ´s Germ be where? Oddly enough, the supernomadic poet Emily Dickinson never left her house and ground as she reached artistic maturity. Nevertheless —- in stark contrast to her hermit-like lifestyle where she was profoundly „at home“ and „agoraphobic“ to the other extreme —- in the expressions of her artistic maturity (her poetry; and letters) Emily Dickinson appears driven by frenzy, appears as always being on the run, nomadic, and dislocated — her poetry appears as fragmented, with no beginning and no end. Wherever I may roam. —- Her poems are considered „unstable“ [You have to understand – however – that true poetry and art (and reflection) appears unstable always: since it is about switching between motif and background. All the world is motif and background! Such is the structure of the world. A motif appears from, emanates from a background / and the background is illuminated by the motif. Enlightenment, Satori means that you are able to switch between motif and background instantly – and therefore mimic „the Real Thing“] Yes, in a way they both seem to erect and collapse in themselves …  That accounts both for the style and for the message —- there is as well Joy and Satisfaction in her poetry, as well as an – unusual amount of – Morbidity and insight into Vanitas…

I reason, Earth is short –

And Anguish – absolute –

And many hurt,

But, what of that?

I reason, we could die –

The best Vitality

Cannot excel Decay,

But, what of that?

I reason, that in Heaven –

Somehow, it will be even –

Some new Equation, given –

But, what of that?

Yet, strangely — and as you can see in there — also Morbidity and Vanitas seem to get left behind and thrown to the garden dump in the Dickinson Universe. Sister, is your Wheel spinning so fast that even the things supposed to have the final say, the eventuality of decay – that escatology itself seems to get left behind? Existence – it is all a „Cosmic Joke“, as they say. Yet, actually, in the Dickinson universe, stuff is neither, then, „cosmic“, nor a „joke“. Is this a place where you want to be? Emily is ghostly! – Finally – and how it has often been considered – Emily Dickinon´s poetry seem to come to — nothing. And she herself reduced to a ghost-like Nobody.

I`m Nobody! Who are you?

Are you – Nobody – too?

Then there´s a pair of us!

Don´t tell! they´d advertise – you know!

How dreary – to be – Somebody!

How public – like a Frog –

To tell one´s name – the livelong June –

To an admiring Bog!

Nothing and feeling like being nobody is – of course but – a sentiment that is not too uncommon for anyone – notably not for the true poet. Occasionally feeling so is a part of the human experience. And when you finally reach the center of the mind, plunge deep into the feelings, you arrive at a state of Nothing, or of convulsion, or whatever it may be. Some strange state. — Nothingness, however, is also attributed to a most elevated state of mind. It is linked – again – to Enlightenment and to Satori. Nothingness and being Nobody means purification of the mind and maximum spiritualisedness and refinedness. Nothingness is what people try to achieve who want to emanate Somehing – the most pure and most underivative of Somehing. Nothing stands in relation to a pure Somehing, and to a pure Everything. Nothingness and being Nobody is having achieved pure perceptiveness.

By homely gifts and hindered words

The human heart is told

Of nothing –

„Nothing“ is the force

That renovates the World –

Nothing is the opposite of Everything, of the All. And the Enlightened Mind, the Woke Mind, means the Consolidation of the Opposites. By being Nothing and Nobody, you let the world in – you´re on top of becoming Somebody. By letting Reality in, you become the most Real / Authentic of all – and Wokeness, as we reiterate, is about letting Authenticity in. Being Nobody is the Negative of being Somebody, i.e. an Identity. I.e. it is a necessary complement within the dialectics of establishing, transforming, reaffirming identities. Being Woke so is being aware of the Nothing and Nobody component. Else, there´s no true Wokeness. Being woke about being (partially) Nobody is good. – Poets usually carry inferiority complexes, hidden underneath. That is because they usually refer to themselves as Somebody – therein they are slaves to the principium individuationis. They want to achieve perfection – without knowing what is „perfection“, respectively, how it looks like. Perfection usually refers to some ideal of classic stability, something erect and frozen :: Yet the final thing is a dual mix of stability and instability – such as you have it in the poetry of Emily Dickinson -> Emily Dickinson – to a considerable degree – therefore had no inferiority complexes. / The poets – they want to get to the „Real Thing“, want to take away the curtain and reveal and unmask the Master Pupeteer behind it. Heck, what is the Real Thing? The Platonic Ideas? Is there a Master Pupeteer principle that governs reality? (Provisional answer: Authenticity is the Real Thing.) Fuck, this easily goes over the head. That many things! They seem to dissolve in a giant Whiteness.

A Spider sewed at Night

Without a Light

Opon an Arc of White –

It is considered that Emily Dickinson dwelled opon that Arc of White. An extreme border crosser between the Rational and the Irrational, between what can be said and what dissolves into silence or becomes muted as feeble human intellect tries to catch it, a Wanderer between the worlds, that blinding Whiteness is also referred to as a „danger zone“ (between genius/sanity and madness). Whiteness refers to all-encompassing light and vision, yet also to a destructive undifferentiatedness and loss of intellectual and mental capability. It seems to symbolise a primordial beginning, an end, and an intermediary, transitional state. — Also, for the most practical part, Emily Dickinson maintained a most privileged relation to Whiteness: As she matured, she would only dress in white clothing. As she died, she carefully had her funeral orchestrated in advance, including her being buried in a white coffin. — White – again – is the Nothing, and the All. White is the zone of (enlightened) indifference. / Fernando Pessoa once said that having all the opinions at once means being a poet. Pessoa was a very great and transcendent poet as well — therefore got equally ignored during his lifetime — though probably has not ascended to equal level of perception as did Emily. / When you have all the opinions and viewpoints at once, you are enlightened; and when you are enlightened, that means that you see the White Light (the White Light from the Mouth of Infinity)

Publication – is the Auction

Of the Mind of Men –

Poverty – be justifying

For so foul a thing

Possibly – but We – would rather

From Our Garret go

White – unto the White Creator –

Than invest – Our Snow

The Garret: —– That is – likely – the highest state of the elevation of the mind. We referred to this as the White Lodge. Once you learned a lot, tried to sort everything out (carefully!), tried to understand all the opinions and viewpoints at once, you (hopefully) enter the White Lodge. The White Lodge is a state of the intellect (and of the soul) where everything you have learned and gone through, all those traditions and ideologies finally dissolve/add up to a pleasant whiteness. It is a state of intellectual and mental bliss. You see, a wave comes around: that is some circumstance, or an element of a theory or an ideology, you recognise it, it passes by, leaving you both affected and unaffected. The White Lodge is a state of permanent questions and wonder as well as of permanent solutions and answers. When I was younger I used to wonder: What is deeper down inside the White Lodge? What is – possibly – at its center? Is the world´s secret? Must it be the world´s secret? Emily Dickinson clearly was a creature inhabitating the White Lodge as well. All the signs are clear. A case of Whiteness and Clearness, again. So what would she investigate about it? :: You have the immense vast extent of her thinking – time and again. Yet is her thinking – and feeling – time and again and forever —- puzzled, without orientation, and disjointed? (Also implying: IS there orientation and a final connectedness — an Absolute — in the World – or is the World itself only an addition of disjointed histories (held together, if ever, at best by a delusional Paranoia?)) Is she/are we cursed to dwell in Possibility forever (or is there a House of Prose)? What is at the center of the White Lodge? Germ´s Germ be where?

Experiment escorts us last –

His pungent company

Will not allow an Axiom

An Opportunity –

—– There she seems to go again: Dwelling in Possibilities, seemingly forever, a floating ghost, an Unbeliever. – Yet – behold! – as every thing that emanates from Emily is of extreme compactness, directedness and rigidity all alike! She is just the opposite of anything underdetermined and contourless as well as she is the Master Fog. Her poems appear unstable, inherently experimental, fragment-like. But! – they also strike to be and shine as extremely robust! They say her mind and her poetry seems like fleeing in all directions, yet her poems much rather seem (extremely) tight knots that keep it all together. They seal everything tight – from the top left corner not only to the Finale, and not only from the opposite viewpoint all alike: Every dot in her poems seems inherently tied to any other of them. Masterworks of density they are, seemingly held together by some extremely potent gluons. – Emily Dickinson, Lady of Steel. –  It even seems they are so packaged and packed in themselves that they want to reach the shape of a minimal surface, if not collapse into a black hole and a singularity itself (Ah! That seems what I´ve been doing and what I wanted to do all my life, Emily probably would say – Heureka!, if she got introduced to modern mathematics and physics). () The more intelligent people are, the more telegram-like their communication style gets. And Emily Dickinson surely had the intelligence of Christian Heinrich Heineken or Abu Rayhan Muhammad ibn Ahmad al-Biruni. Very extremely intelligent people, who are beyond this world, even use to – consequently – communciate in some apparently insular style, I notice. They bring up things, reflect them, and conclude about them, all at once. And Emily Dickinson´s poetry is quasi the most insular. ³² Creativity means being able to blow things up, and intelligence means that you are able to keep them together. Creativity means that you are able to create and inspire Truth, intelligence means that you are able to find and have insight into a Truth, that is out there.

This World is not conclusion.

A Species stands beyond –

Invisible, as Music –

But positive, as Sound –

It beckons, and it baffles –

Philosophy, don´t know –

And through a Riddle, at the last –

Sagacity, must go –

To guess it, puzzles scholars –

To gain it, Men have borne

Contempt of Generations

And Crucifixion, shown –

Faith slips – and laughs, and rallies –

Blushes, if any see –

Plucks at a twig of Evidence –

And asks a Vane, the way –

Much Gesture, from the Pulpit –

Strong Hallelujahs roll –

Narcotics cannot still the Tooth

That nibbles at the soul

Due to its ability to reflect, the intellect is constructed in a way to look for further truth, and to assume that there is further truth than woMan encounters in the given world. We use to be attracted – at least – to some Absolute, some Conclusion that lies beyond this visible world and mortal coil. Truth is out there, and is primodial and eternal, she reasons (at least under the premise that there is a God).

Truth – is as old as God –

His Twin identity

And will endure as long as He

A Co-eternity

Enlightenment means that you want to find out Truth. Truth, however, also means that this world is finite. That is to say, your Enlightenment and your Wokeness probably isn´t so flashy and so full of endless Possibilities as you would´ve imagined. After all, Enlightenment only means that you see the same things like common woMan – solely from a perspective from about one meter above. So teach us the Masters of Zen. Yet with an understatement of course. Enlightenment means that your mind serves as a flashlight that illuminates this world. And that illuminates what is right and what is wrong, and what are the possibilities in this world and what are the limitations. The specific quality of Emily Dickinson´s poetry probably is that it lets the world shine, reveals this world in this flashing light. Her mind became that flashing light, that source of White. A flashing light that sees through identities, deconstructs them or reaffirms them. That dwells in Possibilities – and in limitations. In her Dwelling in Possibilities, Emily Dickinson was well aware of the limitations of this world (which is what makes her oeuvre so uncomfortable at times). – Quasi-infinite or quasi-limitless are the Possibilities however once you´ve reached a fixed point in the Transcendental. The Transcendental – the Possibility that there can be Possibility – is like a source from which it all stems out. The Transcendental is a simple structure, like a corner in a room, from where it all comes out, all the Possibilities… /&%{[8}\²__________@µµZ    – As you sense, Emily Dickinson managed to reach the Transcendental. It is not likely that her specific poetry could be trangressed. That there are Possibilities beyond its horizon. – In terms of identity politics, Truth is reached when one has reached true identity and is at peace with that. One has to be glad to be oneself, and not someone else, Emily Dickinson told T.W. Higginson in a private conversation. Identity politics means reaching an identity that is at peace with itself and with society; respectively that you become somehow independent from society. Emily Dickinson´s specific identity – as a transcendental creature – was that she was no creature of Society; but floated above it. — And then, yet – what would be a final say – the Transcendental – about life?

To be alive – is Power –

Existence – in itself –

Without a further function –

Omnipotence – Enough –

To be alive – and will! –

`Tis able as a God –

The Maker – of Ourselves – be what –

Such being Finitude!

The transcendental thing about our existence is – Existence itself. There can be reflection about Truth and Possibilities, and there can be poetry, and there can be identity politics only because there is – Existence. The primary metaphysical question is: Why is there Something and not just Nothing? Emily Dickinson´s state of Enlightenment and her poetry is different from the state of Eastern Enlightenment and the poetry of the Zen Masters. In the Eastern tradition of Enlightenment, the principle of Nothing somehow triumphs over the principle of Something – and the Somethings in this world are considered an illusion/delusion (about which one should not be too worried and preoccupied: that is, then: Enlightenment). Yet Emily Dickinson is – also therein – profoundly American and Western. In her eschatology, it is Something that triumphs over Nothing. It is Being that triumphs over Nothingness. Being > Nothingness. <> Emily Dickinson´s poetry is about displaying the vibrations of the Somethings. Her poetry is analytical. Eastern Enlightenment is (passive and) unscientific. Behind Emily Dickinson´s poetry there is a scientific mind, and her poetry is – not pacified, but – agitated.

In more earthly terms, Emily Dickinson´s poetry and the state of her mind displays a maximum of Vergeistigtheit (refinedness). A maximum state of Vergeistigtheit inherently means a floating state over the material world. Therein, it may appear „ironic“, dwelling in Possibilities, or deconstructive about identities. Such an elevated mind apparently can take nothing truly serious – although, of course, it tries to, and strives to. It´s too big for this small world. And that´s ok, since it is: Mind over Matter. Mind > Matter. <> Perhaps humans on Earth are the only intelligent species in the universe. The universe is extremely vast – yet being the only intelligent species in all this vast universe makes you – not only feel lost but – a phenomenon of highest quality – that somehow rules in the universe. Being the highest among human intellects tops that again. – The irony is that – not only that this phenomenon of quality happens in isolation – but that the powerful mind of quality needs a body, needs the material world. Therein, the mind is prone to decay and it sooner or later ceases to be. It falls prey to the stupidity and indifference of matter. On occasions, the mind may produce something of transcendence, something of value, that then seems „eternal“ and overpowering the decay of matter – partially at least. Actually, any mind somehow has a sense of being robust and „eternal“ and overpowering the purely material. That´s the gravity of the mind, that is the gravity of the human soul. At the maximum level of Vergeistigtheit, you sort out that the mind is an extremely powerful and eternal thing; as well as a feeble one. It can change something in the universe and make an impact – and yet there are also limitations to it. The thing is that -> mind and matter are different orders. They run alongside each other, or their paths run in distinctly different directions on other occasions. Emily Dickinson´s poems are both powerful and – in some ways – feeble. Feeble, in their ellipsis, their fragmentedness, and their seeming indifference and their double nature of seeming eternal insights and then also occasional and temporary ad hoc ruminations from the kitchen board. (Feeble – in that Emily Dickinson had – when being terminally ill – her funeral orchestrated carefully in advance, but made no preperations about how to handle her oeuvre over to posterity. Powerful – as she probably was convinced enough that her oeuvre would manage to hand itself over to posterity and to great glory by its (so called) own means.) __ The most refined mind will be able to gaze into the so called realm of Platonic ideas (- or whatever it (the Absolute, or so) may be). Yet, these ideas, these apparitions of the Absolute, are mere – ideas. They are virtual entities. They are high abstractions from perceptions, done by the refined mind. They are – refined and vergeistigt. That is to say – there is nothing, anymore, „behind“ them. Nothing to be further sorted out. That makes them appear both heavily present, as well as „flat“. Emily Dickinson´s poetry is a vision of the last things that the human mind can capture. Respectively, of the last true state of the world – oscillating between cosmos and chaos, stasis and dynamics, creation vs decay, etc. – that one can have insight to. Her poetry is a vision of the Chaosmos. And they are – finally – refined Visions. (i.e. present, and evasive)

In order to truly have vision of the Chaosmos, you need to be a negatively curved entity. Emily Dickinson happened to be a negatively curved entitiy. A positively curved universe means that it is curved like a sphere. When somehing is shot off from its place and being put on the run, that means it will finally return to its initial place. A negatively curved universe is curved like a saddle. Alongside such a trajectory, things forever flee and evade, once they are set in motion. They get out of sight. They are on a Line of Flight. Some day their centuries will possibly be called Deleuzian. All my life I tried to get away from myself, confessed Duchamp, the Holy Ghost of 20th century art. The eternally open universe – and the eternally open intellect and soul – are of negative curvature. It is difficult to envision and bring to mind a curved universe. Even more it is difficult to envision and bring to mind stuff of negative curvature. That confuses people. There are no true Anschaungsformen for that. Emily Dickinson was of negative curvature – and her poetry may serve as an Anschauungsform for the negatively curved intellect. That makes it difficult to decypher. Although it is not too difficult to decypher at all. It´s just the negative curvature, stupid!

Emily Dickinson´s very idiosyncratic writing style – and also way of living – probably stemmed out from a schizotypal personality disorder. Mary, the wife of T.W. Higginson – a literary critic, with whom Emily managed to be in contact with over the years – lamented about why „all the lunatics would feel so attracted to him“ (therein indicating that she considered Emily Dickinson to be a lunatic). – T.W. Higginson was well aware of the eccentric lifestyle of Emily; though maybe not necessarily considered her a „lunatic“, probably would not go that far. Yet his wife, Mary, naturally did. T.W. Higginson probably did not consider Emily Dickinson to be a lunatic, but his wife – Mary – did! T.W. Higginson was a prolific literary scholar (and today we use to saturatedly agree with him), but his wife (Mary) was a woman – i.e. she got the faculty and spoke out of female intuition. And as they say, female intuition tops everthing else. So possibly Mary had a more profound – had the true – insight into Emily Dickinson´s very nature. – Maybe Emily Dickinson was – apart from her genius – actually somehow off her rocker! Emily Dickinson would implicitely deny that, as she also told T.W. Higginson that one must be glad to be oneself, and not someone else. Mary considered that to be an erroneous assumption if Emily related that statement to herself. And again: hers is the female intuition! But then: Also Emily´s would be the female intuition! So, it ends up being -> female intuition vs female intuition! That, of course, happens quite often. Women talk; men stay silent: Therefore women are anathema to me –T.W. Higginson noted from a private conversation with Emily Dickinson.

I fear a Man of frugal speech –

I fear a Silent Man –

Haranguer – I can overtake –

Or Babbler – entertain –

But He who weigheth – While the Rest –

Expend their furthest pound –

Of this Man – I am wary –

I fear that He is Grand –

Then there are also – as other part of her oeuvre – Emily Dickinson´s letters; which are held in almost equal esteem as her poems (nowadays). I still do not know what to think about them. They confuse me a lotta more than does her poetry. Although they are – by nature – much more intimate – I find them distinctly more evasive and abstract. Of course, they are not written to me. Yet – I wonder to whom they are, finally, written. Naturally, her letters are highly intelligent. But, above, they deem me aloof. I actually ask myself how much Emily Dickinson had a relation to herself, and to others. Indeed, her letters deem me weird and autistic, and difficult to decypher. Writing letters was one of the few forms bourgeoise women could express themselves artistically. Therefore you may expect a mixture of high sophistication and neurotic extravagance in them. And this is also what I seem to get from the letters of My Dear Emily. There she seems to go, Dwelling in her Possibilities, again. Or: above all. Maybe also she was a creature of a Will to Power, and wanted to overpower the recipients of her letters (or at least impress them). T.W. Higginson found her „very attentive“ and caring about other people´s needs – yet also talking a lot, and not too often interrupting herself. Never, he admitted, he had encountered a person whose presence alone was so demanding and exhausting as Emily Dickinson´s. I think her letters also are quite wry and dry as concerns their power of expression. In the usual bombast language of literary criticism some scholars admit that they´d like to „quote sentence by sentence out from these letters…“ – yet I have to say that I did not find a single quotable expression in her anthology of letters. Therein, she also seems somehow detached from herself. – I repeatedly ruminated that there is hardly any good poetry: as it is commonly considered the most condensed expression of the human soul – and the human soul simply is not that extensive. The poetry of Emily Dickinson is a notable exception. Yet I notice that there also are hardly any good letters, even if we look at the letters of the greats; since humans, as it seems, are actually not that romantic inside. Maybe, at least here: Emily Dickinson seems to fit the bill.

This is my letter to the world,

That never wrote to me, —

The simple news that Nature told,

With tender majesty.

Her message is commited

To hands I cannot see;

For love of her, sweet countrymen,

Judge tenderly of me!

—— And do you know what?? I wanted to write about Emily Dickinson before, already a while ago. But when I read her poems again (at that time for the fouth time in my life), on that behalf —- I suddenly found them to be uncannily dull and without true substance nor message – apart from some exceptions. When I read them again – now for the fifth time – they were A-okay for me again, like before. – It is strange, but such things happen. Reading stuff again (and again) should make you receive somehow different impressions from it – although not on such a level of divergence. Alas, yet also that may happen. It also happened to me when I read Kierkegaard for the fourth time – when I happened to find Kierkegaard relatively pointless (-> in my Buch vom seltsamen und unproduktiven Denken). I admit I was somehow confused by Emily Dickinson´s poetry (and also by Kierkegaard) initially. — I am also confused about why a shitty band like Cannibal Corpse is held to be the leading band of the death metal genre, or what would be so cool about Rush. — I try to overcome that by giving it second, third, or even many more tries. Maybe, in doing so, I might also come to terms with her letters.

I also want to mention that this was a complicated text to write – starting from the scratch of sewing the selected Emily poems somehow together. It took me about a month to finalise this rather tiny piece.

Hölderlin und die Urphänomene

Es gibt solche, die sind Dichter, Philosophen, Schauspieler oder Musiker. Und dann gibt es jene, die sehen die Urphänomene. Konvulsionen, ächzend rotierende, mahlende Formen im Urgrund, das Chaos der Veränderung im Gleichbleibenden, Urlaute und Urschreie, eine gleißende, explodierende, explodierend hervortretende Welt, die sie versuchen, in erzene, überrobuste Formen zu bringen, von neuartiger, bizarrer Schönheit, von überweltlicher Stärke, die gleichzeitig unmittelbar sind und naiv und gerade so dem tollpatschig-autoritären Zugriff der Weltmächte sich entziehen, ihn aushöhlen, über ihn triumphieren, in einer alle Welt überschreitenden Totalität: das ist es, was Kafka, van Gogh oder Beethoven tun. Man sollte nicht meinen, die Probleme von Beckett, Malewitsch oder Ustwolskaya wären Dichter-, Maler- oder Musiker-Probleme. Sie stehen im unheilvollen und dem einzig heilbringenden Kontakt zu den Urphänomenen und arbeiten sich an ihnen ab; in verzehrender Unruhe, in der Gelassenheit eines Gottes. Die Urphänomene, in ihrem ätzenden Wirbeln, stoßen ab und ziehen an. – Sie funktionieren überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen. Sie atmen, wärmen, essen. Sie scheißen, sie ficken. – Die Urphänomene sind sehr tief. Der Rimbaud´sche Seher will nicht nur tief ins Universum blicken, um neue astronomische Objekte ins Gesichtsfeld zu bringen; er will letztendlich die Struktur des Universums erfassen;  er dringt, aus seinem Aufenthalt in der Hölle, zu den Leuchtenden Bildern der Urphänomene vor. Daher ist der Rimbaudsche Seher auch ein Seher der Transzendentalien:  der nicht mehr hintergehbaren Kategorien aller Existenz. Heil dem, der dort ankommt! Die Transzendentalien erscheinen völlig ruhig und klar; die Urphänomene sind die überschnelle Überbewegung, von der Büchner, Lautréamont oder die Dickinson erfasst werden, während sie gleichzeitig das ruhende Auge inmitten dieses Tornados sind. Die Transzendentalien sind eine Kategorie der Philosophie, das mit den Urphänomenen ist eine eher poetische Anschauung. Ich will hier dichterisch sein, und es dichterisch ausdrücken: Es gibt solche, die sind Dichter, Philosophen, Schauspieler oder Musiker. Und dann gibt es jene, die sehen die Urphänomene.

Auch Hölderlin hat die Urphänomene gesehen. Schau, sein halbverrücktes Antlitz im Halbdunkel, gleichzeitig von gleißenden Licht umgeben, das von hinten, aus der Unendlichkeit kommt; sein bannender wie gebannter Blick, der uns anschaut, der durch uns hindurchschaut (da er in die Urphänomene blickt): das ist Hölderlin. Hölderlin und seine Dichtung zu beschreiben ist schwierig. In ihrer charismatischen Verworrenheit, die aber ist eines Gottes. Man hat hier das Höchste und Letzte: die in Stein gemeißelte Rede. Gefroren, eisig, klirrend, ist es die klirrende, eisige Sprache der (Über-) Vernunft, aus den Geisteshöhen, die das Über-Warme, das Schwärmerische, in Bann hält, und gleichzeitig durch es in Bann gehalten wird. Ewiges Ringen. Schau, wie fest die Rede ineinander verstrebt ist, so dass du es krachen hörest beinahe; nein, wirklich!, in ihrem Gebälk, gleichzeitig galoppieren die Eindrücke davon, es fällt links das Dunkle da hinein in das leuchtende Tal, auf den Gipfelhöhen golden leuchtende Tannen, ein Grün wird darüber geworfen, und das heilige Grün, der Zeuge des ewigen, schönen / Lebens der Welt, es erfrischt, wandelt zum Jüngling mich um; es bedeutet die Anwesenheit von Farbe, es bedeutet die Existenz von Präsenz, vom einzelnen Wesen, das in der Unergründlichkeit aufscheint, oder aber vielleicht bedeutet es den Vater Äther. Seliges Land! kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock / Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbst das Obst. / Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge / Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt. Er habe, wie Hölderlin schon früh gegenüber Neuffer bemerkt, keine Gaabe dazu, Einzeleindrücke (geschweige denn Handlungen) zu beschreiben: nur den bloßen Totaleindruk – und das stimmt: die Einzeleindrücke, die er aufzählt, hasten an einem vorbei und man hat Schwierigkeiten, bei ihnen zu verweilen; auf irgendeine Weise – oder eben gerade dadurch – wird der Totaleindruk umso zwingender, umso halluzinatorischer. Erschreckende Absolutheit! Phantasmagorische Welt! Die gleichzeitig ehern in sich verstrebt und gefügt ist, andererseits permanent geöffnet ist und einladend. Komm ins Offene, Freundin! Das ist da, wo die Physik und die Metaphysik sich treffen. Geniale Dichtung erkennt man daran, wenn aus der Welt, die präsentiert wird, noch eine andere Welt hindurchscheint beziehungsweise, wenn beide sich rätselhaft durchdringen und gleichzeitig Vordergrund/Motiv und Hintergrund sind (denn Genialität oder Erleuchtetheit/Satori besteht darin, dass man ständig zwischen Motiv und Hintergrund – also dem, was die Welt an sich ausmacht (also, dass Motive in einem Hintergrund erscheinen bzw. Motive den Hintergrund beleuchten) –  wechseln kann bzw. sieht, wie beide sich durchdringen). Steinerne, abfallende Stufen, die er errichtet, die er gleichzeitig wegzieht, als Treppen hinein in den geheimnisvollen Urgrund, den absorbierenden Sog – denn ein solcher geheimnisvoller, absorbierender Sog ist seine ganze Dichtung. Die Mauern stehn / Sprachlos und kalt, im Winde / Klirren die Fahnen. Wenn man im Seinswald an den Stein kommt, mit der uralten, ganz neuen und zukünftigen, in ihn gemeißelten Rede, dann ist Schluss. Man hat hier einen absoluten Markstein, ein Vermessungszeichen des Seins, der Existenz.

Hölderlin kann man in seinem spezifischen Dichten letztlich nicht verstehen und man kann ihn nicht nachahmen: denn er sieht die Urphänomene. Entlang dieser wandernden, nie genau fassbaren Grenze zwischen freier Rede und erzener Form, liegt auch die charismatische Grenze ihrer Verständnismöglichkeit, von der dann aber wieder jene absorbierende Sogwirkung ausgeht. Wie macht Hölderlin das: so zu dichten? Das können nicht einmal wir. Hölderlin hatte aber direkt einen solchen Geist, der ihm natürlich auch selber ein wenig unergründlich war. Diese Mischung von freier Rede und erzener Form ist tatsächlich die verwirrendste, irritierendste Sache der Welt, nicht zuletzt für den Dichter, wenn er noch nicht ausreichend Sicherheit gewonnen hat, selber: denn sie scheint gerade eben das Dichten zu unterlaufen, und es scheint läppisch und blödsinnig zu sein, mit sich selbst nicht in Einklang; ein Bastard aus Klassik und Romantik. Tatsächlich ist es aber die Sprache der Urphänomene selbst, die eben in radikaler Gegensätzlichkeit sichtbar werden, die diese radikale Gegensätzlichkeit von Statik und Dynamik, Wechsel und Identität, Abspaltung und Vereinigung, Bewegung und Ruhe, dieses dynamische Duo sind: Jener Widerstreit zwischen geistigem Gehalt (zwischen der Verwandtschaft aller Teile) und geistiger Form (dem Wechsel aller Teile), zwischen dem Verweilen und Fortstreben des Geistes … jener Widerstreit zwischen dem geistigen ruhigen Gehalt und geistiger wechselnder Form … jener Widerstreit zwischen materiellem Wechsel und materiellem identischem Fortstreben … jener Widerstreit von Individuellem (Materialem), Allgemeinen (Formalem) und Reinem. — Das tiefste Urphänomen ist das Zusammenwirken von Ordnung und Zufall/Chaos: der Chaosmos. Ein jegliches dynamische System ist ein solcher Chaosmos; und damit eine jegliche mögliche Welt. Der Chaosmos ist der Grund aller Welt. Einige die da sind, die den Chaosmos sehen, oder ahnen, oder sich an den Erscheinungen, die er wirft, abarbeiten; einige Geister. Sie sind den Zeitgenossen immer wieder verhasst, da sie sich in nichts Bekanntes und in keine Tradition einordnen lassen und so die Eitelkeit des zeitgenössischen Wissens kränken. Die Urphänomene sind in ihren Erscheinungen eben immer wieder jung, immer wieder grundsätzlich. Für etwas Neues gibt es noch keine akzeptierte Sprache und Namen. Und so bemühen sich diejenigen, die sich an den Urphänomenen abarbeiten, stets eine neue Sprache und neue Namen zu finden. Daran, und am Flackern – am mimentischen Flackern gegenüber den Urphänomenen – ihres Ausdrucks und ihres Geistes sollt ihr sie in Zukunft endlich eindeutig erkennen. Dieses flackernde Sehen, das Sehen des chaosmotischen Flackerns, ist das eines Hölderlinschen Geistes.

Hölderlin will den Geist begreifen, er will zum Urprinzip des Geistes vordringen und zum Urprinzip der Welt. Worin gründet sich der Geist, worin gründet sich die Welt, und wie schreiten sie voran? Der gute Geist, der Geist der Assoziation, der Konnektivität, der Liebe, sieht gemeinhin ein Ungetheiltes am Anfang. Eine Ur-Theilung findet dann statt, die gleichzeitig ein Abfall vom Ungetheilten ist, wie die Notwendigkeit dafür, dass Prozesse überhaupt stattfinden. Diese Prozesse und Individualitäten verlangen hinwiederum, zu sich selbst zu kommen, und sich, ausdifferenziert, in einem neuen, höheren, himmlischen Ungeteilten wiederzutreffen. Von Kinderharmonie sind einst die Völker ausgegangen, die Harmonie der Geister wird der Anfang einer neuen Weltgeschichte sein. Der Dichter dichtet aus ursprünglich gemeinschaftlicher Seele heraus; einer gemeinschaftlichen Seele eines Volkes, einer gemeinschaftlichen Seele aller Menschheit oder Kreatur; einer gemeinschaftlichen Seele aller Schöpfung. Indem er dichtet, spaltet er sich ein wenig von jener gemeinschaftlichen Seele ab; er individualisiert sich; entfremdet sich dadurch – vor allem eben in seinem hohen Streben – von den anderen: Nur so aber kommt der Mensch zu sich, wird zum Gesetz in sich selbst und ist so fähig, neue Einheit IDEELL zu stiften. Aus dieser tragischen Vereinigung des Unendlichneuen und Endlichalten entwickelt sich dann ein neues Individuelles, indem das Unendlichneue vermittelst dessen, daß es die Gestalt des Endlichalten annahm, sich nun in eigener Gestalt individualisiert. Es ist dann eine neue, höhere Einheit der harmonisch ausgebildeten Einzelwesen, es sei dann endlich Kommunion, es sei dann endlich friedliche Versammlung im Reich der Schöpfung, im Reich der Kreatur möglich. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden, um das Volk vernünftig, und die Philosophie muss mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns … Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muss diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit sein. Schönheit in der Dichtung, Schönheit in der Natur – Die Kunst ist die Blüte, die Vollendung der Natur – ist eine Erscheinungsform, ist ein Hinweis auf Harmonie und auf eine Geborgenheit im Sein: auf eine letztendlich gute Existenz. Es wird nur Eine Schönheit sein; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassende Gottheit.

Hölderlins Dichtung ist die über den einstigen, verlorenen, als auch über den erhofften, (wieder)kommenden „Gott“. Was ist ein Gott? Eine Einheit der Gegensätze, etwas Transzendentales. Ein moralisches Gesetz; eine Ordnung. Eine Entität, die etwas Magisches kann, die genuin schöpferisch ist. Die in sich geborgen ist, und so andere bergen kann (außerdem etwas, das es nicht wirklich gibt). Biographisch mag man dieses Lebensthema so begreifen über das Trauma, wie Hölderlins unbeschwerte Kindheit und Jugend abrupt und brutal mit seinem Eintritt in den Tübinger Stift ein Ende fand und er kasernenhaftem Erziehungsdrill unterworfen wurde. Vom Glück seiner Kindheit fand er sich jäh abgeschnitten. Tot ist nun, die mich erzog und stillte / Tot ist nun die jugendliche Welt / Diese Brust, die einst ein Himmel füllte / Tot und dürftig wie ein Stoppelfeld, dichtete er und lebenslänglich sollte er in dieser Stimmung verharren. Trotzdem er Hegel, Schelling und andere Hoch- und Höchstbegabte im Tübinger Stift kennenlernte, wollte er nichts annehmen von der Sphäre des Alltags; so war sein lebenslängliches Verharren in der Nostalgie nach dem verlorenen Idealen und Paradies eine Art selbstverschuldete Unmündigkeit, eine tatsächlich ab-gespaltene und ab-spaltende Schizophrenie im Hinblick darauf, die Lebenssphären ineinander zu integrieren und so zu versöhnen, an der er litt (und die sich, wenn man so will, schon damals in dieser Form bemerkbar machte). Doch kannt ich euch besser / Als ich je die Menschen gekannt / Ich verstand die Stille des Äthers / Der Menschen Worte verstand ich nie. Hölderlin nahm nicht wirklich am Leben teil; gemäß den Gesetzen des Lebens wurde er bestraft.

Von den Göttern hingegen wurde er belohnt; in einer anderen Sphäre. Durch seine schizophrene Ab-gespaltenheit von den Sphären des Lebens wurde er ein „Wunder der Reinheit“ (Stefan Zweig) – oder eben ein Heiliger. Er lebte und war geborgen in der Sphäre des Transzendentalen. Der große Dichter ist niemals von sich selbst verlassen, er mag sich noch so weit über sich selbst erheben, als er will. Und: Es ist doch ewig gewiß und zeigt sich überall: je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern glücklichen Leben, die man seelenlos nennt. Je größer der Dichter und schöner und unschuldiger die Seele, desto näher dem Transzendentalen ist man, und je näher man dem Transzendentalen ist, desto näher ist man den Urphänomenen, den Transzendentalien hinter den Phänomenen. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre, lehrt dagegen Goethe, der folgerichtig nicht über seinen verschrobenen Werther, seinen neurotischen Tasso und seinen verlorenen, in seiner Genussfähigkeit gestörten Faust hinausgekommen ist; und dann war da seine ständige Angst vor dem „Dämonischen“.

Wahrlich, ich habe das Herz eines Toren!

Chaos, ach Chaos!

Die Menschen der Welt sind hell, so hell:

Ich allein bin wie trübe!

Die Menschen der Welt sind so wissbegierig:

Ich allein bin traurig, so traurig!

Unruhig, ach, als das Meer!

Umhergetrieben, ach, als einer der nirgends weilt!

Die Menschen der Menge haben alle etwas zu tun:

Ich allein bin müßig wie ein Taugenichts!

Ich allein bin anders, als die Menschen:

Denn ich halte wert die spendende Mutter

heißt es im Tao te king. Im Taoismus geht es aber um das Schauen der Urphänomene. Goethe weiters bewunderte Napoleon und sagte von ihm: Er habe in einem Zustand „permanenter Erleuchtung“ gelebt. Na, das gilt dann auch für den Napoleon der abendländischen Dichtung, gilt für Hölderlin. Goethe war Universalmensch, aber An das Göttliche glauben / Die allein, die es selber sind. Die Zeitgenossenschaft kann schwer damit was anfangen: Wer ist in der Lage, in die Sonne zu schauen? Nur zuzeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch.

Der Raum des transzendentalen Denkens und Empfindens ist eine Art Halle, durch die einige futuristische Verstrebungen gehen. In diesem Raum bewegt man sich frei, wenngleich man auch durch die ärgerlichen Beschränkungen der empirischen Wirklichkeit läuft. Die Dichter müssen auch / die geistigen weltlich sein. Mit dieser Möglichkeit des Wandelns durch die transzendentale Halle ist aber sonst nichts vergleichbar. Es ist sehr gut; denn es ist die Möglichkeit des Wanderns und Wandelns an sich, und bildet den Phasenraum aller empirischen und realen Wanderungen. Hyper-Ion, der unendlich Wandernde. Mein exzentrischer Freund Clemens singt von der leeren Halle, die er regiert. Man hat bei Hölderlin das „Paradox“, dass er „Weltarmut“ und überweltlichen Reichtum gleichzeitig in sich hat. Seine weltarme Dichtung kreist immer um die gleichen, wenigen verschiedenen Motive. Sie betrachtet gleichzeitig alle Welt heraus von oben. Nächstens dazu mehr.

Hölderlin ist transzendental, weil er das Urgesetz des Lebens und des Geistes begreifen will – und das eben auch kann: denn man kann alles, was man will. Das Leben und der Geist finden statt aus der dynamischen Ur-Theilung vom Ur-Einen. Zwischen Geburt und Tod spielt sich das Leben ab; und spielen sich alle Erscheinungen ab. Die Erscheinungen spielen sich ab in Identität und Nicht-Identität mit sich selbst. Das einzelne Leben ist mit sich selbst identisch und steht ebenso in Wechsel und Wandel. Es ist ein Chaosmos. Der Chaosmos ist wiederum das Urphänomen schlechthin. Das Urphänomen ist der Gegensatz – genauer: das Wechselspiel – von Wandel und Identität (da zwischen beiden allerdings kein echter Gegensatz oder Widerspruch bestehen muss). Am Anfang des Lebens steht das Kind. Das Kind (zumindest in seiner dichterischen Figur) ist nah am Ungetheilten. Es ist geborgen – aber auch einer machtvollen Objektivität, der Außenwelt hilf- und machtlos ausgeliefert. Der Erwachsene, sich im Leben befindliche, ist vom Ungetheilten getrennt, besitzt aber die Gabe der Reflexion und des differenzierenden Denkens, das einerseits fortwährend trennt, aber auch fortwährend auf höherer Stufe vereinigt. Auf den verlorenen primordialen Gott der Kindheit und den abwesenden/verborgenen Gott in der Gegenwart folgt, so die große Hoffnung, der kommende Gott der strahlenden, harmonischen Zukunft; und Ewigkeit. Dieser Gott ist die Vereinigung von beiden, über die differenzierende Zusammenfassung von beiden. Durch die Reflexion über die Reflexion sprengt der Geist, sprengt die Seele die materiale Hyle der sie begrenzenden und umgrenzenden Erscheinung; durch das trennende und vereinigende Differenzieren lässt der Geist die Paradoxien und Aporien der Existenz und seiner selbst unter sich… dies ist allein in schöner heiliger, göttlicher Empfindung möglich, in einer Empfindung, die darum schön ist, weil sie weder bloß angenehm und glücklich, noch bloß erhaben und stark, noch bloß einig und ruhig, sondern alles zugleich ist und allein sein kann, in einer Empfindung, welche darum heilig ist, weil sie weder bloß uneigennützig ihrem Objekte hingegeben, noch bloß uneigennützig auf ihrem innern Grunde ruhend, noch bloß uneigennützig zwischen ihrem innern Grunde und ihrem Objekte schwebend, sondern alles zugleich ist und allein sein kann, in einer Empfindung, welche darum göttlich ist, weil sie weder bloßes Bewusstsein, bloße Reflexion (…) mit Verlust der innern und äußern Harmonie, noch bloße Harmonie… etc. pp. usw ist, sondern weil sie alles dies zugleich ist und allein sein kann … in einer Empfindung, welche darum transzendental ist und dies allein sein kann, weil sie in Vereinigung und Wechselwirkung der genannten Eigenschaften weder zu angenehm und sinnlich, noch zu energisch und wild, noch zu innig und schwärmerisch, weder zu uneigennützig, d.h. zu selbstvergessen ihrem Objekte hingegeben, noch zu uneigennützig, d.h. zu eigenmächtig auf ihrem innern Grunde ruhend usw. ist, sondern all dies zugleich ist und allein sein kann. Hier sieht man: der Innenraum des transzendentalen Empfindens ist eine fortwährende Reflektiertheit und Ausdifferenziertheit. Es ist der unendliche Spiegelsaal, wo sich alles in allem spiegelt und man so der Totalität ansichtig wird, aus verschiedenen Blickwinkeln; die Spiegel vermehren die Aussichtspunkte, der subjektive Blick wird vervielfacht und hat so einen potenziellen Blick auf das Ganze … natürlich verliert sich auch so etliches, je nach Blickwinkel, in eine Unbestimmtheit: doch auch das ist Element der Welt. Durch den Innenraum des transzendentalen Empfindens gehen keine Aporien oder Paradoxien sondern eine fortwährende Dynamik des trennenden und verbindenden Ausdifferenzierens. Das ist die seltsamste Sache von der Welt; doch das ist gleichzeitig auch das Stöhnen der Urphänomene und das nicht mehr hintergehbare Transzendental. Der transzendentale Verstand verliert sich an nichts, und besitzt sich so ganz; und ist so Absolut. Mit dem Einen und dem Ungetheilten ist es ja nicht so weit her, und man verliere sich nicht in bloße unproduktive Sehnsucht danach; wichtiger ist das Alles/Absolute: in ihm allein erscheint die Unendlichkeit. Im Zusammenbringen der größten Gegensätze, durch das differenzierendste geistige Vermögen, in ideellem Bestreben, erscheint so eine Epiphanie der statisch-dynamischen Unendlichkeit; in diesem Punkte der Geist in seiner Unendlichkeit fühlbar ist. Und diese, ideell spiritualisierte und rational differenzierte, Epiphanie der Unendlichkeit hat man in der Dichtung Hölderlins.

Die Sphäre des Transzendentalen ist die Sphäre des ewigen Anfangs; die Welt, die Schöpfung erscheinen in der Sphäre des Transzendentalen ewig neu. Daher das Gefühl des transzendentalen Dichters, des transzendentalen Menschen, des Schauers der Urphänomene, stets und immer erst noch „am Anfang“ von allem zu sein. Auch Hölderlin begreift sich als immer „erst am Anfang“ und seine Dichtung als „Versuche“. Seine transzendentale Poesie entsteht eben transzendental, also aus der Bedingung der Möglichkeit für etwas, für das Gedicht, heraus. Seine Poesie ist so poetisch, dass sie eben auch die Bedingung ihrer Möglichkeit in sich enthält; dieser ihr Charakter kommt in ihr stets zum Ausdruck. „Poesie“ bedeutet: Erschaffung, Hervorbringung, Entbergung; und Hölderlins Poesie ist totalpoetisch. Oh ja!, letztendlich drückt Hölderlin das genuin Poetische in der Poesie aus: das ist es, was sie so eigentümlich besonders macht. Transzendentales, die Urphänomene, die Bedingungen der Möglichkeit von etwas, steht im Zusammenhang mit einem Vermögen. Hölderlin, genau genommen, drückt, in seiner Dichtung und Poesie, das poetische Vermögen aus. Das poetische Vermögen, das zur Erschaffung der dichterischen Welt, ist tatsächlich ein einerseits primordialer und uranfänglicher als auch ein ewig kommender Gott. Auch wenn er im Moment nicht anwesend oder verborgen sein sollte, ist er gerade dadurch stets präsent und wirkt; übt seine Sogwirkung aus. Das Vermögen/der vergangene Gott ist vor dem bewussten Anfang von einer Schöpfung, ist anfänglich: sein Grund ist rätselhaft und er scheint zu verschwimmen (tatsächlich ist er eben transzendental und daher nicht mehr hintergehbar). Was das Vermögen will, ist, genau genommen und korrekt empfunden, eine Transformation einleiten, um so fortwährende Schöpfung gebären zu können, und letztendlich eine große, himmlische Einheit unter dem Signum seiner eigenen Göttlichkeit stiften zu können. Hölderlin dichtet aus dem Geist heraus. Er frägt sich: was ist der Geist? Was ist die Bedingung der Möglichkeit von Geist? (Antwort: ein Vermögen zum Geist) Und was tut schließlich der Geist? Er erschafft. Und er kann sich Dinge vorstellen, die es in der realen Welt nicht gibt; die in der empirischen Realität so nicht vorkommen, wie zum Beispiel Punkte, Kreise und Unendlichkeiten: oder eben Poesie und das Gedicht. Damit erhebt sich der Geist über die empirische Realität und vermag diese ideell zu ordnen und zu manipulieren, zu adjustieren, in ihr zu wirken. Das Ideelle ist das Vermögen, über das Reelle hinauszugehen und es zu beherrschen. Es ist daher gleichsam inhärent, dass Hölderlins Dichtung ideell ist und das Ideelle auf so eigentümlich glühende Weise evoziert. Der Geist, in seinem ideellen Vermögen, ist poetisch. Der Geist ist der Gott in uns. In der größten Kunst geht es darum, dass der Geist sich selbst begegnet und vor sich selbst tritt, versucht, sich selbst zu erkennen. In seinem rätselhaften, Formen werfenden Vermögen. Hölderlins Kunst hat das erreicht. O die Poeten haben recht, es ist nichts so klein und wenig, woran man sich nicht begeistern könnte. Hölderlin dichtet aus dem Geist heraus, er hat den rechten, den anschlussfähigen Geist und ist folgerichtig begeistert. „Begeistert ist, wer Geist hat“ (so der phonetisch fast identische Philosoph Paul Häberlin): – Es ist erfreulich, wenn gleiches sich zu gleichem gesellt, aber es ist göttlich, wenn ein großer Mensch die kleineren zu sich aufzieht. Für Stefan Zweig war Hölderlins eigentlicher Genius die Begeisterung, die unsichtbare Schwinge. In seiner Begeistertheit lässt er eine permanent begeisternde Welt erscheinen. Daher seine ewige Frische. (Vgl. zu diesem Abschnitt Bothe: Hölderlin zur Einführung im Junius Verlag) 

Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir. Aber freilich nur zerstörend! Hölderlins entgrenzte und ihm weseneigentümlichste späte Lyrik entsteht in den Jahren vor seinem definitiven geistigen Zusammenbruch im Jahr 1806. Gleichzeitig zur weiter fortschreitenden Verbesserung seiner dichterischen Fähigkeiten und der Vertiefung/Erhellung seiner Vision wirft der Wahnsinn abermals seine leuchtenden Schatten voraus. Gedichte wie Patmos oder die Friedensfeier sind nicht mehr normal; in der zweiten Fassung von Der Einzige scheint geradezu zäsurhaft eine manische Zerrüttung stattzufinden. Hölderlins Wahnsinn – und so tritt er auch in den „Hymnischen Entwürfen“ der späten Lyrik zutage (in Wirklichkeit aber von Anbeginn seiner galoppierenden Lyrik an) – ist eine Art schizophrene Ideenflucht, ähnlich seinem stundenlangen freien Fantasieren am Klavier, dem er sich in jenen Jahrzehnten hingibt. Synästhetische Eingebungen und Ideen, Eindrücke, die jedoch von keiner Vernunft mehr zusammengehalten werden und bei denen er rasch den Faden wieder verliert. Zustand eines kleinen Kindes, in sein fantastisches, fasziniertes Spiel verloren, jedoch mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne – gleichzeitig ein alter Mann, der sich beschwörend erinnert seines Ideenzusammenhangs, ein alternder Geist, der seine Vision immer wieder vorbeiziehen lässt und sie vertieft, und der ihre Zeichen immer wieder hochwirft. So lebt er tatsächlich dahin, in einem Zustand der reinen Poesie und der phantasmatischen und phantasmagorischen Schöpfung, die durch keine kalten Ratio mehr gebremst, allerdings auch von keiner warmen Ratio mehr in ihren eigenen Zusammenhang gebracht wird. Wieder ein Hybrid aus singulären, überlegenen Fähigkeiten und Mangel an einfachen, alltäglichen Fähigkeiten, in einer neuen, erweiterten und vertieften Umkreisung. Als Kranker wohnt er die letzten Jahrzehnte in einem Turm am Neckar, unter der Obhut eines Bewunderers, des Schreinermeisters Ernst Friedrich Zimmer. Besucher empfängt und bewirtet er in umständlichem, feierlichem Zeremoniell und indem er sie fortwährend „Euer Gnaden“ oder „Euer Hochwohlgeboren“ tituliert. Der Ärmste scheint sich zu schämen, für den Verlust seiner Geisteskräfte, sein im Sand verlaufenes Leben und dass er von der Fürsorge und der Aufmerksamkeit anderer abhängig ist. Gleichzeitig scheint er aber zu ahnen, dass die Annäherung an das Göttliche und an das Unbegreifbare, Über-alles-Hinausgehende, das er verwaltet und das er sieht, nur durch zeremonielle Förmlichkeit geschehen kann und durch ehrehrbietendes Ritual. (Oder aber, dass man Menschen nicht genug ehren, oder ihnen nicht genug schmeicheln kann – Nun vesteh ich den Menschen erst, da ich fern von ihm / und in Einsamkeit lebe.) Sein halbverrückter und bannender Blick ist noch verrückter geworden, und noch bannender; sein Antlitz verliert sich auf der einen Seite immer mehr ins Dunkel, tritt in dieses zurück, und erscheint auf der anderen Seite immer mehr in gleißendem Licht, das von ferne kommt, und rätselhaft ist, das die Dinge übererkennbar macht und sie für unser beschränktes Erkenntnisvermögen bestenfalls in immer fernerer Zukunft fassbar. Das ist die späte Lyrik von Hölderlin.

Die Sagen, die der Erde sich entfernen / Vom Geiste, der gewesen ist und wiederkehret / Sie kehren zu der Menschheit sich, und vieles lernen / Wir aus der Zeit, die eilends sich verzehret. Es fällt mir kein Dichter ein, bei dem es nach der späten Lyrik noch eine späteste gäbe; außer eben Hölderlin, entsprechend seiner exzentrischen Bahn, seiner hyperbolischen. Die spätesten Gedichte Hölderlins sind (wie immer) weder sinnlos noch völlig sinnvoll. Er kehrt zu einer ganz einfachen, gebundenen Form zurück; von der eleganten Rhythmik ist nichts mehr zu merken, steif und scheinbar zaghaft wird die Botschaft in ungelenke deutsche, fast Kinderreime gesperrt, ohne echtes Vertrauen mehr in sich selbst, könnte man meinen. Oder aber in berechtigter Zurückhaltung in der Mitteilung der gewaltigen Vision. Die letzte Station der exzentrischen Bahn, die letzte Umkreisung des gleichzeitigen Kind-und-Alt-Werdens in der Schau des Göttlichen scheint erreicht. Hölderlin ist nun gleichzeitig am Anfang stehendes Kind, und am Ende – genauer gesagt, aus transzendenter, transzendentaler Position heraus – auf alle Geschichte, in die uralte Verwirrung blickender Alter, die nichts wirklich Uraltes und Verwirrendes mehr an sich hat. Es ist der Gleichmut des Entstehens und Hervortretens (weniger übrigens des Vergehens und Absterbens) im Wandel der Jahreszeiten, den er betrachtet. Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten / Wie eine Pracht, wo Feste sich verbreiten / Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele / So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele. Er drückt sich über diverse literarische Alter Ego aus und auf seiner Uhr, in seinem Kalender, in seinem geistigen Erfassen, sind es alle Zeiten des Tages und der Ereignisse gleichzeitig; Mit Untertänigkeit, Scardanelli datiert er seine spätesten Gedichte auf d. 24. April 1839, Den 24. März 1671 oder d. 9ten März 1940: Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget / Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet / Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite. In spätester Zeit wird alles vergangen sein, in seiner spätesten Zukunft wird der transzendentale Geist alles erfasst haben. Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen, wird er zu berichten wissen, in seinem anfänglichen Impetus, in seinem Abschlussbericht. Ein Zeichen sind wir, deutungslos / Schmerzlos sind wir und haben fast / Die Sprache in der Fremde verloren. Als Zeichengitter stehen die spätesten Gedichte ein wenig in der Höhe über uns, mit einem großen Auge blicken sie starr und unverwandt, bannend wie gebannt hinter uns in die Geschichte, blicken sie in die Welt, als das total erkennende, daher empirisch fast aufgelöste Subjekt im transzendentalen Raum, in der transzendentalen Zeit. Ähnlich wie die Dionysos-Dithyramben von Nietzsche sind sie letztgültige Botschaften, vollständig in Bewegung, vollständig zur Ruhe gekommen. Anders als diese, die orgiastisch sind, sind sie aber auch ein wenig (altersweisere) Zeichen des Verschwindens, des Verblassens; so wie auch die Endlichkeit verblassen wird, und so wie auch die Ewigkeit verblassen wird, dereinst. Es sind, eben, Botschaften aus der spätesten Zukunft, die das transzendentale Vermögen verstandesmäßig erreichen kann: Im Begreifen der transzendentalen Paradoxien, im Schauen der Urphänomene. Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret / Ist wie die Wolke nicht, die abends sich verlieret / Es zeiget sich mit einem goldnen Tage / Und die Vollkommenheit ist ohne Klage.

Indes ihr noch die Leichenfackel hält … bricht schon herein die neue beßre Welt… Am 7. Juni 1843 ist Hölderlin gestorben. Zeit seines Lebens hatte er einen kleinen Kreis von Bewunderern. Nach 1848 wurde er im Wesentlichen ignoriert, von wenigen Ausnahmen abgesehen, darunter der transzendentale Bruder im Geist, Friedrich Nietzsche. Ein Menschenalter sollte es noch dauern, bis dass er wieder, und mit breiterer Wirkung, ins Bewusstsein trat; freilich auch in das der unguten Deutschnationalen. Heute hat er seine populärste Zeit wohl wieder hinter sich. Doch das ist eventuell gut. Was bleibet aber, stiften die Dichter. Denn sein Zeichen, um dessen Deutung wir uns fortwährend, bis ans Ende der Zeiten bemühen werden, wird eben bleiben. Fürchtet den Dichter nicht, wenn er edel zürnet, sein Buchstab / Tötet, aber es macht Geister lebendig der Geist. In Stein gemeißelt, von unendlich robuster innerer Verstrebung, und dahingehend autonom, wie seine Gedichte, ist er Teil der Geschichte; mehr noch: der Textur des Seins. Er hat die Matrix gesehen. Wer die Matrix sieht, ist jenseits von Leben und Tod. Genau gesagt, ist lebendig, denn er ist lebendiger Geist, und macht eben fortwährend lebendig den Geist. Wer die Urphänomene sieht, steht eben auch am Urquell. Begeben wir uns also zum Urquell. Dort werden wir Hölderlin immer wieder treffen.

Sterblich bin ich zwar geboren / Dennoch hat Unsterblichkeit / Meine Seele sich geschworen / Und die hält, was sie gebeut

Addendum März 2023: Beim Verfassen dieser Betrachtung habe ich gar nicht gewusst, dass es eigentlich Goethe war – der hier so sehr in die Schranken gewiesen wird – der eigentlich mit den „Urphänomenen“ dahergekommen ist und sich mit ihnen verbunden gefühlt hat. Haha, naja. Das mit den Urphänomenen hat sich als Vision bei mir aufgetan, als versucht habe, jemanden wie Kafka mit jemanden wie Else Lasker-Schüler zu vergleichen. Die Probleme von Kafka scheinen keine bloßen Dichter- bzw. Kunstprobleme (was immer das auch, genau genommen, sein soll). Die Konvulsionen von Kafka sind die Konvulsionen der Urphänomene, deren Medium jemand wie Kafka ist – so hat es sich in mir aufgetan. Das ist das Urphänomen hinter meinem Ding mit den Urphänomenen.

Kurt Leider und das transzendentalphilosophische Totalgenie

Ich bereite eine Arbeit über Hölderlin vor und stolpere also beim Suchen nach Literatur darüber über eine ominöse Schrift: Studien zum Wesen des Genies in transzendentalkritischer Durchleuchtung von Kurt Leider. Zu Kurt Leider findet man noch weniger Informationen in den Archiven der Menschheit als zu Hölderlin im 19. Jahrhundert. 1902 geboren, 1988 gestorben, gründete er 1952 die Philosophische Akademie zu Lübeck und veröffentlichte Schriften zu Kant, Buddha, Schopenhauer, Nietzsche, Meister Eckhart oder Aurelius Augustinus – also mit einer Vorliebe zu transzendierenden Weltendurchschauern (wie Hölderlin) – in kaum wahrnehmbaren Verlagen, die nicht mehr existieren.

In den Studien zum Wesen des Genies in transzendentalkritischer Durchleuchtung tut er mir den Gefallen und stellt den, in der Geschichte bisher real nur so vorhandenen, Partialgenies das transzendentalphilosophische Totalgenie gegenüber. Im Gegensatz zum beschränkten Durchschnittsmenschen rührt das transzendentalphilosophische Totalgenie stets an die grenzenlosen, nicht zu überschreitenden Grenzen von Dasein und Welt, beginnt es kraftvoll und ohne Umschweife (S.1), und fährt fort: Das Totalgenie, das aus dem sich gleichbleibenden Zentrum Dasein und Welt begreift, weiß zugleich, dass Zentrum und Grenze für immer aufeinander angewiesen und bezogen sind; es weiß, dass Zentrum nie ohne grenzenlose Grenze und grenzenlose Grenze nie ohne Bezogenheit auf das Zentrum ist. Nur dadurch erfährt das Totalgenie etwas von der Unheimlichkeit des Daseins, von der Weite, Tiefe und Höhe desselben … Das Totalgenie lebt nie in einem beschränkten Raum und in einer beschränkten Zeit, sondern erfasst und erfüllt den Erdenweltraum als solchen und die Erdenweltzeit als solche, denn es kennt nicht wie der Durchschnittsmensch den Schrankenraum und die Schrankenzeit, die immer nur von einem bestimmten Standpunkt aus möglich werden, vielmehr erkennt das Totalgenie den Grenzraum und die Grenzzeit, die allein durch das Erfassen der Welt aus dem Zentrum heraus zustande kommen, um auf diese Weise zugleich von einer unheimlichen Sehnsucht gepackt zu werden, über Raum und Zeit hinauszuverlangen. Auf dieses Zentrum-Grenze-Grund-Prinzip rekurriert Kurt immer wieder, als seine eigentümliche Leistung, wie man das reine, totale Genie begreifen könne. Aus dem Zentrum einer reinen Anschauung, einer Unverfälschtheit, eilt das Genie zu den Grenzen des Bekannten, des Möglichen, und schiebt sie weiter hinaus, legt dadurch den Blick auf den Grund frei, hinter aller Erscheinung, und hinter allem Vermögen, das „große Mysterium“, das verzehrt und gebiert, begegnet allen Paradoxien, die auf diesem Weg und Vexierspiel liegen und zähmt sie. So zunächst. Dieses kommt im allgemeinen Wirken des Genies vor. Im Totalgenie erhebt sich dieses Wirken zu höchstem Ausdruck und höchster Bewusstheit. Das Transzendenzbestreben des Genies erlangt seinen höchsten Ausdruck, und gelangt endlich zur Ruhe, indem es überhaupt im Reich des Transzendentalen und Idealen ankommt. Der Genius lebt nie im Medium der Realität, weder der empirischen noch der metaphysischen Realität, sondern einzig und allein im Medium der transzendentalen Idealität und wird sich so seines Charakters als reiner Erscheinung bewusst, die nach dem unbekannten und geheimnisvollen Grunde hinverlangt. Auf der Spannung zwischen der Idealität der Erscheinung und der Idealität des Urgrundes beruht das Wesen des Totalgenies, das den Schein reiner Empirie ebenso überwunden hat wie den Schein reiner Metaphysik. Geradezu in leidenschaftlichem Protest gegenüber aller empirischen und metaphysischen Realität setzt sich das Totalgenie für die transzendentale Idealitöt der Erscheinung und für die transzendentale Idealität des Grundes fern von aller Empirie und aller Metaphysik ein. Erst mit der Eroberung der Idealität des Daseins als einer reinen Erscheinung, die nach dem unbekannten Grunde hinverlangt, hat das Leben für das Totalgenie Sinn erhalten und ist die Sinnlosigkeit allen gemeinen Lebens inmitten realer Empirie und realer Metaphysik verschwunden. (S.2)

Ja, ich sage das ja auch immer, dass ich das Gefühl habe, am meisten im Zentrum zu sein hinsichtlich der menschlichen Affären und gleichzeitig irgendwo sehr weit draußen, exzentrisch, an der periphersten Peripherie. Das ist aber dem Träger von Universalität wohl notwendigerweise wesentlich, die ja schließlich die zentralen Bereiche umfasst und die peripheren; vor allem aber, insofern die Beschäftigung mit dem Universalen die exzentrischste aller Tätigkeiten ist: insofern alle anderen mehr oder weniger mit dem Tagesgeschehen beschäftigt sind, ist der Universalisierer der Peripherste von allen (ein für den Universalisierer bisweilen schwer zu ertragendes Paradoxon). Ja, ich sage das ja auch immer – im Hinblick auf die Begegnung mit dem „rätselhaften Urgrund“ – dass es in mir so ist, als würde ich durch einen dauernden Abgrund fallen, wie Alice im Wunderland. Das ist aber notwendigerweise so, wenn man den absoluten, und durch ein Ego nicht mehr behinderten Tiefsinn in sich hat. Was soll Tiefsinn und Profundheit denn anderes sein als ein bodenloser Abgrund? Das ist, beizeiten, ein seltsames Gefühl. Mittlerweile, oder zumindest zur Zeit, habe ich mich aber daran gewöhnt und mich ganz gut darin eingerichtet. Dieses durch den Abgrund Fallen ist ja mein Wesen, das Ding an sich hinter meiner rätselhaften Erscheinung. Ich falle durch meinen Abgrund, bin aber dadurch ICH, der Grund selbst, der dadurch also so wenig dunkel und rätselhaft ist wie ich, sondern völlig klar und eindeutig und transparent. Die Himmelskörper fallen ja auch durch das Universum, sind nicht in einem absoluten Raum fixiert, und es ist gut so. Alles Empirische ist relativ; wäre es nicht relativ, wäre es auch nicht empirisch … Wo jedoch viele Standpunkte möglich sind, gibt es noch keinen eigentlichen Standort, d.h. keinen Standpunkt über allen Standpunkten, denn dies ist allein der transzendentale Standort, von dem aus die bloße Relativität ebenso überwunden ist wie alle bloße Absolutheit. (S.4) Das transzendentale Bewusstsein als das wahrhaft geniale Bewusstsein hat alle Schranken eines endlichen Standpunktbewusstseins durchbrochen und bewegt sich dennoch nicht in einem schrankenlosen Absoluten der Metaphysik, sondern rührt an die grenzenlosen Grenzen und erfasst auf diese Weise echte Wahrheit. Transzendentale Wahrheit ist Grenzwahrheit und transzendentale Gutheit ist Zentrumsgutheit, die das innerste Wesen des Totalgenies ausmacht. (S.5) Ja, das kenne ich ja auch (irgendwie): Denn das, was sich vor meinem geistigen Auge und über mein gesamtes körperliches Empfinden auftut, ist tatsächlich etwas, das stabiler und robuster und grundsätzlicher ist als alle empirische Welt, und gleichzeitig erhabener und weniger schwammig als die dunkle und abgründige Metaphysik; es ist, wenn man so will, die herausführende Zusammenführung von Physik und Metaphysik; das Alpha und das Omega des In-der-Welt-seins; die Zusammenführung aller synthetischen Erkenntnis und die damit gleichzeitige Freimachung des a priori. Kann es also sein, dass ich nicht in einem transzendenten, sondern einem transzendentalen Raum angelangt bin?

Ein Kriterium für das echte Genie ist dies, dass es sich in gleicher Weise  erhoben hat über alle reale Empirie und alle reale Metaphysik, indem es als ein neues Plateau sich die transzendentale Welt der Idealität erobert hat, die über alle Immanenz der realen Empirie und über alle Transzendenz der realen Metaphysik hinausliegt. (S.3) Wie macht das Genie das? Indem es einen ursprünglichen, reinen, guten Willen zur Wahrheit hat, und eben gerade dadurch immer schon in der Wahrheit ist. Was ist Wahrheit überhaupt? Die Antwort lautet: Wahrheit ist für das Totalgenie niemals Ziel allen Forschens, sondern Voraussetzung… (S.2). Der urtümliche Drang des Totalgenies sei ein reiner guter Wille (laut Kant dem einzigen, was ungeteilt gut ist), somit ist das Transzendentalgenie und sind seine Erzeugnisse rein und, trotz aller Paradoxien, ungeteilt und widerspruchsfrei. Aus der Zentrumstiefe des reinen guten Willens entspringt allein auch die Freiheit des Totalgenies … Für ihn gibt es keinen kategorischen Imperativ der Pflicht, der die Neigung entgegensteht. Es gibt für diesen reinen guten Zentrumswillen keinen Zwiespalt zwischen Wollen und Sollen, vielmehr will der reine gute Wille das, was er soll, und er soll das, was er will: die grenzenlose Grenze der Natur im Sinn der Idealitöt des Daseins als Erscheinung, die nach dem unbekannten Grunde hinverlangt. Begriffe wie Schuld und Sünde sind dabei dem transzendentalen Genius ebenso fremd wie Begriffe der Zerknirschung, Verzweiflung, Furcht, Angst und Zittern; denn diese Begriffe entstehen nur dort, wo Wollen und Sollen auseinandergefallen sind. Die Moral des Totalgenies ist zu einer wahrhaft reinen geworden, ebensosehr wie seine Natur, seine Kunst und seine Religion rein sind. (S.6) Insofern es transzendental ist, ist es notwendigerweise ungeteilt und widerspruchsfrei, wenngleich es scheinbar unergründlich und paradox ist, wie eben die Transzendentalien selbst. Ja, das kenne ich alles sehr gut. Ich habe auch nichts Böses und nichts Verzweigtes oder Abgezweigtes in mir. Das ist wohl offenbar so, weil die Quelle des reinen guten Willens eben rein ist.

Bezüglich des Totalgenies gibt Kurt Leider zu, dass es in der Wirklichkeit wohl noch nie aufgetreten sei: Kein faktisches Genie entspricht unserer transzendentalen Strukturanalyse vom Universalgenie, das in dieser Beziehung stets nur eine Aufgabe bleibt (S.11, zu den Beschränkungen der faktischen Genies auch S.84). Die religiösen Genies zum Beispiel sind (notwendigerweise) keine Genies des kritischen Denkens, die wissenschaftlichen nicht notwendigerweise künstlerische, Kurt Leider besitzt, trotz seiner singulären Einsichten, kein schriftstellerisches Genie und hat zu den wissenschaftlichen Genies ein so abwertendes und eigentümliches Verhältnis, dass man meinen könnte, er sei kein wissenschaftliches Genie. Ich hingegen habe unlängst wieder einmal einiges ausgeführt, zusammengefasst und vertieft von der Vereinigung allen Wissens im Geist, also dem absoluten Geist in der absoluten Form, von dem ich finde, dass es sich zu den Ausführungen von Kurt gut dazu gesellt. Das transzendentalphilosophische Totalgenie ist gleichsam ein Imperativ; gleichzeitig eine Hoffnung darauf, wie der menschliche Geist seiner eigenen Transzendentalität begegnet, sie in sich aufnimmt, sich dadurch selber durchleuchtet und so absolut wird, indem die Kompetenz seiner Vermögen schrankenlos wird: so dass er also nur mehr von definitiv anderen Wesen, die andere Vermögen haben, übertroffen werden kann (die jedoch wiederum der Beschränktheit ihrer Vermögen unterliegen). Schrankenlos wird das Vermögen der Vermögen, indem das Genie in seinem Transzendenzbestreben endlich in der Transzendentalität anlangt.

Transzendental heißt: die Bedingung der Möglichkeit von etwas; im Gegensatz zu transzendent: (die unmittelbare Empirie) überschreitend. Die unmittelbare Empirie wird, im Sinne von höherem Wissen, überschritten, indem man das Erkenntnisstreben konzentriert und (in Ermangelung eines anderen Ausdrucks) „introspektiv“ durchleuchtet, bzw. indem man sich des Raumes der Erkenntnis gewahr wird, die Möglichkeiten und Bedinungen der Möglichkeiten von Erkenntnis als Fragestellung in sein Erkenntnisstreben miteinbezieht. Durch diese Reflexion über die Reflexion besteht die Möglichkeit, dass die materiale Hyle platten Gegenständlichkeit gesprengt wird, die Erkenntnis über die Gegenstände vertieft, und die Manövrierfähigkeit des Erkennens erhöht wird. Ab einem bestimmten Punkt, nach einem mehr oder weniger langen diesbezüglichem Gärungsprozess, besteht die Ermöglichkeit der wahrhaft transzendenten, der erleuchteten Erkenntnis. Tatsächlich, wenn man das so betrachtet, geschieht die erleuchtete Erkenntnis, das Satori, weniger in der Transzendenz, sondern, wenn das Transzendenzbestreben in der Transzendentalität angekommen ist, und die Erkenntnis sich selbst zum Gegenstand gewonnen hat. Das Satori beschreibt ein Erlebnis, wo das höhere und totale Erkenntnisstreben und die Transzendenzbemühung eine stabile Grundlage erreicht haben – tatsächlich muss diese Grundlage dann eben eine transzendentale sein … (denn Transzendenz ist ja ruhelos…) … Transzendental bedeutet, im Sinne von Kant, die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis; es ist a priori und ein Raum, in dem Erkenntnis stattfinden kann. In einem urtümlicheren Sinn sind die Tranzendentalien (wie das Schöne, Wahre, Gute) die grundlegenden Dimensionen der Existenz, die nicht mehr transzendierbar sind (hinter denen also kein „rätselhafter Urgrund“ mehr ist). Man kann, glaube ich, das, was im Osten als Satori beschrieben wird als das Äquivalent ansehen, zu dem, was im Westen als der Geist des Genies gilt. Das Genie gelangt zu reinen Anschauungen und lebt tatsächlich in einer idealen Welt der Erscheinungen. Es lebt in einem Raum, in dem sich die Erscheinungen gebären und verzehren – wenn man so will, vielleicht tatsächlich im transzendentalen Raum. Ja, ich habe etliches von dem schon mal gesagt und werde es versuchen, auch immer wieder, und besser, zu sagen; jetzt, nachdem die mögliche Erkenntnis von der genialen Erkenntnis als der transzendentalen Erkenntnis dazugekommen ist, muss ich auch das weiter ausleuchten: eine Arbeit über „Kant und Buddha“ wird wohl notwendig sein.

Die letzte Konsequenz des transzendentalphilosophischen Totalgenies nach Kurt Leider ist, dass es, in seinem radikalen Erkenntnisstreben, auf den rätselhaften Urgrund trifft, der aber, als solcher, unerkannt bleiben muss. Daher das tiefe Weh des Totalgenies. Der „Urgrund“ und die Sehnsucht danach sind aber etwas Fiktives. Natürlich gibt es ihn, so (also, als etwas Substantialisiertes), nicht wirklich. Er ist etwas, nach dem das reine Erkennenwollen strebt, welches ewig transzendent in seiner Ausrichtung ist; und somit eine Begegnung mit der Transzendenz des Erkenntnisstrebens. Der rätselhafte, formlose „Urgrund“ ist, wenn man so will, die Begegnung des Geistes mit sich selbst. Er kann daher nicht über Gegenstände identifiziert wird, da es dort keine Gegenstände mehr gibt: der Geist ist kein Gegenstand mit schönen Umrissen, sondern ein Vermögen (dementsprechend wird der „Urgrund“ auch gerne als „reines Potenzial“ begriffen, das natürlich inhärent rätselhaft und unvorhersehbar ist). Das Totalgenie wird geradezu heimgesucht von der mächtigsten Sehnsucht aller Erscheinungswelt nach ihrem Grunde, aber es verhält sich stets in Distanz dem Urgunde gegenüber, obwohl die Sehnsucht zum ihm niemals gestillt werden kann; denn nur was Erscheinung ist im Sinn der Idealität des Daseins, hat einen Grund, der jedoch niemals offenbar wird. Nur wo alles gewusst wird, dass nämlich nichts als Erscheinung ist, wird zugleich nichts gewusst vom Grunde dieser Erscheinung, außer diesem, dass er durch die Erscheinung möglich geworden ist. Dass der Grund allein durch die Erscheinung möglich geworden ist, ist das Letzte, wovon das Totalgenie etwas zu wissen vermag, niemals aber etwas von dem Was des Dass, denn dies liegt außerhalb des tranzendentalen Bewusstseins. (S.8f.) Wenn wir das allerdings so fassen, dass die ideale Welt der Erscheinungen transzendental ist, … so gibt es eben keinen besonderen Grund mehr dahinter, da hinter der Transzendalien eben nichts mehr liegt. Der transzendentale Grund ist so höchstens der geniale Geist des Totalgenies, der diese Welt anschaut und als solche erkennt. Bzw. wenn Kurt meint: Das heißt: Es gibt für uns weder eine real empirische Welt noch eine real intelligible Welt mehr, es gibt für uns keine Zweiweltentheorie, sondern die eine Welt als solche ist zur Erscheinung geworden im Sinne der Idealität des Daseins, die ihrerseits allein den Idealitäts- und nicht den Realitätsgrund möglich macht. Welt ist stets beseelte Welt, und diese stets beseelte Welt ist es, die allein den Urgrund möglich macht (S.163), so ist diese „Seele“ also der Grund, bzw. der geniale, reine Geist des Totalgenies.

Draußen, an den Grenzen, an der grenzenlosen Grenze der Naturerkenntnis (S.6), oder besser gesagt, der geistigen Erkenntnis, gelangt man Erkenntnissen, die nur mehr in etwa als Paradoxien beschreibbar sind. Eine Leere, die gleichzeitig eine Fülle ist; eine Anwesenheit, die gleichzeitig eine Abwesenheit ist; der Unvollständigkeitssatz; wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen; etc. Das ist dann die Weisheit des Tao oder des zen-buddhistischen Koan, das zum Satori führt. Das ist die tiefste Einsicht in die Erkenntnis, das ist die tiefste Einsicht in die Welt. Aber es ist eine geistige, eine den Geist betreffende, und keine Naturerkenntnis. Hinsichtlich der Naturerkenntnis gelangt man nicht zu Paradoxien, sondern immer wieder zu neuen, spannenden Resultaten. Isaac Asimov meint, die Naturerkenntnis und der Fortschritt in den Naturwissenschaften seien fraktal (bzw. gleichsam fraktal). Kurt Leider hat wegwerfende Ansichten zur Möglichkeit des wissenschaftlichen Genies; tut, in kantscher Tradition, so, als ob es das gar nicht geben könne (da es ja nicht schöpferisch-original sein könne, sondern an die Interpretation der realen Phänomene gebunden): so bleiben ihm gleichsam wichtige und grundlegende Einsichten in den Charakter der grenzenlosen Grenze der Erkenntnis als auch in den rätselhaften, verborgenen, immer verborgen bleibenden Urgrund versagt. Ich habe vom Ort der großartigen Erkenntnis als der Weißen Hütte gesprochen, wo sich erlernte Anschauungsformen – genau gesagt, die Totalität der erlernten Anschauungsformen – synthetisch auflösen und man in einem Raum von weißem Licht steht, wo die Erscheinungen und Frequenzen hie und da, auf halber Höhe als angenehme Kräuselungen im Medium vorbeiziehen – höchst interessant und höchst interessierend natürlich. Diese Weiße Hütte ist ein inneres Bild von einen Wahrnehmungs- und Erkenntnislevel, das man erobert hat. Es zieht einen dann natürlich weiter rein in die Weiße Hütte, es zieht einen in das rätselhafte Zentrum der Weißen Hütte. Soweit ich aber sagen kann, gibt es in der Weißen Hütte, so, natürlich kein Zentrum, und kein letztgültiges Mysterium, keine letztgültige Erkenntnis, wo man hingelangen kann. Denn die grenzenlosen Grenzen der Naturerkenntnis sind fraktal; die Grenzen der Natur wie der Urknall oder der Beginn der Evolution sind Phänomene der Emergenz, oder weniger als das: das Zusammenkommen von Ereigniskomponenten nach der Art einer chemischen Reaktion, das dann eine Art Explosion auslöst. Das Licht der Weißen Hütte lehrt einen, reine und praktische Vernunft und Urteilskraft zu schärfen, die Dinge zeigen sich fortwährend in deutlicherer Gestalt und klareren Umrissen. Das ist das fraktale Fortschreiten der Erkenntnis, das ist die Sicht auf die Unendlichkeit der Erkenntnis: die Unendlichkeit, sofern sie irgendwie gegenständlich erkennbar sein soll, kann das nur sein, wenn man Einsicht hat in ihren (gleichsam) fraktalen Charakter. Für mich, in der Weißen Hütte, gibt es nichts Neues unter der Sonne, und alles ist neu und furchtbar aufregend. Kurt Leider meint, jenseits des Nirwana, also der verschmelzenden Auflösung der Formen, gibt es zwar noch einen Zustand: allerdings nur mehr den des Wahnsinns, in den das Totalgenie in letzter Konsequenz verfällt (S.9f.). Ja, das kann leicht der Fall sein, wenn man die göttliche Rationalität der naturwissenschaftlichen Erkenntnis missachtet und schmäht; aber nicht bei mir und meiner kleinen, feinen, totalgenialen Welt. Da hat man im Gegensatz dazu fortschreitende und immer besser werdende Klarheit. Bei Kurt Leider ist die Erkenntnis des transzendentalphilosophischen Totalgenies „tragisch“… Dabei ist für diese konsequent zu Ende gedachte Transzendentalphilosophie – im Gegensatz zu Nietzsches berühmtem Ausspruch „Lust tiefer noch als Herzeleid“ – der Weltschmerz mächtiger als die Weltlust, denn die Lust aller Erscheinung besteht nicht zuletzt darin, den Grund dieser Erscheinung möglich gemacht zu haben, während der Grund als solcher niemals offenbar werden kann, da der Weg aller Erscheinung zum Grunde hin über das transzendentale Nirvana geht, das selbst noch keine Erlösung bringt, sondern nur den Weg zur Erlösung durch den Grund freimacht. Hier aber beginnt die eigentliche Tragödie des Daseins, der nicht selten in die Nacht des Wahnsinns einmündet. In diesem Grunde oder vielmehr an diesem Grunde als dem Urproblem und dem großen unbeantwortbaren Fragezeichen geht schließlich der Transzendentalphilosoph selbst wahrhaft zugrunde, und damit endet unsere ebenso kritisch transzendentale wie geniale Idealitätsphilosophie einer reinen Erscheinung, die stets unstillbarer Sehnsucht hinverlangt nach dem geheimnisvollen Grunde. (Schluss, S.269) Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie? Ja, ich bin glücklich, denn ich sitze einfach da, mit meiner Bongotrommel, und betreibe stattdessen die fröhliche Wissenschaft. Wenn man die ideale transzendentale Welt der Erscheinungen sieht, hat man den Grund aller Erkenntnis und aller Welt erreicht, man ist bei den Transzendentalien; indem man betrachtet, wie auf diesem Schirm die Erscheinungen entstehen und vergehen und jede wiederum ein neues Problem aufwirft, ist es zwar eine unabschließbare Sache, und kein punktualer Grund, sondern eher ein Weg, oder eben eine transzendentale Raumzeit: aber man ist darin geborgen. Und: ubi bene, ibi patria.

Das hier soll, abermals, keine Angeberei sein, sondern eine wichtige Untersuchung, was an den Grenzen des menschlichen Denkens und Bewusstseins wohl passiert.

15., 16., 18. April 2021

Warum ich ein Schicksal bin

Einer (offenbar falschen) Erinnerung zufolge ist es mir, als hätte einer einmal gesagt: Zum Schluss sei Nietzsche in seiner Selbststeigerungsdramatik nichts mehr übrig geblieben, als, entpersönlicht, eins zu werden mit dem Schicksal. Zum Schluss führe das Transzendenzbestreben zu nichts mehr, als, lapidar und fatalistisch, darin aufzugehen, dass man „ein Schicksal“ werde. Das sei der Weisheit letzter Schluss (vielleicht also sollte man ihn besser vermeiden: denn was bringt so was denn?). Im Schlussabschnitt von Ecce homo, betitelt Warum ich ein Schicksal bin, seinen tatsächlich in etwa letzten Worten als geistig noch Lebender, schwelgt Nietzsche dann auf jeden Fall endgültig in Phantasien von der Heraufkunft des Bösen, der Vernichtung, des Antichristentums, des Immoralismus. Das ist es, wohin sein Transzendenzbestreben und Übermenschentum ihn zum Schluss gleichsam hingebracht hat. Ja, das kenne ich alles nur zu gut! Ich habe ja auch meine Freude am Antichristlichen und dem radikal Bösen. Bands wie Blasphemy, Bethlehem, Beherit, Proclamation, Abruptum oder Archgoat, die den besonders radikalen und abgefuckten Bestial und War Black Metal bzw. Ritual Black Metal spielen oder das Splitalbum von Pure Evil und The True Werwolf geben mir schon Land und ermöglichen mir (zeitweiligen) Aufenthalt, in sehr entfernten Regionen des Seins. Besonders der Pure Evil/The True Werwolf Split ist sehr weit draußen, wo das stabile Raumzeitgitter in einen Abgrund stürzt und man dann nur mehr die absolute Wand des Nichtidentischen, die absolute Begrenzung des Seins vor sich hat. Ja, so ist das. Es ist notwendig, sich in diesen Denk- und Seinsbezirken unbeschwert aufhalten zu können, genauso unbeschwert, wie in zentraleren Denk- und Seinsbezirken. Nur dann, so vermute ich, ist man in der Lage, das Zentrum zu verstehen, von dem alle Verbindungen ausgehen; nur dann ist es einem möglich, den ganzen Schaltplan des Seins zu erfassen: Wenn man Archgoat und den Pure Evil/The True Werwolf Split versteht, wenn man zu Nether Tombs of Abaddon und allgemein dem Zeug vom Nuclear War Now! Label eine osmotische Verbindung herstellen kann! Wenn man diese Denkmöglichkeiten erfassen kann! Das praktisch Böse hingegen ist mir zu dumm, ihm fehlt die Komplexität und Ausdifferenziertheit. Es ist, zwar vielleicht labyrinthhaft verworren, aber beschränkt und endlich, und daher nichts für unendliche Geister. Nietzsche hat das Böse nicht wirklich verstanden, seine Ausführungen dazu sind von bestürzender Naivität. Ob er Nether Tombs of Abaddon oder den Pure Evil/The True Werwolf Split verstanden oder geschätzt hätte, ist zumindest nicht sicher. Der elitäre Hochmut hätte es vielleicht verhindert, der Antithese tatsächlich furchtlos ins Auge zu blicken, so wie er zu seiner Zeit und zu allen Zeiten den Armen nicht furchtlos ins Auge blicken konnte, den Tschandala, den Sozialisten und Anarchisten und der Disharmonie in der Musik. Denn so war Nietzsche. Aus dieser Ab-gespaltenheit heraus ist ihm die Selbststeigerung dann auch nur unzulänglich gelungen, indem sie immer wieder nur auf sich selbst verwiesen hat und weniger auf die Möglichkeit der Symbiose mit dem Anderen und mit der Welt, war sie gewissermaßen ein Leerlauf, der den Übermenschen immer verfehlt, dafür dann aber mit der Herrschaft und mit dem Bösen gemeinsame Sache machen will. Als paranoide Persönlichkeit hat Nietzsche mit dem Willen zur Macht und der (redundanten, zirkulären, nicht-transzendenten) ewigen Wiederkehr des Gleichen und seiner Sympathie für die Herrschaft und für das Böse, an denen er, entgegen seiner allgemeinen Gewohnheit als Denker, dann so entschieden festgehalten hat, eventuell seinen eigenen, echten Wesenskern erkannt bzw. als metaphysische Prinzipien verkannt, genauso wie er – in an und für sich krankhaftem Ausmaß – von den Armen, der „décadence“, den lebensverneinenden Kräften erschrocken war und sich dauernd von ihnen bedroht gefühlt hat, so sehr eben, dass er sich in den Immoralismus geflüchtet hat.  Der Bestial und War Black Metal hingegen sagt frei heraus, dass er gegen das Leben gerichtet ist, und er ist so obskur und seine Musik ist so schlecht, dass es zum herrschaftlichen Mainstream nie irgendeine Verbindung geben wird. Wer den Bestial und War Black Metal als Denk- und Seinsbezirke kennt und schätzt, ohne ihnen freilich bedingungslos zu verfallen, hat hingegen die Möglichkeit, den hochzeitlichen Ring der Ringe zu schmieden und seine Transzendenz so abzurunden, dass sie ein perfekterer Kreis als das Sein, ein perfekterer Kreis als die Schöpfung wird. Er ist dann definitiv draußen aus diesem Sein.

Um aber zum Eigentlichen zurückzukommen: der Gedanke, dass einem als letzte und höchste Seinsstufe nur mehr bleibt, „ein Schicksal“ zu werden. Lapidar und fatalistisch, ohne echte Persönlichkeit und Idiosynkrasie, wie es scheint: Lohnt sich der Aufwand? Wird man, vor allem, dabei nicht auf eine viel niedrigere und primitivere Seinsstufe zurückgestoßen, ist es ein unwürdiger Regress? Das Schicksal ist blind und blöde. Das Schicksal ist aber auch der Chaosmos – das Zusammenspiel von Zufall und Ordnung – und damit das tiefste und eigentlichste Prinzip der Welt. Wenn man eins wird mit dem Schicksal, hat man die größte nicht mehr hintergeh- und transzendierbare Identität mit dem Sein gewonnen; höchste Weisheit ist es bekanntlich, mit „dem Flow zu gehen“; wenn man ein Schicksal wird, geht man definitiv mit dem Flow. Man ist der Flow. Wird man ein Schicksal, so verliert man, so scheint es, nicht nur das Ego/Ich, ja, man verliert sogar die höhere Stufe des Ego/Ich: das Selbst. Die Persönlichkeitsgrenzen aufzulösen ist gut: während Depersonalisierung ein Regress ist, ist Transpersonalisierung, also eine Osmose mit dem Sein, ein Progress. Es ist gut, ein Schicksal zu sein. Dafür muss man freilich sehr viel tun, im Hinblick auf Selbstüberwindung und darauf Achten, dass die eigenen Lebensbahn Sinn macht. Man bezahlt sein Karma ab, wenn man ein Schicksal wird. Überwindet es, denn das Schicksal ist eine tiefere Macht als das Karma (indem es gar keine Macht ist, sondern eben ein Chaosmos). Ein Schicksal wird man, wenn man ein authentisches Streben hat und so, eventuell, zugrunde geht. Das erhöht dann, post mortem, das Charisma, das von einem ausgeht, denn die Menschheit braucht so etwas, um sich ihrer eigenen Authentizität zu vergewissern. Bands wie Behexen, Bethlehem oder Archgoat, die Bestial und War Black Metal spielen, sind authentisch. Sie sind so antithetisch und seltsam, dass sie sehr wohl ihr eigenes Süppchen kochen. Und eigene Süppchen zu kochen, macht glücklich. Studien zufolge sind Metal Fans glücklicher als der Rest der Gesellschaft. Das erscheint paradox, ist aber leicht nachvollziehbar unter anderem dadurch, weil ihre Musik eben authentischer und realistischer ist. Während der Gutteil der populären Musik über Statussymbole und Fake-Beziehungen und, aller-allerjüngstens, über den Feminismus singt, singt der Metal über den Satan und blickt ihm unvermittelt ins Auge und nimmt ihm so seinen Schrecken. Der Gutteil der populären Musik ist unhörbar und schlecht, allerdings nicht, wie der Bestial und War Black Metal, absichtlich. Man mag die Philosophen fragen: Warum machen sie denn nichts Normales, warum reden sie denn nicht wie normale Menschen? Nun, weil die Normalität ein schlechter Gegenstand für die Philosophie ist. Die Normalität hat man schnell verstanden; denn die Normalität besteht darin, dass viele Leute ein paar einfache Verhaltensweisen voneinander kopieren. Die Ritualmusik von Abruptum hingegen kommt von den äußersten Bezirken des Seins, die kaum kolonialisiert und umdefiniert werden. Also muss man auch die verstehen. Nur wenn man über diese Außenbezirke des Seins das Integral legen kann, sie flexibel in seinen Bannkreis ziehen kann, osmotisch, kann man wohl eine integrale und integrative Sicht auf die Totalität des Seins haben (und das ist dann der Übermensch). Weil Nietzsche das nicht gut konnte, ist er wunderlich geworden und hat zwei verschiedene Bahnen gezogen, eine progressive und eine degressive (entsprechend der gesunden Anteile seiner Persönlichkeit und der kranken), ohne den hochzeitlichen Ring der Ringe schmieden zu können, der sich nur über eine Osmose des Denkens und des Empfindens mit dem Sein ergeben kann. Eines der führenden Plattenlabel für Black Metal heißt übrigens Osmose.

Der gegenwärtige Zustand meines Geistes

Der gegenwärtige Zustand meines Geistes ist insgesamt ein sehr guter. Ich arbeite, bekanntermaßen, am absoluten Geist in der absoluten Form. Der absolute Geist erscheint, bekanntermaßen, über Wissenschaft, Kunst und Philosophie (und Religion/Ethik). Der absolute Geist in der absoluten Form passiert über solchen disziplinären Segmentierungen und Auffächerungen seiner selbst, er arbeitet auf einem höheren Verständnislevel; seine Rede ist Fusion und Synthese von Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Religion/Ethik. Es ist die absolute Begegnung des Geistes mit sich selbst und die absolute Begegnung des Geistes mit der Welt. Das ist der absolute Geist in der absoluten Form.

Ich habe (vor ein paar Jahren und allgemein) gesagt: Ich will meinen Geist reinigen und mich erweitern und vertiefen. Ich will meinen bisherigen Geist demolieren und zu reinen Anschauungen vorstoßen, um so neue Begrifflichkeiten und meinen Geist neu konstruieren zu können. Dadurch gelangt man in die höchste Höhe, geht in die größte Breite, und mittlerweile arbeite ich ziemlich tief. Mein fortschreitender Tiefbau ist viele Etagen unten; im Reich, hoffe ich, der Fundamentalontologie; so profund ist meine Betrachtungsweise und so universal mein Blickwinkel. Ich will nicht eine Philosophie oder Theorie oder Kunst machen oder ethische Schule. Philosophie, Religion, Kunst etc. besteht unglücklicherweise aus Sachen, die Philosophen et al. gesagt haben und geistigen Gebilden, die Philosophen et al. errichtet haben. Ein geistiges Gebilde ist aber nicht der absolute Geist, und noch weniger der absolute Geist in der absoluten Form. Was Philosophen sagen, und die geistigen Gebilde, die sie errichten, steht in einem universalen Bezug zur Wirklichkeit, oder strebt diesen zumindest an, ist aber auch subjektiv beschränkt (und, meistens, neben Vorstellung auch Wille, sich etwas so und so vorzustellen). Die Lehre der Philosophie etc. besteht aus dem, was bedeutende Philosophen gesagt haben, die Kunst besteht aus dem, was einzelne Künstler gemacht haben; die Substanz der Philosophie etc. gilt aber der absoluten Erkenntnis der Welt. Was ich anstrebe, ist nicht eine Philosophie zu machen, sondern, dementsprechend, die Philosophie. Ich will nicht eine Philosophie machen, sondern die Philosophie – freilegen, aus dem absoluten Grund des Seins. Das steht im Zusammenhang mit dem absoluten Geist in der absoluten Form.

Ich klebe, bekanntlich, sehr stark fest an der Welt und bin tief in ihr verankert. Ich kann, genau genommen, von dort nicht weg, auch wenn ich es wollte und teilweise auch will. Mittlerweile empfinde ich es so, dass ich an etwas arbeite – nicht mehr an Kunst, Philosophie etc. – sondern an so was wie an der Mathematik; an einer Art Mathematik des Seins. Die Mathematik beschäftigt sich mit der abstrakten und formalisierbaren Bestimmung, wie sich Quantitäten zueinander verhalten. Sie wird vom Menschen entdeckt und freigelegt, der in einer Welt von Quantitäten, von Raum, Zeit und Materie lebt. In der Bestimmung dieser Verhältnisse entdeckt der Mensch die Mathematik und legt sie frei, die gleichzeitig allgemeiner und unerschütterlicher als alle Welt ist, über die Welt hinausgeht. Sie ist eine robuste Struktur. Der (absolute) Geist versucht eher, die Qualitäten des Seins zu bestimmen. Auf diesem Verständnislevel, tief unten in der Fundamentalontologie, glaube ich zu erkennen, dass ich dies im Allgemeinsten tue: Ich versuche, die Qualitäten des Seins zu bestimmen und eine Art Orientierung des In-der-Welt-Seins freizulegen, eine Struktur, die damit so fundamental und robust ist/sein soll wie die Mathematik. Die Mathematik der Seinsqualitäten, entlang des Koordinatensystems des In-der-Welt-Seins. Das ist dann die Philosophie und der Geist (und damit der absolute Geist in der absoluten Form). Daran klebe ich dann umso stärker fest. Der Mathematik kann man nämlich nicht entkommen.

Was ich versuche, ist, über mein In-der-Welt-sein das In-der-Welt-sein zu ergründen. Das tue ich, indem Bewusstsein auspräge und mir die Dinge in der Welt und mein In-der-Welt-sein vergegenwärtige. Wenn ich einen Text über einen Philosophen oder eine Künstlerin produziere, so sehe ich den weniger als einen Essay oder eine Abhandlung oder eine Studie an (wenngleich es all das ist), sondern als einen Versuch der Vergegenwärtigung dieses Philosophen oder jener Künstlerin. Meine Literatur ist „experimentell“, insofern sie auch unter der Fragestellung geschehen ist: Wie ist Literatur möglich? Wie ist Kunst möglich?, vor allem aber als Erkenntnisinstrument, als Hilfsmittel zur totalen geistigen Durchdringung der Welt (der Subjektivität und der Objektivität) über ihre Vergegenwärtigung. Es handelt sich bei meinen schriftlich niedergelegten Mitteilungen um Stufen im Erkenntnisprozess, genauer gesagt um Plateaus eines Erkenntnisprozesses, die über dem Abgrund errichtet werden und die übereinander geschichtet werden, um Begehrbarkeit zu ermöglichen. Es handelt sich um den Ausgang zum Himmel, und zum absoluten Geist in der absoluten Form, der sich über diesen fortschreitenden Prozess dann eben ausbildet. Ich sitze vor der Wand der Erscheinungen und betrachte sie, über meinen Geist vergegenwärtige ich mir sie. Was kann es Höheres und Profunderes geben? Die Vergegenwärtigung ist etwas Meditatives und Penetratives (synthetisches und analytisches) zugleich. Das Meditative ist die ruhige und kontemplative Betrachtung der Gesamterscheinung, das Penetrative gilt dem Treffen von umso schärferen Unterscheidungen. Der Geist ist meditativ und penetrativ, der absolute Geist in der absoluten Form verwirklicht sich in dieser meditativ-penetrativen Anschauung und Prozessierung.

Der Geist steht im Zusammenhang mit Bewusstsein, und das Bewusstsein ist letztendlich eine Paradoxie, über die man nicht hinauskommen kann (insofern man Bewusstsein letztendlich nur wieder über Bewusstsein erklären kann u. dergl. sind Erscheinungsformen dieser Paradoxie). Aber man kann diese Paradoxie relativ subvertieren, indem man sie imitiert. Dementsprechend gelangen die radikalsten Geister und Yogis letztendlich zu Zuständen und Weltwahrnehmungen, die sich nur mehr in Paradoxien beschreiben lassen: eine Abwesenheit, die gleichzeitig ein Anwesenheit ist; eine Leere, die gleichzeitig eine Fülle ist; ein Weg, der weglos ist; wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen etc. Das sind die absoluten Grenzen des Denkens und auch die absoluten Grenzen der Welt. Das Absolute und Totale kann wohl – nicht anders als die Mathematik im Hinblick auf den Gödelschen Unvollständigkeitssatz – nicht anders sein, dass es Paradoxien hinsichtlich seiner Qualitäten beinhaltet (da diese in einem Veweisungszusammenhang zueinander stehen). Das absolute Bewusstsein lässt sich von diesen Paradoxien nicht erschrecken, macht vielmehr Mimesis zu ihnen. Daher ist das Bewusstsein auch nicht unbedingt das, was Aspiranten auf ein höheres Bewusstsein sich gerne vorsellen mögen. Das Bewusstsein des Menschen ist höher als das des Tieres. Damit verfügt der Mensch über mehr Fähigkeiten und mehr Freiheitsgrade als, gemeinhin, das Tier. Einige Menschen streben ein höheres Bewusstsein an, aus diesen und jenen Gründen. Sie erhoffen sich dadurch ein Mehr an Kompetenzen und Freiheitsgraden. Der absolute Geist in der absoluten Form hat das höchste Maß an Kompetenzen und Freiheitsgraden. Sein Träger wird ein Maradona des Geistes, mit übernatürlichen Fähigkeiten und einer übernatürlichen Manövrierfähigkeit und übenatürlichem Ballgefühl und Spielfeldüberblick. Glücklich macht ein höheres Bewusstsein nicht unbedingt. Es kann sogar das Unglück vermehren. Aber „das Glück“ ist sowieso selten und uneindeutig. Es gibt jedoch Daseinsqualitäten wie Freiheit, Schönheit, Reichtum, Wissen, Moral etc. die, auch wenn sie nicht „glücklich“ machen, erstrebenswert sind. So ist ein höheres Bewusstsein erstrebenswert; die meisten Menschen irren durch enge, hoch eingepfrechte Gassen und sehen die Hand vor Augen kaum; das höhere Bewusstsein sieht hingegen den Stadtplan. Das noch höhere Bewusstsein den Schaltplan. Es hat ein höheres Maß an Kompetenz gegenüber Raum, Zeit und Materie. Das mag dem höheren Bewusstsein zu Kopf steigen und eitel machen. Nicht aber dem absoluten Geist in der absoluten Form! Der absolute Geist in der absoluten Form ist ja nur dadurch und stabilisiert und erhält sich darin, dass er sich seiner Kleinheit und relativen Ohnmacht stets bewusst ist. Die Abarbeitung am Relativen und an der Ohnmacht macht ihn ja absolut und bringt ihn in so absolute Form. Der absolute Geist in der absoluten Form sieht sich selbst am Relativsten und er ist der Relativierendste, am wenigsten Verabsolutierende. Daher kann er am Besten richtige Unterscheidungen treffen. Das Bewusstsein ist etwas Aufmerksames, und es ist etwas Flackerndes. Je aufmerksamer ist wird, desto flackernder wird seine Wahrnehmung der Welt, wird es selbst. Deswegen lehrt uns der Zen-Buddhismus, dass Festes und Flackerndes eine Einheit bilden, und eine Einheit des Geistes bilden. Wenn man den Geist letztendlich so erfährt, hat man Erleuchtung erlangt, ein so genanntes absolutes Bewusstsein. Das absolute Bewusstsein ist der Stabiliät und der Instabilität in der Welt gleichermaßen gewahr.

Zu einer stabilen Instabilität der Welt gehört für mich persönlich: Mit meinem absoluten Geist in der absoluten Form habe ich keinerlei weltlichen Erfolg. Das wird mir immer wieder bewusst und es ist sehr unangenehm. Meinen Geist aber eben ficht das gar nicht an, denn mein Geist ist nicht von dieser Welt, er ist Ideal. Das wird ihm über seine Erfolglosigkeit in der Welt geradezu und immer prompt bestätigt. Wisse denn, Schwester, was ich sehe und erlebe ist ungeheuerlich! Ich kenne maßlosen Reichtum, grenzenlose Freiheit und Macht, das Aufblühende, ich sehe klar das stabile Reich der Ideale, ich weiß, was das Paradies und der Himmel ist – und ich kenne das jeweils genaue Gegenteil davon. Ich lebe außerhalb der Platonischen Höhle und sehe in die gleißende Sonne der Platonischen Ideen; wie Kafka, wie van Gogh, wie Betty Davis, wie Sokrates. Da ich nicht in dieser Höhle lebe, lebe ich in dieser Welt notwendigerweise unbehaust. Im Reich der Ideale, im Kontinuum bin ich frei und lebendig. Das heißt nicht, dass ich weltfremd bin, sondern eben das Gegenteil. Indem ich gleichzeitig die platonischen Ideen als auch die Erscheinungen sehe, habe ich eine umfassendere und totalere, eindringendere, diese durchwirkendere Sicht auf die Realität. Wenn ich über die Realität im Irrtum sein sollte, dann wahrscheinlich nicht lange. In der Kunst, und allem, was damit zusammenhängt (also eben die Sachen des Geistes) habe ich das höchste und endgültige Stadium erreicht. Die Möglichkeiten des Ausdrucks und die Möglichkeiten, Sachen heranzuziehen, die ausgedrückt werden sollten, sind bei mir ausgeschöpft, es gibt dazu kein Jenseits mehr. Selbst die größten und erfolgreichsten Schriftsteller haben gemeinhin irgendwelche Minderwertigkeitsgefühle, hinsichtlich ihrer Kunst. Ich aber, der am wenigsten Erfolgreiche von allen, und der so was aus der schriftstellerischen Vergangenheit gut kennt, ich nicht. Die endgültige spirituelle Wahrheit in der Kunst, ich habe sie erreicht, aufgrund meiner glücklichen spirituellen Anlagen. Die laufenden Zeiger des Ausdrucksvermögens und dessen, was ausgedrückt werden soll, sind bei mir zu Ruhe gekommen, und ich bin superstabil. Jetzt ist es bei mir also jeder Zeitpunkt des Weltkreislaufs gleichzeitig. Möglicherweise braucht die Menschheit noch lange, bis dass sie sich von einem solchen Schock erholt. Gleichzeitig habe ich damit erreicht, was laut Badiou das höchste ist, was Kunst in einem plappernden, allesfressenden Kommunikationszeitalter erreichen kann: indem sie so autonom ist, dass sie innerhalb dieser Kreisläufe nicht kommuniziert und nicht zirkuliert. Erst in späterer Zeit wird der Geist befreit über den Segmentierungen schweben können.

Stabilität ist es, was wir in der Welt suchen, was der Geist sucht. Wie kann sich aber eben der Geist sicher sein, dass er stabil ist? Der absolute Geist – sich ausdrückend in Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Religion/Ethik – beschäftigt sich mit Qualitäten, und Qualitäten sind nicht ganz eindeutig und nicht notwendigerweise stabil. Wie kann also der absolute Geist – sich ausdrückend in Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Religion/Ethik – in einer absolut seiner gewissen Form erscheinen? Der Künstler strebt, wie Motherwell es ausdrückt, danach, „the real thing“ zu sehen, zur Darstellung des „real thing“ vorzustoßen. Das gelinge fast nie. Dazu muss man permanent nachdenken, verknüpfen, trennen und empfinden, um zum real thing vorzustoßen. Diese schweren Konvulsionen und seelischen Belastungen, wenn man als Künstler nicht das Gefühl hat, zum real thing vorstoßen zu können, kenne ich sehr gut. Ich habe sie sehr intensiv erlebt und wahrscheinlich intensiver als andere. Aber ich bin zum real thing vorgestoßen (wahrscheinlich eben deshalb). Dazu muss man aber eben die Realität am profundesten erkennen. Das real thing, die tiefste Schicht des Realen, ist mir bekanntlich der Chaosmos, das Zusammenspiel von Zufall und Ordnung. Dieser Chaosmos ist freilich etwas sehr Allgemeines, fast immer aber wird in den diversen Metaphysiken entweder das kosmische oder das chaotische Prinzip bevorzugt; nie gleich gewichtet, was dann also zu Verhärtungen und Missverständnissen führt. Das aber tue und gewährleiste ich nicht, ich gewichte das gleich. Notwendigerweise ist auch das Bild vom Chaosmos eine scheinbar so blasse Allgemeinheit, weil es eben so allgemein und universal und fundamental ist. Wie soll das Fundamentalste den anders sein als sehr, sehr allgemein?  Wenn man aber diesen Chaosmos sieht, seine Stabilisierungen und Verformungen, hat man die Welt gesehen. Ich halte es zwar nicht für unmöglich, sehe aber nicht, wie es etwas noch Grundsätzlicheres geben kann als den Chaosmos. Sogar mathematisch betrachtet ist jedes dynamische System – und damit jegliche mögliche Welt – ein Zusammenspiel von Ordnung und Zufall, also ein Chaosmos. Meine Metaphysik von Chaosmos trifft sich also nicht mit einer fortgeschrittenen oder profunderen Physik, sondern in der ortlosen ewigen Allgemeinheit der Mathematik. Die unabhängig von der inneren Beschaffenheit unseres Universums ist. Wenn sich die Naturkonstanten und damit die innere Beschaffenheit und die Qualität des Universums ändert, ist die Metaphysik vom Chaosmos weiterhin anwendbar, da sie allgemeinerer und unzerstörbarerer Natur ist. Das ist gut, denn so überblicke ich die Metaphysik von allen möglichen Universen.

Die Kunst kann nie sicher sein, ob sie objektiv richtig oder falsch ist, da es dafür keine objektiven Kriterien in der Welt gibt, da sie eine Verbindung von subjektiven und objektiven Anteilen ist (es gilt daher, die Kunst so profund zu machen, dass sie zum Objektiven und Unumstößlichen vordringt; was nur geschehen kann über eine absolute Reinigung des Geistes und einer absoluten Reinigung innerhalb der Kunst). Die Wissenschaft wird nie mit sich fertig und ist nie endgültig. Das ist ihr Unglück und das ist ihr Glück. Der Naturwissenschafter weiß nie, wie nahe er schon am endgültigen Sein ist. Bei den Sozial- und Geisteswissenschaften kommt neben ihren an sich weniger klaren Gegenständen noch dazu, dass der Blick auf diese Gegenstände interpretativ ist (und zu je mehr interpretativen und intellektuellen Blickwinkel auf das Soziale und Geistige imstande ist, desto näher ist man am Verständnis des Sozialen und des Geistigen und desto näher ist man am absoluten Geist in der absoluten Form). Der Gottesmann ruht sicher im Glauben. So stellen wir uns das große Glück vor aller Sterblichen. Allerdings kann der Gottesmann nicht sicher sein, dass er diesen Glauben nicht irgendwann verliert (abgesehen davon, dass das Leben des Gottesmannes gar nicht einfach sein muss, in Bezug auf seinen neurotisch-asketischen Lebensvollzug, den Versuchungen des Teufels, denen er sich ständig ausgesetzt fühlt und die er beständig abwehren muss und allgemein der Fassade, die er meistens aufrechterhalten muss). Die Mathematikerin einzig ist absolut sicher. Der von ihr freigelegte mathematische Beweis oder dergleichen ist ewig und unzerstörbar, selbst wenn sich Struktur des Universums verändert. Diese absolute Sicherheit des Geistes kann es also nur über so etwas wie der Mathematik geben. Ich habe gesagt, ich habe mittlerweile den Eindruck, gar nicht mehr so was wie Kunst, Wissenschaft oder Philosophie freizulegen, sondern etwas so Profundes und Universales wie die Mathematik, eine Mathematik der Seinsqualitäten, eine Mathematik des In-der-Welt-seins. Deren Robustheit und mit so einer Struktur belastet zu sein, bringt mich fast um. Ich muss diese Mathematik unbedingt bekannt machen. Der Geist ist schließlich dazu da, dass er mit anderen Geistern sich verbindet. Derweil lebe ich in der so gut wie absoluten Sicherheit dieser Mathematik.

Der absolute Geist in der absoluten Form mag gleichgültig, unbeteiligt, unpraktisch und unpolitisch wirken. Natürlich ist aber nichts an allem beteiligter und es ist nichts politischer als eben der absolute Geist in der absoluten Form! Was der Geist gundsätzlich tut, ist zu reflektieren um sachlich richtige Unterscheidungen zu treffen und gute Dinge zusammenzuführen, um den allgemeinen Nutzen zu maximieren. Damit ist der absolute Geist in der absoluten Form eminent politisch. Natürlich nicht in dem herkömmlichen Sinn, wonach es politischen Menschen und innerhalb der Politik meistens darum geht, den eigenen, subjektiven Standpunkt durchzusetzen. Der absolute Geist in der absoluten Form ist politisch, insofern Politik letztendlich das Management von sozialer und menschlicher Diversität ist. Er sitzt vor der Wand der Erscheinungen dieser Diversität und meditiert sie. Er mischt sich aber in die Kämpfe dieser Diversitäten nicht unmittelbar ein, da er dafür zu allgemein ist. Er wird reflektieren, wie man politische Probleme lösen kann. Wenn er danach gefragt wird. Es kann natürlich, um ein weiteres Mal so sein, dass der absolute Geist in der absoluten Form danach eben nicht gefragt wird. Indem der absolute Geist in der absoluten Form die relativen Positionen und die Segmentierungen überwindet, wird er sich bei den Relativierungen und Segmentierungen immer wieder sehr unbeliebt machen, insofern die Segmentierungen in der Regel gerne an sich festhalten und die relativen Blickwinkel sich am liebsten absolut setzen. Am vollständigsten mag es die Relativierungen und Segmentierungen empören und die Parteigeister, wenn sie sehen, dass sie auch das relative Zentrum der Welt nicht sind (dass man selber nicht das absolute Zentrum der Welt ist, ist für jeden, abgesehen von Fanatikern, einleuchtend), sondern ein Stein im Weltmosaik unter anderen. Der absolute Geist in der absoluten Form kann aber ein solcher nur sein, wenn er politisch und unpolitisch ist, beteiligt und unbeteiligt, die Politik als ganze betrachtend, dabei keiner politischen Liebhaberei anhängend. Abermals hat man hier den meditativ-penetrativen Blick. Der absolute Geist in der absoluten Form ist ja auch kein absolutes Zentrum. Der absolute Geist in der absoluten Form ist deswegen das, was er ist, indem er das Weltmosaik einer zentrumslosen Welt absolut betrachtet (und versucht, Zentren darin zu finden). 

Wenn man davon spricht, nicht eine Philosophie zu machen, sondern die Philosophie, steht das in unweigerlicher Verbindung mit der Meta-Philosophie, von der ich auch bereits dann und wann gesprochen habe. Die Philosophie muss eine Meta-Philosophie sein, die über allen philosophischen Systemen stattfindet und diese reflektiert. Der Meta-Philosoph bewegt sich über allen philosophischen Systemen. Er wandelt auf dem Dachkamm der Welt, unter seinem Schritt knirschen die philosophischen Systeme, sowie die Moralsysteme. Sokrates ist so gewandelt, Kierkegaard, Nietzsche oder Wittgenstein. Man könnte meinen, der knirschende Gang der Meta-Philosophen zerstört die Systeme, zerstört die Ordnung in der Welt. Was die Meta-Philosophen aber tun, ist, vom Blickwinkel einer höheren Dimension aus, Licht und Schatten in Systeme und Ordnungen zu werfen. Die Meta-Philosophen sprengen die menschliche Matrix und legen den Blick auf die menschliche Matrix frei: wonach Menschen sowohl Einzelwesen als auch Kollektivwesen sind, ein Zufall, der mit einer Ordnung konfrontiert ist und umgekehrt; und die Aufgabe darin besteht, daraus eine Win-Win-Situation zu generieren. Die Meta-Philosophen, als enigmatische Verkörperungen der enigmatischen Matrix, sind extreme Individuen, die gleichzeitig einen extremen Überblick über die Ordnung und das Gesetz in sich tragen. Sie sprengen die Systeme und die Moralsysteme, servieren aber Anschauung, Idee und Beispiel vom absolut kompetenten Individuum. Das ist ihre Leistung. Ich will auch irgendeine Leistung erbringen, denn ich bin ja pflichtbewusst. Dass ich in der praktischen Welt absolut keine Leistung erbringe, hoffe ich wiedergutzumachen, indem ich die meta-philosophische Leistung der Freisetzung des absoluten Geistes in der absoluten Form erbringe. Das ist dann auch keine kleine Leistung. Denn vor allem sehen die Meta-Philosophen, in und trotz all ihrem zerstörerischen Werk was, das so robust ist, dass es über die Robustheit aller philosophischer Systeme hinausgeht, so etwas wie das Weltgitter, an das sie gespannt sind, das Welt-Koordinatensystem, entlang dessen ihr Geist verläuft, die Mathematik des In-der-Welt-Seins. Wie auch immer man das bezeichnen mag oder wie es ihnen jeweils erscheint. Daran haben die Meta-Philosophen ungemein schwer zu tragen und sind daran angespannt, wie an ein Folterinstrument; das Folterinstrument der Welt. Meta-Philosophen wie Sokrates, Kierkegaard, Nietzsche, Wittgenstein oder Otto Weininger hatten viel schwerer zu tragen und waren viel stärker angespannt als es bei Philosophen gemeinhin der Fall ist. Das ist dann keine kleine Leistung.

Der absolute Geist in der absoluten Form und also das Absolute. Wenn mich eine fragt: Was ist denn deine Homepage da, was soll das denn sein? So antworte ich möglicherweise: Das ist die Unendlichkeit (des Geistes)! Oder: Das ist das Absolute. Der absolute Geist in der absoluten Form ist unendlich und absolut. Das Absolute ist einerseits allumfassend und unumstößlich, andererseits getrennt und eine andere Ordnung als das Relative und Kontingente. Insofern die Kommunikation zwischen dem relativen und dem absoluten Denken schwer gestört und ungleichzeitig ist, das relative und das absolute Denken zwei sehr verschiedene Qualitäten sind, ist das Absolute auch immer bedroht, das Einsame zu sein (was es ihm also verunmöglicht, tatsächlich als das Absolute zu wirken). Insofern das Absolute sich selbst vollständig durchdringt und prozessiert, eine Meditation, die die Gegenstände der Welt als auch die Meditation über diese Meditation beinhaltet, ist sich das Absolute auch selbst genug. Allerdings kann es sich dann eben nicht mit der Welt verbinden und in der Welt wirken, somit ist es nur relativ absolut. Allerdings weiter ist das Absolute notwendigerweise von einer Relativität durchzogen, sonst kann es sich gar nicht prozessieren und Unterscheidungen treffen. Das Absolute ist das alles Zusammenfassende und daher auch von allem ein wenig verschieden. Diese Relativität ist überall und nirgends vollständig vorhanden, wie ein Zeiger bewegt es sich in der Uhr des Absoluten, die eben nur über die Anzeige des Relativen (im Absoluten) Sinn macht. Man fühlt aber: Es gibt in unserem relativen Sein eine Anwesenheit des Absoluten, eine Parusie mit dem Absoluten. Der absolute Geist in der absoluten Form durchdenkt das Sein und durchwirkt geistig das Sein. Das Absolute ist im Sein vorhanden, das Streben nach dem Absoluten lässt uns das Sein tiefer erfahren. Widerstände gegen Erfahrung müssen weggeräumt werden. In mir ist nichts Festes und es gibt keine Widerstände, es ist da ein farbiger Nebel der sich durch sich selbst wälzt, in unregelmäßigen Formen. Es gibt da keine (krankhafte) Psychologie, sondern nur Klarheit und Philosophie. Das Absolute ist das was sich absolut selbst durchdringt. Der absolute Geist in der absoluten Form durchdringt sich so weit, als das eben relativ für ihn möglich ist. Aristoteles sagt, der fortschreitende Geist ist in die Reflexion über immer mehr Gegenstände der Welt versunken. Gott letztendlich, der diese Gegenstände beinhaltet, ist in die Reflexion über sich selbst versunken. So in der Art ist also der absolute Geist in der absoluten Form. Gott ist von seiner Schöpfung unter- und verschieden. Das ist die Relativität Gottes gegenüber der Schöpfung, die wiederum nach dem Göttlichen, dem Absoluten strebt. Der absolute Geist in der absoluten Form ist eine Annäherung an dieses Göttliche.

Man mag sich den Geist und den absoluten Geist in der absoluten Form als harmonisch und befriedet vorstellen, als ätherisch. Die übersinnliche Welt (die der Geist anschaut, Anm.), ist hiermit ein ruhiges Reich von Gesetzen; wie es in der Phänomenologie des Geistes steht. Tatsächlich ist er das, befriedet und in absoluter Ruhe, wenngleich nur entlang einiger seiner dimensionalen Achsen. Denn neben diesem in-sich-Ruhen ist der Geist rege Tätigkeit. Der Geist ist am wenigsten in Ruhe und Harmonie, und am allerwenigsten der absolute Geist in der absoluten Form. Der absolute Geist in der absoluten Form ist ständige Hyper- und Metareflexion, und was er produziert, versteht er als vorläufige Ergebnisse und eventuell experimentelle Anschauungen. Diese Gleichzeitigkeit von Ruhe und Agitiertheit adäquat zu verstehen, ist selbst für den absoluten Geist in der absoluten Form ein wenig schwer. Aber notwendigerweise ist der absolute Geist in der absoluten Form Einheit der Gegensätze. Bedenke, die Begegnung des Geistes mit sich selbst und die Öffnung des Geistes hin in den offenen Raum über die Erleuchtung ist nichts Einfaches, sondern recht Kompliziertes und passiert über gottsuchende Anstrengung und Askese in der Wüste. Der Weg zum Satori führt über das superkomplexe Koan. Die Offenheit des Geistes ist gleichzeitig seine extreme Ausdifferenziertheit. Durch Hyper- und Metareflexion schließlich sprengt der Geist die materielle Hyle der Dinge. Indem er die materielle Hyle seiner Gegenstände sprengt, wird er absolut und frei. Dann ist er der absolute Geist in der absoluten Form. Der große Geist gleicht bekanntermaßen dem offenen Raum. Gleichzeitig finden im großen Geist unermüdliche Prozesse statt, Reflexionen, die teilweise hohe Wellen schlagen. Und nur wenn das passiert, prägt sich Geist aus und gleicht immer mehr dem offenen Raum, in seiner zunehmenden Unbeschränktheit. Was kümmert es das Meer in seiner Ruhe und seiner Selbstversunkenheit, wenn dort und da hohe Wellen schlagen?

Der absolute Geist in der absoluten Form ist alles andere als ohne weiteres zu mir gekommen. Ich habe ihn – so – auch gar nicht angestrebt, nicht einmal von ihm gewusst. So wie die Menschheit bislang noch nichts weiß vom absoluten Geist in der absoluten Form. Lange hat es gedauert, bis dass sich diese höchst exzentrischen und idiosynkratischen Formen, die mein Geist und mein Erleben stets produziert hat, zusammenfügen, zusammenpassen, ineinandergreifen wie Zahnräder in einem gigantischen Uhrwerk: das ist das, was fortwährend nun passiert. Lange habe ich mich für eher geistlos gehalten, aufgrund der Unbestechlichkeit meines Geistes. Bis ich endlich das Buch vom seltsamen und unproduktiven Denken beendet hatte, hatte ich noch keine systematische philosophische Basis und daher kein einheitliches Bewusstsein, keinen einheitlichen Geist. Aber es ist halt einfach so, dass das dauert, bis dass sich so was entwickelt, bis dass alles ineinandergreift, bis dass Geist produziert wird. Mittlerweile ist das Netz meines Wissens schon sehr umfassend und sehr dicht und dadurch sehr robust. Es lässt sich nicht mehr vom Tisch wischen. Seit jüngerem produziere ich, vor allem, überhaupt am absoluten Geist in der absoluten Form. Der Albtraum des Werdens ist zu Ende, mein Geist ist im Sein angelangt. Es ist ein Sein im Werden und ein Werden, das ist. Das ist somit das absolute und stabilisierte Werden und das absolute und stabilisierte Sein (die logischerweise jeweils aufeinander verweisen und ineinander gegenseitig geborgen sind: das ist der Chaosmos). Was meine Wenigkeit anlangt, so kann man sich ansehen, was an den Grenzen des Denkens passiert und wie diese Grenzen durch mich weiter hinausgeschoben werden, der Raum des Denkens und des Erlebens also erweitert wird. Daher ist es wichtig, dass ich Zeugnis ablege von meinem Denken und meinem Geist, denn es ist von allgemeiner Wichtigkeit und Bedeutsamkeit. Ich aber hatte immer die Eigenart, Dinge nicht auf mich bezogen, sondern objektiv zu betrachten und dahingehend, wie man eine Sache so ordnen kann, dass es objektiv-moralisch den meisten Sinn macht. Natürlich musste ich auch das ausprägen, aber es wird wohl so sein, dass diese selbstlose und objektive Betrachtungsart bei den meisten peripher ist, während sie bei mir das eigentliche Zentrum ist, und ein jeder gravitiert viel eher zum Zentrum anstatt zur Charakterperipherie. Daher ist der absolute Geist in der absoluten Form, der auf einer solchen Disposition beruht, wohl so selten; dabei aber notwendig. Bislang weiß die Menschheit noch nichts vom absoluten Geist in der absoluten Form. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, das zu tun, und will hiermit Zeugnis ablegen von der Beschaffenheit und den Qualitäten vom absoluten Geist in der absoluten Form.

Da die sozialen Einrichtungen durchgängig durch Bewegungen der Erde beunruhigt werden, – so vieler anderer angehäufter und unerledigter Krisen nicht zu gedenken, –

Würde es ein wunderbares Schauspiel, freilich aber nicht für zeitgenössische, irdische Wesen sein, dem Geist der Menschheit erkennend nachzugeben, der über all diesen Erscheinungen schwebend und doch mit allem verflochten, sich eine neue Wohnung baut. Wer hiervon eine Ahnung hätte, würde des Glückes und Unglückes völlig vergessen und in lauter Sehnsucht nach dieser Erkenntnis dahinleben.

Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen

KW 4 2021